BGer 8C_772/2013 |
BGer 8C_772/2013 vom 23.01.2014 |
{T 0/2}
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8C_772/2013
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Urteil vom 23. Januar 2014 |
I. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
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Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
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Gerichtsschreiberin Durizzo.
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Verfahrensbeteiligte |
K.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dean Kradolfer,
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Beschwerdeführer,
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IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
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St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung (Invalidenrente),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
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vom 11. September 2013.
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Sachverhalt: |
A. K.________, geboren 1970, war als Buchhalter, zuletzt als Leiter Finanz/Rechnungswesen bei der Z.________ AG tätig, als er am 23. Februar 1999 einen Autounfall erlitt (seitlich-frontale Kollision wegen Glatteis), bei dem er sich ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule zuzog. Am 5. Januar 2001 meldete er sich bei der Invalidenversicherung an und ersuchte um berufliche Massnahmen, zog seinen Antrag indessen am 4. November 2002 wieder zurück. Am 22. September 2006 liess er sein Gesuch erneuern. Gestützt auf das von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) eingeholte Gutachten des versicherungsmedizinischen Instituts X.________ vom 20. Februar 2009 lehnte die IV-Stelle des Kantons Thurgau den Anspruch auf eine Invalidenrente am 22. Februar 2010 ab. Mit Entscheid vom 19. Januar 2011 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau die Sache zurück zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens. Nachdem die Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) versicherungsmedizinisches Zentrum Y.________ am 20. August 2012 eine 100%ige Arbeitsfähigkeit in der aktuellen Tätigkeit als Finanzdienstleister attestiert hatte, lehnte die IV-Stelle einen Leistungsanspruch mit Verfügung vom 10. Januar 2013 erneut ab.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 11. September 2013 ab.
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C. K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag auf Zusprechung einer ganzen Invalidenrente; eventualiter seien weitere Abklärungen zu tätigen.
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Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt; ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
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Erwägungen: |
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 134 I 65 E. 1.3 S. 67 f., 134 V 250 E. 1.2 S. 252, je mit Hinweisen). Unter Berücksichtigung der Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es indessen nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind, und ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr aufgegriffen werden (BGE 134 I 313 E. 2 S. 315, 65 E. 1.3 S. 67 f., je mit Hinweisen). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194 E. 3 S. 196 ff.). Neue Begehren sind unzulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG).
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2. Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und die Invalidität (Art. 8 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie zum Beweiswert von Arztberichten und medizinischen Gutachten (BGE 135 V 465 E. 4.3 ff. S. 468 ff.; 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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3. Der Beschwerdeführer reicht letztinstanzlich neue Arztberichte ein. Er führt aus, dass die behandelnden Ärzte Dr. med. B.________ und med. pract. M.________ in ihren Stellungnahmen vom 25. und 26. Oktober 2013 ihre bereits aktenkundigen Einschätzungen bestätigten. Als neue Beweismittel (echte Noven) bleiben die Berichte im letztinstanzlichen Verfahren unbeachtlich (BGE 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.; Urteil 5A_115/2012 vom 20. April 2012 E. 4.2.2).
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4. Nach eingehender Würdigung der medizinischen Stellungnahmen hat die Vorinstanz erkannt, dass auf das Gutachten des versicherungsmedizinischen Zentrums Y.________ abzustellen und gestützt darauf von einer 100%igen Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit auszugehen sei. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Er beruft sich sinngemäss im Wesentlichen darauf, dass die von den behandelnden Ärzten übereinstimmend erhobenen Befunde bei der Einschätzung der Arbeitsfähigkeit durch die Gutachter des versicherungsmedizinischen Zentrums Y.________ zu Unrecht unberücksichtigt geblieben seien.
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4.1. Subjektive Schmerzangaben müssen im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Leistungsprüfung mit Blick auf die sich stellenden Beweisschwierigkeiten rechtsprechungsgemäss durch damit korrelierende, fachärztlich schlüssig feststellbare Befunde hinreichend erklärbar sein (Urteil 8C_972/2012 vom 31. Oktober 2013 E. 5.4, zur Publikation vorgesehen). Eine nach Verletzungen der Halswirbelsäule auftretende, länger dauernde Beschwerdeproblematik (BGE 134 V 109 E. 6.2.1, 7 und 9 S. 116 ff.; Urteil 8C_972/2012 vom 31. Oktober 2013 E. 7) ist aus den gleichen Gründen nach den zur anhaltenden somatoformen Schmerzstörung entwickelten Grundsätzen zu beurteilen (Urteil 8C_972/2012 vom 31. Oktober 2013 E. 2.2; BGE 136 V 279). Dieser Gesichtspunkt ist hier entscheidwesentlich.
