Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img] |
|
|
{T 0/2}
5A_899/2013
|
|
|
Urteil vom 11. Juli 2014
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Marazzi, Schöbi,
Gerichtsschreiber Levante.
Verfahrensbeteiligte
X.________ s.r.l.,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Schnurrenberger,
Beschwerdeführerin,
gegen
Y.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Rutgers,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Definitive Rechtsöffnung, Exequatur,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zug, II. Beschwerdeabteilung, vom 5. November 2013 (BZ 2013 60).
Sachverhalt:
A.
A.a. Mit decreto ingiuntivo Nr. 12601/12 des Tribunale ordinario di Torino vom 4. Oktober 2012 wurde die Y.________ AG (mit Sitz in Zug) verpflichtet, der X.________ s.r.l. (mit Sitz in Turin) den Betrag von EUR 340'000.-- zuzüglich Zinsen und Kosten (bis zum Saldo von EUR 2'326.--) zu bezahlen.
A.b. Auf Begehren der X.________ s.r.l. erliess das Betreibungsamt Zug am 28. Februar 2013 den Zahlungsbefehl (Nr. xxx) gegenüber der Y.________ AG für die (in CHF umgerechnete) Forderung von Fr. 417'296.-- nebst Zinsen von 5 % seit 27. Februar 2013 nebst Kosten (Fr. 3'571.--) und aufgelaufenen Zinsen (Fr. 16'607.40). Als Forderungsgrund wurde das Turiner Urteil genannt. Gegen den am 5. März 2013 zugestellten Zahlungsbefehl erhob die Schuldnerin am gleichen Tag Rechtsvorschlag. Am 11. April 2013 gelangte die X.________ s.r.l. an das Kantonsgericht Zug und verlangte die definitive Rechtsöffnung. Mit Entscheid vom 31. Juli 2013 wurde das Rechtsöffnungsgesuch abgewiesen.
B.
Gegen die Verweigerung der Rechtsöffnung erhob die X.________ s.r.l. Beschwerde, welche das Obergericht des Kantons Zug mit Urteil vom 5. November 2013 abwies.
C.
Die X.________ s.r.l. hat mit Eingabe vom 29. November 2013 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die Beschwerdeführerin verlangt die Aufhebung des Urteils des Obergerichts des Kantons Zug vom 5. November 2013 und die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung in der gegen die Y.________ AG (Beschwerdegegnerin) eingeleiteten Betreibung. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht schliesst ohne weitere Bemerkungen auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Erwägungen:
1.
1.1. Rechtsöffnungsentscheide sind Endentscheide im Sinne von Art. 90 BGG (BGE 133 III 399 E. 1.4 S. 400) und unterliegen grundsätzlich der Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG). Sie stellen im Übrigen keine vorsorglichen Massnahmen dar, weshalb alle Rügen gemäss Art. 95 und 96 BGG zulässig sind (BGE 133 III 399 E. 1.5 S. 400). Der notwendige Streitwert von Fr. 30'000.-- ist erreicht (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG).
1.2. Mit der Beschwerde kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht und Völkerrecht geltend gemacht werden (Art. 95 BGG). Die Feststellung des Sachverhaltes kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels überdies für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252). Ansonsten ist der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG).
1.3. Die Beschwerde ist zu begründen (Art. 42 Abs. 2 BGG). Es ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Wird die Verletzung des Willkürverbotes geltend gemacht, so ist im Einzelnen darzutun, inwiefern der Entscheid an einem qualifizierten Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.1 und 2.2 S. 245 f.).
2.
Das Obergericht hat festgehalten, dass das decreto ingiuntivo des Tribunale ordinario di Torino vom 4. Oktober 2012 der Beschwerdeführerin am 14. November 2012 rechtshilfeweise zugestellt worden sei. Die Turiner Entscheidung sei nach unbenütztem Ablauf der 60-tägigen Frist zur Erhebung der Einsprache vollstreckbar, und nach Ablauf der Frist sei die Vollstreckbarkeit erklärt worden. Es liege eine Entscheidung gemäss Art. 32 LugÜ von 2007 vor. Allerdings sei das decreto ingiuntivo der Beschwerdegegnerin nicht zusammen mit der verfahrenseinleitenden Antragsschrift zugestellt worden, weshalb kein "verfahrenseinleitendes Schriftstück" im Sinne von Art. 34 Ziff. 2 LugÜ vorliege; das decreto ingiuntivo könne nicht anerkannt und das Rechtsöffnungsgesuch müsse abgewiesen werden.
3.
Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt das Gesuch um definitive Rechtsöffnung, mit welchem die Beschwerdeführerin die Anerkennung und Vollstreckbarkeit des decreto ingiuntivo Nr. 12601/12 des Tribunale ordinario di Torino vom 4. Oktober 2012 verlangt hat.
