BGer 1F_23/2014
 
BGer 1F_23/2014 vom 27.06.2014
{T 0/2}
1F_23/2014
 
Urteil vom 27. Juni 2014
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Geisser.
 
Verfahrensbeteiligte
1. A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Claudio Nosetti,
2.  Gemeinde Hergiswil b.W.,
handelnd durch den Gemeinderat Hergiswil b.W.,
Gesuchstellerinnen,
gegen
Strassengenossenschaft Kanzelgraben,
Gesuchsgegnerin,
Regierungsrat des Kantons Luzern,
Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung.
Gegenstand
Fristwiederherstellungsgesuch; Revisionsgesuch gegen den Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts 1C_526/2013 vom 1. Mai 2014.
 
Sachverhalt:
A. B.________ erhob am 22. Mai 2013 gegen einen Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 15. April 2013 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Der angefochtene Entscheid bestätigte die Bewilligung zum Ausbau einer Hofzufahrt, die über den Landwirtschaftsbetrieb von B.________ zu jenem des Nachbars führt.
Nachdem das Bundesgericht vom Tod von B.________ Kenntnis erhalten hatte, verfügte der Instruktionsrichter der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung am 25. November 2013 gestützt auf Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 und 3 BZP und Art. 567 ZGB die Aussetzung des Verfahrens während drei Monaten vom Todestag am 21. September 2013 an gerechnet. Gleichzeitig forderte er die Erben des Verstorbenen dazu auf, dem Bundesgericht innert der genannten Frist unter anderem eine Erbenbescheinigung einzureichen, aus der hervorgehe, wer gesetzlicher oder testamentarischer Erbe sei und wer von ihnen die Erbschaft angetreten habe.
Der Instruktionsrichter verlängerte diese Frist bis zum 24. März 2014, nachdem ihm die Teilungsbehörde der Gemeinde Hergiswil mitgeteilt hatte, sie führe in der Erbschaftssache B.________ sel. ein öffentliches Inventar durch und die Frist zur Erklärung der Erben über den Erwerb der Erbschaft gemäss Art. 587 Abs. 1 ZGB sei noch nicht abgelaufen. Die Frist zur Einreichung der nötigen Unterlagen vor Bundesgericht wurde letztmals bis zum 28. April 2014 erstreckt.
B. Am 1. Mai 2014 schrieb der Instruktionsrichter der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung die Beschwerde als gegenstandslos ab. Er begründete seinen Entscheid damit, dass die Frist zur Erklärung der Erben über den Erwerb der Erbschaft nach unbestrittenen Angaben Mitte März 2014 abgelaufen sei. Die Erben hätten innert der letztmals bis zum 28. April 2014 erstreckten Frist die für einen gültigen Prozesseintritt notwendigen Unterlagen nicht eingereicht. A.________, die am 28. April 2014 erklärt habe, in den Prozess einzutreten, habe nicht begründet, warum sie die Erbenbescheinigung nicht rechtzeitig beibringen konnte. Im Übrigen bilde sie - sollte sie die Erbschaft zusammen mit ihren Geschwistern erworben haben - mit diesen eine Erbengemeinschaft. A.________ sei in dieser Situation ohne Einverständnis ihrer Miterben grundsätzlich nicht berechtigt, für die Erbengemeinschaft Beschwerde zu führen.
C. A.________ ersucht um Fristwiederherstellung und Revision; sie beantragt, die Verfügung des Bundesgerichts vom 1. Mai 2014 sei aufzuheben und die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen das Urteil des Kantonsgerichts vom 15. April 2013 zu behandeln; den Gesuchen sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Mit separater Eingabe ersucht auch die Gemeinde Hergiswil um Revision der Abschreibungsverfügung.
Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Beide Revisionsgesuche und das Fristwiederherstellungsgesuch betreffen denselben bundesgerichtlichen Entscheid. Es rechtfertigt sich daher, sie gemeinsam zu beurteilen.
1.2. Die Gesuchstellerin 1 hat ihre Eingabe unter Einhaltung der gesetzlichen Frist und Form und mit einem schutzwürdigen Interesse an der Aufhebung der bundesgerichtlichen Abschreibungsverfügung eingereicht (vgl. Urteil 5F_5/2014 vom 26. März 2014 E. 1.1). Auf ihre Eingabe ist somit einzutreten.
Zu prüfen bleibt, ob auch die Gemeinde Hergiswil als Gesuchstellerin 2 dazu befugt ist, um Revision zu ersuchen. Die Berechtigung zur Einreichung dieses ausserordentlichen Rechtsmittels bestimmt sich nach den Voraussetzungen, die für die Beschwerdelegitimation im vorausgegangenen Verfahren gelten (vgl. BGE 138 V 161 E. 2.5.2 S. 166 f.; Piermarco Zen-Ruffinen, Le réexamen et la révision des décisions administratives, in: Quelques actions en annulation, Bohnet [ Hrsg.], 2007, S. 256 Rz. 145; Philippe Schweizer, Le recours en révision, 1985, S. 97). Dem vorliegenden Verfahren geht eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten voraus; damit kommt Art. 89 BGG zur Anwendung. Die Gesuchstellerin 2 legt nicht dar, inwiefern sie als Gemeinde durch die Abschreibungsverfügung in Garantien verletzt wäre, welche ihr die Kantons- oder Bundesverfassung gewährt (Art. 89 Abs. 2 lit. c BGG) oder sie sonst wie ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung hätte (Art. 89 Abs. 1 BGG; vgl. zum Ganzen BGE 140 I 90 E. 1 S. 92 ff.). Die Gesuchstellerin 2 ist demnach nicht berechtigt, um Revision zu ersuchen. Auf deren Eingabe ist nicht einzutreten.