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4.2. Das kantonale Gericht hatte in seinem Rückweisungsentscheid vom 19. Januar 2011 erwogen, dass anhand des von der SUVA eingeholten Gutachtens des versicherungsmedizinischen Instituts X.________ nicht hinreichend geklärt sei, ob die geklagten anhaltenden Kopf- und Nacken- sowie kognitiven Beschwerden allein unfallbedingt seien (vorab durch das Ereignis vom 23. Februar 1999). Gemäss den Angaben der Gutachter des versicherungsmedizinischen Instituts X.________ liessen sich die geklagten Beschwerden nicht anhand bildgebend objektivierter Verletzungen von Bändern, Halswirbeln oder peripheren Nerven erklären. Die vom Versicherten geschilderten Einschränkungen im Alltag passten zu leichten Dauerschmerzen. Die willentliche Überwindbarkeit der Schmerzen sei nicht aufgrund psychiatrischer Diagnosen gehindert. Zur Frage der IV-Stelle nach unfallfremden Störungen führten die Gutachter des versicherungsmedizinischen Instituts X.________ jedoch aus, dass sie über Persönlichkeitsfaktoren und allfällige psychische Vorerkrankungen kaum dokumentiert und am Ende der Begutachtung nur unzureichend informiert geblieben seien. Basierend auf der Einschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit durch den Versicherten selber sei er dadurch zwischen 30 und 50 % in der Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Mit Blick auf diese gutachtliche Einschätzung, aber auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des vom Beschwerdeführer beauftragten Gutachters PD Dr. med. S.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 25. August 2010 und des behandelnden Hausarztes Dr. med. B.________ vom 29. Juni 2009 war der psychische Gesundheitszustand des Versicherten nach Auffassung des kantonalen Gerichts insgesamt abklärungsbedürftig, weshalb eine Rückweisung an die IV-Stelle erfolgte.
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4.3. Das daraufhin eingeholte Gutachten des versicherungsmedizinischen Zentrums Y.________ war gemäss dem hier zu überprüfenden Entscheid voll beweiskräftig und das kantonale Gericht stellte gestützt darauf fest, dass die vom Versicherten geschilderten Beschwerden subjektiver Natur seien. Gemäss den Ausführungen der Gutachter klagte er, nach vier Autounfällen in den Jahren 1997, 1999, 2002 und 2010, vorab nach dem Ereignis vom 23. Februar 1999, über Schmerzen im Bereich der rechten Schulter und im unteren Bereich der Halswirbelsäule, welche sich über die Halswirbelsäule zum Hinterhaupt und Scheitel erstreckten und bis zum rechten Auge reichen könnten, verbunden mit Konzentrationsschwierigkeiten und Kopfschmerzen. Residuen einer Halswirbelsäulen- oder Verletzung des Neurocraniums, die das Ausmass des vorgetragenen Leistungsdefizites und der beklagten Schmerzen erklären könnten, vermochten die Gutachter nicht zu identifizieren. Strukturelle Läsionen hätten zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen werden können, auch eine computertomographische Darstellung der Halswirbelsäule mehr als zehn Jahre nach jenem Unfallereignis zeige kein Stigma einer früher durchgemachten Verletzung. Es stand damit nunmehr auch gestützt auf das Gutachten des versicherungsmedizinischen Zentrums Y.________ fest und ist im Übrigen unbestritten, dass organische Unfallfolgen objektiv nicht ausgewiesen sind.
