BGer 9C_275/2013
 
BGer 9C_275/2013 vom 05.11.2013
{T 0/2}
9C_275/2013
 
Urteil vom 5. November 2013
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Furrer.
 
Verfahrensbeteiligte
P.________,
vertreten durch lic. iur. H.________,
c/o AXA-ARAG Rechtsschutz AG,
Beschwerdeführer,
gegen
Fundamenta Sammelstiftung,
Jurastrasse 20, 4600 Olten,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Berufliche Vorsorge,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 26. Februar 2013.
 
Sachverhalt:
A. Der 1969 geborene P.________ war als Angestellter des Einzelunternehmens C.________ bei der Fundamenta Gemeinschaftsstiftung für betriebliche Vorsorge, Olten (seit Juni 2012: Fundamenta Sammelstiftung; nachfolgend Sammelstiftung) berufsvorsorgerechtlich versichert. Mit Verfügung vom 7. Januar 2011 sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Aargau rückwirkend per 1. April 2010 eine ganze Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad von 79 %). Die Sammelstiftung lehnte unter Anrechnung eines zumutbarerweise erzielbaren Verdienstes von Fr. 16'614.- und einer daraus resultierenden Überentschädigung ihre Leistungspflicht zunächst ab (Schreiben vom 28. Februar 2011). Nachdem P.________ die Formulare "Nachweis der persönlichen Arbeitsbemühungen" für die Monate März 2010 bis März 2011 eingereicht hatte, teilte die Sammelstiftung mit Schreiben vom 10. April 2012 mit, sie erachte den Nachweis des nicht erzielbaren Invalideneinkommens für die Zeit vom 1. April 2010 bis zum 31. März 2011 als erbracht, weshalb die volle Deckungslücke ausgerichtet werde. Ab dem 1. April 2011 sei der Nachweis der erfolglosen Stellensuche hingegen nicht mehr dargetan.
B. Die von P.________ gegen die Sammelstiftung eingereichte Klage, mit welcher er die Ausrichtung der gesetzlichen und reglementarischen Leistungen ab 1. April 2011 sowie die Verzinsung sämtlicher Leistungen beantragen liess, wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 26. Februar 2013 ab.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt P.________ die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids beantragen und sein vorinstanzliches Rechtsbegehren erneuern.
Während die Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichten, trägt die Sammelstiftung auf Abweisung der Beschwerde.
 
