Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
1B_33/2014
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Urteil vom 13. März 2014
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Reto Thomas Ruoss und Rechtsanwältin lic.iur. Pascale Gola,
gegen
1. A.________ vertreten durch Rechtsanwalt Michael Stalder,
2. B.________, vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Furrer,
3. C.________, vertreten durch Advokatin Susanna Marti,
4.
BVG-Sammelstiftung D.________ in Liq., vertreten durch die Liquidatorin, lic. iur. Laurence Uttinger, Rechtsanwältin,
Beschwerdegegner,
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Leitender Oberstaatsanwalt, An der Aa 4, Postfach 1356, 6300 Zug.
Gegenstand
Akteneinsicht,
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung vom 19. Dezember 2013 des Obergerichts des Kantons Zug, Präsident der Strafabteilung.
Sachverhalt:
A.
A.a. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug führt gegen A.________, B.________ und C.________ ein Strafverfahren wegen mehrfacher qualifizierter Veruntreuung und Gehilfenschaft dazu. Sie wirft ihnen vor, als verantwortliche Stiftungsräte und Geschäftsführer der "BVG-Sammelstiftung der D.________" (im Folgenden: BVG-Sammelstiftung) von Mai 2003 bis August 2006 Vorsorgegelder unrechtmässig verwendet zu haben.
A.b. Am 17. Dezember 2010 reichte der Sicherheitsfonds BVG, welcher beim Zusammenbruch der BVG-Sammelstiftung Leistungen hatte erbringen müssen, beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug eine Verantwortlichkeitsklage gegen insgesamt 13 Personen ein. Einer der Beklagten ist der Pensionskassenexperte X.________, gegen den der Sicherheitsfonds Forderungen von mehreren Millionen Franken geltend macht, weil er seine Prüfpflichten vernachlässigt haben soll.
A.c. Das Strafgericht des Kantons Zug hat am 15. Oktober 2013 das erstinstanzliche Strafurteil erlassen. Verschiedene Parteien haben dagegen Berufung erhoben. Das Strafverfahren ist zurzeit beim Zuger Obergericht hängig.
B.
Am 3. Dezember 2013 ersuchte X.________ das Obergericht, ihm Einsicht in die Akten des Strafverfahrens gegen A.________, B.________ und C.________ zu gewähren.
Das Obergericht wies das Akteneinsichtsgesuch von X.________ mit Präsidialverfügung vom 19. Dezember 2013 ab.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, diese Präsidialverfügung aufzuheben und ihm vollständige oder eventuell teilweise Akteneinsicht zu gewähren oder die Sache subeventuell zur Neubeurteilung ans Obergericht zurückzuweisen.
D.
Die BVG-Sammelstiftung in Liquidation sowie das Obergericht und die Staatsanwaltschaft verzichten auf Vernehmlassung. B.________ beantragt, die Beschwerde abzuweisen oder eventuell das Einsichtsrecht auf das Urteil des Strafgerichts vom 15. Oktober 2013 zu beschränken.
Erwägungen:
1.
Mit dem angefochtenen Entscheid verweigerte das Obergericht dem Beschwerdeführer Einsicht in die Strafakten. Er schliesst damit das Verfahren für ihn ab. Es handelt sich um den Endentscheid einer letzten kantonalen Instanz in einer Strafsache, gegen den die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, Art. 90 BGG ). Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei vom Obergericht zu Unrecht an der Wahrnehmung seines Akteneinsichtsrechts gehindert worden. Er hat somit ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und ist zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b BGG).
2.
2.1. Der Beschwerdeführer ist am Strafverfahren, dessen Akten er einsehen möchte, nicht als Partei im Sinn von Art. 104 StPO beteiligt. Er hat in diesem Verfahren zwar als Auskunftsperson ausgesagt und wäre damit ein "anderer Verfahrensbeteiligter" (Art. 105 Abs. 1 lit. d StGB). Als solchem stehen ihm nach Art. 105 Abs. 2 StPO die zur Wahrung seiner Interessen erforderlichen Verfahrensrechte zu, sofern er in seinen Rechten unmittelbar betroffen ist. Er macht indessen nicht geltend, Akteneinsicht zur Wahrnehmung seiner ihm als Auskunftsperson zustehenden Verfahrensrechte nehmen zu wollen. Er bringt vielmehr vor, er sei als aussenstehender Dritter vom Ausgang des Strafverfahrens betroffen und habe ein schützwürdiges Interesse an der Einsicht in die Akten.
