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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
{T 0/2}
1C_4/2014
Urteil vom 2. Mai 2014
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Chaix
Gerichtsschreiberin Gerber.
Verfahrensbeteiligte
A.________ GmbH,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Niels Möller,
gegen
Einwohnergemeinde Oberbipp, Baubewilligungsbehörde,
Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern, Rechtsamt,
Gegenstand
Bauvorhaben LED-Bildschirm für digitale Plakatwerbung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 4. Dezember 2013.
Sachverhalt:
A.
Am 29. November 2011 stellte die A.________ GmbH ein Gesuch für das Errichten eines freistehenden LED-Bildschirms für digitale Plakatwerbung auf Parzelle Nr. 997 an der Bielstrasse 11 (Kantonsstrasse) in Oberbipp. Auf einem Bildschirm von 384 x 241 cm Grösse sollen täglich von 06.00 bis 24.00 Uhr Werbebilder gezeigt werden, die in Intervallen von 20 Sekunden wechseln. Das Tiefbauamt des Kantons Bern (TBA), kam in seinem Fachbericht zum Ergebnis, dass das Bauvorhaben die Verkehrssicherheit auf der Kantonsstrasse spürbar beeinträchtigen würde. Der Gemeinderat erteilte am 12. Februar 2013 den Bauabschlag.
B.
Dagegen erhob die A.________ GmbH am 15. März 2013 Beschwerde bei der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion des Kantons Bern (BVE). Diese führte am 11. Juni 2013 einen Augenschein durch und wies die Beschwerde am 21. August 2013 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern am 4. Dezember 2013 ab.
C.
Am 3. Januar 2014 hat die A.________ GmbH Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, der verwaltungsgerichtliche Entscheid sei aufzuheben und die Sache sei zur Erteilung der Baubewilligung an die Einwohnergemeinde Oberbipp zurückzuweisen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur ergänzenden Sachverhaltsabklärung bzw. zur Durchführung eines korrekten Beweisverfahrens und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.
Die BVE und das Verwaltungsgericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Der Gemeinderat Oberbipp verweist auf seine Stellungnahme vor der BVE. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
In der Replik hält die Beschwerdeführerin an ihren Anträgen fest.
Erwägungen:
1.
Da alle Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
Die Beschwerdeführerin rügt, das Verwaltungsgericht sei seiner Pflicht zur Sachverhaltsabklärung nicht nachgekommen und habe das rechtliche Gehör verletzt, indem es auf die beantragten Beweismittel (Augenschein, Verkehrspolizeiauskünfte, Expertise zu den Verkehrsverhältnissen) verzichtet habe.
2.1. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass sich der entscheidwesentliche Sachverhalt mit hinreichender Klarheit aus den Akten ergebe, insbesondere aus dem Fachbericht des TBA, dem Protokoll des Augenscheins und der zugehörigen Fotodokumentation. Auf die verlangten weiteren Abklärungen könne daher verzichtet werden.
2.2. Die Beschwerdeführerin stellte in ihrer Beschwerde an das Verwaltungsgericht selbst auf die von der BVE geschilderte örtliche Situation ab, aus der sich "mit aller wünschenswerten Deutlichkeit" die von ihr dargelegte einfache Verkehrssituation ergebe (vgl. Beschwerdeschrift vom 17. September 2013 S. 6/7). Insofern durfte das Verwaltungsgericht grundsätzlich auf den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt abstellen, ohne selbst eine Augenschein vornehmen zu müssen.