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4.4. Entscheidwesentlich ist nach der dargelegten Rechtsprechung (oben E. 4.1) daher, ob ein invalidisierendes psychisches Leiden vorliegt. Diese Frage war denn im vorinstanzlichen Verfahren nach erneuter Ablehnung von Leistungen der Invalidenversicherung auch allein streitig. Ausschlaggebend ist, ob eine psychische Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität, Ausprägung und Dauer oder andere qualifizierte Kriterien vorliegen, welche eine adäquate Schmerzbewältigung objektiv konstant und intensiv behindern können (Urteil 8C_972/2012 vom 31. Oktober 2013 E. 5 ff., E. 9, zur Publikation vorgesehen). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
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4.5. Gestützt auf das Gutachten des versicherungsmedizinischen Zentrums Y.________ hat die Vorinstanz festgestellt, dass keine relevanten psychiatrischen Defizite der Überwindung der subjektiven Beschwerden mit zumutbarer Willensanstrengung entgegenstünden. Die psychiatrische Gutachterin des versicherungsmedizinischen Zentrums Y.________ führte dazu aus, dass die psychische Vorgeschichte unauffällig sei, pathogene Faktoren aus der Kindheit, der Jugend oder dem späteren Erwachsenenalter nicht eruierbar seien. Es fanden sich keine Anhaltspunkte für ein pathologisches Persönlichkeitsprofil.
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Die Einschätzungen der behandelnden Ärzte sowie des vom Versicherten beauftragten Gutachters PD Dr. med. S.________ vermögen keine Indizien gegen die Zuverlässigkeit des Gutachtens des versicherungsmedizinischen Zentrums Y.________ zu begründen (BGE 135 V 465 E. 4.4 S. 470). Die von med. pract. M.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, am 15. Februar 2013 gestellten Verdachtsdiagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) sowie von Persönlichkeitsstörungen im Zusammenhang mit "chronischem Schmerzsyndrom mit bio-psycho-sozialen Konsequenzen" (ICD-10 F 62.8) und die von PD Dr. med. S.________ diagnostizierte Neurasthenie (ICD-10 F48.0) vermöchten eine Invalidisierung nicht zu begründen. Der behandelnde Psychiater schildert, im Wesentlichen übereinstimmend mit PD Dr. med. S.________ und dem Hausarzt Dr. med. B.________, eine auffällige Reduktion der Belastbarkeit beziehungsweise Leistungseinbrüche nach kurzer Belastungsdauer. Der Versicherte sei zufolge der erlittenen Unfälle eine veränderte Person mit vorwiegend Halsbeschwerden und dadurch bedingten Kopfschmerzen, Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten, emotionaler Instabilität und eingeschränkter psychischer Belastbarkeit. Damit werden die vom Versicherten geklagten organisch objektiv nicht ausgewiesenen Beschwerden beschrieben, was indessen für die Annahme eines invalidisierenden Leidens rechtsprechungsgemäss nicht zu genügen vermag. Soweit der Psychiater diese Beschwerden als Persönlichkeitsveränderung bei chronischem Schmerzsyndrom diagnostiziert, gehört diese zu den unklaren Beschwerden, denen es an der Objektivierbarkeit mangelt und deren Eigenschaften den direkten Nachweis einer anspruchsbegründenden Arbeitsunfähigkeit allein nicht zulassen. Gleiches gilt für die Neurasthenie, als welche PD Dr. med. S.________ das Leiden diagnostiziert (Urteile 8C_972/2012 vom 31. Oktober 2013 E. 2.2, 7.2, zur Publikation vorgesehen; 8C_167/2012 vom 15. Juni 2012 E. 6.1). Aber auch hinsichtlich der von med. pract. M.________ gestellten Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (Urteil 9C_618/2013 vom 4. Dezember 2013 E. 4.7) fehlt es an den erforderlichen fachärztlichen Ausführungen dazu, inwiefern damit eine psychische Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität, Ausprägung und Dauer gegeben wäre. So bedarf es für diese Diagnose gemäss ICD-10 F43.1 eines belastenden Ereignisses oder einer Situation kürzerer oder längerer Dauer mit aussergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmass, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Inwiefern solche Umstände hier bei den erlittenen Autokollisionen gegeben gewesen wären, wird nicht erörtert. Auch äussert sich der behandelnde Psychiater nicht zu den erforderlichen typischen Merkmalen des wiederholten Erlebens des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten müssen. Es fehlt schliesslich auch an Schilderungen der weiter erforderlichen Kriterien der Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten, den meistens auftretenden Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermässigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung.
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4.6. Mit dem kantonalen Gericht ist daher auf die Einschätzung der Gutachter des versicherungsmedizinischen Zentrums Y.________ abzustellen und von einer 100%igen Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit auszugehen. Es besteht damit kein Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung.
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5. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 23. Januar 2014
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Leuzinger
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Die Gerichtsschreiberin: Durizzo
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