Erwägungen:
1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2. Streitig und zu prüfen ist die Anrechenbarkeit eines hypothetischen Erwerbseinkommens im Rahmen der berufsvorsorgerechtlichen Überentschädigungsberechnung für die Zeit ab 1. April 2011.
2.1. Das kantonale Gericht hat die anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen über die Verhinderung ungerechtfertigter Vorteile des Versicherten oder seiner Hinterlassenen beim Zusammentreffen mehrerer Leistungen (Art. 34a Abs. 1 BVG i.V.m. Art. 24 BVV 2) unter Hinweis auf die Rechtsprechung (BGE 137 V 20; 134 V 64) zutreffend dargelegt und richtig festgehalten, dass gemäss Art. 24 Abs. 2 Satz 2 BVV 2 Bezügern von Invalidenleistungen in der Überentschädigungsberechnung nicht nur das weiterhin effektiv erzielte, sondern auch das "zumutbarerweise noch erzielbare Erwerbs- oder Ersatzeinkommen" anzurechnen ist. Korrekt erwähnte die Vorinstanz sodann das hier anwendbare Vorsorgereglement ("Allgemeines Rahmenreglement") der Beschwerdegegnerin, wonach Leistungen herabgesetzt werden, soweit sie zusammen mit anderen anrechenbaren Einkünften - einschliesslich zumutbarerweise noch erzielbare Erwerbs- oder Ersatzeinkommen von invaliden Personen - 90 % des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen (Art. 32 Abs. 2 des Reglements).
2.2. Nach der Rechtsprechung ist im Sinne einer Vermutung davon auszugehen, dass das im invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren ermittelte Invalideneinkommen dem in der Überentschädigungsberechnung der beruflichen Vorsorge zu berücksichtigenden zumutbarerweise noch erzielbaren Erwerbseinkommen entspricht. Im Unterschied zu dem bezogen auf einen ausgeglichenen Arbeitsmarkt zu bestimmenden Invalideneinkommen ist das überentschädigungsrechtlich relevante hypothetische Erwerbseinkommen in Berücksichtigung der gesamten objektiven und subjektiven Umstände, auch in arbeitsmarktlicher Hinsicht, festzulegen. Massgebend sind die effektiven Chancen, auf dem jeweiligen tatsächlichen Arbeitsmarkt eine geeignete und zumutbare Arbeitsstelle zu finden. Dabei hat die versicherte Person die Umstände, welche in ihrem konkreten Fall der Erzielung eines mit dem Invalideneinkommen äquivalenten Resterwerbseinkommens entgegenstehen, zu behaupten, zu substanziieren und hiefür soweit möglich Beweise anzubieten, namentlich durch den Nachweis erfolglos gebliebener Stellenbemühungen (BGE 137 V 20 E. 2.2 S. 23).
2.3. Die Festsetzung des hypothetischen Einkommens, soweit sie auf der Würdigung konkreter Umstände beruht, stellt eine Tatfrage dar, welche lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel überprüfbar ist. Rechtsfrage ist dagegen, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über die Verwertbarkeit der Arbeitsfähigkeit erfolgt (Urteil 9C_120/2012 vom 2. März 2012 E. 3.3).
3. Die Vorinstanz hat festgestellt, der Beschwerdeführer sei gemäss Verfügung der IV-Stelle vom 7. Januar 2011 drei Stunden pro Tag arbeitsfähig. Dies entspreche bei einer betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 41,7 Stunden einem Pensum von 36 %. Gegenüber dem RAV habe er einen Beschäftigungsgrad von 20 % angegeben, was einer täglichen Arbeitszeit von 1,7 Stunden entspreche. Damit habe er sich vom 1. April 2010 bis zum 31. März 2011 um Arbeit im Umfang eines geringeren Pensums bemüht, als ihm möglich gewesen wäre. Dass er sich während eines Jahres vergeblich um eine Stelle mit einem Pensum von 1,7 Stunden pro Tag bemüht habe, lasse nicht darauf schliessen, es seien auf dem Arbeitsmarkt keine adaptierten Teilzeitstellen mit einem Pensum von drei Stunden täglich zu finden. Zudem habe er sich in erster Linie telefonisch und durch persönliche Vorsprache unabhängig von Stellenausschreibungen "blind" beworben, womit die Erfolgsaussichten auf einen Vertragsabschluss im Gegensatz zu Bewerbungen auf ausgeschriebene Stellen erheblich geringer seien. Mit den drei der Beschwerdegegnerin eingereichten Bestätigungen von Stellenvermittlungsunternehmen, wonach keine passende Stelle zur Verfügung stehe, sei die Unmöglichkeit, eine adaptierte Stelle zu finden, nicht nachgewiesen. Gemäss der von ihm unterschriebenen RAV-Anmeldebestätigung verfüge er - entgegen seinen Vorbringen - über gute mündliche und schriftliche Deutschkenntnisse. Ein fehlender Berufsabschluss stehe einer einfachen und repetitiven Arbeit nicht entgegen. Zusammenfassend seien keine Umstände nachgewiesen, welche es dem Beschwerdeführer verunmöglichen würden, ab 1. April 2011 ein Resterwerbseinkommen von Fr. 16'614.- zu erzielen.
 
