BGer 5A_246/2014 |
BGer 5A_246/2014 vom 28.04.2014 |
{T 0/2}
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5A_246/2014
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Urteil vom 28. April 2014 |
II. zivilrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter von Werdt, Präsident,
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Bundesrichter Herrmann, Bovey,
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Gerichtsschreiber Möckli.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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vertreten durch Frau Dr. E.________,
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gegen
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Y.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Lukas Jaroch,
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Z.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Flück.
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Gegenstand
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Rückführung eines Kindes,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
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des Kantons Bern, Zivilabteilung, 1. Zivilkammer,
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vom 11. März 2014.
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Sachverhalt: |
A. Y.________ und Z.________ sind die nicht verheirateten Eltern von X.________ (geb. 2007). Alle drei sind tschechische Staatsangehörige; Mutter und Kind haben zusätzlich die schweizerische Staatsangehörigkeit.
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B. Mit Gesuch vom 27. Mai 2013 verlangte Y.________ die Rückführung von X.________ an seine Adresse in Tschechien.
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C. Gegen diesen Entscheid hat die Kindesvertreterin für X.________ am 24. März 2014 eine Beschwerde erhoben mit dem Begehren um dessen Aufhebung. Für den Fall der Rückführung ersucht sie eventualiter um Anweisung des Jugendamtes bzw. der zuständigen Behörde in der Tschechischen Republik, die Kontaktaufnahme zwischen X.________ und ihrem Vater zu unterstützen und im Fall einer Trennung zwischen X.________ und der Mutter dafür besorgt zu sein, dass Kind und Tochter einen regelmässigen Kontakt aufrechterhalten können. Mit Schreiben vom 31. März 2014 hat das Obergericht auf eine Stellungnahme verzichtet. Der Vater verlangt in seiner Vernehmlassung vom 7. April 2014 die Abweisung der Beschwerde, während die Mutter mit Vernehmlassung vom 8. April 2014 die Erhebung einer Beschwerde begrüsst.
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Erwägungen: |
1. Bei Rückführungsentscheiden nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ, SR 0.211.230.02) geht es um die Regelung der Rechtshilfe zwischen den Vertragsstaaten (BGE 120 II 222 E. 2b S. 224), die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Respektierung und Durchsetzung ausländischen Zivilrechts steht (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 BGG; BGE 133 III 584). Gegen den Entscheid des Obergerichtes des Kantons Bern, welches als einzige kantonale Instanz entschieden hat (Art. 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes über internationale Kindesentführung und die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern und Erwachsenen, BG-KKE, SR 211.222.32), steht deshalb die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich offen. Die Kindesvertreterin ist zur Erhebung dieses Rechtsmittels legitimiert (Art. 9 Abs. 3 BG-KKE).
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2. Unbestrittenermassen steht das von Art. 5 HKÜ umschriebene Sorgerecht nach tschechischem Recht den Eltern gemeinsam zu, weshalb das heimliche, d.h. ohne Absprache mit dem Vater erfolgte Verbringen von X.________ ausser Landes widerrechtlich im Sinn von Art. 3 HKÜ war und gemäss Art. 12 Abs. 1 HKÜ grundsätzlich eine Rückführungspflicht auslöst.
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3. Die Kindesvertreterin macht geltend, dass das Obergericht die Situation von X.________ bzw. den von ihr geäusserten Willen zu wenig berücksichtigt und sich bei seinen Ausführungen auf die falschen Publikationen bzw. auf eine veraltete Sichtweise abgestützt habe. Gemäss neuerer Auffassung und Rechtsprechung sei das HKÜ nicht buchstabengetreu, sondern orientiert am individuellen Kindeswohl auszulegen.
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3.1. Mit ihren Ausführungen spielt die Kindesvertreterin auf den Fall Neulinger an, in welchem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR, Grosse Kammer, Nr. 41615/07, Entscheid vom 6. Juli 2010) befunden hat, dass eine vertiefte Analyse der familiären Situation vorzunehmen und die auf dem Spiel stehenden Interessen aller Beteiligten (Kind, Entführer, zurückgebliebener Elternteil) umfassend gegeneinander abzuwägen seien, wobei sich das Gericht dabei stets vom Kindeswohl leiten lassen müsse, welches sich anhand der von vielen Faktoren abhängigen persönlichen Entwicklung des Kindes bemesse (Rz. 134 und 138 f.). Damit würde der Rückführungsrichter über die Regelung im HKÜ hinweg quasi zum Sorgerechtsrichter, obwohl diese materiellen Entscheidkompetenzen allein dem Zivilrichter im Herkunftsstaat zustehen (Art. 16 und 19 HKÜ). Im Entscheid X. gegen Lettland hat der EGMR (Grosse Kammer, Nr. 27853/09, Entscheid vom 26. November 2013) seine Neulinger-Rechtsprechung denn auch wieder zurückgenommen, indem er anerkannte, dass es entgegen dem, was im Urteil Neulinger festgehalten worden sei, nicht darum gehe, gewissermassen in vertiefter Prüfung eine Gesamtschau vorzunehmen und einen materiellen Entscheid zu fällen (Rz. 101, 103 ff.), sondern sich aus Art. 8 EMRK bloss die Verpflichtung der nationalen Gerichte ergebe, im Rahmen des Mechanismus des HKÜ (dazu Rz. 97) nicht nur die eine Rückführung begründenden Elemente, sondern auch die geltend gemachten Ausschlussgründe zu prüfen und genügend zu motivieren (Rz. 106), dies im Lichte des Kindeswohls (Rz. 101, 106) und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, wobei der Ausschlussgrund restriktiv auszulegen sei (Rz. 107).
