BGer 4A_604/2013 |
BGer 4A_604/2013 vom 25.04.2014 |
{T 0/2}
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4A_604/2013
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Urteil vom 25. April 2014 |
I. zivilrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
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Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Niquille,
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Gerichtsschreiber Hurni.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Simon Kehl,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Versicherung B.________ AG,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stephan Thurnherr,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Vorsorgliche Beweisführung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 25. September 2013.
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Sachverhalt: |
A. |
A.________ (Gesuchsteller und Beschwerdeführer) war beim Strassenverkehrsamt N.________ als Verkehrsexperte angestellt. Am 22. Oktober 2001 verunfallte er anlässlich einer Kontrollfahrt mit einem bei der Versicherung B.________ AG (Gesuchs- und Beschwerdegegnerin) versicherten Kundenfahrzeug. A.________ leidet nach eigenen Angaben bis heute an Beschwerden und Einschränkungen seiner Arbeits- und Leistungsfähigkeit im Haushalt.
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Zwischen den Parteien sind die Kausalität des Unfalls, das Ausmass des behaupteten Haushaltsschadens als auch ein unfallbedingter Dauerschaden und damit der Anspruch auf die Bezahlung des vertraglichen Invaliditätskapitals umstritten.
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B. |
B.a. Mit Gesuch vom 11. April 2013 stellte A.________ dem Bezirksgericht Frauenfeld folgende Anträge:
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"1. Es sei ein medizinisches Gutachten zu veranlassen.
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2. Es seien der Gutachterstelle die diesem Gesuch beiliegenden Akten zu überlassen und es seien ihr gestützt darauf die folgenden Fragen zu stellen:
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2.1 Beschwerden, Befunde und Diagnosen?
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2.2 Litte der Gesuchsteller an den diagnostizierten Beschwerden auch, wenn er am 22. Oktober 2001 nicht verunfallt wäre?
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2.3 Einschränkungen der Haushaltsarbeitsfähigkeit in den einzelnen Aufgabenbereichen unter Berücksichtigung eines vollen Arbeitspensums?
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2.4 Medizinisch-theoretische Invalidität gemäss den eingereichten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Automobile, Ausgabe 07.90 (AVB) der Gesuchsgegnerin?
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3. Als Gutachterstelle sei die Klinik K.________ unter der Leitung von Dr. med. H.________ zu bestimmen.
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4. Die Gutachterstelle sei zu ermächtigen, weitere Fachrichtungen, insbesondere Neurologie und Psychiatrie, beizuziehen, eine Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL-Abklärung) durchzuführen und bei Bedarf auch die vollständigen IV-/Suva-Akten beizuziehen.
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5. Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen."
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Mit Entscheid vom 24. Juli 2013 wies das Bezirksgericht Thurgau das Gesuch um vorsorgliche Beweisführung ab.
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B.b. Mit Entscheid vom 25. September 2013 wies das Obergericht des Kantons Thurgau die von A.________ gegen den bezirksgerichtlichen Entscheid erhobene Berufung ab.
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C. |
Mit Beschwerde in Zivilsachen stellt A.________ dem Bundesgericht folgende Anträge:
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"1. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 25. September 2013 sei vollumfänglich aufzuheben.
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2. Es sei im Verfahren von Art. 158 ZPO ein gerichtliches Gutachten unter Zugrundelegung der Akten und Gutachterfragen gemäss erstinstanzlicher Eingabe vom 11. April 2013 sowie der mit Eingabe vom 20. Juni 2013 zusätzlich eingereichten IV- und Suva-Akten zu erstellen.
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2.1. Eventualiter sei die Vorinstanz, subeventualiter das Bezirksgericht Frauenfeld, anzuweisen, dieses Gutachten erstellen zu lassen.
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3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin für die Verfahren vor dem Bezirksgericht, dem Obergericht und dem Bundesgericht."
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Die Versicherung B.________ AG beantragt in ihrer Vernehmlassung Nichteintreten, eventualiter Abweisung. Die Vorinstanz beantragt Abweisung.
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A.________ reichte eine Replik ein.
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Erwägungen: |
1. |
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein Rechtsmittel zulässig ist (BGE 138 III 46 E. 1).
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1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen verfahrensabschliessenden Rechtsmittelentscheid eines oberen kantonalen Gerichts (Art. 75 BGG), ist innert der Beschwerdefrist (Art. 100 BGG) von der mit ihren Rechtsbegehren unterlegenen Partei (Art. 76 BGG) eingereicht worden und bei der Streitsache handelt es sich um eine Zivilsache (Art. 72 BGG) mit einem Streitwert von über Fr. 30'000.-- (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG).
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1.2. Beim vorliegend angefochtenen Entscheid über vorsorgliche Beweisführung handelt es sich um einen Entscheid i.S. von Art. 98 BGG (BGE 138 III 46 E. 1.1 S. 46; 133 III 638 E. 2 S. 639). Dagegen kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden. Die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten prüft das Bundesgericht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das bedeutet, dass klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 134 I 83 E. 3.2 S. 88; 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 133 III 439 E. 3.2 S. 444 f.; je mit Hinweisen).
