BGer 1B_123/2014
 
BGer 1B_123/2014 vom 11.04.2014
{T 0/2}
1B_123/2014
 
Urteil vom 11. April 2014
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Mattle.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Hinz,
gegen
Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, Untere Grabenstrasse 32, 4800 Zofingen.
Gegenstand
Anordnung Untersuchungshaft,
Beschwerde gegen den Entscheid vom 24. März 2014 des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen.
 
Sachverhalt:
Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm führt gegen X.________ eine Strafuntersuchung wegen Verdachts auf Betrug, eventuell gewerbsmässigen Betrug. Am 25. Februar 2014 wurde X.________ vorläufig festgenommen. Am 27. Februar 2014 wies das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung von Untersuchungshaft für die vorläufige Dauer von drei Monaten ab. Dagegen erhob die Staatsanwaltschaft gleichentags Beschwerde an das Obergericht des Kantons Aargau. Die Verfahrensleitung der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts ordnete ebenfalls gleichentags an, die Untersuchungshaft sei für die Dauer des Beschwerdeverfahrens aufrecht zu erhalten. Am 24. März 2014 hob die Beschwerdekammer die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 27. Februar 2014 auf und ordnete Untersuchungshaft für die vorläufige Dauer von drei Monaten bzw. bis zum 25. Mai 2014 an. Gegen den Entscheid der Beschwerdekammer vom 24. März 2014 hat X.________ am 26. März 2014 Beschwerde ans Bundesgericht erhoben. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und er sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eventualiter seien geeignete mildere Ersatzmassnahmen anzuordnen. Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
Erwägungen:
1. Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Zwischenentscheid in einer Strafsache, gegen den nach Art. 78 ff. BGG die Beschwerde in Strafsachen offen steht, zumal die Fortführung der Untersuchungshaft einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann. Da die Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz sei teilweise von einem offensichtlich unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.
2.1. Nach Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann diese Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Abs. 2). Von der beschwerdeführenden Person kann die Feststellung des Sachverhalts wiederum nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich (Art. 9 BV) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge ist substanziiert vorzubringen (Art. 42 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
2.2. Die Vorinstanz hielt in tatsächlicher Hinsicht unter anderem fest, es sei nicht ersichtlich und werde vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht, dass er über in der Schweiz lebende Familienangehörige verfüge. Er gebe zwar in pauschaler Weise an, viele Kollegen und ein enges Beziehungsnetz in der Schweiz zu haben, unterlasse es indessen gänzlich zu konkretisieren, um wen es sich dabei handle. Er zeige auch nicht auf, wie sich das angeblich enge Beziehungsnetz in der Schweiz zusammensetze. Dagegen wendet der Beschwerdeführer ein, er wohne seit 21 Jahren ununterbrochen in der Schweiz und sei hier sozial und beruflich verwurzelt. Sämtliche sozialen und wirtschaftlichen Netzwerke unterhalte er hier. Mit seiner ersten Exfrau, einer Schweizerin, habe er eine knapp sechsjährige Ehe geführt. Er habe in der Schweiz eine Ausbildung absolviert und spreche fliessend Schweizerdeutsch. Freunde und Bekannte hätten sich bereit erklärt, ihn bei der Wohnungssuche und bei der Errichtung einer allfälligen Kaution zu unterstützen.
Soweit der Beschwerdeführer diesbezüglich eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz in genügender Weise vorgebracht und begründet hat und seine Vorbringen nach Art. 99 Abs. 1 BGG überhaupt zulässig sind, vermag er damit nicht durchzudringen. Es ist nicht willkürlich, dass die Vorinstanz aufgrund der wenig konkreten Aussagen des Beschwerdeführers angezweifelt hat, er sei in der Schweiz sozial besonders gut verwurzelt.
