BGer 6B_75/2014
 
BGer 6B_75/2014 vom 30.09.2014
{T 0/2}
6B_75/2014
 
Urteil vom 30. September 2014
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Held.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Gehrig,
Beschwerdeführer,
gegen
1.  Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
2. A.Y.________,
3. B.Y.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Raufhandel, schwere Körperverletzung; Willkür; Adhäsionsklage; Prozessentschädigung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 16. April 2013.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine Verurteilung wegen Raufhandels. Er rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine daraus resultierende Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Aufgrund der aktenkundigen Aussagen sei nicht erstellt, dass er die Schlägerei durch einen Kopfstoss ausgelöst habe. Es sei mit der ersten Instanz zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er von den Beschwerdegegnern 2 und 3 zuerst angegriffen worden sei und sich lediglich verteidigt habe.
1.2. Die Vorinstanz erachtet als erwiesen, dass der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner 3 unvermittelt einen Kopfstoss versetzte und anschliessend den Beschwerdegegner 2 mit Faustschlägen attackierte. Es habe sich nach dem vom Beschwerdeführer angezettelten Beginn um eine klassische tätliche Auseinandersetzung mit gegenseitigem Austeilen von Schlägen gehandelt, um den Gegner bewusst und gewollt zu schlagen und zu besiegen. Es könne keine Rede davon sein, dass es einem der drei an der Schlägerei Beteiligten ausschliesslich um Abwehrhandlungen gegangen sei.
1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat, sofern dieser nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234 mit Hinweisen). Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339; 138 I 49 E. 7.1 S. 51, 305 E. 4.3). Die Rüge der willkürlichen Feststellung des Sachverhalts prüft das Bundesgericht gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nur insoweit, als sie in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet worden ist. Auf eine blosse appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176; 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5; 136 II 489 E. 2.8 S. 494; je mit Hinweisen). Dem Grundsatz in dubio pro reo kommt als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 127 I 38 E. 2a; 124 IV 86 E. 2a; je mit Hinweisen).
1.4. Die Sachverhaltsrügen genügen nicht den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die Vorinstanz gehe zu Unrecht davon aus, er habe die Auseinadersetzung mit einem Kopfstoss angezettelt, zeigt er nicht auf, inwieweit dies für den Ausgang des Verfahrens ausschlaggebend sein soll. Er bestreitet nicht, in die Auseinandersetzung involviert gewesen zu sein. Sein Vorbringen, er habe sich ausschliesslich verteidigt, erschöpft sich in appellatorischer Kritik und ist ungeeignet, die vorinstanzliche Feststellung, er habe sich wie die Beschwerdegegner 2 und 3 aktiv an der Schlägerei beteiligt, um die Gegner bewusst und gewollt zu schlagen und zu besiegen, als willkürlich erscheinen zu lassen. Auf die Willkürrüge ist nicht einzutreten.
 
2.
2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte als Privatkläger.
2.2. Die Privatklägerschaft ist nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 5 BGG zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wenn sie vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat und wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann. Die Privatklägerschaft hat im Verfahren vor Bundesgericht darzulegen, dass die gesetzlichen Legitimationsvoraussetzungen gegeben sind (vgl. Art. 42 Abs. 1 BGG; BGE 133 II 353 E. 1 S. 356), und unter Vorbehalt klarer, zweifelsfreier Fälle, insbesondere zu erläutern, weshalb und inwiefern sich der angefochtene Entscheid auf Zivilansprüche, die sie im Strafverfahren geltend machen könnte, auswirken kann (BGE 138 IV 186 E. 1.4.1; 137 IV 219 E. 2.4 S. 223; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht stellt insoweit strenge Anforderungen (Urteil 6B_1128/2013 vom 24. März 2014 mit Hinweisen). Fehlt es an einer diesbezüglichen Begründung, tritt das Bundesgericht auf die Beschwerde nicht ein (BGE 137 IV 246 E. 1.3.1 mit Hinweisen).
 