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2. |
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine Verletzung von Art. 8, 9 und 29 Abs. 2 BV vor, indem diese ein schutzwürdiges Interesse an einer vorsorglichen Beweisführung i.S. von Art. 158 Abs. 1 lit. b 2. Variante ZPO verneint habe.
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2.1. Art. 158 ZPO regelt die vorsorgliche Beweisführung. Nach Abs. 1 lit. b nimmt das Gericht jederzeit Beweis ab, wenn die gesuchstellende Partei eine Gefährdung der Beweismittel oder ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft macht.
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2.1.1. Gemäss der bundesrätlichen Botschaft wird mit dem Begriff des schutzwürdigen Interesses in Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO auf die Möglichkeit Bezug genommen, eine vorsorgliche Beweisführung auch zur Abklärung der Beweis- und Prozessaussichten durchzuführen. Diese Möglichkeit soll dazu beitragen, aussichtslose Prozesse zu vermeiden (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, BBl 2006 7221, S. 7315; BGE 140 III 16 E. 2.2.1 S. 19; 138 III 76 E. 2.4.2 S. 81).
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2.1.2. Zur Glaubhaftmachung eines schutzwürdigen Interesses an einer vorsorglichen Beweisführung genügt die blosse Behauptung eines Bedürfnisses, Beweis- und Prozessaussichten abzuklären, freilich nicht. Eine vorsorgliche Beweisführung kann nur mit Blick auf einen konkreten materiellrechtlichen Anspruch verlangt werden, hängt doch das Interesse an einer Beweisabnahme vom Interesse an der Durchsetzung eines damit zu beweisenden Anspruchs ab. Die Gesuchstellerin, die sich auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO stützt, muss daher glaubhaft machen, dass ein Sachverhalt vorliegt, gestützt auf den ihr das materielle Recht einen Anspruch gegen die Gesuchsgegnerin gewährt, und zu dessen Beweis das abzunehmende Beweismittel dienen kann (BGE 140 III 16 E. 2.2.2 S. 19; 138 III 76 E. 2.4.2 S. 81). Lediglich für Tatsachen, die mit dem vorsorglich abzunehmenden Beweismittel bewiesen werden sollen, kann keine eigentliche Glaubhaftmachung verlangt werden, denn sonst würde der Zweck von Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO, die vorprozessuale Abklärung von Beweisaussichten zu ermöglichen, vereitelt. Stellt das abzunehmende Beweismittel das einzige dar, mit dem die Gesuchstellerin ihren Anspruch beweisen kann, muss es genügen, dass sie das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen lediglich substanziiert behauptet (BGE 140 III 16 E. 2.2.2 S. 19; 138 III 76 E. 2.4.2 S. 82).
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Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung dürfen freilich nicht überspannt werden, geht es doch beim Verfahren der vorsorglichen Beweisabnahme noch nicht um die Prüfung der Begründetheit des Hauptanspruchs (BGE 140 III 16 E. 2.2.2 S. 20). Abgesehen von der Glaubhaftmachung eines Hauptsacheanspruchs bzw. der schlüssigen und substanziierten Behauptung der anspruchsbegründenden Tatsachen, die durch das vorsorglich beantragte Beweismittel bewiesen werden sollen, sind an das Bestehen eines schutzwürdigen Interesses keine hohen Anforderungen zu stellen. Ein solches wäre namentlich etwa dann zu verneinen, wenn das beantragte Beweismittel untauglich ist, muss doch das vorsorglich abgenommene Beweismittel in einem allfälligen Hauptprozess verwertet werden können.
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2.2. Ebenfalls kein schutzwürdiges Interesse an einer vorsorglichen Beweisführung besteht sodann, wenn es der gesuchstellenden Partei lediglich darum geht, ein bereits vorliegendes, beweistaugliches Gutachten mit einem weiteren Gutachten in Frage zu stellen (BGE 140 III 16 E. 2.2.2 S. 20). Diesbezüglich hat das Bundesgericht in einem kürzlich ergangenen Leitentscheid erkannt, dass die Partei, die um die vorsorgliche Erstellung eines Gutachtens ersucht, kein schutzwürdiges Interesse hat, wenn bereits ein Gutachten vorliegt, das in einem anderen Verfahren erstellt wurde (BGE 140 III 24 E. 3.3.1.3 S. 27). Der Zivilrichter darf ein Gutachten, das von einer anderen Behörde in Auftrag gegeben und in einem anderen Verfahren erstattet wurde (z.B. ein im Strafverfahren eingeholtes verkehrstechnisches Gutachten oder eine von einem Sozialversicherungsträger veranlasste medizinische Expertise), als gerichtliches Gutachten beiziehen. Die Beweistauglichkeit solcher Fremdgutachten wird dadurch nicht in Frage gestellt, dass den Parteien diesbezüglich im Hauptprozess das rechtliche Gehör zu gewähren ist, wozu ausser einer Stellungnahme zum Inhalt des Fremdgutachtens (Art. 187 Abs. 4 ZPO) auch die Möglichkeit gehört, sich nachträglich noch zur Person des Gutachters (Art. 183 Abs. 2 ZPO) zu äussern und Ergänzungsfragen (Art. 185 Abs. 2 ZPO) zu stellen. Fremdgutachten sind mithin ebenso beweistauglich wie die vom Zivilrichter selbst eingeholten Gutachten, wobei sich ihre Beweiskraft selbstverständlich nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 157 ZPO) richtet und im Hauptprozess ein neues Gutachten zu denselben Gutachterfragen angeordnet werden kann, wenn die Feststellungen und Schlussfolgerungen eines Fremdgutachtens einer kritischen Würdigung nicht standhalten (BGE 140 III 24 E. 3.3.1.3 S. 27).
