BGer 2C_1195/2013
 
BGer 2C_1195/2013 vom 04.07.2014
{T 0/2}
2C_1195/2013
 
Urteil vom 4. Juli 2014
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Bundesrichter Stadelmann,
Gerichtsschreiberin Genner.
 
Verfahrensbeteiligte
A.A.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch
Fürsprech und Notar Dr. Urs Tschaggelar,
gegen
Departement des Innern des Kantons Solothurn, Migrationsamt, Ambassadorenhof, 4509 Solothurn.
Gegenstand
Widerruf einer Niederlassungsbewilligung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 27. November 2013.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
Erwägungen:
 
1.
 
2.
2.1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV gebietet, dass die Behörde die Vorbringen der betroffenen Person auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen (BGE 139 V 496 E. 5.1 S. 503). Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinn müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (vgl. BGE 138 IV 81 E. 2.2 S. 84; 136 I 229 E. 5.2 S. 236 mit Hinweisen).
2.2. Die Vorinstanz hat diese Grundsätze eingehalten. Im Gegensatz zu den Vorbringen der Beschwerdeführerin ist das angefochtene Urteil recht ausführlich begründet. Wenn die Vorinstanz einzelne Elemente weniger stark gewichtet hat, als der Beschwerdeführerin vorschwebte, liegt darin keine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die behördliche Begründungspflicht soll den Anspruch der Partei auf eine sachbezogene Begründung gewährleisten (vgl. E. 2.1); ob diese zutrifft, ist als materielle Frage von der Rechtsmittelinstanz zu entscheiden. Die Begründungspflicht ist erfüllt, wenn die Betroffenen die entsprechende Erwägung sachgerecht anfechten können (vgl. BGE 136 I 184 E. 2.2.1 S. 188); dies ist hier der Fall.
 
3.
3.1. Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG (SR 142.20) i.V.m. Art. 62 lit. b AuG kann die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn die ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Als längerfristig im Sinn von Art. 62 lit. b AuG gilt eine Freiheitsstrafe, deren Dauer ein Jahr überschreitet (BGE 139 I 145 E. 2.1 S. 147). Mehrere unterjährige Strafen dürfen bei der Berechnung nicht kumuliert werden; indessen spielt es keine Rolle, ob die Strafe bedingt, teilbedingt oder unbedingt ausgesprochen wurde (BGE 139 I 16 E. 2.1 S. 18). Dieser Widerrufsgrund gilt auch für Personen, welche - wie die Beschwerdeführerin - mehr als 15 Jahre ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz gelebt haben (vgl. Art. 63 Abs. 2 AuG).
3.2. Liegt ein Widerrufsgrund vor, ist zu prüfen, ob die Massnahme verhältnismässig ist (vgl. Art. 96 Abs. 1 AuG). Dabei sind namentlich die Schwere des Verschuldens, der Grad der Integration sowie die dem Betroffenen drohenden Nachteile zu berücksichtigen (BGE 139 I 31 E. 2.3.1 S. 33; 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19; 135 II 377 E. 4.3 S. 381). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind umso strengere Anforderungen an eine fremdenpolizeiliche Massnahme zu stellen, je länger eine ausländische Person in der Schweiz anwesend war. Die Niederlassungsbewilligung einer ausländischen Person, die sich schon seit langer Zeit hier aufhält, soll nur mit besonderer Zurückhaltung widerrufen werden; allerdings ist dies bei wiederholter bzw. schwerer Straffälligkeit selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn sie hier geboren ist und ihr ganzes bisheriges Leben im Land verbracht hat (vgl. BGE 139 I 31 E. 2.3.1 S. 33 f.; 135 II 377 E. 4.3 S. 381; Urteile 2C_819/2013 vom 24. Januar 2014 E. 3.3; 2C_740/2013 vom 10. Januar 2014 E. 3.2).
 