Die Beschwerdeführerin bestritt allerdings "mangels jedwelcher tauglicher Nachweise" die hohe Verkehrsdichte auf dem fraglichen Strassenabschnitt. Dem Gericht lag jedoch der Fachbericht des TBA (Strasseninspektorat Oberaargau) vom 6. Juli 2012 vor, wonach der durchschnittliche tägliche Verkehr (DTV) im fraglichen Bereich über 9'000 betrage. Am Augenschein schätzte der Strasseninspektor den DTV sogar auf 10'000 Fahrzeuge (Protokoll S. 3 unten). Die Vertreter der Gemeinde bestätigten, dass das Verkehrsaufkommen während den Stosszeiten "sehr sehr gross" sei, weil es sich um die Hauptverbindung zwischen Oensingen bzw. Olten und Solothurn handle, und viele Autofahrer auf die Kantonsstrasse auswichen, wenn die Autobahn verstopft sei (Protokoll S. 4 oben). Aufgrund dieser übereinstimmenden Aussagen der kantonalen Fachbehörde und der Gemeinde, die von der Beschwerdeführerin nicht substanziiert bestritten worden war, durfte das Verwaltungsgericht die hohe Verkehrsdichte als erwiesen erachten und auf die Einholung weiterer Amtsauskünfte verzichten.
2.3. Es ist grundsätzlich Aufgabe der Verwaltungsgerichte, die tatsächliche und rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch die vorinstanzlichen (Fach-) Behörden zu überprüfen. Aus dem von der Beschwerdeführerin zitierten Hinweis, wonach es kaum möglich sei, im Vorfeld mit Sicherheit festzustellen, wie sich ein geplantes Bauvorhaben genau auf de Verkehrssicherheit auswirken werde lässt sich nicht ableiten, dass es dem Gericht am nötigen Sachverstand gefehlt hätte. Daraus ergibt sich lediglich, dass für die Bejahung einer potenziellen Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügt. Dies entspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. unten E. 3).
2.4. Unter diesen Umständen liegt weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch der Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts vor.
3.
Gemäss Art. 6 Abs. 1 des Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG; SR 741.01) sind im Strassenbereich Reklamen und andere Ankündigungen untersagt, die zur Verwechslung mit Signalen oder Markierungen Anlass geben oder sonst, namentlich durch Ablenkung der Strassenbenützer, die Verkehrssicherheit beeinträchtigen könnten.
Als Strassenreklamen gelten alle Werbeformen und anderen Ankündigungen in Schrift, Bild, Licht, Ton usw., die im Wahrnehmungsbereich der Fahrzeugführenden liegen, während diese ihre Aufmerksamkeit dem Verkehr zuwenden (Art. 95 Abs. 1 der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 [SSV; SR 741.21]). Art. 96 Abs. 1 SSV untersagt Strassenreklamen, welche die Verkehrssicherheit beeinträchtigen könnten, namentlich wenn sie das Erkennen anderer Verkehrsteilnehmender erschweren, wie im näheren Bereich von Fussgängerstreifen, Verzweigungen oder Ausfahrten (lit. a), mit Signalen oder Markierungen verwechselt werden können (lit. c) oder die Wirkung von Signalen oder Markierungen herabsetzen (lit. d).
Wie das Verwaltungsgericht ausführlich dargelegt hat (E. 3.4 des angefochtenen Entscheids), misst das Bundesgericht bei der Anwendung von Art. 6 Abs. 1 SVG und Art. 96 SSV dem Aspekt der Verkehrssicherheit unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens im Verhältnis zu wirtschaftlichen Interessen grosses Gewicht bei. Es bestätigt die Kantone in ihren Bemühungen, bei der Bewilligung von Reklamen eine strenge Praxis zu handhaben. Bereits eine potenzielle Beeinträchtigung oder eine entfernte, nicht einmal in der Regel eintretende mittelbare Gefährdung reicht aus, um die Verkehrssicherheit beeinträchtigen zu können, wie sich bereits aus dem Gesetzestext ("beeinträchtigen könnten") von Art. 6 Abs. 1 SVG ergibt (vgl. zum Ganzen Urteil 6P.62/2007 vom 27. Oktober 2007 E. 3.4.1 mit Hinweisen).
4.
Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass die Verkehrssicherheit durch das Aufstellen der Reklameanlage beeinträchtigt werden könnte.