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3.2. Mit Bezug auf den Ausschlussgrund von Art. 13 Abs. 2 HKÜ wirft die Kindesvertreterin dem Obergericht vor, auf ein standardisiertes Kindesinteresse abgestellt und deshalb die unmissverständlichen Willensäusserungen des Kindes nicht zum Nennwert genommen zu haben. Das Kind habe sich eindeutig mit Weinen widersetzt, als der Vater sie im März 2012 zusammen mit der Mutter und A.________ wieder nach Tschechien mitgenommen habe.
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3.3. Was sodann das Eventualbegehren anbelangt, spricht die Kindesvertreterin die gemäss Rz. 108 des in E. 3.1 zitierten Entscheides des EGMR Nr. 27853/09 bestehende Verpflichtung des Rückführungsrichters an, sich zu versichern, dass im Herkunftsstaat für einen genügenden Schutz des Kindes gesorgt ist. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern es X.________ in Tschechien am nötigen Wohl fehlen würde (vgl. Feststellungen in E. 2) und es ist auch nicht anzunehmen, dass die zuständigen Behörden nicht erfolgreich einschreiten würden, wenn solches wider Erwarten der Fall wäre (dazu Urteile 5A_105/2009 vom 16. April 2009 E. 3.3; 5A_764/2009 vom 11. Januar 2010 E. 4.1).
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4. Weiter verweist die Kindesvertreterin auf die schweizerische Staatsbürgerschaft von X.________ und macht geltend, dass die Rückführung nach Tschechien einer Ausweisung aus der Schweiz gleichkäme, welche gemäss Art. 25 Abs. 1 BV verboten sei, und dass überdies das Diskriminierungsverbot im Sinn von Art. 8 BV verletzt wäre, wenn die ausländerrechtliche Rechtsprechung nicht auf die Rückführungsfälle übertragen werde.
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5. Die Kindesvertreterin weist im Zusammenhang mit der langen Verfahrensdauer auf das Zeitempfinden von Kindern hin und macht geltend, dadurch sei bei X.________ der Anschein erweckt worden, dass sie in der Schweiz bleiben dürfe. Ferner hält sie dem Obergericht vor, es habe nicht gewürdigt, dass der Vater nicht schon beim ersten Aufenthalt von X.________ in der Schweiz, welcher von Weihnachten 2011 bis März 2012 dauerte, ein Rückführungsgesuch gestellt habe.
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6. Sodann führt die Kindesvertreterin ins Feld, dass es vermutlich zu einer Trennung zwischen X.________ und ihrem Halbbruder A.________ käme, weil dieser aller Voraussicht nach in der Schweiz bleiben wolle.
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7. Schliesslich weist die Kindesvertreterin darauf hin, dass es bei der Anhörung von X.________ durch Dr. C.________ zu einem Missverständnis gekommen sei. Diese sei davon ausgegangen, dass X.________ mit Hilfe eines Puppenhauses ihr Leben und ihre Beziehungen in Tschechien dargestellt habe, während X.________ überzeugt gewesen sei, dass sie die aktuelle Situation, also ihr Leben in der Schweiz nachspielen solle.
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8. Zusammenfassend ergibt sich, dass eine schwerwiegende Gefahr im Sinn von Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ nicht in konkreter Weise thematisiert wird und auch nicht ersichtlich ist, inwiefern das Obergericht mit seinen ausführlichen und sämtliche Aspekte ausleuchtenden Erwägungen eine solche zu Unrecht verkannt hätte.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. Die Frist zur freiwilligen Rückführung von X.________ in die Tschechische Republik wird neu angesetzt auf 15. Mai 2014.
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2. Die Kindesvertreterin sowie Rechtsanwalt Lukas Jaroch werden mit je Fr. 2'000.--, Rechtsanwalt Stefan Flück wird mit Fr. 1'000.-- entschädigt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Bern, Zivilabteilung, 1. Zivilkammer, und dem Bundesamt für Justiz, Zentralbehörde für Kindesentführungen, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 28. April 2014
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Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: von Werdt
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Der Gerichtsschreiber: Möckli
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