2.3. Weiter führte die Vorinstanz in tatsächlicher Hinsicht aus, der Beschwerdeführer stamme aus Pakistan bzw. sei pakistanischer Herkunft. Gemäss eigenen Aussagen sei er im Jahr 2001 oder 2002 in der Schweiz eingebürgert worden. Im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage, ob statt Untersuchungshaft allenfalls eine Ausweis- und Schriftensperre anzuordnen sei (vgl. dazu nachfolgend E. 6), hat die Vorinstanz unter anderem darauf hingewiesen, eine solche sei bei ausländischen Staatsangehörigen kaum wirksam. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz habe ihn offensichtlich unzutreffend als ausländischen Staatsangehörigen bezeichnet. Er verfüge seit mehr als zwölf Jahren ausschliesslich über den Schweizer Pass.
Aus den Ausführungen der Vorinstanz könnte man schliessen, der Beschwerdeführer verfüge (auch) über die pakistanische Staatsangehörigkeit. Wie es sich damit verhält und ob die Vorinstanz in diesem Zusammenhang von einem offensichtlich unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, kann indessen offen bleiben, weil für den Ausgang des Verfahrens nicht wesentlich ist, ob der in der Schweiz eingebürgerte Beschwerdeführer zusätzlich noch über die pakistanische Staatsangehörigkeit verfügt oder nicht (vgl. nachfolgend E. 5.2 und 6).
3. Der angefochtene Entscheid betrifft Zwangsmassnahmen im Sinne von Art. 196 ff. StPO. Die Auslegung und die Anwendung der in der StPO geregelten Voraussetzungen für Grundrechtsbeschränkungen prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (Art. 95 lit. a BGG). Die nach Art. 98 BGG vorgeschriebene Beschränkung der Rügegründe ist auf strafprozessuale Zwangsmassnahmen nicht anwendbar (BGE 137 IV 340 E. 2.4 S. 346 mit Hinweisen).
4. Untersuchungshaft ist zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ausserdem Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr vorliegt (Art. 221 Abs. 1 StPO). Weiter ist Haft zulässig, wenn ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahr machen (Art. 221 Abs. 2 StPO). Das zuständige Gericht ordnet an Stelle der Untersuchungshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 237 Abs. 1 StPO).
5. Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht. Er rügt jedoch, die Vorinstanz habe den Haftgrund Fluchtgefahr zu Unrecht bejaht und damit Art. 221 StPO sowie Art. 10 Abs. 2 BV verletzt.
5.1. Beim Haftgrund der Fluchtgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO (vgl. auch Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK) geht es um die Sicherung der Anwesenheit der beschuldigten Person im Verfahren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts setzt die Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit voraus, dass sich die beschuldigte Person, wenn sie in Freiheit wäre, dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland, denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Bei der Bewertung, ob Fluchtgefahr besteht, sind die gesamten konkreten Verhältnisse zu berücksichtigen. Es müssen Gründe bestehen, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden, genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62 mit Hinweisen). Miteinzubeziehen sind die familiären und sozialen Bindungen, die berufliche und finanzielle Situation und die Kontakte zum Ausland (Urteil 1B_353/2013 vom 4. November 2013 E. 4.1 mit Hinweis). Auch psychische Auffälligkeiten, die auf eine besondere Neigung zu Impulsausbrüchen bzw. Kurzschlusshandlungen schliessen lassen, können eine Fluchtneigung erhöhen (BGE 123 I 268 E. 2e S. 271 ff.; Urteil 1B_34/2013 vom 21. Februar 2013 E. 4.1). Mögliche Ersatzmassnahmen bei Fluchtgefahr sind unter anderen eine Ausweis- und Schriftensperre (Art. 237 Abs. 2 lit. b StPO) und die Auflage, sich regelmässig bei einer Amtsstelle zu melden (Art. 237 Abs. 2 lit. d StPO).