2.2. Nach Art. 101 Abs. 3 StPO können Dritte die Akten eines hängigen Strafverfahrens einsehen, wenn sie dafür ein wissenschaftliches oder ein anderes schutzwürdiges Interesse geltend machen und der Einsichtnahme keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen gegenüberstehen. Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid erwogen, mangels Nähe zum Verfahrensgegenstand müsse die Akteneinsicht an Dritte restriktiver gehandhabt werden als an Verfahrensbeteiligte. Insbesondere müssten auch Dritte wie die anderen Verfahrensbeteiligten nach Art. 105 Abs. 2 StPO in ihren Rechten unmittelbar betroffen sein, um Einsichtsrechte beanspruchen zu können. Selbst dann seien ihnen aber solche nur sehr einschränkend zu gewähren. In der Regel überwögen die Interessen der Beschuldigten an der Geheimhaltung, wie sie von Art. 73 StPO auch als Grundsatz vorgeschrieben werde.
2.3. Diese Argumentation des Obergerichts ist widersprüchlich. Wer von einem Strafverfahren unmittelbar betroffen ist, ist Partei (Art. 104 StPO) oder "anderer Verfahrensbeteiligter" (Art. 105 Abs. 1 lit. f StPO), wer es nicht ist, ist "Dritter". Ein solcher ist damit von einer im Strafverfahren vorgenommen Handlung in der Regel nicht unmittelbar in seinen Rechten betroffen. Ihm deswegen entsprechend der Argumentation des Obergerichts grundsätzlich keine Akteneinsicht zu gewähren, wäre mit Art. 101 Abs. 3 StPO nicht vereinbar. Es muss daher für die Gewährung von Akteneinsicht an einen Dritten nach dieser Vorschrift genügen, dass er ein schutzwürdiges Interesse hat, das die entgegenstehenden Geheimhaltungsinteressen überwiegt.
3.
3.1. Das Obergericht erwägt im angefochtenen Entscheid, die Akten des Strafverfahrens seien für den Verantwortlichkeitsprozess vor Verwaltungsgericht für den Beklagten nur von sehr beschränkter Bedeutung, da er nicht die Beweislast trage und das Strafverfahren ohnehin noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Zudem habe er die Möglichkeit, das Verwaltungsgericht zu ersuchen, die Strafakten nach Art. 101 Abs. 2 StPO beizuziehen, wenn, wie er behaupte, diese "sowohl für die Feststellung des Sachverhalts als auch für die Beweisführung im Verantwortlichkeitsprozess von besonderer Relevanz" sein sollten. Ob dies zutreffe, sei im Strafverfahren nicht zu prüfen. Allerdings falle auf, dass das Verwaltungsgericht trotz einer Verfahrensdauer von nunmehr drei Jahren die Strafakten nicht angefordert habe, was den Schluss zulasse, dass es diese für die Bearbeitung des Verantwortlichkeitsprozesses nicht benötige.
3.2. Die im Strafverfahren beschuldigten (und offenbar erstinstanzlich verurteilten) Stiftungsräte und Geschäftsführer sollen der BVG-Sammelstiftung auf strafrechtlich relevante Weise Mittel entzogen haben, womit eine letzterer zustehende, zivilrechtliche Schadenersatzforderung entstanden ist (Art. 52 Abs. 1 BVG; Isabelle Vetter-Schreiber, Kommentar BVG/FZG, Zürich, 3. A. 2013, N. 1 zu Art. 52). Der BVG-Sicherheitsfonds hat offenbar gestützt auf Art. 56 Abs. 1 lit. b BVG die offen gebliebenen Leistungen der BVG-Sammelstiftung übernommen und ist nach Art. 56a Abs. 1 BVG in diesem Umfang in deren Ansprüche eingetreten. Diese Zivilforderungen und weitere Verantwortlichkeitsansprüche macht der Sicherheitsfonds BVG im vor dem Verwaltungsgericht hängigen Verfahren geltend. Es ist offensichtlich, dass sich der Ausgang des Strafverfahrens auf die Zivilforderung auswirken kann; der Sicherheitsfonds BVG wäre in dieser Konstellation berechtigt, sich als Privatkläger am Strafverfahren zu beteiligen (BGE 139 IV 310).
