BGer 1C_862/2013
 
BGer 1C_862/2013 vom 02.04.2014
{T 0/2}
1C_862/2013
 
Urteil vom 2. April 2014
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen, Frongartenstrasse 5, 9000 St. Gallen,
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Unterstrasse 28, 9001 St. Gallen.
Gegenstand
Verkehrsmedizinische Untersuchung,
Beschwerde gegen das Urteil vom 9. Oktober 2013 des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen.
 
Sachverhalt:
A. X.________ erregte am 14. März 2012 kurz vor Mittag die Aufmerksamkeit einer zivilen Polizeipatrouille, als er am Steuer seines Lieferwagens von der Autobahn A1 in die Autobahnausfahrt Winterthur-Töss einbog und dabei mit allen vier Rädern die auf dem Boden markierte Sperrfläche überfuhr. Die Beamten stellten ihn und nahmen dabei einen starken Cannabisgeruch im Fahrzeug wahr. Der Drogenschnelltest war in Bezug auf THC/Cannabis sowie Kokain positiv. Die Beamten stellten im Fahrzeug zudem rund 10 g Marihuana sicher. Sie nahmen X.________ den Führerausweis vorläufig ab. Laut chemisch-toxikologischem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich vom 2. April 2012 hatte X.________ bei seiner Fahrt eine Konzentration von 23 Mikrogramm THC, 7 Mikrogramm OH-THC und 210 Mikrogramm THC-COOH, aber keine Kokain- oder Alkoholspuren im Blut.
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________, dieses Verwaltungsgerichtsurteil aufzuheben und die Sache in dem Sinn zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, dass eine verkehrsmedizinische Untersuchung nicht angeordnet werden könne.
C. Die Verwaltungsrekurskommission und das Verwaltungsgericht beantragen in ihren Vernehmlassungen unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid, die Beschwerde abzuweisen.
 
Erwägungen:
1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts. Dagegen steht die Beschwerde nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Die kantonalen Instanzen haben eine verkehrsmedizinische Begutachtung des Beschwerdeführers angeordnet. Der angefochtene Entscheid schliesst das Verfahren nicht ab; er stellt daher einen Zwischenentscheid dar, der nach der Rechtsprechung anfechtbar ist, da er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinn von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirkt. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist.
 
