BGer 2C_234/2014 |
BGer 2C_234/2014 vom 17.11.2014 |
{T 0/2}
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2C_234/2014
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Urteil vom 17. November 2014 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Zünd, Präsident,
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Bundesrichter Seiler, Donzallaz,
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Gerichtsschreiber Mösching.
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Verfahrensbeteiligte |
1. A.________,
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2. B.C.________,
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Beschwerdeführerinnen, beide vertreten durch Rechtsanwalt Benedikt Schneider-Koch,
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gegen
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Amt für Migration des Kantons Luzern,
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Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern.
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Gegenstand
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Niederlassungsbewilligung; Aufenthaltsbewilligung,
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Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 30. Januar 2014.
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Sachverhalt: |
A. |
A.a. A.________ (geb. 1962) stammt aus Pakistan. Dort heiratete sie im Jahr 1997 den in der Schweiz niedergelassenen Landsmann D.C.________ (geb. 1953). Gestützt auf die Eheschliessung erhielt sie eine Aufenthaltsbewilligung und lebte ab Juli 1998 mit ihrem Ehemann im Kanton Solothurn. Im Jahre 2000 kam die Tochter B.C.________ zur Welt, die in die Niederlassungsbewilligung ihres Vaters einbezogen wurde. Am 16. Juni 2003 erhielt auch A.________ die Niederlassungsbewilligung. Ende Januar 2006 hob das Ehepaar den gemeinsamen Haushalt auf und der Ehemann zog in den Kanton Luzern. Per 1. Mai 2008 zog A.________ ebenfalls in den Kanton Luzern. Mit Entscheid des Amtsgerichts Luzern-Land vom 11. Februar 2009 wurde der gemeinsame Haushalt des Ehepaars aufgehoben; die Tochter B.C.________ wurde für die Dauer des Getrenntlebens unter die Obhut des Vaters, D.C.________, gestellt. Im Mai 2009 nahm die Familie das Zusammenleben wieder auf.
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A.b. Am 12. Juli 2010 reiste die Familie gemeinsam nach Saudi Arabien. Während D.C.________ nach einer Woche in die Schweiz zurückkehrte, reisten A.________ und B.C.________ weiter nach Pakistan. Am 7. Februar 2011 meldete D.C.________ seine Ehefrau und seine Tochter bei den Einwohnerdiensten der Stadt Luzern rückwirkend per 12. Juli 2010 ins Ausland ab. Am 24. Juni 2011 kamen A.________ und ihre Tochter wieder in die Schweiz und ersuchten am 8. September 2011 beim Amt für Migration des Kantons Luzern um Wiedererteilung der Niederlassungsbewilligung, eventuell im Rahmen eines Härtefalls. Mit Verfügung vom 15. März 2012 erwog das Migrationsamt, die Niederlassungsbewilligung sei infolge Auslandsaufenthalts von mehr als 6 Monaten gemäss Art. 61 Abs. 1 lit. a AuG (SR 142.20) erloschen; es lehnte das Gesuch um Wiedererteilung einer Bewilligung ab und wies A.________ und B.C.________ aus der Schweiz weg.
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B. |
C. |
Das Kantonsgericht und das Bundesamt für Migration beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen.
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Das präsidierende Mitglied der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts legte der Beschwerde am 17. März 2014 aufschiebende Wirkung bei.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist unzulässig gegen Entscheide auf dem Gebiet des Ausländerrechts betreffend Bewilligungen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt, sowie betreffend die Wegweisung (Art. 83 lit. c Ziff. 2 und 4 BGG). Für das Eintreten genügt es, dass ein Bewilligungsanspruch in vertretbarer Weise geltend gemacht wird (BGE 136 II 177 E. 1.1 S. 179 f., 497 E. 3.3. S. 500 f.).
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1.2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig gegen Entscheide betreffend den Widerruf oder das Erlöschen der Niederlassungsbewilligung. Die Beschwerdeführerinnen stellen indessen nicht mehr infrage, dass ihre Niederlassungsbewilligung erloschen ist; sie beantragen vielmehr die Erteilung einer neuen Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung. Als Ehefrau bzw. Tochter eines in der Schweiz niedergelassenen Ausländers hätten sie grundsätzlich Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung, um mit diesem zusammen zu leben (Art. 43 AuG; Art. 8 EMRK). Die Vorinstanz hat jedoch festgestellt, dass die Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann getrennt ist und dass der Vater kein Familiennachzugsgesuch für die Beschwerdeführerin 2 gestellt hat. Die Beschwerdeführerinnen bestreiten diese Feststellungen nicht; sie machen nicht geltend, sie möchten mit dem Ehemann/Vater zusammen leben, sondern räumen ein, sie könnten sich aufgrund ihrer Beziehung zum Ehemann und Kindsvater nicht mehr auf Art. 8 EMRK berufen. Insbesondere machen sie nicht geltend, sich zur Ausübung eines Besuchsrechts der Tochter zu ihrem Vater auf Art. 8 EMRK berufen zu können. Ein Anspruch auf Bewilligungserteilung gestützt auf das Zusammenleben mit einem hier aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen besteht deshalb nicht.