4.
4.1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, gemäss der für die Beschwerdegegnerin bindenden Verfügung der IV-Stelle bestehe eine Resterwerbsfähigkeit von 21 %. Lediglich in diesem Umfang habe er Stellen suchen müssen, was er in ausreichendem Masse getan habe. Diese Rüge geht fehl. Sowohl dem im IV-Verfahren ermittelten Invalideneinkommen als auch dem zumutbarerweise noch erzielbaren Einkommen nach Art. 24 Abs. 2 BVV 2 (welches vermutungsweise dem Invalideneinkommen entspricht; vgl. E. 2.2 hievor) liegt die Restarbeitsfähigkeit - und nicht die Resterwerbsfähigkeit - zugrunde (BGE 137 V 20 E. 5.2.2 S. 27 mit weiteren Hinweisen). Die Restarbeitsfähigkeit beträgt nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz 36 % bzw. drei Stunden pro Tag. Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die im IV-Verfahren durchgeführten Belastungstrainings ein geringeres Leistungsvermögen postuliert, kann dies nicht gehört werden. Rechtsprechungsgemäss sind die Einrichtungen der beruflichen Vorsorge - abgesehen von hier nicht gegebenen Ausnahmen - an die Feststellungen der IV-Organe gebunden (BGE 133 V 67 E. 4.3.2 S. 69; 130 V 270 E. 3.1 S. 273).
4.2. Weiter bringt der Beschwerdeführer vor, mit den erfolglosen Arbeitsbemühungen während der Zeit des Taggeldbezuges sei der Nachweis erbracht, dass er auch nach dem 1. April 2011 keine Stelle im Umfang von 21 % hätte finden können. Es wäre "reine Schikane", nach eineinhalb Jahren vergeblicher Stellensuche weitere Arbeitsbemühungen zu verlangen. Es ist indes nicht zu beanstanden, dass das kantonale Gericht die erfolglosen Stellenbemühungen nicht als Nachweis für die Unverwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit für die Zeit ab 1. April 2011 anerkannte. Zwar trifft zu, dass zahlreiche erfolglose Arbeitsbemühungen während des Bezuges von Arbeitslosentaggeld darauf hindeuten können, die versicherte Person sei aus invaliditätsfremden Gründen ausser Stande, die verbleibende Arbeitsfähigkeit tatsächlich zu verwerten (Urteil 9C_416/2011 vom 19. Juli 2011 E. 4.2 mit Hinweis). Hier aber gelangt diese Rechtsprechung von vornherein nicht zur Anwendung, weil sich die getätigten Arbeitsbemühungen unbestritten auf ein 20 %-Pensum beschränkten und damit bei einer verbleibenden Arbeitsfähigkeit von 36 % offenkundig unzureichend waren. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Arbeitsbemühungen von den Organen der Arbeitslosenversicherung nicht beanstandet wurden. Da der Beschwerdeführer bisher keinerlei Arbeitsbemühungen für das ihm zumutbare Pensum tätigte, erübrigen sich auch Weiterungen zur Frage, wie lange erfolglose Arbeitsbemühungen nachzuweisen sind.
4.3. Nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz sprechen weder die behaupteten, aber gänzlich unbelegt gebliebenen und damit nach Lage der Akten nicht überwiegend wahrscheinlichen mangelnden Deutschkenntnisse noch der fehlende Berufsabschluss gegen die Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit (Urteile 9C_602/2011 vom 24. Oktober 2011 E. 3.2; P 40/04 vom 17. August 2005 E. 3.3). Das kantonale Gericht hat folglich zu Recht erkannt, es seien keine persönlichen Umstände oder tatsächlichen Arbeitsmarktchancen nachgewiesen, welche der Erzielung eines mit dem Invalideneinkommen äquivalenten Resterwerbseinkommens entgegenstehen. Mithin wäre es dem Beschwerdeführer möglich, das ihm angerechnete Erwerbseinkommen beispielsweise durch stundenweise Arbeit in einem Ladengeschäft zu erzielen.
5. Nicht gerügt wird die Überentschädigungsberechnung, welche (lediglich) pro 2010 vorgenommen wurde (Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 10. April 2012). Eine solche fehlt indes für die hier massgebende Zeit ab April 2011. Mithin ist der Sachverhalt in diesem Punkt unvollständig (Art. 105 Abs. 2 BGG; Urteil 9C_395/2009 vom 16. März 2010 E. 2.4) festgestellt, zumal die pro 2010 vorgenommene Berechnung u.a. aufgrund des Ablaufs der Rahmenfrist für den Leistungsbezug von Arbeitslosentaggeldern per 31. März 2011 (erwähntes Schreiben S. 2; Klage vom 17. Juli 2010 S. 2) hinfällig wurde.
Ausgehend von einem mutmasslich entgangenen Verdienst von Fr. 80'957.- (Fr. 85'000.- im Jahr 2007 [Persönlicher Ausweis vom 1. Januar 2007], aufindexiert pro 2010 [2007: 117.2, 2010: 122.8; Bundesamt für Statistik, Nominallohnindex, Männer, 1993-2010, Tabelle T1.1.93_I, Baugewerbe] sowie pro 2011 [2010: 100; 2011: 101.0; Nominallohnindex nach Geschlecht, 2011-2012, Tabelle T1.1.10, Männer, Baugewerbe] x 0.9), abzüglich einer Rente der Invalidenversicherung von Fr. 27'840.- sowie Kinderrenten von Fr. 33'408.- (IV-Verfügung vom 7. Januar 2011) sowie nach Anrechnung eines zumutbaren Einkommens von Fr. 16'688.- (LSE 2010, TA1, Total, Männer, Niveau 4, umgerechnet auf 15 Stunden, unter Berücksichtigung des Abzugs vom Tabellenlohn von 25 % und aufindexiert pro 2011 [2010: 123.4; 2011: 124.5; Nominallohnindex 1993-2010/2011, Tabelle T1.93, Total, Männer]) resultiert eine jährliche Deckungslücke von Fr. 3'021.-. In diesem Umfang hat der Beschwerdeführer Anspruch auf Invalidenleistungen. Diese sind ab Klageanhebung am 17. Juli 2012 bzw. ab späterem Fälligkeitsdatum mit 5 % zu verzinsen (Urteil 9C_122/2009 vom 10. August 2009 E. 3.3 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 135 V 319, aber in: SVR 2010 BVG Nr. 1 S. 3).
6. Bei diesem Verfahrensausgang rechtfertigt es sich, die Verfahrenskosten vollumfänglich dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Dispositiv-Ziffer 1 des Entscheids des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 26. Februar 2013 wird insoweit abgeändert, als die Beschwerdegegnerin verpflichtet wird, dem Beschwerdeführer ab 1. April 2011 Invalidenleistungen von jährlich Fr. 3'021.- auszurichten, zuzüglich 5 % Verzugszinsen ab 17. Juli 2012 bzw. ab späterem Fälligkeitsdatum. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 5. November 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kernen
Der Gerichtsschreiber: Furrer