BGer 2C_604/2013 |
BGer 2C_604/2013 vom 10.02.2014 |
{T 0/2}
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2C_604/2013, 2C_605/2013
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Urteil vom 10. Februar 2014 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Zünd, Präsident,
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Bundesrichter Seiler, Donzallaz,
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Gerichtsschreiber Winiger.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Louis Bochud,
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Dienststelle Steuern des Kantons Luzern, Buobenmatt 1, 6002 Luzern,
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Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt, Fischmarkt 10, Postfach, 4001 Basel.
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Gegenstand
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2C_604/2013
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Staats- und Gemeindesteuern 2001 bis 2009; Nachsteuer,
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2C_605/2013
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Bundessteuer 2002, 2007 bis 2009; Nachsteuer,
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Beschwerden gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung (vormals Verwaltungsgericht, abgaberechtliche Abteilung), vom 27. Mai 2013.
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Sachverhalt: |
A. |
A.a. Der Steuerpflichtige X.________ (geb. 1928) arbeitete bis zu seiner Pensionierung 1994 in M.________/BS. Im November 2010 meldete er sich nach L.________/LU ab, wo er heute in einem Pflegeheim lebt. Die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt veranlagte X.________ bis 2009 jeweils mit seinem Einkommen und Vermögen als unbeschränkt Steuerpflichtigen. Gleichzeitig war er Mitglied einer Gemeinderschaft, die in L.________/LU über Grundeigentum verfügt, weshalb er im Kanton Luzern beschränkt steuerpflichtig war.
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A.b. Seit dem 31. Januar 2011 besteht für X.________ eine Beiratschaft (nach neuem Erwachsenenschutzrecht eine Beistandschaft). Am 9. Juni 2011 erstattete der Beirat für X.________ gegenüber der Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt und dem Steueramt L.________/LU Selbstanzeige hinsichtlich nicht deklarierter Wertschriften.
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A.c. Die Steuerverwaltung des Kantons Basel-Stadt erhob in der Folge Nachsteuern für die Steuerperioden 2001 bis 2009 in der Höhe von total Fr. 14'630.60 (Verfügung vom 1. Juli 2011). Die Steuerverwaltung ging dabei wie bei der ordentlichen Veranlagung vom Wohnsitz des Steuerpflichtigen in M.________/BS aus. Diese Verfügung erwuchs in Rechtskraft.
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A.d. Nach Durchführung von Abklärungen kam die Dienststelle Steuern des Kantons Luzern, Nachsteuern und Steuerstrafen, insbesondere aufgrund einer Meldung der Vormundschaftsbehörde M.________/BS vom 20. Januar 2011 zum Schluss, dass sich der Wohnsitz von X.________ seit seiner Pensionierung 1994 in L.________/LU befinde und er entsprechend im Kanton Luzern unbeschränkt steuerpflichtig sei. Sie teilte ihm mit Schreiben vom 20. Oktober 2011 die Einleitung eines Nachsteuerverfahrens betreffend die Jahre 2001 bis 2009 mit und eröffnete ihm das Untersuchungsergebnis sowie die in Aussicht stehenden Nachsteuerveranlagungen. Am 3. November 2011 verfügte die Dienststelle Steuern die folgenden Nachsteuern (inkl. Verzugszinsen) : für die direkte Bundessteuer 2002, 2007 bis 2009 total Fr. 584.30 bzw. für die Staats-, Gemeinde- und Kirchensteuern 2001 bis 2009 total Fr. 126'935.90.
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B. |
C. |
D. |
Erwägungen: |
1. |
2.
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2.1. Angefochten ist ein letztinstanzlicher (End-) Entscheid einer oberen kantonalen Gerichtsbehörde in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, der mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht weitergezogen werden kann (Art. 82 lit. a, Art. 83, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 90 BGG). Eine Ermächtigung zur Prozessführung (vgl. Art. 416 Abs. 1 Ziff. 9 ZGB) mit Substitutionsrecht für den Beistand des Beschwerdeführers liegt in den Akten. Die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen geben sodann - unter Vorbehalt des Nachfolgenden - zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass, so dass auf das Rechtsmittel grundsätzlich einzutreten ist.
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Nicht einzutreten ist auf den Antrag des Beschwerdeführers, das Bundesgericht habe festzustellen, die Steuerhoheit des Kantons Luzern im Zeitraum 2001 bis 2009 sei bloss beschränkter (kraft Grundeigentum) und nicht unbeschränkter Natur (kraft Wohnsitz) bzw. der Kanton Luzern sei örtlich nicht zuständig, im Zeitraum 2001 bis 2009 die direkte Bundessteuer zu erheben. Solche Begehren sind nur zulässig, soweit ein schutzwürdiges rechtliches oder tatsächliches Interesse dargetan wird, das nicht ebenso gut mit einem rechtsgestaltenden Begehren gewahrt werden kann (BGE 126 II 300 E. 2c S. 303). Vorliegend umfasst das Aufhebungsbegehren auch die mit dem erwähnten Antrag verlangten Feststellungen. Das Feststellungsbegehren hat damit keine selbständige Bedeutung und erweist sich daher als überflüssig.