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1.3. Für einen auf den Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK) gestützten Anspruch auf Bewilligung bedarf es nach ständiger Rechtsprechung besonders intensiver, über eine normale Integration hinausgehender privater Bindungen gesellschaftlicher oder beruflicher Natur bzw. entsprechender vertiefter sozialer Beziehungen zum ausserfamiliären bzw. ausserhäuslichen Bereich (BGE 130 II 281 E. 3.2.1 S. 286). In Bezug auf die Beschwerdeführerin 1 räumen die Beschwerdeführerinnen selber ein, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
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1.4. Die Beschwerdeführerinnen bringen jedoch vor, die Beschwerdeführerin 1 dürfe aufgrund von Art. 8 EMRK nicht von ihrer Tochter getrennt werden, und scheinen daraus einen Aufenthaltsanspruch der Beschwerdeführerin 1 abzuleiten. Diese Argumentation würde aber voraussetzen, dass die Tochter ihrerseits einen Anspruch auf Aufenthalt in der Schweiz hat. Ein selbständiger Aufenthaltsanspruch besteht für Kinder mit schweizerischer Staatsangehörigkeit (Art. 24 Abs. 1 und Art. 25 Abs. 1 BV), weshalb diese grundsätzlich auch einen Aufenthaltsanspruch an ihre ausländischen Eltern vermitteln können (BGE 136 I 285 E. 5 S. 287; 137 I 247 E. 4.2 250; 140 I 145 E. 3.3 S. 148 [umgekehrter Familiennachzug]). Abgesehen davon haben aber Minderjährige grundsätzlich den Inhabern der elterlichen Sorge oder Obhut zu folgen; das ausländische unmündige Kind teilt schon aus familienrechtlichen Gründen (Art. 25 Abs. 1 und Art. 301 Abs. 3 sowie heute Art. 301a ZGB; BGE 133 III 305 E. 3.3 S. 306) das ausländerrechtliche Schicksal des sorgeberechtigten Elternteils und hat gegebenenfalls mit diesem das Land zu verlassen, wenn der Elternteil keine Bewilligung (mehr) hat (BGE 139 II 393 E. 4.2.3 S. 400; Urteile des Bundesgerichts 2C_1228/2012 vom 20. Juni 2013 E. 6.1; 2C_467/2012 vom 25. Januar 2013 E. 2.1.4; 2C_31/2007 vom 27. Juli 2007 E. 2.5). Nur wenn die Beschwerdeführerin 2 noch über eine Niederlassungsbewilligung verfügen würde, könnte sie allenfalls in der Schweiz bleiben und z.B. in Pflege gegeben werden. Diese Situation besteht aber nicht. Dass das Kind gegebenenfalls zusammen mit den Eltern seine gewohnte Umgebung zu verlassen und in eine andere Gegend oder ein anderes Land zu ziehen hat, kommt häufig vor und ist nicht rechtswidrig, sondern folgt im Gegenteil aus dem Familienrecht (BGE 136 III 353 E. 3.2 und 3.3 S. 356). Vorliegend hat die Vorinstanz zutreffend ausgeführt, es sei dem Vater der Beschwerdeführerin 2 freigestellt, bei entsprechender Sorgerechtszuteilung ein Gesuch um Familiennachzug für die Beschwerdeführerin 2 zu stellen. Dadurch könnte sie in der Schweiz bleiben. Ein solches Gesuch liegt aber nicht vor. Haben sich die Eltern im Ergebnis darauf verständigt, dass die Tochter nicht mit ihrem (hier aufenthaltsberechtigten) Vater, sondern mit der (nicht aufenthaltsberechtigten) Mutter zusammenlebt, so hat sie der Mutter zu folgen. Der blosse Umstand, dass die Beschwerdeführerin bis zu ihrem zehnten Lebensjahr in der Schweiz gelebt hat, ändert daran nichts und gibt ihr insbesondere nicht einen selbständigen Aufenthaltsanspruch, aus welchem sich dann wiederum ein Anspruch der Beschwerdeführerin 1 ableiten liesse.
