Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
6B_953/2013
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Urteil vom 17. März 2014
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Gerichtsschreiberin Andres.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christoph Kradolfer,
Beschwerdeführer,
gegen
1.
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld,
2. Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Raphael Pironato,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Schwere Körperverletzung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 17. Juli 2013.
Sachverhalt:
A.
Nach einer zunächst verbalen Auseinandersetzung zwischen Z.________ und dem Taxifahrer Y.________ schlug X.________ den Taxifahrer zu Boden und trat gemeinsam mit Z.________ auf diesen ein. Y.________ erlitt eine Rippenserienfraktur 8 bis 5, teilweise mehrfragmentär, einen Hämatopneumothorax mit massivem Weichteil- und Mediastinalemphysem, eine Lungenkontusion sowie eine Hirnerschütterung und diverse Schürfungen.
B.
Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte X.________ zweitinstanzlich wegen schwerer Körperverletzung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten und einer Busse von Fr. 4'000.--. Es sah vom Widerruf des mit Strafverfügung des Bezirksamts Frauenfeld vom 5. August 2008 gewährten bedingten Vollzugs der Geldstrafe von 20 Tagessätzen ab, verwarnte X.________ und verlängerte die Probezeit um ein Jahr auf drei Jahre. Die Zivil- und Genugtuungsforderungen verwies es auf den Zivilweg.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die Dispositiv-Ziffern 3 (Schuldspruch und Strafe), 4 (Widerruf), 6a und 6b (Kosten) sowie 8b (Rückgriff für Entschädigung) des angefochtenen Urteils seien aufzuheben. Die vorinstanzlichen Kosten seien gemäss Art. 67 BGG zu verlegen. Eventuell sei die Angelegenheit zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Schuldspruch der schweren Körperverletzung. Die Vorinstanz verletze Art. 122 Abs. 1 StGB, wenn sie ausführe, die Verletzungen des Beschwerdegegners seien lebensgefährlich gewesen. Einerseits ergebe sich aus den Berichten des Kantonsspitals A.________ nicht, dass eine "erhebliche Wahrscheinlichkeit des tödlichen Verlaufs" bestanden habe. Auch deute ihre Formulierung darauf hin, die Vorinstanz lasse eine potenzielle Lebensgefahr genügen. Andererseits verkenne sie, dass wegen der medizinischen Behandlung (vorliegend Thorax-Drainage) die Lebensgefahr gar nicht habe entstehen können. Der Tatbestand setze jedoch voraus, dass die Wahrscheinlichkeit des tödlichen Verlaufs trotz der medizinischen Behandlung erheblich sei.
1.1. Nach Art. 122 StGB wird unter anderem wegen schwerer Körperverletzung bestraft, wer einen Menschen lebensgefährlich verletzt (Abs. 1). Eine lebensgefährliche Körperverletzung im Sinne dieser Bestimmung darf nur angenommen werden, wenn die Verletzung zu einem Zustand geführt hat, in dem sich die Möglichkeit des Todes dermassen verdichtete, dass sie zur ernstlichen und dringlichen Wahrscheinlichkeit wurde, was aber nicht bedeutet, dass die Lebensgefahr notwendigerweise eine zeitlich unmittelbare, akute sein muss. Massgebend ist vielmehr die erhebliche Wahrscheinlichkeit des tödlichen Verlaufs (BGE 131 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen; Urteil 6B_695/2011 vom 15. März 2012 E. 3.2).
1.2. Gestützt auf die Berichte des Kantonsspitals A.________ vom 3. April 2013 und 23. Mai 2013 erachtet die Vorinstanz als erstellt, dass ohne die sofort eingeleiteten medizinischen Massnahmen eine ernstliche und dringliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Todes bestanden hätte. Ohne die Thorax-Drainage hätte sich der beim Beschwerdegegner nach der Einlieferung diagnostizierte Pneumothorax zu einem Spannungspneumothorax entwickeln können. Demnach sei er im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB "lebensgefährlich verletzt" worden. Die erhebliche Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs, mithin die Lebensgefahr, stehe nicht unter der Voraussetzung medizinischer Behandlung. Der vom Beschwerdeführer zitierte Bundesgerichtsentscheid betreffe eine HIV-Infizierung (BGE 139 IV 214). Dieser Sachverhalt unterscheide sich (Urteil S. 24).
1.3. In welchem Zustand sich der Beschwerdegegner aufgrund der Verletzungen befand, ist eine Tatfrage. Rechtsfrage ist, ob die Vorinstanz den Begriff der Lebensgefahr im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB richtig ausgelegt und angewendet hat. Der Beschwerdeführer hätte darlegen müssen, dass die auf die Spitalberichte gestützten Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG oder willkürlich im Sinne von Art. 9 BV sind. Indem er ausführt, wie die Berichte seiner Ansicht nach zu verstehen sind, vermag er nicht aufzuzeigen, dass die vorinstanzliche Würdigung schlechterdings unhaltbar ist. Gleiches gilt für sein Vorbringen, drei Tage nach dem Vorfall sei ein Interview mit dem Beschwerdegegner in der Presse erschienen, weshalb dieser nicht lebensgefährlich verletzt gewesen sein könne (zur Willkür BGE 138 I 305 E. 4.3 mit Hinweis).