4.1. Bei der Beurteilung der möglichen Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit als unbestimmtem Rechtsbegriff verfügt die zuständige Behörde über einen Beurteilungsspielraum. Das Bundesgericht prüft deshalb die Begriffsauslegung nur mit Zurückhaltung, insbesondere soweit örtliche oder technische Verhältnisse zu würdigen sind, worüber die lokalen Behörden in der Regel bessere Kenntnisse haben. Besondere Zurückhaltung ist geboten, wenn die entscheidenden Fragen der Rechtsanwendung mit der Frage der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung verflochten sind, was bei der Beurteilung von Belangen der Verkehrssicherheit im Zusammenhang mit dem Anbringen von Reklamen ausgeprägt der Fall ist (Urteil des Bundesgerichts 1C_458/2013 vom 21. November 2013 E. 2.2 mit Hinweis).
4.2. Die Beschwerdeführerin wirft den Vorinstanzen zunächst vor, die Verkehrssituation zu Unrecht als komplex qualifiziert zu haben; es handle sich im Gegenteil um eine sehr einfache Verkehrssituation. Die Werbetafel werde in grossem Abstand zur Strasse (16.5 m) und zu den Verkehrssignalen zu stehen kommen. In der näheren Umgebung gebe es keine komplexe Verzweigungen bzw. Ausfahrten, sondern lediglich eine Tankstelle und einen Gewerbebetrieb. Die Geschwindigkeit sei auf 60 km/h begrenzt. Der Umstand, dass auf der Strecke kein Überholverbot gelte, spreche für und nicht gegen eine einfache Verkehrssituation.
Das Verwaltungsgericht hat sich jedoch mit diesen Einwänden auseinandergesetzt (vgl. E. 3.5.1 S. 8 und - zum Strassenabstand - E. 3.5.2 S. 10 des angefochtenen Entscheids) und dargelegt, weshalb sie nicht zu überzeugen vermöchten. Seine Ausführungen sind aus bundesrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Es stellte massgeblich auf das hohe Verkehrsaufkommen im fraglichen Strassenabschnitt ab, das - neben den Zu- und Wegfahrten zur Tankstelle und Gewerbebetrieb und dem hohen Verkehrsaufkommen die Überholmöglichkeit zu einer verkehrstechnisch anspruchsvollen Situation beitrage, die ein erhöhtes Mass an Konzentration erfordere. In dieser Situation kann auch eine kurzfristige Ablenkung der Fahrer vom Verkehrsgeschehen zu einer Gefährdung führen.
4.3. Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, die Vorinstanzen hätten nicht berücksichtigt, dass die Anlage mit einem System zur automatischen Anpassung der Helligkeit in Abhängigkeit des Umgebungslichtes ausgestattet sei. Die Leuchtstärke werde immer so gewählt, dass die Verkehrsteilnehmer nicht geblendet werden.
Das Verwaltungsgericht stellte jedoch nicht auf die Blendwirkung der Anlage ab, sondern auf die - auch bei minimaler Leuchtstärke mögliche - Ablenkung von Autofahrern. Es ging davon aus, dass der freistehende und quer zur Fahrbahn errichtete Bildschirm mit einer Grösse von 9.25 m² sich (auch farblich) vom Umfeld deutlich abhebe und die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer auf sich ziehe. Durch den Wechsel der Werbebilder im 20-Sekunden-Intervall werde diese Ablenkungswirkung noch verstärkt.
Der Einwand der Beschwerdeführerin, wonach ein Fahrzeug den fraglichen LED-Standort üblicherweise in 20 Sekunden passiert habe und der Werbespot deshalb als fix empfunden werde, berücksichtigt nicht, dass Verkehrsteilnehmer den Strassenabschnitt im Moment eines Bildwechsels passieren können, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgehalten hat.
4.4. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur verstärkten Wahrnehmung der LED-Reklameanlage im nächtlichen Betrieb (E. 3.5.2 S. 9 f.) berücksichtigen die bestehende Beleuchtung der benachbarten Tankstelle. Die Vorinstanz ging davon aus, dass diese erheblich kleiner und mit weniger Lichtimmissionen verbunden sei als der streitige Bildschirm; zudem sei das Firmensignet der Tankstelle den Aufofahrern bekannt und nehme daher die Aufmerksamkeit weniger in Anspruch als unbekannte, wechselnde und farbintensive Werbebilder. Diese Erwägungen sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
5.
Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich, dass die rigorose Praxis des Kantons Bern im Widerspruch zur Praxis anderer Kantone (SG, AR, ZH, SZ, VD, TI) stehe, in denen LED-Reklameanlagen problemlos bewilligt würden. Dies stelle eine rechtsungleiche Behandlung dar und verletze den Grundsatz der Gleichbehandlung von Gewerbegenossen und die Wirtschaftsfreiheit gemäss Art. 27 BV. Die Praxis der Berner Behörden komme einem allgemeinen Verbot von LED-Reklameanlagen gleich komme, was dem Bundesgesetz über den Binnenmarkt vom 6. Oktober 1995 (Binnenmarktgesetz, BGBM; SR 943.02) widerspreche. Eine Ungleichbehandlung liege auch innerkantonal vor, weil viele Berner Gemeinden dazu übergegangen seien, LED-Informationstafeln am Strassenrand aufzustellen.
5.1. Die Berner Behörden sind an die Vorgaben von Art. 6 SVG und Art. 95 ff. SSV gebunden. Beurteilungsspielraum bei der Handhabung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Gesetzes müssen von den zuständigen kantonalen Behörden pflichtgemäss und - im Rahmen ihrer sachlichen und räumlichen Zuständigkeit - rechtsgleich ausgeübt werden (Art. 8 Abs. 1 BV). Die Beschwerdeführerin nennt keinen Fall aus der Gemeinde Oberbipp bzw. des Kantons Bern, in dem eine LED-Werbeanlage in einer aus Sicht der Verkehrssicherheit vergleichbaren Lage bewilligt worden wäre. Das Urteil 1C_458/2013 vom 21. November 2013 (betreffend Kanton Thurgau) zeigt im Übrigen, das auch in anderen Kantonen Gesuche der Beschwerdeführerin für die Aufstellung von LED-Werbebildschirmen abgewiesen worden sind.
Der Hinweis auf Informationstafeln von Gemeinden am Strassenrand ist zu abstrakt, um eine Ungleichbehandlung belegen zu können. Es ist Aufgabe der zuständigen kantonalen Behörden, gegen allfällige, die Verkehrssicherheit beeinträchtigende Anzeigetafeln dieser Art einzuschreiten.
5.2. Die im SVG und damit formalgesetzlich vorgesehene Beschränkung von Strassenreklamen dient dem Schutz der Verkehrssicherheit und damit einem überwiegenden öffentlichen Interesse. Dies rechtfertigt die mit der Gesuchsversagung verbundene Beschränkung der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 i.V.m. Art. 36 BV; vgl. dazu bereits das - ebenfalls die Beschwerdeführerin betreffende - Urteil 1C_458/2013 vom 21. November 2013 E. 4.2). Die Beschwerdeführerin macht selbst nicht geltend, dass Konkurrenten in vergleichbarer Situation im Kanton Bern eine Bewilligung erteilt worden sei.
Entsprechendes gilt für die geltend gemachte Beschränkung des freien Marktzugangs. Die Vorinstanzen habe die Bewilligungsverweigerung nicht mit einem generellen Verbot von LED-Leuchtreklamen an Strassen begründet, sondern mit den konkreten Umständen des Einzelfalls, ohne Rücksicht auf die (inner- oder ausserkantonale) Herkunft der Reklame bzw. der Gesuchstellerin. Unter diesen Umständen kann offenbleiben, ob überhaupt eine Beschränkung des Marktzugangs vorliegt, weil diese jedenfalls nach Art. 3 Abs. 1 BGMG zulässig wäre (vgl. BGE 128 I 295 E. 4c/cc S. 306 f.; vgl. auch Urteil 1C_458/2013 vom 21. November 2013 E. 4.3).
6.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 BGG) und hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Einwohnergemeinde Oberbipp, der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern sowie dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 2. Mai 2014
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Die Gerichtsschreiberin: Gerber