BGer 2C_913/2014 |
BGer 2C_913/2014 vom 04.11.2014 |
{T 0/2}
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2C_913/2014
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Urteil vom 4. November 2014 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Zünd, Präsident,
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Bundesrichterin Aubry Girardin,
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Bundesrichter Donzallaz,
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Bundesrichter Stadelmann,
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Bundesrichter Kneubühler,
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Gerichtsschreiber Errass.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________, zurzeit Kantonalgefängnis,
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Beschwerdeführer,
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vertreten durch BUCOFRAS Juristische Beratung für Ausländer, Herrn Alfred Ngoyi wa Mwanza, Jurist,
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gegen
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Migrationsamt des Kantons Thurgau,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Haftentlassungsgesuch,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 26. September 2014.
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Sachverhalt: |
A. A.________ (10. Mai 1968; Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo) reiste 1996 und 1998 illegal in die Schweiz ein und stellte jeweils ein Asylgesuch. Das erste wurde abgewiesen; auf das zweite trat das damalige Bundesamt für Flüchtlinge nicht ein. Vor Ablauf der Ausreisefrist heiratete A.________ eine Schweizer Bürgerin (16. April 1999), weshalb er in der Folge eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Die Ehe wurde 2007 geschieden.
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B. Am 20. April 2012 lehnte das Migrationsamt des Kantons Thurgau (Migrationsamt) die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab; die kantonalen Rechtsmittel und auch die Beschwerde vor Bundesgericht (Verfahren 2C_613/2013) dagegen waren alle erfolglos. Am 27. Februar 2014 setzte das Migrationsamt A.________ eine Ausreisefrist bis 31. März 2014; diese liess er ungenutzt verstreichen. In der Folge verfügte das Migrationsamt eine Ausschaffungshaft von drei Monaten ab 24. April 2014, 16.00 Uhr, was das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau am 28. April 2014 bestätigte.
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Am 18. September 2014 beantragte A.________ beim Verwaltungsgericht Haftentlassung, da aufgrund der Weisung des BFM vom 12. September 2014 der Vollzug nicht mehr möglich sei. Das Haftentlassungsgesuch wies das Verwaltungsgericht am 26. September 2014 ab.
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C. Vor Bundesgericht beantragt A.________ mit Beschwerde in öffentlich-rechtlicher Angelegenheit, den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 26. September 2014 aufzuheben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter stellt er mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde dieselben Anträge.
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D. Das Migrationsamt verzichtet auf eine Stellungnahme und beantragt Abweisung der Beschwerde; das Verwaltungsgericht beantragt vernehmlassungsweise Abweisung der Beschwerde. Das BFM hat eine Stellungnahme eingereicht. Der Beschwerdeführer hat sich nochmals geäussert.
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E. Mit Verfügung vom 7. Oktober 2014 hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung bzw. vorsorgliche Massnahmen abgewiesen.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Gegen letztinstanzliche kantonale richterliche Entscheide betreffend die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. c e contrario und Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Dementsprechend ist auf die nebenbei erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde nicht einzutreten (Art. 113 2. Halbsatz BGG). Der Beschwerdeführer ist gestützt auf Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten legitimiert; auf das frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) eingereichte Rechtsmittel ist grundsätzlich einzutreten.
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1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung schweizerischen Rechts gerügt werden (Art. 95 BGG). Bei der Prüfung angeblich verletzten Bundes- und Völkerrechts (Art. 95 lit. a und b BGG) verfügt das Bundesgericht über volle Kognition und wendet das Recht von Amtes wegen an (Art.106 Abs. 1 BGG). Die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht prüft das Bundesgericht zudem nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). In der Beschwerde ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (BGE 140 II 141 E. 8 S. 156). Auf bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik am vorinstanzlichen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 139 I 138 E. 3.8 S. 144). Das Bundesgericht ist weder an die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann die Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (Motivsubstitution; BGE 140 III 86 E. 2 S. 89 unten; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.).
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2.
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2.1. Hat eine Person ihre Pflicht zur Ausreise aus der Schweiz innerhalb der ihr angesetzten Frist nicht erfüllt und kann die rechtskräftige Weg- oder Ausweisung auf Grund ihres persönlichen Verhaltens nicht vollzogen werden, so kann sie, um der Ausreisepflicht Nachachtung zu verschaffen, in Haft genommen werden, sofern die Anordnung der Ausschaffungshaft nicht zulässig ist und eine andere mildere Massnahme nicht zum Ziel führt (Art. 78 Abs. 1 AuG).
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2.2. Nach Art. 78 Abs. 6 AuG wird die Haft beendet, wenn eine selbständige und pflichtgemässe Ausreise nicht möglich ist, obwohl die betroffene Person den behördlich vorgegebenen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist (lit. a), oder die Schweiz weisungsgemäss verlassen (lit. b), die Ausschaffungshaft angeordnet (lit. c) oder einem Haftentlassungsgesuch entsprochen wird (lit. d).
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2.3. |
2.3.1. Das richterliche Prüfprogramm bei einem Entlassungsgesuch ist mit jenem bei der Haftanordnung bzw. -verlängerung identisch ( HUGI YAR, a.a.O., Rz. 10.33). Insofern ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Durchsetzungshaft weiterhin gegeben sind.