3.1. Wird die Betreibung - wie hier - für eine sich auf eine ausländische Gerichtsentscheidung stützende Forderung eingeleitet, entscheidet der Rechtsöffnungsrichter vorfrageweise über die Anerkennung und Vollstreckbarkeit (vgl. BGE 135 III 324 E. 3 S. 326 ff.). Es ist unbestritten, dass für die Anerkennung und Vollstreckung des von der Beschwerdeführerin vorgelegten decreto ingiuntivo das LugÜ von 2007 (SR 0.275.12) massgebend ist (Art. 63 Abs. 1 LugÜ).
3.2. Im Mahnverfahren ("procedimento d'ingiunzione") gemäss italienischer Zivilprozessordnung (CPC
it.) kann ein Gläubiger den Richter ersuchen, eine Zahlungsaufforderung über den geltend gemachten Betrag zu erlassen oder eine Sache (Art. 633 CPC
it. ) innert einer Frist von in der Regel 40 Tagen (Art. 641 CPC
it. ) herauszugeben; der Befehl ("decreto") und der Antrag ("ricorso"; vgl. Art. 638 CPC
it. mit Verweisung auf Art. 125 CPC
it. ) werden dem Schuldner in beglaubigter Kopie zugestellt (Art. 643 CPC
it.; vgl. BGE 135 III 623 E. 2.1 S. 624 f.; 139 III 232 E. 2.1 S. 234/235).
3.3. Das Obergericht hat (nach Würdigung des Dokumentes bzw. der Stempel, richterlichen Vermerke etc.) den Einwand der Beschwerdegegnerin verworfen, dass es sich beim Entscheid um ein sofort mit seinem Erlass vollstreckbares decreto ingiuntivo (Art. 642 CPC
it. ) handle. Unbehelflich ist, wenn die Beschwerdegegnerin dennoch behauptet, das decreto stütze sich auf Art. 642 CPC
it. bzw. sei sofort vollstreckbar, weil die Authentizität der handschriftlichen Anordnungen der Gerichtsperson fraglich sei. Inwiefern die Sachverhaltsfeststellungen willkürlich seien, wird nicht dargelegt. Das Obergericht hat festgestellt, dass das decreto ingiuntivo des Tribunale ordinario di Torino gemäss den gerichtlichen Anordnungen erst nach unbenütztem Ablauf der 60-tägigen Frist zur Erhebung der Einsprache vollstreckbar sei. Mit Hinweis auf die Rechtsprechung (BGE 135 III 623 E. 2.1 S. 624; 139 III 232 E. 2.1 S. 233) hat die Vorinstanz geschlossen, dass das vorgelegte decreto ingiuntivo grundsätzlich eine Entscheidung gemäss Art. 32 LugÜ darstellt. Insoweit steht die tatsächliche und rechtliche Würdigung im angefochtenen Entscheid ausser Frage.
3.4. Das Obergericht hat die Voraussetzung zur Anerkennung und Vollstreckung gemäss Art. 34 Ziff. 2 (i.V.m. Art. III Abs. 1 des Protokolls 1) LugÜ geprüft. Zu Recht hat es angenommen, dass die Anerkennung und Vollstreckung nicht allein deshalb scheitert, weil die Beschwerdegegnerin sich auf das Verfahren in Italien nicht eingelassen hat; zur Verweigerung ist erforderlich, dass der Beschwerdegegnerin das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass sie sich verteidigen konnte. Streitpunkt ist, ob ihr ein "verfahrenseinleitendes Schriftstück" zugestellt worden ist, was die Vorinstanz verneint hat. Die Beschwerdeführerin rügt eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung und Anwendung des LugÜ.
3.4.1. Nach Rechtsprechung und Lehre steht fest, dass das decreto ingiuntivo zusammen mit dem einleitenden Antrag "ein einleitendes Schriftstück oder gleichwertiges Schriftstück" im Sinne von Art. 34 Ziff. 2 LugÜ (bzw. Art. 34 Ziff. 2 EuGVVO sowie Art. 27 Ziff. 2 LugÜ von 1988 dar) darstellt (BGE 135 III 623 E. 2.1 S. 624 f.; 139 III 232 E. 2.3 S. 234/235; EuGH-Urteil vom 13. Juli 1995 C-474/93
Hengst Import BV gegen A.M. Campese, Rs. 1995 I-2113, Rz. 20; GAUDEMET-TALLON, Compétence et exécution des jugements en Europe, 4. Aufl. 2010, S. 430, Ziff. 414; BUCHER, in: Commentaire romand, LDIP/CL, 2011, N. 28 zu Art. 34 LugÜ). Die Rechtslage wird vom Obergericht zutreffend dargestellt.
3.4.2. Das Obergericht hat anhand der Akten (Rechtshilfeverfahren IR 2012 982 als act. 1/2 des erstinstanzlichen Verfahrens ER 2013 166) festgehalten, dass der Beschwerdegegnerin am 14. November 2012 lediglich das decreto ingiuntivo des Tribunale di Torino rechtshilfeweise via Obergericht zugestellt worden sei; hingegen habe das verfahrenseinleitende Schriftstück im Rechtshilfeersuchen gefehlt.
