BGer 6B_390/2013
 
BGer 6B_390/2013 vom 06.02.2014
{T 0/2}
6B_390/2013
 
Urteil vom 6. Februar 2014
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Held.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Heinz Holzinger,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
Postfach, 8026 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Einsprache gegen Strafbefehl, mangelhafte Zustellung der Vorladung, unentschuldigtes Fernbleiben einer Einvernahme,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 21. März 2013.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
"Sehr geehrter Herr X.________
Ein Bankomatenauszug ist nicht nötig. Hingegen bitte ich Sie, da Sie selbstständig erwerbend sind, um Angabe zumindest eines Geschäftstermins in Portugal (Ort und Geschäftspartner), damit ihre Angaben verifiziert werden können.
In der Annahme, dass die Verschiebung gewährt werden kann, bitte ich Sie zudem, mir bereits jetzt bekanntzugeben, welche der folgenden Termine Ihnen nach Ihrer Rückkehr am 19.11. passen würden:
- Dienstag, 20.11.2012, 13.30 Uhr
- Mittwoch, 21.11.2012, 9.30 Uhr oder 13.30 Uhr
- Donnerstag, 22.11.2012, 13.30 Uhr (...) "
C. X.________ reagierte auf die E-Mail vom 29. Oktober 2012 nicht und blieb dem Einvernahmetermin vom 1. November 2012 fern. Entgegen seiner Ankündigung meldete er sich nach seiner Rückkehr aus Portugal nicht bei der Staatsanwaltschaft.
D. Die Staatsanwaltschaft verfasste am 23. November 2012 folgende Aktennotiz:
"Da sich der Beschuldigte trotz seiner angekündigten Rückkehr am 19.11.2012 nicht mehr gemeldet hat und keine genügenden Angaben zur Bestätigung seines beruflichen Aufenthalts in Portugal geliefert hat, ist das Verschiebungsgesuch als unzureichend begründet anzusehen und er ist daher zu der auf den 1. November 2012 angesetzten Einvernahme unentschuldigt nicht erschienen, weshalb die Einsprache nunmehr als zurückgezogen gilt und eine entsprechende Verfügung erlassen wird."
Gleichentags verfügte sie eine "Erledigung nach Einsprache gegen Strafbefehl", in der sie feststellte, dass der Strafbefehl vom 14. September 2012 gegen X.________ mit dem Rückzug der Einsprache in Rechtskraft erwachsen sei.
 
E.
 
F.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat, sofern dieser nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 und Art. 97 Abs. 1 BGG).
1.2. Auf die Willkürrüge ist nicht einzutreten. Der Beschwerdeführer stellt mit seinen Vorbringen die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen nicht in Frage. Ob sein Verschiebungsgesuch vom 26. Oktober 2012 verspätet war oder nicht, betrifft eine Rechts- und keine Tatfrage. Zudem bestätigt er, die E-Mail der Beschwerdegegnerin vom 29. Oktober 2012 nicht beantwortet zu haben. Inwieweit darüber hinaus für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein soll, ob er die E-Mail erhalten bzw. aus welchen Gründen er diese nicht beantwortet hat, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist auch nicht ersichtlich.
 
2.
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 85 Abs. 2 StPO und Art. 201 Abs. 2 lit. h StPO. Die Vorladung sei ihm weder mittels eingeschriebener Post zugestellt noch von der Staatsanwaltschaft unterschrieben worden und somit in Verletzung zwingend zu beachtender Gültigkeitsvorschriften ergangen. Die Nichtigkeit der Verfahrenshandlung sei von Amtes wegen zu beachten. Mangels wirksamer Vorladung sei er der Einvernahme nicht unentschuldigt ferngeblieben.
 
2.2.
2.2.1. Neue Tatsachen und Beweismittel können nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194 E. 2.2). Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, Beweise abzunehmen und Tatsachen festzustellen, über die sich das kantonale Gericht nicht ausgesprochen hat (BGE 136 III 209 E. 6.1 S. 214 f. mit Hinweisen).
2.2.2. Die Vorladungen von Staatsanwaltschaft, Übertretungsbehörden und Gerichten ergehen schriftlich (Art. 201 Abs. 1 StPO). Sie enthalten die Unterschrift der vorladenden Person (Art. 201 Abs. 2 lit. f StPO).
Die Zustellung schriftlicher Mitteilungen erfolgt durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung, insbesondere durch die Polizei (Art. 85 Abs. 2 StPO).
2.2.3. Gemäss Art. 203 Abs. 1 StPO kann eine Vorladung in dringenden Fällen (lit. a) oder mit dem Einverständnis der vorzuladenden Person (lit. b) in anderer als der vorgeschriebenen Form und mit abgekürzten Fristen ergehen.
 