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1.5. Soweit die Beschwerdeführerinnen sich auf Art. 34 AuG berufen, ist zu bemerken, dass auch diese Bestimmung keinen Rechtsanspruch auf eine Niederlassungsbewilligung gibt. Ebenso wenig lässt sich ein solcher aus Art. 30 AuG oder Art. 49 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) ableiten, deren Verletzung die Beschwerdeführerinnen rügen (Urteil des Bundesgerichts 2C_873/2013 vom 25. März 2014 E. 5.4, nicht publ. in BGE 140 II 289). Schon deshalb ist auch das Begehren unzulässig, es sei festzustellen, dass der angefochtene Entscheid gegen Art. 30 AuG verstosse.
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1.6. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist daher mangels eines Anspruchs auf die beantragte Bewilligung nicht zulässig. Ist sie im Hauptpunkt unzulässig, ist auch in Bezug auf die Nebenfolgen (unentgeltliche Rechtspflege) nicht darauf einzutreten.
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2. |
2.1. Ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nicht gegeben, bleibt die subsidiäre Verfassungsbeschwerde möglich, wobei die unrichtige Bezeichnung des Rechtsmittels nicht schadet. Mit der Verfassungsbeschwerde kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 116 BGG); eine entsprechende Rüge ist in der Beschwerde vorzubringen und zu begründen (Art. 106 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 BGG). Mangels einer solchen Rüge wird auf die Beschwerde nicht eingetreten.
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2.2. In Bezug auf die beantragte Aufenthaltsberechtigung und die Wegweisung erheben die Beschwerdeführerinnen keine rechtsgenügliche Verfassungsrüge. Der blosse Umstand, dass die Beschwerdeführerin 1 geltend macht, schwer krank zu sein, lässt die Bewilligungsverweigerung nicht als verfassungswidrig erscheinen, zumal nicht dargelegt wird, dass und weshalb ihre Behandlung nicht auch in der Heimat möglich wäre. Sodann ist nicht dargetan, inwiefern die Vorinstanz die Zumutbarkeit der Rückreise nach Pakistan in einer verfassungswidrigen Weise bejaht haben soll. Die Beschwerdeführerinnen hielten sich unbestritten während rund eines Jahres dort auf und nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 118 BGG) leben dort noch zahlreiche Familienangehörige. Auch hat die Vorinstanz entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerinnen eine Bewilligungserteilung nach Art. 34 Abs. 3 AuG geprüft (E. 5.1 des angefochtenen Entscheids). Insoweit ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
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2.3. Die Beschwerdeführerinnen rügen schliesslich, die Vorinstanz habe zu Unrecht die Beschwerde als aussichtslos beurteilt, deswegen die unentgeltliche Prozessführung verweigert und damit Art. 29 Abs. 3 BV verletzt.
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2.3.1. Die Vorinstanz hat die Aussichtslosigkeit damit begründet, den anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerinnen hätte schon im Verfahren vor dem Justiz- und Sicherheitsdepartement klar sein müssen, dass die Niederlassungsbewilligung erloschen sei und dass der Antrag auf Härtefallbewilligung chancenlos gewesen war, da die Beschwerdeführerin 1 die in Art. 31 Abs. 1 VZAE umschriebenen Voraussetzungen der Integration und der Teilnahme am Wirtschaftsleben offensichtlich nicht erfülle und auch ihre Wiedereingliederung aufgrund des noch nicht lange zurückliegenden knapp einjährigen Aufenthalts in der Heimat und dem Kontakt zu den dortigen Verwandten zumutbar erscheine. Auch in der Beschwerde an das Verwaltungsgericht hätten die Beschwerdeführerinnen keine neuen rechtlichen Aspekte geltend gemacht, sondern sich mit allgemeinen Ausführungen begnügt.
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2.3.2. Die Beschwerdeführerinnen bringen dagegen hauptsächlich vor, insbesondere in Bezug auf das Schicksal der in der Schweiz aufgewachsenen Beschwerdeführerin 2 liege ein Härtefall vor, der die Annahme der Aussichtslosigkeit ausschliesse. Indessen ist der blosse Umstand, dass ein Kind zusammen mit den Eltern ein Land verlassen muss, in dem es bisher gelebt hat, offensichtlich kein hinreichender Grund für eine Härtefallbewilligung (vorne E. 1.4). Der Vorinstanz kann nicht vorgeworfen werden, in verfassungswidriger Weise die Beschwerden als aussichtslos beurteilt zu haben.
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2.4. Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde erweist sich damit als unbegründet, soweit darauf einzutreten ist.
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3. |
Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1.
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2.
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3.
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4.
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Lausanne, 17. November 2014
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Zünd
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Der Gerichtsschreiber: Mösching
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