2.
2.1. Im Rahmen des Handlungsprogramms "Via sicura" (BBl 2010 8447) wurden auf den 1. Januar 2013 verschiedene, teils für das vorliegende Verfahren einschlägige Änderungen des Strassenverkehrsgesetzes in Kraft gesetzt (AS 2012 6291). Da sich der rechtserhebliche Sachverhalt, auf den sich die Anordnung der verkehrsmedizinische Abklärung stützt, am 14. März 2012 und damit vor dem In-Kraft-Treten des neuen Rechts ereignete, ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Sache nach altem Recht beurteilte (BGE 130 V 329 E. 2.2 und 2.3.
2.2. Führerausweise werden entzogen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen (Art. 16 Abs. 1 SVG). Nach Art. 16d Abs. 1 lit. b SVG wird der Lernfahr- oder Führerausweis einer Person auf unbestimmte Zeit entzogen, wenn sie an einer Sucht leidet, welche die Fahreignung ausschliesst. Drogensucht wird nach der Rechtsprechung bejaht, wenn die Abhängigkeit von der Droge derart ist, dass der Betroffene mehr als jede andere Person der Gefahr ausgesetzt ist, sich ans Steuer eines Fahrzeugs in einem - dauernden oder zeitweiligen - Zustand zu setzen, der das sichere Führen nicht mehr gewährleistet (BGE 127 II 122 E. 3c; 124 II 559 E. 2b; 120 Ib 305 E. 3c, je mit Hinweisen). Im Interesse der Verkehrssicherheit setzt die Rechtsprechung den regelmässigen Konsum von Drogen der Drogenabhängigkeit gleich, sofern dieser seiner Häufigkeit und Menge nach geeignet ist, die Fahreignung zu beeinträchtigen. Auf fehlende Fahreignung darf geschlossen werden, wenn der Betroffene nicht mehr in der Lage ist, Haschischkonsum und Strassenverkehr ausreichend zu trennen, oder wenn die nahe liegende Gefahr besteht, dass er im akuten Rauschzustand am motorisierten Strassenverkehr teilnimmt (BGE 128 II 335 E. 3c; 127 II 122 E. 3c; 124 II 559 E. 3d).
2.3. Eine verkehrsmedizinische Abklärung darf nur angeordnet werden, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die ernsthafte Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen wecken. Nach der Rechtsprechung erlaubt ein regelmässiger, aber kontrollierter und mässiger Haschischkonsum für sich allein noch nicht den Schluss auf eine fehlende Fahreignung (BGE 127 II 122 E. 4b; 124 II 559 E. 4d und e). Ob diese gegeben ist, kann ohne Angaben über die Konsumgewohnheiten des Betroffenen, namentlich über Häufigkeit, Menge und Umstände des Cannabiskonsums und des allfälligen Konsums weiterer Betäubungsmittel und/oder von Alkohol, sowie zu seiner Persönlichkeit, insbesondere hinsichtlich Drogenmissbrauch im Strassenverkehr, nicht beurteilt werden (BGE 124 II 559 E. 4e und 5a; Urteil 6A.93/2002 vom 25. Februar 2003 E. 3.2). Ein die momentane Fahrfähigkeit beeinträchtigender Cannabiskonsum kann hingegen Anlass bieten, die generelle Fahreignung des Betroffenen durch ein Fachgutachten näher abklären zu lassen (BGE 128 II 335 E. 4b; 127 II 122 E. 4b mit Hinweis).
2.4. Der Beschwerdeführer hat am 14. März 2012 nach eigenen Angaben gegenüber der Polizei beim Verlassen der Autobahn die Sperrfläche überfahren, weil es nach einem Überholvorgang "knapp" geworden sei. Er hat sich mit anderen Worten beim Einbiegen in die Autobahnausfahrt verschätzt. Solche Fehleinschätzungen können zwar auch einem nüchternen Lenker unterlaufen. Die möglichen Wirkungen von Cannabis - der Eintritt eines entspannten, euphorischen Zustandes mit gesteigerten und veränderten Sinneseindrücken und stark geändertem Zeitempfinden (Thomas Fingerhut/Christof Tschurr, Kommentar zum BetmG, Zürich 2007, N. 35 zu Art. 1) - vermögen sie indessen offensichtlich zu begünstigen. Und der Beschwerdeführer muss - nach eigenen Angaben am Vorabend bzw. am frühen Morgen (00:30 Uhr) - eine erhebliche Dosis Cannabis konsumiert haben, betrug doch der THC-Gehalt in seinem Blut rund 12 Stunden danach 23 Mikrogramm/l, d.h. rund das 15-fache des Grenzwertes von 1,5 Mikrogramm/l, ab welchem die Fahrunfähigkeit als erstellt gilt (Art. 34 lit. a der Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung, SR 741.013.1). Der Grenzwert wäre auch dann deutlich überschritten, wenn die THC-Analyse einen um 30 % zu hohen Wert ergeben hätte; der entsprechende Einwand ist insofern unbehelflich.
2.5. Nach neuem Recht wäre dies nicht anders, ist doch die Fahreignung nach einer Fahrt unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln grundsätzlich abzuklären (Art. 15d Abs. 1 lit. b SVG). Dass sich der Beschwerdeführer (u.a.) des Fahrens in fahrunfähigem Zustand schuldig gemacht hat, steht nunmehr zweifelsfrei fest, nachdem die vom Beschwerdeführer gegen die entsprechende Verurteilung durch das Bezirksgericht Winterthur beim Obergericht und beim Bundesgericht (Urteil 6B_262/2013 vom 27. August 2013) erhobenen Rechtsmittel erfolglos geblieben sind.
3. Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen, der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 2. April 2014
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Störi