BGer 2C_1095/2013 |
BGer 2C_1095/2013 vom 13.12.2013 |
{T 0/2}
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2C_1095/2013
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Urteil vom 13. Dezember 2013 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Zünd, Präsident,
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Gerichtsschreiber Hugi Yar.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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Beschwerdeführer, vertreten durch
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Rechtsanwalt Martin Leiser,
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gegen
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Amt für Migration und Integration
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des Kantons Aargau, Sektion Asyl,
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Gegenstand
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Ausschaffungshaft / Haftüberprüfung,
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Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
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des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 19. November 2013.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. X.________ (geb. 1988) stammt aus Tunesien. Am 8. Februar 2012 ersuchte er in der Schweiz um Asyl. Mit Entscheid vom 1. Mai 2012 trat das BFM im Dublinverfahren auf sein Gesuch nicht ein, wies ihn nach Italien weg und beauftragte den Kanton Aargau mit dem Vollzug der Wegweisung (Art. 34 Abs. 2 lit. d AsylG [SR 142.31]). Am 7. Mai 2012 wurde X.________ mit einem Einreiseverbot bis zum 29. Mai 2016 belegt. Am 30. Mai 2012 ist X.________ nach Rom ausgeschafft worden.
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1.2. Am 15. November 2013 wurde X.________ in Chiasso angehalten; nach eigenen Angaben will er nach Deutschland unterwegs gewesen sein, um Verwandte zu besuchen. Am 18. November 2013 wurde er im Kanton in Ausschaffungshaft genommen; gleichentags bat das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau das BFM, ein erneutes Rückübernahmeersuchen an Italien zu stellen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau prüfte und bestätigte die Ausschaffungshaft bis zum 17. Februar 2014. Es ging in seinem Entscheid davon aus, dass der ursprüngliche Wegweisungsentscheid vollzogen worden sei und nicht mehr mit einer Ausschaffungshaft gesichert werden könne, doch wirke die Einreisesperre wie ein Wegweisungsentscheid.
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1.3. X.________ ist hiergegen mit dem Antrag an das Bundesgericht gelangt, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und ihn umgehend aus der Haft zu entlassen. Für das bundesgerichtliche Verfahren sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. Die Ausschaffungshaft habe nicht angeordnet werden dürfen, da kein Wegweisungsentscheid vorgelegen habe. Das Einreiseverbot dürfe nicht einer Wegweisung gleichgestellt werden; nur deren Vollzug könne durch eine Ausschaffungshaft sicher gestellt werden.
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1.4. Das Departement Volkswirtschaft und Inneres sowie das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau beantragen, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesamt für Migration stellt keinen Antrag, hat aber im Sinne eines Amtsberichts die Praxis und deren Vollzug bei Dublinentscheiden dargelegt.
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1.5. Am 12. Dezember 2013 hat das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau das Gericht informiert, dass X.________ im Dublin-Wiederaufnahmeverfahren nach Italien verbracht worden sei.
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1.6. Mit Eingabe vom 12. Dezember 2013 hat X.________ an seinen Ausführungen und Anträgen festgehalten.
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2. |
2.1. Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich nur legitimiert, wer ein schutzwürdiges Interesse an der Beurteilung seiner Eingabe hat (lit. c). Dieses muss nicht nur bei der Beschwerdeeinreichung, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung aktuell und praktisch sein (vgl. BGE 123 II 285 E. 4 S. 286 f.). Fällt das schutzwürdige Interesse im Laufe des Verfahrens dahin, wird die Sache als erledigt erklärt; fehlte es schon bei der Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten (BGE 137 I 23 E. 1.3 mit Hinweisen). Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 139 I 206 E. 1.1; 136 II 101 E. 1.1 S. 103; 135 I 79 E. 1.1 S. 81; vgl. auch BGE 137 I 296 ff.).