2.3.
2.3.1. Der Beschwerdeführer beantragt, die Beschwerdegegner 2 und 3 seien wegen versuchter schwerer, eventualiter (vollendeter) einfacher Körperverletzung zu verurteilen. Er sei im vorinstanzlichen Verfahren (nicht nur als beschuldigte Person, sondern auch) als Privatkläger unterlegen. Im Zusammenhang mit den geltend gemachten Zivilansprüchen, insbesondere der Genugtuung, habe er ein rechtlich geschütztes Interesse daran, dass die Beschwerdegegner 2 und 3 "als Haftungsvoraussetzung" wegen versuchter schwerer Körperverletzung oder eventualiter wegen vollendeter einfacher Körperverletzung schuldig gesprochen würden.
2.3.2. Soweit der Beschwerdeführer andere Schuldsprüche für die Beschwerdegegner 2 und 3 fordert, kommt er seiner Begründungspflicht nicht nach. Er legt nicht dar, inwiefern eine andere rechtliche Würdigung der Taten sich auf die Bemessung seiner Genugtuung auswirken könnte (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Dies ist auch nicht ersichtlich. Die Genugtuung bezweckt den Ausgleich für erlittene Unbill, indem das Wohlbefinden durch eine Geldleistung gesteigert oder die Beeinträchtigung erträglicher gemacht wird. Bemessungskriterien sind vor allem die Art und Schwere der Verletzung, die Intensität und Dauer der Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen, der Grad des Verschuldens des Haftpflichtigen, ein allfälliges Selbstverschulden des Geschädigten sowie die Aussicht auf Linderung des Schmerzes durch die Zahlung eines Geldbetrags (BGE 132 II 117 E. 2.2.3 S. 120; Urteil 4A_373/2007 vom 8. Januar 2008 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 134 III 97). Der strafrechtliche Schuldspruch und die Sanktionsart wirken sich (grundsätzlich) auf die Bemessung der Genugtuung nicht aus. Auf die Rüge ist nicht einzutreten.
 
2.4.
2.4.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz wäre - unabhängig von der Verweisung seiner Schadenersatzansprüche auf den Zivilweg - verpflichtet gewesen, seine Genugtuungsforderung zu beurteilen. Die beiden Zivilansprüche stünden in keinem Zusammenhang, und die Sache sei hinsichtlich der für die erlittene immaterielle seelische Unbill zuzusprechende Genugtuung spruchreif.
2.4.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe es versäumt, seine Zivilklage unter Vorlage von Beweismitteln in erster Instanz zu substanziieren. Dies könne aufgrund der dargelegten zwingenden Bestimmungen (gemeint sein dürften Art. 123 Abs. 2 und Art. 126 Abs. 2 lit. b StPO) in oberer Instanz nicht mehr nachgeholt werden, weshalb die zur Bezifferung der Schadenersatzansprüche anlässlich der Berufungsverhandlung eingereichten SUVA-Unterlagen nicht als Beweismittel zu den Akten genommen würden. Die Zivilklage sei auf den Zivilweg zu verweisen. Dies gelte nicht nur für die Schadenersatz-, sondern auch auch für die Genugtuungsklage. Es sei nicht zweckmässig, die Zivilklage teils vom Straf- und teils vom Zivilgericht beurteilen zu lassen. Zudem könne die Höhe des Schadens aus Körperverletzung Auswirkung auf die Genugtuungssumme haben.
2.4.3. Gemäss Art. 126 Abs. 1 lit. a StPO entscheidet das Strafgericht zusammen mit dem Strafurteil materiell über die anhängig gemachte Ziviklage, wenn es die beschuldigte Person schuldig spricht. Wäre die vollständige Beurteilung des Zivilanspruchs unverhältnismässig aufwendig, kann das Gericht die Zivilklage nur dem Grundsatz nach entscheiden und sie im Übrigen auf den Zivilweg verweisen. Ansprüche von geringer Höhe beurteilt das Gericht nach Möglichkeit selbst (Art. 126 Abs. 3 StPO). Die materielle Beurteilung der Adhäsionsklage ist, unter Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen von Abs. 2 bis 4, zwingend und muss vollständig sein (vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1174 Ziff. 2.3.3.4; Urteile 6B_604/2012 und 6B_613/2012 vom 16. Januar 2014 E. 6.2.2 mit Hinweisen). Werden mehrere Ansprüche geltend gemacht, ist hinsichtlich jedes einzelnen Anspruchs zu prüfen, ob die Forderungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ausgewiesen sind (vgl. Annette Dolge, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 24 zu Art. 126 StPO; Jeandin/Matz, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 6 zu Art. 126 StPO).
2.4.4. Die Rüge der Rechtsverweigerung ist begründet. Der Beschwerdeführer hat sich am Verfahren als Straf- und Zivilkläger beteiligt und Schadenersatz in Höhe von Fr. 1'293.10.-- für Erwerbsausfall und Kleiderschaden sowie eine Genugtuung in Höhe von Fr. 5'000.-- beantragt. Art. 126 Abs. 1 StPO verschafft dem Geschädigten - abgesehen von den hier nicht vorliegenden Ausnahmen der Abs. 2 bis 4 - einen Anspruch auf materielle Beurteilung sämtlicher adhäsionsweise geltend gemachter Zivilforderungen. Die gerichtliche Beurteilung ist grundsätzlich zwingend und steht nicht im Ermessen des Gerichts. Die Vorinstanz hat die Beschwerdegegner 2 und 3 wegen Raufhandels und versuchter einfacher Körperverletzung verurteilt. Die Sache war demnach hinsichtlich der beantragten Genugtuung spruchreif, zumal allfällige Schadenersatzansprüche keine Auswirkungen auf deren Festsetzung haben. Für Zweckmässigkeitsüberlegungen, wie sie die Vorinstanz anstellt, ist im Rahmen von Art. 126 Abs. 1 StPO kein Platz.
 