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2.3. Die Vorinstanz kam zum Schluss, dass der Beschwerdeführer kein schutzwürdiges Interesse an einer vorsorglichen Beweisführung habe, und verwies dabei weitgehend auf die "ausführlichen und zutreffenden" Erwägungen des Bezirksgerichts. Dieses stellte fest, dass der Beschwerdeführer namentlich über IV-Arztberichte vom 5. Februar 2003, 7. Oktober 2005 und 13. Mai 2013 verfüge und dass die SUVA umfangreiche medizinische und weitere Abklärungen getroffen habe. Das Bezirksgericht kam daher zum Schluss, dass der Gesuchsteller bereits über eine sehr hohe Anzahl an Gutachten, medizinischen Beurteilungen und Stellungnahmen von Fachpersonen verfüge, welche sich zu den relevanten Fragen äussern, wenn auch nicht einheitlich. Damit liege eine breite Beurteilungsbasis vor, um die Chancen eines allfälligen Prozesses gegen die Beschwerdegegnerin abklären zu können.
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2.4. Dagegen wendet der Beschwerdeführer im Wesentlichen ein, dass ein Gesuch nach Art. 158 ZPO nicht abgewiesen werden dürfe, nur weil der Gesuchsteller bereits über Privatgutachten verfüge; er dürfe insofern nicht schlechter gestellt werden, als ein Geschädigter, welcher keine eigenen Gutachten in Auftrag gegeben habe. Dies müsse umso mehr gelten, wenn der Haftpflichtige - wie vorliegend - jedes Gutachten des Geschädigten durch ein eigenes Gutachten "widerlege". Ein auf den Vorakten aufbauendes, die haftpflichtrechtlich relevanten Fragen verbindlich beantwortendes Gerichtsgutachten sei das bestmögliche und schliesslich wohl das prozessentscheidende Beweismittel. Dass dieses Beweismittel es den Parteien, welche sich zuvor allein auf ihre Parteibehauptungen (Privatgutachten) stützen mussten, nicht erlaube, die Prozesschancen besser abzuschätzen, sei nicht nur unhaltbar und willkürlich i.S.v. Art. 9 BV, sondern geradezu unsinnig.
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2.5. Die Rüge geht fehl. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er verfüge lediglich über (beweisrechtlich irrelevante) Privatgutachten, trifft nicht zu. Vielmehr hat gemäss den Ausführungen der kantonalen Instanzen die SUVA im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren umfangreiche medizinische und andere Abklärungen getroffen, welche zu den vorliegend relevanten Fragen Stellung nehmen. Mit dieser Begründung setzt sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an das Bundesgericht in keiner Weise auseinander und macht namentlich nicht in einer den Begründungsanforderungen nach Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden Weise geltend, dass die entsprechenden Abklärungen nicht als Fremdgutachten in einem allfälligen Zivilprozess gegen die Beschwerdegegnerin verwendet werden können. Ebenso wenig behauptet er eine allfällige Befangenheit der im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren involvierten Experten. Vor diesem Hintergrund erscheint die Verneinung eines schutzwürdigen Interesses an der vorsorglichen Erstellung eines weiteren Gutachtens jedenfalls im Ergebnis nicht willkürlich bzw. ist eine entsprechende Willkür nicht hinreichend dargetan. Da es sich beim Verweis auf die im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren getroffenen Abklärungen um eine entscheidtragende Begründung handelt, braucht auf die weiteren Alternativbegründungen der Vorinstanz und die dagegen vorgetragenen Rügen nicht weiter eingegangen zu werden.
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3. |
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, soweit darauf einzutreten ist.
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Dem Verfahrensausgang entsprechend wird der Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 6'000.-- zu entschädigen.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 25. April 2014
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Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Die Präsidentin: Klett
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Der Gerichtsschreiber: Hurni
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