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2.2. Im vorliegenden Fall ist das aktuelle Interesse an der Beurteilung der Eingabe während der (beschleunigten) Instruktion des bundesgerichtlichen Verfahrens dahingefallen: Der Beschwerdeführer ist am 12. Dezember 2013 in den für sein Asylgesuch zuständigen Dublinstaat (Italien) zurückgeführt worden. Es rechtfertigt sich nicht, ausnahmsweise vom Erfordernis des aktuellen Interesses abzusehen, weil die aufgeworfene Frage im Einzelfall kaum je rechtzeitig höchstrichterlich überprüft werden könnte (vgl. BGE 131 II 670 E. 1.2 S. 674). Das Verfahren kann deshalb durch den instruierenden Präsidenten als gegenstandslos abgeschrieben werden (Art. 32 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. das Urteil 2C_362/2007 vom 30. August 2007 E. 1).
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3. |
3.1. Über die Kosten- und Entschädigungsfrage ist gestützt auf eine summarische Prüfung zu entscheiden. Dabei geht es nicht darum, die Prozessaussichten im Einzelnen zu vertiefen und dadurch weitere Umtriebe zu verursachen; vielmehr muss es bei einer knappen Beurteilung der Aktenlage sein Bewenden haben. Es soll auf dem Weg über den Kostenentscheid nicht ein materielles Urteil gefällt und unter Umständen der Entscheid in einer heiklen Rechtsfrage präjudiziert werden (vgl. PHILIPP GELZER, in: Niggli/Uebersax/Wiprächtiger, BKK Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 14 zu Art. 71 BGG).
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3.2. |
3.2.1. Die Eingabe des Beschwerdeführers wäre vermutlich gutzuheissen gewesen: Die Ausschaffungshaft setzt einen erstinstanzlichen Weg- oder Ausweisungsentscheid voraus, dessen Vollzug mit der entsprechenden Festhaltung sichergestellt werden soll (Art. 76 Abs. 1 AuG; ANDREAS ZÜND, in: Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], Migrationsrecht, 3. Aufl. 2012, N. 1 zu Art. 76 AuG; THOMAS HUGI YAR, § 10 Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht, 2008, N. 10.76). Eine solche Wegweisung lag hier nicht vor. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, war die Wegweisung vom 7. Mai 2013 nach Italien mit der Überstellung des Betroffenen an die dortigen Asylbehörden vollzogen und konnte nicht mehr mit einer neuen Ausschaffungshaft gesichert werden (Hugi Yar, a.a.O., N. 10.86; Urteil 2C_820/2013 vom 7. November 2013 E. 2 mit Hinweisen).
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3.2.2. Eine weitere Entfernungsmassnahme war (noch) nicht ergangen. Das Einreiseverbot ist entgegen der Praxis des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau im Zusammenspiel der europäischen Regeln eine Fernhalte- und keine Entfernungsmassnahme (so auch MARC SPESCHA, in: Spescha/Thür/Zünd/Bolzli, a.a.O., N. 1 zu Art. 67 AuG). Dies ergibt sich aus den unions- bzw. schengenrechtlichen Begriffsumschreibungen, welche für die Schweiz verbindlich sind und über Art. 64 ff. bzw. Art. 67 AuG ins nationale Recht umgesetzt wurden; sie sind schon aus systematischen Gründen unionskonform zu handhaben (vgl. BGE 2C_861/2013 vom 11. November 2013 E. 2.3 mit Hinweisen auf die Literatur) : Als
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3.2.3. Befindet sich der Betroffene nach einer Dublinüberstellung - wie hier - wieder in der Schweiz und stellt er kein erneutes Asylgesuch, sondern werden erst gewisse Strafen vollzogen, muss er hernach erneut in den zuständigen Dublinstaat
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4. Es rechtfertigt sich unter diesen Umständen, den Kanton Aargau zu verpflichten, dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 3 BGG). Dem Verfahrensausgang entsprechend wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung (Art. 64 BGG) gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben.
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2.
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2.1. Es werden keine Kosten erhoben.
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2.2. Der Kanton Aargau hat den Anwalt des Beschwerdeführers mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
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2.3. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird als gegenstandslos abgeschrieben.
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3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 13. Dezember 2013
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Zünd
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Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar
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