BGer 6B_962/2013
 
BGer 6B_962/2013 vom 01.05.2014
{T 0/2}
6B_962/2013
 
Urteil vom 1. Mai 2014
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys, Rüedi,
Gerichtsschreiberin Andres.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Pius Buchmann,
Beschwerdeführer,
gegen
1.  Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,
2. Dr. Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Spielmann,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Nichtanhandnahme (Verletzung des Amtsgeheimnisses),
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, vom 2. September 2013.
 
Sachverhalt:
A. X.________ erstattete gegen den in seinem Strafverfahren bestellten psychiatrischen Sachverständigen Dr. Y.________ Strafanzeige wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses und konstituierte sich als Straf- und Zivilkläger. Der Gutachter soll sich während hängigem Verfahren am 2. Mai 2012 gegenüber der Fernsehsendung "Schweiz aktuell" des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF; damals SF DRS) wie folgt geäussert haben:
B. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn ersuchte das Amtsgericht Solothurn-Lebern, ihr verschiedene Dokumente (Protokolle, Parteieingaben, Beschlüsse) zu übermitteln, die anlässlich der öffentlichen Hauptverhandlung im Verfahren gegen X.________ bis und mit dem 2. Mai 2012 verfasst wurden.
C. X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung und Verurteilung von Dr. Y.________ an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
D. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn sowie der Beschwerdegegner beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Der Beschwerdeführer hält in einer Replik an seiner Auffassung fest.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Privatklägerschaft ist nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wenn sie vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat und wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann. Der Beschwerdeführer hat darzulegen, dass die gesetzlichen Legitimationsvoraussetzungen gegeben sind (BGE 133 II 353 E. 1). Bei Nichtanhandnahme oder Einstellung des Strafverfahrens hat die Privatklägerschaft nicht notwendigerweise bereits adhäsionsweise Zivilforderungen geltend gemacht (BGE 137 IV 246 E. 1.3.1 S. 248). Selbst wenn dies der Fall wäre (siehe Art. 119 Abs. 2 lit. b StPO), würde die Staatsanwaltschaft, welche das Verfahren nicht an die Hand nimmt oder einstellt, die Zivilklage nicht behandeln (vgl. Art. 320 Abs. 3 StPO; Urteil 6B_936/2013 vom 14. Februar 2014 E. 1.1). In jedem Fall hat die Privatklägerschaft im Verfahren vor Bundesgericht zu erläutern, welche Zivilansprüche sie gegen die beschuldigte Person stellen möchte, sofern dies - etwa aufgrund der Natur der untersuchten Straftat - nicht ohne Weiteres aus den Akten ersichtlich ist (BGE 138 IV 186 E. 1.4.1; 137 IV 219 E. 2.4 S. 223; je mit Hinweisen).
1.2. Der Beschwerdeführer erachtet sich als offensichtlich zur Beschwerde legitimiert. Er habe am kantonalen Verfahren teilgenommen und gedenke Genugtuungsansprüche zu stellen. Er sei in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt worden, da ihn der Beschwerdegegner im Interview, das in der gesamten Deutschschweiz verbreitet worden sei, als erheblich rückfallgefährdet bezeichnet habe.
2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Staatsanwaltschaft habe die Akten des Strafverfahrens gegen ihn beigezogen und damit eine Untersuchungshandlung getätigt. Die Nichtanhandnahmeverfügung nach Art. 310 Abs. 1 StPO sei nicht mehr zulässig gewesen.
3. Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss eine Verletzung von Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO i.V.m. Art. 320 Ziff. 1 StGB. Dass der Gutachter ihn als erheblich rückfallgefährdet erachtet habe, sei im Zeitpunkt des Interviews noch nicht öffentlich bekannt gewesen. Die gegenteilige Ansicht der Vorinstanz sei willkürlich. Sie erachte die Voraussetzungen von Art. 52 StGB zu Unrecht als erfüllt. Zudem sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da seinem Antrag auf Beschlagnahme des gesamten Videomaterials beim SRF nicht entsprochen worden sei.
3.1. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren nach Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO nicht an die Hand genommen, weil die Äusserungen des Gutachters keine Geheimnisse im Sinne von Art. 320 StGB (mehr) betroffen hätten. Ferner könne gestützt auf Art. 52 StGB von einer Strafverfolgung abgesehen werden. Diese Begründung, die von der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid geteilt wird, lässt auch eine Einstellung des Verfahrens zu (Art. 319 Abs. 1 lit. a und e StPO).
3.2. Nach Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO eröffnet die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung, wenn ein hinreichender Tatverdacht besteht. Sie verfügt gemäss Art. 310 Abs. 1 StPO u.a. die Nichtanhandnahme, wenn feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind (lit. a) oder aus den in Art. 8 StPO genannten Gründen auf eine Strafverfolgung zu verzichten ist (lit. c). Von der Strafverfolgung sehen die Behörden u.a. dann ab, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind (Art. 8 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 52 StGB). Ob ein Strafverfahren durch Nichtanhandnahme erledigt werden kann, ist - gleich wie bei der Verfahrenseinstellung - nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore" zu entscheiden. Er bedeutet, dass eine Nichtanhandnahme durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen angeordnet werden darf. Klare Straflosigkeit liegt vor, wenn sicher ist, dass der Sachverhalt unter keinen Straftatbestand fällt. Bei der Beurteilung dieser Frage verfügen die zuständigen Behörden über einen gewissen Spielraum, den das Bundesgericht mit Zurückhaltung überprüft (BGE 138 IV 86 E. 4.1.2; 137 IV 219 E. 7.1 f.).
3.3. Unbestritten ist, dass der Gutachter als gerichtlicher Sachverständiger dem Amtsgeheimnis unterliegt (siehe Art. 73 Abs. 1 und Art. 184 Abs. 2 lit. e StPO). Er äusserte sich gegenüber dem SRF zur Persönlichkeit des Beschwerdeführers. Ob er sich auch zur Rückfallgefahr vernehmen liess, worauf der Kommentar im Beitrag von "Schweiz aktuell" hindeutet, wurde nicht abgeklärt und kann letztlich offen bleiben. Der Beschwerdeführer bestreitet vor Bundesgericht nicht mehr, dass die gutachterliche Einschätzung zu seiner Persönlichkeit im Zeitpunkt des Interviews bereits in den Medien besprochen worden war. Soweit sie überhaupt den qualifizierten Begründungsanforderungen genügen (siehe Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 225 E. 3.2; 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5), vermag der Beschwerdeführer mit seinen Ausführungen nicht aufzuzeigen, inwiefern die vorinstanzliche Annahme willkürlich ist, die gutachterlichen Erkenntnisse seien auch hinsichtlich der Rückfallgefahr im Zeitpunkt des Interviews publik gewesen (vgl. BGE 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339; 138 I 49 E. 7.1).
3.4. Die Staatsanwaltschaft durfte das Verfahren gestützt auf Art. 310 Abs. 1 lit. a bzw. lit. c i.V.m. Art. 8 Abs. 1 StPO und Art. 52 StGB nicht an die Hand nehmen. Die kantonalen Behörden verletzten das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers nicht, indem sie darauf verzichteten, das Videomaterial beim SRF zu beschlagnahmen.
4. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist gutzuheissen, da seine Bedürftigkeit ausgewiesen ist und seine Rechtsbegehren nicht von vornherein aussichtslos waren. Demnach sind keine Kosten zu erheben und dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ist eine angemessene Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 64 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, und es wird dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt Pius Buchmann als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben.
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4. Dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- ausgerichtet.
5. Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
6. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 1. Mai 2014
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Die Gerichtsschreiberin: Andres