4.
4.1. Ausgangspunkt für das migrationsrechtliche Verschulden ist die vom Strafgericht ausgesprochene Strafe. Die Beschwerdeführerin ist zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Obergericht wendete in seinem Urteil vom 20. Juni 2012 (wie zuvor schon das Bezirksgericht) den verschärften Strafrahmen nach Art. 19 Ziff. 1 Abs. 9 aBetmG an, weil ein schwerer Fall im Sinn von Art. 19 Ziff. 2 lit. a, b und c aBetmG vorlag. Die Beschwerdeführerin hatte im April 2010 gut 1 kg reines Heroin weiterverkauft und daneben mit Kokain gehandelt. Bis zu ihrer Verhaftung hatte sie innerhalb von nur drei Wochen rund Fr. 120'000.-- umgesetzt, wovon sie ca. Fr. 6'000.-- erhalten sollte. Nach den Erwägungen des Obergerichts waren neben den (nicht bestrittenen) Tatbestandsvarianten des schweren Falls nach Art. 19 Ziff. 2 lit. a aBetmG (Wissen um die Gefährdung der Gesundheit vieler Menschen aufgrund der Menge der Betäubungsmittel) und Art. 19 Ziff. 2 lit. c aBetmG (Erzielung eines grossen Umsatzes oder erheblichen Gewinns durch gewerbsmässigen Handel) auch das Element der Bandenmässigkeit nach Art. 19 Ziff. 2 lit. b aBetmG erfüllt, wenngleich die Beschwerdeführerin in einer unteren Position gehandelt habe. Insgesamt beurteilte das Obergericht das Verschulden der Beschwerdeführerin als erheblich. Es erwog, die (vom Bezirksgericht ermittelte) Strafe von 36 Monaten sei in keiner Weise übersetzt; sie liege eher im unteren Bereich.
4.2. Die Vorinstanz verweist zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts und des EGMR, wonach im Zusammenhang mit Betäubungsmitteldelikten, welche nicht der Sucht des Täters oder der Täterin entspringen, eine strenge Praxis verfolgt wird. Danach überwiegt bei Betäubungsmitteldelikten von einer gewissen Schwere regelmässig das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts (BGE 139 I 145 E. 2.5 S. 149 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR; vgl. auch BGE 131 II 352 E. 4.3.1 S. 360; 129 II 215 E. 7 S. 221 ff.; 125 II 521 E. 4a/aa S. 527).
4.3. Als weiteres Kriterium bei der Interessenabwägung erachtet es das Bundesgericht als massgeblich, ob die Anlass zu fremdenpolizeilichen Massnahmen gebende Verurteilung das erste Straferkenntnis gegen die betroffene Person darstellt. Dies erscheint deswegen als bedeutsam, weil ein Rückfalltäter - anders als ein erstmals verurteilter Delinquent - durch sein Verhalten zum Ausdruck gebracht hat, dass er sich sogar durch die gegen ihn ausgesprochene Strafe nicht von weiteren kriminellen Handlungen abhalten lässt (BGE 139 I 145 E. 3.8 S. 154). Im vorliegenden Fall stellt die verfahrensauslösende Verurteilung zwar die erste Freiheitsstrafe der Beschwerdeführerin, jedoch nicht das erste Strafurteil überhaupt dar. Die Vorinstanz hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die mehrfach ausgesprochenen Bussen wegen teilweise gravierender Verkehrsregelverletzungen die Beschwerdeführerin nicht davon abgehalten haben, schwerere Straftaten zu begehen. Sie offenbart damit eine gewisse Geringschätzung der schweizerischen Rechtsordnung, was negativ ins Gewicht fällt.
4.4. Es trifft indessen zu, dass das Bezirksgericht der Beschwerdeführerin eine eher günstige Prognose für künftiges Wohlverhalten ausgestellt hat, welche allerdings vom Obergericht nicht zu überprüfen war. Die Legalprognose spielt hier aus zwei Gründen eine untergeordnete Rolle: Erstens muss praxisgemäss im Fall von schwerer Delinquenz, wozu Drogendelinquenz aus rein finanziellen Motiven gehört, auch ein geringes Rückfallrisiko nicht hingenommen werden (BGE 139 I 31 E. 2.3.2 S. 34; 130 II 176 E. 4.2-4.4 S. 185 ff.; 125 II 521 E. 4a S. 527). Zweitens ist zu beachten, dass ein Protokoll III zur Ausdehnung des FZA (SR 0.142.112.681) auf Kroatien am 15. Juli 2013 paraphiert, aber seither nicht unterzeichnet worden ist. Die Beschwerdeführerin ist daher wie eine Drittstaatsangehörige zu behandeln, obwohl Kroatien am 1. Juli 2013 der EU beigetreten ist. Nach der Rechtsprechung dürfen bei ausländischen Personen, die sich - wie die Beschwerdeführerin - nicht auf das FZA berufen können, generalpräventive Gesichtspunkte berücksichtigt werden (Urteil 2C_373/2014 vom 20. Mai 2014 E. 2.1.1).
4.5. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, überzeugt nicht. Insbesondere sticht das Argument, die Delinquenz habe nur drei Wochen betragen, ins Leere, weil die Beschwerdeführerin nach drei Wochen deliktischer Tätigkeit verhaftet wurde. Der Einwand, sie habe aussteigen wollen, wurde vom Obergericht nicht gehört, weshalb nicht weiter darauf einzugehen ist (zur Massgeblichkeit des im Strafverfahren erhobenen Sachverhalts für das migrationsrechtliche Verschulden vgl. Urteil 2C_819/2013 vom 24. Januar 2014 E. 3.2). Das Geständnis, die Reue und die Kooperationsbereitschaft der Beschwerdeführerin wurden im Strafurteil bereits berücksichtigt.
4.6. Nach den vorstehenden Erwägungen besteht aus sicherheitspolizeilichen Gründen ein erhebliches Fernhalteinteresse.
 