3.4.3. In den vom Obergericht erwähnten Akten liegt das decreto ingiuntivo 12601/12 einschliesslich deutscher Übersetzung. Es besteht aus der von Avvocato A.________ für die Beschwerdeführerin an das Tribunale di Torino gerichteten Eingabe, in welcher ("premesso che ...") die Gründe für den Bestand der Forderung gegenüber der Beschwerdegegnerin und den Erlass eines Mahnbefehls gemäss Art. 642 ff. CPC
it. dargelegt (S. 1 bis 4) und auf S. 5/6 der Antrag ("ricorre ... affinché voglia ingiungere...") formuliert sowie die (im Einzelnen bezeichneten) Beweismittel genannt werden. In der Eingabe ist (auf S. 5) vermerkt, dass die vom Rechtsvertreter am 28. September 2012 unterzeichnete Eingabe am 3. Oktober 2012 auf der Gerichtskanzlei deponiert worden ist. Anschliessend folgt (auf S. 5/6 der Eingabe) der vom Rechtsvertreter formulierte Urteilsentwurf, welcher von der Gerichtspräsidentin am 4. Oktober 2012 mit handschriftlichen Änderungen (u.a. "opposizione entro 60 giorni ... in mancanza di opposizione si procederà ad esecuzione forzata") zum Urteil erhoben und als solches gemäss Vermerk am 9. Oktober 2012 auf der Kanzlei deponiert wurde.
3.4.4. Soweit das Obergericht mit dem Hinweis, es habe "das verfahrenseinleitende Schriftstück im Rechtshilfeersuchen gefehlt", eine Tatsachenfeststellung hat treffen wollen, ist diese offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG: Aus dem Dokument ergibt sich unmissverständlich, dass nicht nur das decreto ingiuntivo, sondern auch der zugrundeliegende Antrag ("ricorso") vorliegt; zudem hat das Obergericht an anderer Stelle im angefochtenen Urteil (auf S. 6 Ziff. 3.1) - bei der Würdigung des Urteilsdispositivs - ausdrücklich auf die Antragsschrift Bezug genommen, indem es den Urteilsspruch von den Ausführungen und vom Antrag der Beschwerdeführerin unterschieden hat.
Soweit das Obergericht in rechtlicher Hinsicht hat sagen wollen, beim vorgelegten Dokument handle es sich nicht um ein "verfahrenseinleitendes Schriftstück" im Sinne des LugÜ und es sei ein früher ergangenes bzw. vorangehendes einleitendes Schriftstück erforderlich, hat es die rechtliche Tragweite des der Beschwerdegegnerin zugestellten Dokumentes unzutreffend erfasst. Das Mahnverfahren (vgl. E. 3.2) beginnt mit Einreichung der Antragsschrift (Art. 638 CPC
it. ) und führt zum Befehl ("decreto"), welcher mit dem Antrag ("ricorso") in beglaubigter Kopie dem Schuldner zugestellt wird (Art. 643 CPC
it. ). Mit dem vorgelegten decreto ingiuntivo wurde - zum einen - durch die gemeinsame Zustellung von Antragsschrift (unterzeichnet am 28. September 2012, deponiert am 3. Oktober 2012) und Mahnbefehl vom 4./9. Oktober 2012 eine Frist von 60 Tagen in Gang gesetzt, innert welcher die Beschwerdegegnerin Widerspruch einlegen konnte; die Beschwerdeführerin konnte - zum anderen - vor Ablauf dieser Frist keine vollstreckbare Entscheidung erwirken (vgl. EuGH-Urteil
Hengst Import BV, a.a.O.). Demnach stellen das decreto ingiuntivo und die Antragsschrift das verfahrenseinleitende Schriftstück im Sinne von Art. 34 Ziff. 2 LugÜ dar. Von einem "offenkundig ungültigen gerichtlichen Erkenntnis", wie die Beschwerdegegnerin (mit Hinweis auf Art. 34 Ziff. 1 LugÜ) meint, kann keine Rede sein.
3.5. Nach dem Dargelegten ist nicht haltbar, wenn das Obergericht festgehalten hat, es liege nur das decreto ingiuntivo, nicht aber der zugrunde liegende Antrag vor. Die Beschwerde ist begründet und das angefochtene Urteil aufzuheben.
4.
Der Beschwerde ist Erfolg beschieden. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug vom 5. November 2013 ist aufzuheben. Der Hauptantrag auf Erteilung der Rechtsöffnung kann nicht gutgeheissen werden, weil weitere Einwände gegen die Anerkennung und Vollstreckung der italienischen Entscheidung - wie die (Unzuständigkeits-) Einrede der Beschwerdegegnerin, mit welcher die Zuständigkeit des italienischen Gerichts nachgeprüft werden soll - noch nicht behandelt worden sind. Die Sache wird daher zur Neu- bzw. Weiterbeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. Die Rückweisung erfolgt weiter zur neuen Festsetzung der Kosten im vorangegangenen Verfahren (Art. 67 BGG).
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdegegnerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, II. Beschwerdeabteilung, vom 5. November 2013 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 9'000.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin mit Fr. 9'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, II. Beschwerdeabteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. Juli 2014
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Escher
Der Gerichtsschreiber: Levante