5.2. Für die Wahrscheinlichkeit einer Flucht spricht, dass dem Beschwerdeführer bei einer Verurteilung ein längerer Freiheitsentzug droht. Hinzu kommt, dass er nicht in der Schweiz aufgewachsen ist und hier keine Familienangehörigen hat. Seine Kinder leben wie weitere Verwandte und seine zweite Exfrau in England. Er hat berufliche und soziale Kontakte im Ausland und hielt sich vor der Inhaftierung häufig im Ausland auf, vor allem in England und Deutschland. Er verfügt in der Schweiz über keine Wohnung mehr und hat angegeben, seit dem Verkauf seines Hauses im Büro geschlafen zu haben. Die berufliche und finanzielle Situation des Beschwerdeführers präsentierte sich vor seiner Inhaftierung schlecht. Er hat Betreibungen zu gegenwärtigen und verfügt in der Schweiz soweit ersichtlich über kein Vermögen. Seine beruflichen Perspektiven in der Schweiz sind nicht gut. Gegen Fluchtgefahr spricht, dass der Beschwerdeführer zur Einvernahme bei der Kantonspolizei aus dem Ausland angereist ist und er in der Schweiz bis zu einem gewissen Grad sozial verwurzelt sein mag. Wie die Vorinstanz allerdings zu Recht festgehalten hat, erscheint angesichts der Angaben des Beschwerdeführers zweifelhaft, dass seine sozialen Beziehungen zur Schweiz derart eng und unüberwindbar sind, dass angenommen werden könnte, sie entfalteten eine erheblich fluchtmindernde Wirkung. Eine Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung der für und gegen die Fluchtgefahr sprechenden Umstände führt zum Schluss, dass Gründe bestehen, die eine Flucht bzw. ein Untertauchen nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Vorinstanz hat den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO somit zu Recht bejaht.
6. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Anordnung von Ersatzmassnahmen würde den gleichen Zweck erfüllen wie die von der Vorinstanz angeordnete Untersuchungshaft. Einer allfälligen Fluchtgefahr könne mit der Anordnung einer Meldepflicht und/oder einer Ausweis- und Schriftensperre wirksam begegnet werden. Zusätzlich könne er anbieten, eine Sicherheitsleistung in der Höhe von Fr. 15'000.-- bis 20'000.-- zu leisten.
Mögliche Ersatzmassnahmen bei Fluchtgefahr sind unter anderen eine Ausweis- und Schriftensperre (Art. 237 Abs. 2 lit. b StPO) und die Auflage, sich regelmässig bei einer Amtsstelle zu melden (Art. 237 Abs. 2 lit. d StPO). Derartige Ersatzmassnahmen sind allerdings nicht nur weniger einschneidend als Untersuchungshaft, sondern auch weniger wirksam. Sie können zwar unter Umständen einer gewissen Fluchtneigung der beschuldigten Person vorbeugen, sind aber bei ausgeprägter Fluchtgefahr unzureichend (Urteile 1B_181/2013 vom 4. Juni 2013 E. 3.2.2 sowie 1B_34/2013 vom 21. Februar 2013 E. 4.1). Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, dass sich die Fluchtgefahr vorliegend als derart erheblich erweist, dass die Aufrechterhaltung bzw. Anordnung von im Vergleich zur Untersuchungshaft weniger wirksamen Ersatzmassnahmen nicht mehr ausreichend wäre, um der Fluchtgefahr in genügender Weise entgegenzuwirken. Daran würde auch die Anordnung einer Sicherheitsleistung nach Art. 237 Abs. 2 lit. a StPO nichts ändern. Ob sich der Beschwerdeführer im Fall einer Ausweis- und Schriftensperre einen pakistanischen Pass beschaffen könnte oder nicht, ist unter den gegebenen Umständen unerheblich.
7. Die Anordnung von Untersuchungshaft bis zum 25. Mai 2014 ist mit Art. 221 i.V.m. Art. 237 Abs. 1 und 2 StPO vereinbar. Der damit verbundene Eingriff in die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) des Beschwerdeführers ist nach Art. 36 BV gerechtfertigt. Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Er ersucht indes um unentgeltliche Rechtspflege. Da die Voraussetzungen von Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.
2.2. Rechtsanwalt Stephan Hinz wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.
3. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. April 2014
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Mattle