2. Entscheide des Bundesgerichts erwachsen am Tag ihrer Ausfällung in Rechtskraft (Art. 61 BGG). Rechtskräftige Entscheide können ausnahmsweise dann aufgehoben werden, wenn ein Fristversäumnis vorliegt, das im Verfahren der Wiederherstellung nach Art. 50 BGG behoben werden kann (vgl. Art. 50 Abs. 2 BGG), oder wenn ein Revisionsgrund nach Art. 121 ff. BGG gegeben ist (vgl. Art. 128 Abs. 1 BGG).
3. Die Gesuchstellerin 1 beantragt zur Hauptsache, es sei ihr zur Einreichung der Erbenbescheinigung die Frist wiederherzustellen.
3.1. Eine versäumte Frist kann gemäss Art. 50 Abs. 1 BGG dann wiederhergestellt werden, wenn eine Partei oder ihr Vertreter unverschuldeterweise davon abgehalten worden ist, fristgerecht zu handeln. Im Interesse eines geordneten Rechtsgangs, der Verfahrensdisziplin und der Rechtssicherheit gilt für die Fristwiederherstellung ein strenger Massstab. Diese ist nur zu gewähren, wenn die darum ersuchende Partei klarerweise kein Verschulden an der Säumnis trifft und sie auch bei gewissenhaftem Vorgehen nicht rechtzeitig hätte handeln können; auch bloss leichte Fahrlässigkeit schliesst eine Wiederherstellung aus (vgl. BGE 112 V 255 E. 2a S. 256 f. zum mit Art. 50 Abs. 1 BGG im Wesentlichen übereinstimmenden Art. 35 Abs. 1 des bis Ende 2006 in Kraft stehenden Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege; zu Art. 50 BGG s. Urteil 2C_458/2010 vom 15. September 2010 E. 3.1; Kathrin Amstutz/Peter Arnold, in: Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl., 2011, N. 7 zu Art. 50 BGG).
3.2. Die Gesuchstellerin 1 hatte im vorangegangenen Verfahren vorgebracht, die Erbenbescheinigung liege noch nicht vor. Nun räumt sie ein, die Bescheinigung habe zwar bereits damals bestanden, es sei ihr aber nicht möglich gewesen, diese dem Bundesgericht rechtzeitig einzureichen. Die Gemeinde Hergiswil habe sie erst am 19. Mai 2014, d.h. rund drei Wochen nach Ablauf der Einreichungsfrist, davon in Kenntnis gesetzt, dass die Teilungsbehörde zwar eine Erbenbescheinigung ausgestellt, ihr diese aber noch nicht ausgehändigt habe.
Gestützt auf die Instruktionsverfügung vom 25. November 2013 war die Gesuchstellerin 1 sowohl über die Bedeutung der Erbenbescheinigung für den Nachweis ihrer Beschwerdelegitimation als auch über die Rechtsfolge bei Säumnis hinreichend unterrichtet. Im Zeitpunkt der Abschreibungsverfügung vom 1. Mai 2014 war die Frist zur Erklärung der Erben über den Erwerb der Erbschaft seit rund anderthalb Monaten abgelaufen. Die Erbenbescheinigung datiert vom 24. April 2014 und ist somit 5 Tage vor Ablauf der Einreichungsfrist ausgestellt worden. Unter diesen Umständen hätte die anwaltlich vertretene Gesuchstellerin 1 die Teilungsbehörde der Gemeinde Hergiswil bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt darum ersuchen sollen, ihr die Erbenbescheinigung rechtzeitig zuzustellen, um die letztmalige Nachfrist wahren zu können. Die Gesuchstellerin 1 legt nicht dar, was sie diesbezüglich vor Fristablauf unternommen hatte.