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2.3.2. Mit der Durchsetzungshaft soll nach Art. 78 Abs. 1 AuG "der Ausreisepflicht Nachachtung [...] verschaff[t werden]". Der Beschwerdeführer hat ein Asylgesuch gestellt; damit entfällt nach Art. 42 AsylG die Verpflichtung zur Ausreise; der Ausländer ist berechtigt, bis zum Abschluss des Verfahrens in der Schweiz zu verbleiben. Damit aber kann und darf der Zweck der Durchsetzungshaft, bei der Ausreise mitzuwirken, nicht mehr zwangsweise verfolgt werden. Das ergibt sich auch aus der Anordnung, welche das Bundesamt an die Adresse des kantonalen Migrationsamtes gerichtet hat. Wohl ist der Beschwerdeführer auch nach Stellung des Asylgesuchs nicht verpflichtet, in der Schweiz zu bleiben, sondern es ist ihm unbenommen, freiwillig auszureisen. Dass er diese Möglichkeit hat, ändert aber - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nichts daran, dass es nicht zulässig ist, Zwangsmittel einzusetzen, um ihn zur Zusammenarbeit mit einem potentiellen Verfolgerstaat und gestützt darauf zur Ausreise zu bewegen.
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2.3.3. Art. 75 Abs. 1 lit. f AuG sieht vor, dass wer sich rechtswidrig in der Schweiz aufhält, ein Asylgesuch einreicht und damit offensichtlich bezweckt, den drohenden Vollzug der Wegweisung zu vermeiden, in Vorbereitungshaft genommen werden kann. Es wäre deshalb insoweit naheliegend, anstelle der Durchsetzungshaft die Vorbereitungshaft anzuordnen, soweit deren Voraussetzungen erfüllt sind. Nun hat allerdings das Bundesgericht bei der Ausschaffungshaft deren Fortsetzung für einen Ausländer, der sich darin befindet und ein Asylgesuch stellt, für zulässig erachtet, wenn mit dem Abschluss des Asylverfahrens und dem Vollzug der Wegweisung alsbald gerechnet werden kann (vgl. BGE 125 II 377 E. 2b S. 380; Urteile 2C_403/2008 vom 29. Mai 2008 E. 2; 2C_270/2008 vom 11. April 2008 E. 2.2; 2C_204/2008 vom 10. März 2008 E. 2.2). Es fragt sich, ob sich diese Rechtsprechung auch auf die Durchsetzungshaft übertragen lässt.
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2.3.4. Dies ist nicht möglich. Die Ausschaffungshaft ist zulässig, wenn ein erstinstanzlicher Wegweisungsentscheid ergangen ist; dieser muss weder in Rechtskraft erwachsen noch vollstreckbar sein. Es genügt, dass mit der Haft der Vollzug sichergestellt werden kann, sobald die Wegweisung in Rechtskraft erwachsen wird. Stellt der in Haft befindliche Ausländer ein Asylgesuch, so hindert dies den Vollzug der Wegweisung bis zum Abschluss dieses Verfahrens, lässt aber nicht notwendig die Haftvoraussetzungen der Ausschaffungshaft dahinfallen. Bei der Durchsetzungshaft verhält es sich - wie dargelegt - anders: Stellt der Ausländer während der Durchsetzungshaft ein Asylgesuch,
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2.3.5. Die Aufrechterhaltung der Durchsetzungshaft ist demnach nicht mehr zulässig. Dies ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass die Vorinstanz nicht damit rechnet, dass das Asylgesuch alsbald behandelt sein wird, geht sie doch von einigen wenigen, höchstens ungefähr acht Monaten aus, welche das Asylverfahren beanspruchen wird (angef. Entscheid E. 2.2.3). Zu prüfen jedoch ist, ob - wie das Migrationsamt an der Haftrichterverhandlung eventualiter beantragt hat - die Haftvoraussetzungen der Vorbereitungshaft gegeben sind. Es rechtfertigt sich nicht, dass das Bundesgericht darüber selber entscheidet. Vielmehr ist die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese hat dabei die Frist von 96 Stunden (Art. 80 Abs. 2 AuG) und die weiteren Verfahrensanforderungen, insbesondere die mündliche Verhandlung, wo der Beschwerdeführer auch seine in der Beschwerde und in seiner späteren Eingabe vorgebrachten Argumente einbringen kann, zu beachten. Die Frist beginnt mit Zustellung des bundesgerichtlichen Entscheids bei der Vorinstanz.
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3. Dementsprechend ist die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gutzuheissen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache zur Prüfung der Voraussetzungen der Vorbereitungshaft an dieses zurückzuweisen. Gerichtskosten sind nicht zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Da in öffentlichen Sachen kein Anwaltszwang besteht (Art. 40 Abs. 1 BGG e contrario), wird der Kanton Thurgau teilweise entschädigungspflichtig (Art. 68 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 26. September 2014 aufgehoben und die Sache zur Prüfung der Voraussetzungen der Vorbereitungshaft an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen.
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2. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
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3. Es werden keine Kosten erhoben.
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4. Der Kanton Thurgau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
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5. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 4. November 2014
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Zünd
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Der Gerichtsschreiber: Errass
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