1.4. Die vorinstanzliche Feststellung, ohne ärztliche Behandlung habe eine ernstliche und dringliche Wahrscheinlichkeit des Todeseintritts bestanden, basiert auf dem Spitalbericht. Darin wird ausgeführt, ein Pneumothorax und ein Hämatothorax seien bereits nachzuweisen gewesen. Ein Spannungspneumothorax wäre als Komplikation anzunehmen gewesen. Er sei jedoch durch die Einlage einer Drainage verhindert worden. Der Tod hätte sowohl durch ein Verbluten in den Raum zwischen Lungen und Rippenfell (Hämatothorax) als auch durch das Entwickeln eines Spannungspneumothoraxes eintreten können. Ob ein solcher im vorliegenden Fall aufgetreten wäre, bleibe spekulativ. Ferner wurde wiederholt, dass ohne das sofortige Einleiten von medizinischen Massnahmen eine unmittelbare akute Todesgefahr für den Beschwerdegegner bestanden hätte (Bericht Kantonsspital A.________ vom 23. Mai 2013, vorinstanzliche Akten).
Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz gestützt auf die Spitalberichte schliesst, ohne die medizinischen Massnahmen hätte eine ernstliche und dringliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Todes bestanden. Zwar ist rein spekulativ, ob sich ein Spannungspneumothorax entwickelt hätte, jedoch bestand aufgrund des Hämatothoraxes die Gefahr, dass der Beschwerdegegner innerlich verblutet. Indem die Vorinstanz die Verletzungen als lebensgefährlich im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB qualifiziert, verletzt sie ihr Ermessen bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der schweren Körperverletzung nicht (vgl. BGE 129 IV 1 E. 3.2; 115 IV 17 E. 2b; Urteil 6B_612/2013 vom 8. November 2013 E. 1.2).
1.5. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, eine lebensgefährliche Verletzung dürfe nicht angenommen werden, wenn rechtzeitig wirksame medizinische Massnahmen ergriffen werden können, geht an der Sache vorbei.
Das Bundesgericht entschied bereits vor 30 Jahren, dass diese Auffassung die vom Täter geschaffene unmittelbare Lebensgefahr und die von ihm unabhängige, oft von Zufälligkeiten beeinflusste Möglichkeit sofortiger ärztlicher Behandlung in unzulässiger Weise miteinander vermengt. Wohl kann eine drohende und ernsthafte Lebensgefahr unter Umständen durch einen sofortigen medizinischen Eingriff herabgesetzt oder aufgehoben werden. Das schafft aber die Tatsache nicht aus der Welt, dass der Täter zuerst eine ernsthafte Lebensgefahr geschaffen hat. Nach der Rechtsprechung genügt es, dass der Geschädigte durch die ihm zugefügte Schädigung der Lebensgefahr ausgesetzt war; wie lange dieser Zustand dauerte, ist unerheblich. Unerheblich ist auch, ob die Lebensgefahr rasch behoben werden konnte oder nicht. Die gleiche Verletzung kann nicht das eine Mal eine schwere und das andere Mal eine leichte sein, je nachdem ob sie in der Nähe eines Spitals, wo in der Regel rasche Hilfe zur Stelle ist, oder in einer abgelegenen Gegend erfolgt, ob die zufälligen Witterungseinflüsse zur Unfallzeit einen raschen Helikoptereinsatz oder die Strassenverhältnisse einen schnellen Transport zum Spital ermöglichen oder nicht (BGE 109 IV 18 E. 2d mit Hinweis auf BGE 91 IV 194 E. 2). Dies hat auch heute noch Gültigkeit.
Daran ändert nichts, dass das Bundesgericht seine Rechtsprechung hinsichtlich der Qualifikation der Übertragung der HIV-Infektion als lebensgefährliche Verletzung vor Kurzem änderte (BGE 139 IV 214). Es begründete seinen Entscheid damit, dass sich angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten nicht mehr sagen lasse, dass der Zustand der Infiziertheit mit dem HI-Virus schon als solcher generell lebensgefährlich im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB ist. Unter der Voraussetzung der medizinischen Behandlung fehle es an der erheblichen Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs und folglich an der Lebensgefahr der HIV-Infektion (E. 3.4.2).
Die Vorinstanz führt zu Recht aus, dass sich dieser Sachverhalt vom vorliegend zu beurteilenden unterscheidet. Bei HIV-Infektionen wird es regelmässig nicht von Zufälligkeiten abhängen, ob sie rechtzeitig behandelt werden können. Ferner führt die HIV-Infektion unbehandelt erst nach relativ langer Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Ausbruch der Immunschwäche AIDS und anschliessend mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod (BGE 139 IV 214 E. 3.4.1 S. 216). Die Therapie mittels Einführen einer Thorax-Drainage ist zwar in der Regel geeignet, die Lebensgefahr bei Vorliegen eines Hämatopneumothoraxes abzuwenden. Dass diese Massnahme ergriffen werden kann, hängt jedoch von vom Täter unbeeinflussbaren Zufälligkeiten ab. Vorliegend war es Zufall, dass sich Passanten um den Beschwerdegegner kümmerten, nachdem der Beschwerdeführer und sein Kollege von ihm abgelassen hatten sowie geflüchtet waren (Urteil S. 28). Zudem hätte ohne das sofortige ärztliche Eingreifen eine unmittelbare akute Todesgefahr bestanden (Bericht Kantonsspital A.________ vom 23. Mai 2013, vorinstanzliche Akten). Die zu den HIV-Infektionen entwickelte Rechtsprechung ist nicht auf den vorliegenden Fall anwendbar. Der Schuldspruch ist bundesrechtskonform.
2.
Seine Anträge bezüglich des Widerrufverfahrens und der Verlegung der Kosten sowie Entschädigung im kantonalen Verfahren begründet der Beschwerdeführer nicht oder mit dem gewünschten Freispruch. Darauf ist nicht einzutreten.
3.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Der Beschwerdeführer hat die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Seine finanzielle Situation ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten zu berücksichtigen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. März 2014
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Die Gerichtsschreiberin: Andres