2.3.
2.3.1. Den Einwand, die (schriftliche) Vorladung der Beschwerdegegnerin sei nicht unterschrieben, erhebt der Beschwerdeführer erstmals im bundesgerichtlichen Verfahren. Weshalb erst der vorinstanzliche Entscheid hierfür Anlass gegeben haben soll, ist weder dargetan noch ersichtlich. Der Entscheid ist insoweit mangels Ausschöpfung des Instanzenzugs nicht letztinstanzlich im Sinne von Art. 80 Abs. 1 BGG (vgl. Urteil 6B_351/2013 vom 29. November 2013 E. 1.4.1). Auf die Rüge ist nicht einzutreten.
2.3.2. Zutreffend ist, dass die Beschwerdegegnerin die Vorladung entgegen Art. 85 Abs. 2 StPO nicht durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung zugestellt hat, obwohl dies gemäss Art. 12 des Schweizerisch-deutschen Polizeivertrags vom 27. April 1999 (SR 0.360.136.1) zulässig gewesen wäre.
Amtliche Prozesshandlungen, die gegen Verfahrensvorschriften verstossen, sind grundsätzlich nur anfechtbar und nicht unwirksam. Sie entfalten nur dann keine Rechtswirkung, wenn das Gesetz diese Rechtsfolge selbst anordnet (vgl. Art. 141 Abs. 1 i.V.m. Art. 140 Abs. 1 StPO; Art. 158 Abs. 2 StPO; Art. 177 Abs. 3 StPO und Art. 277 Abs. 2 StPO) oder sich aus dem Schutzzweck der Norm ergibt, dass die Verfahrensvorschrift für die Wahrung der zu schützenden Interessen der betroffenen Person eine derart erhebliche Bedeutung hat, dass sie ihr Ziel nur erreichen kann, wenn bei deren Nichtbeachtung die Verfahrenshandlung ungültig ist (vgl. Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 1183 f. Ziff. 2.4.1.1; Donatsch/Schwarzeneger/Wohlers, Strafprozessrecht, 2010, § 6 Ziff. 2.33 S. 109). Erwachsen dem unmittelbar Betroffenen hingegen keine Rechtsnachteile aus der Verletzung der Verfahrensvorschrift, kann die Prozesshandlung trotz ihrer Fehlerhaftigkeit wirksam sein (vgl. Hauser/Schweri/Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 44 N. 50 und N. 52).
Die StPO enthält keine Rechtsfolgen für den Fall, dass eine Mitteilung der betroffenen Person in Verletzung von Art. 85 Abs. 2 StPO eröffnet wird. Auch die Botschaft äussert sich insoweit nicht. Die gesetzlich vorgeschriebenen Zustellungsformen tragen dem Umstand Rechnung, dass Verfügungen oder Entscheide, die der betroffenen Person nicht eröffnet worden sind, grundsätzlich keine Rechtswirkungen entfalten (BGE 122 I 97 E. 3a/bb S. 99) und der Beweis der ordnungsgemässen Eröffnung sowie deren Datums der Behörde obliegt, die hieraus rechtliche Konsequenzen ableiten will (BGE 136 V 295 E. S. 309; 129 I 8 E. 2.2 S. 10 f.; 1C_603/2012 vom 19. September 2013 E. 3.1). Sie haben ausschliesslich Beweisfunktion. Ist der Zugang der Mitteilung (auf andere Weise) erbracht, kommt der Form der Zustellung für die Wahrung der zu schützenden Interessen der betreffenden Person (Informationsrecht) keine weitergehende oder derart erhebliche Bedeutung zu, dass die Vorladung bei Nichtbeachtung von Art. 85 Abs. 2 StPO ungültig ist (vgl. BGE 90 IV 55 E. 3). Zudem verstösst die nachträgliche Rüge des Formmangels gegen Treu und Glauben mit der Folge, dass eine mangelhaft eröffnete Mitteilung unanfechtbar wird (vgl. BGE 134 V 306 E. 4.2 S. 312 f.; Urteil 6B_14/2013 vom 3. Juni 2013 E. 1.3; je mit Hinweisen).
Der Beschwerdeführer bestreitet vorliegend nicht, die Vorladungen per A-Post und E-Mail erhalten zu haben, und er war sich der Rechtsfolgen bei einem unentschuldigten Nichterscheinen zum Einvernahmetermin bewusst. Ihm ist kein Nachteil dadurch erwachsen, dass die Vorladung mit einfacher und nicht eingeschriebener Postsendung verschickt wurde. Die Nichtbeachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Zustellungsart ist vorliegend unbeachtlich. Der vom Beschwerdeführer angeführten Doktrin kann nicht entnommen werden, die Nichtbeachtung der gesetzlichen Zustellungsform führe zwingend zur Unwirksamkeit der Mitteilung. Alle Autoren erachten namentlich die Zustellung von Mitteilungen ohne unmittelbare Rechtswirkung durch einfache Briefpost, Telefax oder E-Mail für zulässig ( Sararard Arquint, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 4 zu Art. 85 StPO; Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 4 zu Art. 85 StPO; Ulrich Weder, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 18 zu Art. 201 StPO). Ist der Nachweis der Zustellung erbracht, indem die betroffene Person der Vorladung Folge leistet oder sich auf andere Weise hierauf einlässt und sie die ihr zustehenden Verfahrensrechte angemessen wahrnehmen kann, besteht kein rechtlich geschütztes Interesse daran, dass die Vorladung keine Rechtsfolgen zeitigt.
2.3.3. Der Beschwerdeführer ist rechtswirksam mittels Vorladung durch einfache Briefsendung vorgeladen worden, weshalb offen bleiben kann, wie es sich mit der Zustellung per E-Mail verhält. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass es sich bei Art. 203 StPO um eine Ausnahmebestimmung handelt, die von den Strafbehörden nur mit Zurückhaltung anzuwenden ist. Machen sie hiervon in Form einer elektronischen Vorladung Gebrauch, sind die für den E-Mail-Verkehr geltenden Formvorschriften einzuhalten (vgl. Art. 9 ff. VeÜ-ZSSV; BBl 2006 1158 Ziff. 2.8.8.6).
 