3.3. Die Verantwortlichkeitsklage richtet sich nicht nur gegen die im Strafprozess Beschuldigten, sondern auch gegen den Beschwerdeführer. Ihm wirft der Sicherheitsfonds BVG vor, er habe seine Berufspflichten als Experte für berufliche Vorsorge verletzt und zu verantworten, dass die Machenschaften der Stiftungsräte und Geschäftsführer erst mit Verzögerung aufgedeckt worden seien; dadurch sei der BVG-Sammelstiftung Schaden entstanden, für den er einzustehen habe. Kann sich nach dem Gesagten das Strafverfahren auf diese Zivilforderung auswirken, so betrifft dies nicht nur den klagenden Sicherheitsfonds BVG, sondern mittelbar auch den beklagten Beschwerdeführer. Dieser hat Anspruch darauf, im Verantwortlichkeitsverfahren seine Parteirechte voll wahrnehmen zu können, was eine Zugriffsmöglichkeit auf alle relevanten Akten voraussetzt. Er hat damit klarerweise ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht in die Strafakten; es widerspräche dem Prinzip der Waffengleichheit, dass dieses Recht dem klagenden Sicherheitsfonds BVG zusteht und dem beklagten Beschwerdeführer vorenthalten wird. Gewiss fiele auch in Betracht, über ein Begehren um Beizug der Strafakten im Verantwortlichkeitsprozess Einsicht in die Akten zu erhalten. Nachdem das Verwaltungsgericht derartige Begehren des Beschwerdeführers bisher offenbar abgewiesen hat, kann dem Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Einsichtsinteresse aber nicht mit dem Hinweis auf diese andere Möglichkeit zur Einsichtnahme abgesprochen werden.
3.4. Damit ist zu prüfen, ob der Gewährung der Akteneinsicht überwiegende Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Das Obergericht brauchte dies im angefochtenen Entscheid nicht zu tun, da es dem Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der Akteneinsicht absprach.
Der Beschwerdegegner 2 bringt in seiner Vernehmlassung vor, für ihn sei es "selbstverständlich von grossem Interesse, dass die Erwägungen und Untersuchungsergebnisse aus dem Strafverfahren nicht in den Verantwortlichkeitsprozess" einflössen, damit sich der Beschwerdeführer nicht auf seine Kosten entlasten könne.
Der Beschwerdegegner 2 will somit dem Beschwerdeführer die Einsicht in die Strafakten vorenthalten, um aus diesem Wissensvorsprung im Verantwortlichkeitsverfahren einen Vorteil zu ziehen. Abgesehen von der Frage, ob diese Absicht des Beschwerdeführers legitim ist und Schutz verdient, kann er dieses Ziel ohnehin nicht erreichen. Der klagende Sicherheitsfonds BVG ist nach dem Gesagten berechtigt, sich im Strafverfahren als Privatkläger zu konstituieren und kann damit auch Akteneinsicht nehmen. Der Beschwerdegegner 2 kann daher nicht verhindern, dass Erkenntnisse aus dem Strafverfahren im Verantwortlichkeitsverfahren gegen ihn verwendet werden, weshalb ein derartiges Interesse von vornherein nicht den Vorrang beanspruchen kann.
Weitere Geheimhaltungsinteressen, die das Interesse des Beschwerdeführers auf Akteneinsicht überwiegen könnten, sind nicht ersichtlich. Das Obergericht hat demnach Bundesrecht verletzt, indem es das Akteneinsichtsgesuch des Beschwerdeführers abwies. Ob allenfalls an einzelnen Teilen der Akten punktuell besondere, überwiegende Geheimhaltungsinteressen bestehen, kann im vorliegenden Verfahren nicht beurteilt werden, da dem Bundesgericht die Strafakten nicht vorliegen. Sollte dies der Fall sein, so liegt es in der Verantwortung des Obergerichts, bei der Gewährung der grundsätzlich vollen Akteneinsicht an den Beschwerdeführer die nach Art. 102 Abs. 1 Satz 2 StPO geeigneten Massnahmen zu treffen.
4.
Die Beschwerde ist daher gutzuheissen und das Obergericht anzuweisen, dem Beschwerdeführer im Sinne der Erwägungen Akteneinsicht zu gewähren.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der unterliegende Beschwerdegegner 2, der sich als einziger der Beschwerdegegner am Verfahren beteiligte, die Gerichtskosten zu tragen und dem Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1 BGG und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ). Vorinstanzliche Kosten bleiben nicht zu liquidieren.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid des Obergerichts des Kantons Zug vom 19. Dezember 2013 aufgehoben und die Vorinstanz angewiesen, dem Beschwerdeführer im Sinne der Erwägungen Akteneinsicht zu gewähren.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdegegner 2 auferlegt.
3.
Der Beschwerdegegner 2 hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft, Leitender Oberstaatsanwalt, und dem Obergericht des Kantons Zug, Präsident der Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. März 2014
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Merkli
Der Gerichtsschreiber: Störi