Soweit sie ihr Fristversäumnis erst im vorliegenden Verfahren begründet, ist sie mit ihren Vorbringen verspätet. Die Partei, die daran gehindert ist, rechtzeitig zu handeln, aber noch die Möglichkeit hat, in Anwendung von Art. 47 Abs. 2 BGG eine Erstreckung der Frist zu beantragen, hat diesen Weg zu beschreiten; sie kann nicht die Frist im früheren Verfahren verstreichen lassen, um anschliessend ein Fristwiederherstellungsgesuch zu stellen. Dies gilt entgegen der Auffassung der Gesuchstellerin 1 auch dann, wenn der Instruktionsrichter eine Frist, wie hier, "letztmals" erstreckt; auch diesfalls kann die betroffene Person aus triftigen, rechtzeitig vorgebrachten Hinderungsgründen eine weitere Fristerstreckung im Sinne einer Notfrist erwirken (vgl. Urteile 2F_7/2010 vom 15. Oktober 2010 E. 3.2-3.3; 2C_458/2010 vom 15. September 2010 E. 3.2; Amstutz/Arnold, a.a.O., N. 6 und 7 zu Art. 47 und N. 4a zu Art. 50 BGG). Spätestens bei Ablauf der Einreichungsfrist, d.h. am 28. April 2014, hätte die Gesuchstellerin 1 somit Anlass gehabt, beim Bundesgericht unter Darlegung der besonderen Umstände eine weitere Fristerstreckung zu beantragen. Dieser prozessualen Last ist sie - ohne ersichtlichen Hinderungsgrund (vgl. BGE 119 II 86 E. 2b S. 88) - nicht nachgekommen. Sie legte dem Bundesgericht vor Ablauf der Frist nicht dar, was sie vorgekehrt hatte, um diese zu wahren und weshalb sie dennoch daran gehindert war, die Erbenbescheinigung fristgerecht einzureichen (vgl. Abschreibungsverfügung, S. 2).
Die Gesuchstellerin 1 kann demnach den Nachweis einer entschuldbaren Verhinderung gemäss Art. 50 Abs. 1 BGG nicht erbringen. Das Gesuch um Wiederherstellung der Frist erweist sich als unbegründet.
4. Die Gesuchstellerin 1 beantragt eventualiter, die Abschreibungsverfügung sei wegen der nachträglichen Vorlage der Erbenbescheinigung in Revision zu ziehen.
Die Revision dient nicht dazu, Unterlassungen in der Prozessführung nach Abschluss des Verfahrens wieder gutzumachen (Urteil 4A_528/2007 vom 4. April 2008 E. 2.5.2.2). Soll Art. 50 BGG, der eine Fristwiederherstellung lediglich unter den erwähnten, strengen Voraussetzungen zulässt, nicht wirkungslos bleiben, erscheint es dementsprechend fraglich, ob in Fällen von Fristversäumnis bei der Vornahme von Rechtshandlungen für die Revision überhaupt Raum bleibt (vgl. Urteil 2P.343/1990 vom 7. Oktober 1991 E. 3c). Diese Frage kann hier aber offenbleiben, da - wie darzulegen sein wird - das Revisionsgesuch aus denselben Gründen abzuweisen ist wie das Gesuch um Wiederherstellung der Frist.
Die Gesuchstellerin 1 beruft sich sinngemäss auf den Revisionsgrund von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG. Demnach kann in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Revision eines bundesgerichtlichen Entscheids verlangt werden, wenn die ersuchende Partei nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die sie im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Wer ein Gesuch auf neue Beweismittel gründet, hat konkret darzutun, dass es ihm trotz aller Umsicht nicht möglich war, sich schon im vorangegangenen Verfahren auf sie zu berufen. An genügender Sorgfalt mangelt es dann, wenn die Entdeckung neuer Tatsachen oder Beweismittel auf Nachforschungen zurückzuführen ist, die bereits im früheren Verfahren hätten angestellt werden können und müssen (vgl. BGE 98 II 250 E. 3 S. 255; Urteil 4A_528/2007 vom 4. April 2008 E. 2.5.2.2 mit Hinweisen).
Im Revisionsgesuch zeigt die Gesuchstellerin 1 nicht auf, welche Schritte sie unternahm, um bereits im vorangegangenen Verfahren Klarheit über die Erbschaftsverhältnisse zu schaffen und dem Bundesgericht rechtzeitig die Erbenbescheinigung beizubringen, die sie als Alleinerbin ausweist. Auch macht sie nicht geltend, dass sie bei aller Umsicht daran gehindert war, dem Bundesgericht im früheren Verfahren darzulegen, warum ihr der fristgerechte Nachweis ihrer Beschwerdelegitimation nicht möglich gewesen sein soll (vgl. E. 3.2 oben). Damit vermag sie keinen Entschuldigungsgrund im Sinne von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG darzutun.
5. Auf das Revisionsgesuch der Gesuchstellerin 2 ist nach dem Gesagten nicht einzutreten. Die Gesuche um Fristwiederherstellung und Revision der Gesuchstellerin 1 sind - ohne Durchführung eines Schriftenwechsel (vgl. Art. 127 BGG) - abzuweisen. Mit dem vorliegenden Entscheid wird das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos. Bei diesem Verfahrensausgang trägt die Gesuchstellerin 1 die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 erster Satz BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Auf das Revisionsgesuch der Gesuchstellerin 2 wird nicht eingetreten.
Die Gesuche um Fristwiederherstellung und Revision der Gesuchstellerin 1 werden abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Gesuchstellerin 1 auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Gesuchstellerinnen, der Strassengenossenschaft Kanzelgraben, dem Regierungsrat des Kantons Luzern, dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, dem Bundesamt für Umwelt und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Juni 2014
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Geisser