BGer 4A_3/2014 |
BGer 4A_3/2014 vom 09.04.2014 |
{T 0/2}
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4A_3/2014
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Urteil vom 9. April 2014 |
I. zivilrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
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Bundesrichterinnen Kiss, Niquille,
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Gerichtsschreiber Kölz.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Louis Bochud,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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B.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Hischier,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Sittenwidrigkeit,
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Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 28. Oktober 2013.
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Sachverhalt: |
A. |
A.________ (Klägerin, Beschwerdeführerin) übertrug B.________ (Beklagter, Beschwerdegegner) mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 18. April 2008 unter Vorbehalt einer lebenslänglichen Nutzniessung das Eigentum am Grundstück Nr. xxx. Als Gegenleistung wurde der Betrag von Fr. 540'000.-- vereinbart. Am 1. April 2009 wurde die Klägerin unter Vormundschaft gestellt.
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B. |
Mit Klage vom 30. Oktober 2009 stellte die Klägerin, nunmehr vertreten durch ihren Vormund, vor Amtsgericht Luzern-Land (seit 1. Januar 2011 Bezirksgericht Kriens) folgende Anträge:
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"1. Es sei festzustellen, dass der am 18.04.2008 zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag über die Übertragung von Grundeigentum und Begründung einer Nutzniessung ungültig, respektive nichtig sei;
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2. Es sei der Klägerin das Eigentum am Grundstück Nr. xxx gerichtlich zuzuweisen;
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3. Der Grundbuchwalter sei richterlich anzuweisen, A.________, geb. zz.zz.zzzz, anstelle des Beklagten als Eigentümerin des Grundstücks Nr. xxx einzutragen;
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4. [...]"
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C. |
Die Klägerin beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Kantonsgerichts vom 28. Oktober 2013 aufzuheben. Es sei festzustellen, dass der am 18. April 2008 zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag über die Übertragung von Grundeigentum und Begründung einer Nutzniessung nichtig, respektive ungültig, sei. Es sei der Beschwerdeführerin das Eigentum am Grundstück Nr. xxx gerichtlich zuzuweisen. Der Grundbuchverwalter des Grundbuchamtes Luzern Ost sei richterlich anzuweisen, die Beschwerdeführerin anstelle des Beschwerdegegners als Eigentümerin des Grundstücks einzutragen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Erwägungen: |
1. |
Das angefochtene Urteil des Kantonsgerichts ist ein verfahrensabschliessender Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz im Sinne von Art. 75 Abs. 1 und 2 BGG. Sodann übersteigt der Streitwert (Fr. 1.9 Mio.) die Grenze nach Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist - unter Vorbehalt einer hinlänglichen Begründung (Erwägungen 2.1-2.2) - grundsätzlich auf die Beschwerde einzutreten.
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2. |
2.1. Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. Die Beschwerde ist hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten. In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Unerlässlich ist, dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (vgl. BGE 134 II 244 E. 2.1).
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2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 135 III 397 E. 1.5). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).
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3. |
Die Vorinstanz ging wie die Erstinstanz davon aus, beim Vertrag vom 18. April 2008 handle es sich um eine gemischte Schenkung, und beurteilte diese als gültig. Vor Bundesgericht beharrt die Beschwerdeführerin einzig darauf, dass der Vertrag wegen Sittenwidrigkeit im Sinne von Art. 20 OR nichtig sei, da der Beschwerdegegner ihr Hausarzt gewesen sei. Nicht mehr bestritten wird, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses urteilsfähig war. Auch die Verneinung einer Übervorteilung nach Art. 21 OR durch die Vorinstanz wird nicht angefochten.