2.5.
2.5.1. Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss, die Vorinstanz verweigere ihm zu Unrecht die unentgeltliche Rechtspflege als Privatkläger. Sie habe die Kostennote seines Rechtsvertreters um den auf die Privatklägerschaft entfallenden Aufwand "gekürzt", obwohl ihm bereits erstinstanzlich die unentgeltliche Rechtspflege gewährt worden sei. Nach ständiger und bis heute bestehender Praxis im Kanton Bern bleibe ein erstinstanzlich gewährtes Mandat im oberinstanzlichen Verfahren erhalten, weshalb er im Berufungsverfahren kein erneutes Gesuch um amtliche Verteidigung und unentgeltliche Rechtspflege habe stellen müssen.
2.5.2. Die Vorinstanz erwägt, dem Beschwerdeführer sei im erstinstanzlichen Verfahren Fürsprecher C.________ ausschliesslich als amtlicher Verteidiger bestellt worden. Das Gesuch des gegenwärtigen Verteidigers, das amtliche Mandat von Rechtsanwalt C.________ aufgrund dessen Ruhestands übernehmen zu dürfen, sei anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung gutgeheissen worden. Ungerügt bzw. unangefochten habe stets nur eine amtliche Verteidigung für den Beschwerdeführer bestanden. Die unentgeltliche Rechtspflege sei ihm nie gewährt worden. Da ein namhafter Teil des Plädoyers und der Bemühungen in oberer Instanz die Privatklage im Straf- und Zivilpunkt betroffen hätten, sei eine moderate Reduzierung des Anwaltshonorars um zweieinhalb Stunden angemessen.
2.5.3. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens. Als unterliegend gilt auch die Partei, auf deren Rechtsmittel nicht eingetreten wird oder die das Rechtsmittel zurückzieht (Art. 428 Abs. 1 StPO).
2.5.4. Unzutreffend ist, dem Beschwerdeführer sei als Privatkläger die unentgeltliche Rechtspflege bereits im erstinstanzlichen Verfahren gewährt worden. Die Vorinstanz weist zu Recht darauf hin, dass Rechtsanwalt C.________ ausschliesslich als amtlicher Verteidiger ernannt wurde und der Vertreter des Beschwerdeführers auch nur dieses amtliche Mandat übernommen hat. Die insoweit eindeutige Verfügung des a. o. Gerichtspräsidenten blieb durch den stets anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer unangefochten. Auf die erstmals vor Bundesgericht erhobene Rüge, sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege sei formell nicht behandelt worden, ist mangels Erschöpfung des Rechtswegs nicht einzutreten.
 
3.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 16. April 2013 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.
3. Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4. Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 800.-- zu entschädigen.
5. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. September 2014
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Der Gerichtsschreiber: Held