3.
3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 355 Abs. 2 StPO. Er habe die Beschwerdegegnerin unverzüglich informiert, aus welchen Gründen er den Einvernahmetermin nicht wahrnehmen könne. Diese habe ihm mitgeteilt, eine Terminverschiebung sei grundsätzlich möglich und ihm in der Annahme, die Verschiebung könne gewährt werden, drei Ausweichtermine vorgeschlagen. Dass er sich tatsächlich in Portugal aufgehalten habe, ergebe sich aus den eingereichten Belegen (Telefonrechnung der Swisscom, Quittung über Bancomatbezug, Wohnsitzbestätigung). Die Beschwerdegegnerin habe gewusst, dass er erst nach dem Einvernahmetermin wieder in der Schweiz sein werde, weshalb seinem Verhalten nach der Rückkehr aus Portugal keine Bedeutung im Hinblick auf die Verschiebung zukomme. Von einem unentschuldigten Fernbleiben könne mithin keine Rede sein.
3.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe nicht davon ausgehen können, sein Verschiebungsgesuch werde auf jeden Fall bewilligt. Die Beschwerdegegnerin habe im E-Mail-Verkehr dargelegt, der Einvernahmetermin könne erst verschoben werden, wenn die Auslandsabwesenheit belegt sei. Solange er keine positive Antwort auf sein Verschiebungsgesuch erhalten habe und der Einvernahmetermin nicht (formell) widerrufen sei, müsse er davon ausgehen, dass am Termin festgehalten werde.
 
3.3.
3.3.1. Bleibt eine Einsprache erhebende Person trotz Vorladung einer Einvernahme unentschuldigt fern, so gilt ihre Einsprache als zurückgezogen (Art. 355 Abs. 2 StPO).
3.3.2. Wer verhindert ist, einer Vorladung Folge zu leisten, hat dies der vorladenden Behörde unverzüglich mitzuteilen; er oder sie hat die Verhinderung zu begründen und soweit möglich zu belegen (Art. 205 Abs. 2 StPO). Nach Abs. 3 der Vorschrift kann eine Vorladung aus wichtigem Grund widerrufen werden. Der Widerruf wird erst dann wirksam, wenn er der vorgeladenen Person mitgeteilt worden ist.
3.4. Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass sein Verhalten nach der Rückkehr aus Portugal bei der Beurteilung, ob er der Einvernahme unentschuldigt fernblieb, nicht massgeblich ist. Der Beschwerdeführer kann sich nicht auf den von der Beschwerdegegnerin geschaffenen Anschein berufen, die Einvernahme vom 1. November 2012 würde verschoben. Aus den von ihm im kantonalen Verfahren eingereichten Telefonabrechnungen geht hervor, dass er sich zum Zeitpunkt der Einvernahme in der Schweiz befand. Sein Mobiltelefon war - obwohl er nach eigenen Angaben in Köln wohnhaft war - vom 8. Oktober 2012 bis zum 2. November 2012 täglich im Schweizer Mobilfunknetz eingeloggt, und zwar am Tag der Einvernahme erstmals um 9.38 Uhr und zuletzt um 15.43 Uhr (kantonale Akten act. 3/7). Am 2. November 2012 wurde es sowohl in der Schweiz als auch in Portugal geortet. Der Beschwerdeführer blieb demnach der Einvernahme unentschuldigt fern. Der angefochtene Entscheid verletzt kein Bundesrecht.
 
4.
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wird mit dem Entscheid in der Sache gegenstandslos. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. Februar 2014
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Der Gerichtsschreiber: Held