BGer 1C_267/2014
 
BGer 1C_267/2014 vom 18.11.2014
{T 0/2}
1C_267/2014
 
Urteil vom 18. November 2014
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.
 
Verfahrensbeteiligte
A.A.________ und B.A.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Michael S. Tremp,
gegen
Gemeinderat Oberägeri,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Attilio R. Gadola,
Regierungsrat des Kantons Zug,
vertreten durch die Sicherheitsdirektion des Kantons Zug.
Gegenstand
Denkmalschutz (Unterschutzstellung des Gasthauses Ochsen in Oberägeri),
Beschwerde gegen das Urteil vom 31. März 2014
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug,
Verwaltungsrechtliche Kammer.
 
Sachverhalt:
A. 2002 erwarben A.A.________ und B.A.________ das im Inventar der schützenswerten Denkmäler eingetragene Gasthaus Ochsen (im Folgenden: Ochsen) an der Hauptstrasse 2 in Oberägeri.
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen A.A.________ und B.A.________, dieses Urteil des Verwaltungsgerichts und die mitangefochtenen, vorausgegangenen Unterschutzstellungsentscheide aufzuheben und von einer Unterschutzstellung des Ochsen abzusehen, unter Entlassung aus dem Inventar schützenswerter Denkmäler. Eventuell sei der Schutzumfang auf den Standort des Gebäudes zu beschränken, subeventuell die Sache zwecks weiterer Abklärung und neuem Entscheid ans Verwaltungsgericht oder eventuell den Regierungsrat zurückzuweisen. Zudem seien ihre Expertenkosten von 30'000 Franken zu ersetzen.
C. Der Regierungsrat verzichtet auf Vernehmlassung. Die Gemeinde Oberägeri beantragt, die Beschwerde abzuweisen und das Urteil des Verwaltungsgerichts sowie die vorausgegangenen Entscheide der Direktion des Innern und des Regierungsrates zu bestätigen. Das Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
D. A.A.________ und B.A.________ halten in ihrer Replik an der Beschwerde fest.
 
Erwägungen:
1. Beim angefochtenen Urteil, mit welchem das Verwaltungsgericht die denkmalschutzrechtliche Unterschutzstellung des Ochsen bestätigte, handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit, gegen den die Beschwerde ans Bundesgericht zulässig ist (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 sowie Art. 90 BGG). Als Adressaten des angefochtenen Urteils und Gesamteigentümer des Ochsen sind die Beschwerdeführer zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 89 Abs. 1 BGG). Unzulässig sind allerdings die Anträge, die Entscheide der Direktion des Innern und des Regierungsrats aufzuheben. Diese sind durch das Urteil des Verwaltungsgerichts ersetzt worden (Devolutiveffekt) und gelten als inhaltlich mitangefochten (BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144 mit Hinweis). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.
2. Die Beschwerdeführer machen geltend, die Direktion des Innern sei für Unterschutzstellungen nur zuständig, wenn der mutmassliche Kantonsbeitrag an das Schutzobjekt 200'000 Franken nicht übersteige. Sie hätten nachgewiesen, dass die mutmasslichen Kosten für die Substanzerhaltung und den bedeutenden Unterhalt mehr als 1,33 Mio. Franken betrügen, womit der Kantonsbeitrag den Schwellenwert von 200'000 Franken übersteige. Die Direktion des Innern sei damit für die Unterschutzstellungsverfügung vom 28. September 2010 nicht zuständig gewesen, weshalb diese nichtig sei.
2.1. Fehlerhafte Entscheide sind nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nichtig, wenn der ihnen anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar ist und wenn zudem die Rechtssicherheit durch die Annahme der Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Inhaltliche Mängel einer Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit. Als Nichtigkeitsgründe fallen vorab funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht. Die Nichtigkeit eines Entscheids ist von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden jederzeit von Amtes wegen zu beachten (BGE 137 I 273 E. 3.1; 133 II 366 E. 3.1 und 3.2; 132 II 342 E. 2.1; 129 I 361 E. 2; je mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
2.2. Nach § 10 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 und 3 des Denkmalschutzgesetzes des Kantons Zug vom 26. April 1990 (DMSG) ist die Direktion des Innern zuständig für die Unterschutzstellung von Denkmälern, bei denen der mutmassliche erstmalige Kantonsbeitrag an die Restaurierung in Folge der Unterschutzstellung den Betrag von Fr. 200'000.-- nicht übersteigen wird und die Standortgemeinde einverstanden ist. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, beschliesst der Regierungsrat.
2.3. Mangels eines konkreten Umbauprojekts bzw. Sanierungskonzepts für den Ochsen war indessen im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Unterschutzstellungsverfügung offen, ob und wenn ja welche Sanierungs- und Unterhaltsarbeiten dringlich sind und sinnvollerweise in einem ersten Schritt gemacht werden müssen, um die Substanz der Liegenschaft und deren Nutzbarkeit für die Eigentümer zu erhalten bzw. herzustellen. Dementsprechend stand in diesem Zeitpunkt auch nicht fest, ob ein solcher erster Sanierungsschritt effektiv Kosten von über 1,33 Mio. Franken verursachen würde, an die der Kanton einen erstmaligen Beitrag von über 200'000 Franken zu leisten hätte. Insofern ist nicht zu beanstanden, dass die Direktion des Innern ihre Zuständigkeit bejahte. Aber selbst wenn sie dies aufgrund einer unrealistischen Kostenschätzung zu Unrecht getan haben sollte, läge darin, wie sich bereits aus den Ausführungen des Verwaltungsgerichts (E. 6 S. 51 f.) ergibt, jedenfalls kein besonders schwerer Zuständigkeitsfehler, der die Nichtigkeit des Direktionsentscheids zu Folge hätte. Die Rüge ist unbegründet.
 