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2.2. Auch auf dem Gebiet des Verbots der interkantonalen Doppelbesteuerung (Art. 127 Abs. 3 BV) ist der Instanzenzug in einem Kanton vollständig zu durchlaufen, ehe das Bundesgericht angerufen werden kann (Art. 86 Abs. 1 lit. d i.V.m. Abs. 2 BGG). Trifft dies zu, kann zusammen mit dem noch nicht rechtskräftigen letztinstanzlichen Entscheid des einen Kantons auch die bereits rechtskräftige Veranlagungsverfügung oder der bereits rechtskräftige Rechtsmittelentscheid eines weiteren Kantons bzw. mehrerer weiterer Kantone angefochten werden. In Bezug auf diese Verfügungen und Entscheide aus einem oder mehreren anderen Kantonen besteht praxisgemäss kein Erfordernis der Letztinstanzlichkeit (BGE 139 II 373 E. 1.4 S. 376; 133 I 300 E. 2.4 S. 307, 308 E. 2.4 S. 313; Urteile 2C_708/2012 vom 21. Dezember 2012 E. 1.3, nicht publ. in: BGE 139 I 64; 2C_92/2012 vom 17. August 2012 E. 1.3, in: ASA 81 S. 671). Die Beschwerdefrist bei Beschwerden wegen interkantonaler Kompetenzkonflikte beginnt spätestens zu laufen, sobald in beiden (bzw. allen) Kantonen Entscheide getroffen worden sind, gegen welche beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden kann (Art. 100 Abs. 5 BGG; vgl. zum Ganzen zitiertes Urteil 2C_92/2012 vom 17. August 2012 E. 1.3).
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2.3. Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 138 III 537 E. 2.2 S. 540; 137 III 385 E. 3 S. 386; 133 III 545 E. 2.2. S. 550).
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2.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz können nur berichtigt werden, sofern sie entweder offensichtlich unrichtig, d. h. willkürlich ermittelt worden sind (Art. 9 BV; BGE 137 II 353 E. 5.1 S. 356; zum Willkürbegriff: BGE 138 I 49 E. 7.1 S. 51; 137 I 1 E. 2.4 S. 5) oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 135 II 145 E. 8.1 S. 153). Zudem hat die beschwerdeführende Partei aufzuzeigen, dass die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234).
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2.5. Die Bindung des Bundesgerichts an den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt (Art. 105 Abs. 1 BGG) und das Novenverbot (Art. 99 Abs. 1 BGG) gelten auch für Beschwerden in Sachen der interkantonalen Doppelbesteuerung. Anders verhält es sich nur dann, wenn der Kanton, dessen Veranlagung bereits rechtskräftig ist und für den die Bindungswirkung nicht gilt, diese Feststellungen bestreitet. Nur in diesem Fall kommt das Bundesgericht nicht umhin, den Sachverhalt frei zu prüfen, und ist auch das Novenverbot zu relativieren (BGE 139 II 373 E. 1.7 S. 378; 133 I 300 E. 2.3 S. 306; Urteil 2C_92/2012 vom 17. August 2012 E. 1.5; je mit Hinweisen).
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3.
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3.1. Ein Verstoss gegen das Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung im Sinne von Art. 127 Abs. 3 BV liegt vor, wenn ein Steuersubjekt von zwei oder mehreren Kantonen (Steuerhoheiten) für das gleiche Steuerobjekt und dieselbe Steuerperiode zur Besteuerung herangezogen wird (aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung). Ausserdem darf ein Kanton ein Steuersubjekt grundsätzlich nicht deshalb stärker belasten, weil es nicht im vollen Umfang seiner Steuerhoheit untersteht, sondern zufolge seiner territorialen Beziehungen auch in einem anderen Kanton steuerpflichtig ist (Schlechterstellungsverbot; BGE 138 I 297 E. 3.1 S. 300 f.; 137 I 145 E. 2.2 S. 147; 134 I 303 E. 2.1 S. 306 f.).
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3.2. Streitgegenstand ist das Hauptsteuerdomizil des Steuerpflichtigen für die Steuerperioden 2001 bis 2009. Sowohl der Kanton Luzern als auch der Kanton Basel-Stadt beanspruchen die unbeschränkte Steuerpflicht. Damit liegt unbestrittenermassen eine aktuelle Doppelbesteuerung im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung vor.
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4.
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4.1. Der Kanton Basel-Stadt bringt als Eventualstandpunkt vor, der Kanton Luzern habe sein Besteuerungsrecht für die hier massgeblichen Steuerperioden verwirkt. Die Verwirkungseinrede ist vorweg zu prüfen. Stellt sie sich als begründet dar, ist die Beschwerde gegen den Kanton Luzern von vornherein gutzuheissen. Andernfalls wäre der Frage nachzugehen, ob der Beschwerdeführer seinen steuerrechtlichen Wohnsitz in den Jahren 2001 bis 2009 bereits von M.________/BS nach L.________/LU verlegt hatte.
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4.2. Praxisgemäss verwirkt ein Kanton, der die für die Steuerpflicht massgeblichen Tatsachen kennt oder kennen kann, sein Recht auf Besteuerung, wenn er trotzdem mit der Erhebung des Steueranspruchs ungebührlich lange zuwartet und wenn bei Gutheissung des erst nachträglich erhobenen Anspruchs ein anderer Kanton zur Rückerstattung von Steuern verpflichtet werden müsste, die er formell ordnungsgemäss in guten Treuen und in Unkenntnis des kollidierenden Steueranspruchs bezogen hat (BGE 139 I 64 E. 3.2 S. 67; 137 I 273 E. 3.3.4 S. 279 f.; je mit Hinweisen). Unter der einjährigen Gegenwartsbemessung gilt eine Veranlagung für
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4.3. Vorliegend ist unbestritten, dass der Kanton Basel-Stadt den Beschwerdeführer in den Steuerperioden 2001 bis 2009 formell ordnungsgemäss, in guten Treuen und in Unkenntnis des kollidierenden Steueranspruchs, veranlagt hat. Dies trifft auch auf die Nachsteuerverfügung vom 1. Juli 2011 zu, die auf die Selbstanzeige des Steuerpflichtigen zurückzuführen war.
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5. |
Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1.
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2.
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3.
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4.
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5.
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6.
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Lausanne, 10. Februar 2014
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Zünd
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Der Gerichtsschreiber: Winiger
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