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3.1. Nach Art. 20 Abs. 1 OR ist ein Vertrag nichtig, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst. Sittenwidrig sind Verträge, die gegen die herrschende Moral, d.h. gegen das allgemeine Anstandsgefühl oder gegen die der Gesamtrechtsordnung immanenten ethischen Prinzipien und Wertmassstäbe verstossen (BGE 132 III 455 E. 4.1 S. 458; 129 III 604 E. 5.3; 123 III 101 E. 2 S. 102; 115 II 232 E. 4a). Das Bundesgericht folgte in seiner publizierten Rechtsprechung einer Lehrmeinung, wonach bestimmte Berufsträger - namentlich Ärzte, Psychologen, Anwälte, Geistliche, Notare oder Sozialarbeiter, aber auch Haushalthilfen oder Heimleiter, Bankiers, Treuhänder, Finanzberater usw. - in besonders sensiblen Bereichen tätig seien, da ihnen ihre Tätigkeit unweigerlich tiefe Einblicke in die persönlichen und wirtschaftlichen Belange der betreuten Person verschaffe. Daher dränge sich fallweise die Beurteilung auf, ob eine Verfügung zugunsten einer solchen Vertrauensperson auf einem selbstbestimmten Entscheid beruht oder ob der Berufsträger den aus dem Vertrauensverhältnis sich ergebenden Einfluss in unlauterer Weise ausgenützt habe (BGE 132 III 455 E. 4.1 m.H.a. Abt, Probleme um die unentgeltlichen lebzeitigen Zuwendungen an Vertrauenspersonen, AJP 2004 S. 1225 f.). Demgegenüber verwarf das Bundesgericht die weitergehende Auffassung, "Schenkungen reicher, alleinstehender älterer und kranker Personen müssten bei einem Vertrauensverhältnis irgendwelcher Art vorbehaltlos und allgemein ungültig erklärt werden". Es erwog, damit würde im Ergebnis bei gegebener Urteilsfähigkeit dem selbstbestimmten Entscheid einer Person die Rechtswirkung abgesprochen, welche die Rechtsordnung unter diesen Voraussetzungen vorsehe. Demnach kann nicht jede Zuwendung als Verstoss gegen die guten Sitten unter Lebenden qualifiziert werden, wenn sie an eine Person erfolgt, die durch ihre berufliche Tätigkeit im Umfeld der verfügenden Person deren Vertrauen gewonnen hat. Es bedarf vielmehr einer unlauteren Beeinflussung oder eines Verstosses gegen elementare Standesregeln, deren Zweck gerade darin besteht, von vornherein Interessenkonflikte und Zweifel über mögliche unerwünschte Beeinflussungen zu verhindern (BGE 132 III 455 E. 4.2).
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3.2. Die Beschwerdeführerin begründete die behauptete Sittenwidrigkeit des Vertrages einerseits damit, dass ihre Willensentscheidung durch den Beschwerdegegner beeinträchtigt worden sei; andererseits liege ein Verstoss gegen eine wichtige Regel der Standesordnung FMH vor. Die Vorinstanz verwarf beide Vorbringen.
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3.3. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, eine lebzeitige Zuwendung von rund Fr. 2 Mio. an den Hausarzt sei als solche sittenwidrig.
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3.4. Die Beschwerdeführerin vertritt weiterhin die Auffassung, es liege Sittenwidrigkeit aufgrund eines Verstosses gegen eine elementare Standesregel vor.
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3.4.1. Neu beruft sie sich in dieser Hinsicht auf Art. 1 der Standesordnung FMH. Nach diesem bezweckt die Standesordnung insbesondere, das Ansehen und die Freiheit des Arztberufes zu wahren. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin schädigte der Beschwerdegegner das Ansehen und die Integrität der Hausärzteschaft erheblich, indem er einen Millionenvorteil angenommen habe.
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3.4.2. Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz sodann vor, zu Unrecht einen Verstoss gegen Art. 38 der Standesordnung FMH verneint zu haben. Sie behauptet, nebst dem medizinischen Betreuungsverhältnis hätten keine privaten Kontakte stattgefunden, und solche seien auch nicht aktenkundig. Im Ergebnis sei von einer reinen Hausarzt-Patienten-Beziehung auszugehen. Die Vorinstanz habe dies willkürlich verkannt. Es könnten mithin keine persönlichen Gründe für die Zuwendung bestehen. Der Vertrag sei aufgrund des medizinischen Betreuungsverhältnisses und nicht aufgrund eines privaten Verhältnisses zustande gekommen.
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3.5. Die Beschwerdeführerin begründet die behauptete Sittenwidrigkeit des Vertrags vom 18. April 2008 schliesslich auch vor Bundesgericht mit einer Beeinträchtigung ihrer Willensbildung.
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3.6. Demnach ist der Vertrag vom 18. April 2008 nicht wegen Sittenwidrigkeit im Sinne von Art. 20 OR nichtig. Die Vorinstanz hat dies zutreffend erkannt und die Klage der Beschwerdeführerin zu Recht abgewiesen.
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4. |
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 15'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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3. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 17'000.-- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 9. April 2014
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Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Klett
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Der Gerichtsschreiber: Kölz
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