5.
5.1. Die Beschwerdeführerin lebte im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils bereits seit 18 Jahren in der Schweiz. Aufgrund dieser langen Aufenthaltsdauer stellt der Widerruf der Niederlassungsbewilligung eine grosse Härte dar. Diese wird dadurch relativiert, dass die Beschwerdeführerin erst im Alter von 15 Jahren in die Schweiz gekommen ist. Sie hat ihre gesamte Kindheit und und fast die ganze Jugend in Bosnien verbracht. Auf dieser Basis dürfte es ihr nicht allzu schwer fallen, dort Fuss zu fassen, zumal ihre Mutter noch dort lebt. Die Vorinstanz hat zu Recht hervorgehoben, dass dies ein bedeutsamer Anknüpfungspunkt ist, wenngleich die Mutter wegen ihrer Krankheit in einer Klinik untergebracht ist. Die Beschwerdeführerin ist mit (im Urteilszeitpunkt) 33 Jahren vergleichsweise jung und eine Rückkehr nach Bosnien, Serbien oder Kroatien erscheint nicht unzumutbar.
5.2. Die Beschwerdeführerin hat mit ihrem Mann, der seit 22 Jahren in der Schweiz lebt, drei Kinder, die im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils sechs, fünf und ein Jahr (e) alt waren. Dass das jüngste Kind im Zeitpunkt der Deliktsbegehung (April 2010) noch nicht geboren war, ist entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht von Belang. Es wird weder von der Vorinstanz noch vom Bundesgericht in Abrede gestellt, dass die Kinder an der Beschwerdeführerin hängen. Die Fremdbetreuung der Kinder wurde von der Vorinstanz nicht erwähnt, um die Härte einer allfälligen Trennung zu relativieren, sondern um das Argument des Ehemanns zu widerlegen, er sei berufstätig und könne im Fall einer Wegweisung der Beschwerdeführerin die Kinder nicht betreuen. Es steht ausser Frage, dass eine räumliche Trennung der Beschwerdeführerin von ihren Kindern einen grossen Eingriff in das Familienleben darstellen würde. Die Beschwerdeführerin hat jedoch das Familienleben in der Schweiz durch ihr Verhalten selbst aufs Spiel gesetzt.
 
6.
 
7.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. 
2. 
3. 
Lausanne, 4. Juli 2014
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Die Gerichtsschreiberin: Genner