3.
3.1. Die Unterschutzstellungsverfügung stützt sich auf das Denkmalschutzgesetz, mithin auf kantonales Recht. Dessen Auslegung und Anwendung prüft das Bundesgericht grundsätzlich nur unter dem Blickwinkel des Verfassungsrechts, namentlich der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und des Willkürverbots (Art. 9 BV).
3.2. Nach § 2 Abs. 1 DMSG sind Denkmäler "Siedlungsteile, Gebäudegruppen, gestaltete Freiräume, Verkehrsanlagen, Einzelbauten, archäologische Stätten und Funde sowie in einer engen Beziehung hiezu stehende bewegliche Objekte, die einen sehr hohen wissenschaftlichen, kulturellen oder heimatkundlichen Wert aufweisen". Nach § 25 Abs. 1 und 3 DMSG beschliessen die Direktion des Innern oder der Regierungsrat die Unterschutzstellung, wenn "a) das Denkmal von sehr hohem wissenschaftlichen, kulturellen oder heimatkundlichem Wert ist; b) das öffentliche Interesse an dessen Erhaltung allfällige entgegenstehende Privatinteressen überwiegt; c) die Massnahme verhältnismässig ist; d) die dem Gemeinwesen entstehenden Kosten auf die Dauer tragbar erscheinen."
3.3. Für die mit dem Fall befassten kantonalen Instanzen sowie den Gemeinderat Oberägeri sind die Voraussetzungen für eine Unterschutzstellung des Ochsen erfüllt. Die Beschwerdeführer machen dagegen geltend, sie beruhe auf einer offensichtlich unrichtigen und unvollständigen Feststellung des Sachverhalts, einer willkürlichen Beweiswürdigung und der Verletzung von Bundesrecht, insbesondere der Eigentumsgarantie.
 
4.
4.1. Die Eidgenössische Kommission für Denkmalpflege (EKD) kommt in ihrem Gutachten vom 4. Juli 2013 zu folgenden Schlussfolgerungen (S. 11) :
4.2. Der von den Beschwerdeführern beauftragte Gutachter C.________ kommt in seinem Gutachten vom 20. Juni 2012 dagegen zum Schluss, dem Ochsen komme hinsichtlich des Eigenwerts der Baute keine wichtige Bedeutung im Sinne des Denkmalschutzgesetzes zu, da es an Eigenwert begründender, wichtiger Bausubstanz im Inneren des Gebäudes fehle. Hingegen ist auch er Auffassung, dass der Situationswert des Ochsen am alten Übergang über den Dorfbach gegenüber der Kirche bedeutend sei; insbesondere, weil er mit der gegenüberliegenden Gebäudegruppe Bachweg 5 eine Torsituation bilde. Für den Ortsbildschutz sei das in der Kernzonenbestimmung formulierte Ziel - Wahrung der Volumetrie, der Ausrichtung und der Materialisierung - zur Wahrung des Situationswerts ausreichend (Gutachten C.________ S. 11).
4.3. Das Verwaltungsgericht ist, nach der Durchführung von zwei Augenscheinen am 19. Dezember 2012 und am 18. April 2013 und einer einlässlichen und sorgfältigen Auseinandersetzung sowohl mit dem Gutachten der EKD als auch mit dem Gutachten C.________, zum Schluss gekommen (Urteil S. 17 ff.), dass der Ochsen die drei Voraussetzungen von § 25 Abs. 1 lit. a DMSG erfülle. Wissenschaftlich wertvoll sei das Gebäude, weil sich daran die 450-jährige Baugeschichte eines stattlichen bäuerlichen Wohnhauses, das seit Jahrhunderten gleichzeitig als Gasthaus genutzt worden sei, geradezu exemplarisch ablesen lasse. Nicht entscheidend sei, wieviel historische Bausubstanz aus der Anfangszeit der Baute noch vorhanden sei; aus wissenschaftlicher, etwa bauhistorischer Sicht seien die über die Jahrhunderte erfolgten, dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechenden Eingriffe und Erweiterungen besonders wertvoll. Da im Kanton Zug kaum noch Bausubstanz aus dem 16. Jahrhundert vorhanden sei, sei der Ochsen auch aus bauarchäologischer Sicht besonders wertvoll; viele Fragen - etwa das genaue Alter der Baute - bedürften noch der wissenschaftlichen Abklärung.
4.4. Aus diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts ergibt sich, dass der Ochsen Qualitäten aufweist, die eine Unterschutzstellung als Denkmal zu rechtfertigen vermögen. In Bezug auf den besonderen heimatkundlichen Wert der Baute, die an ortsbaulich sensibler Lage neben dem Brückenübergang über den Dorfbach steht und zusammen mit der gegenüberliegenden Gebäudegruppe eine das Ortsbild stark prägende, torartige Situation bildet, sind sich die beiden Gutachten sogar im Wesentlichen einig. Kommt aber dem Ochsen aufgrund dieser örtlichen Gegebenheiten ein sehr hoher heimatkundlicher Wert zu, so lässt allein schon dieser Aspekt seine Unterschutzstellung grundsätzlich als rechtens erscheinen, da die drei Voraussetzungen von § 25 Abs. 1 lit. a DMSG nach klarem Wortlaut nicht kumulativ, sondern alternativ zu erfüllen sind.
4.5. In Bezug auf das erforderliche überwiegende öffentliche Interesse an der Unterschutzstellung des Ochsen (§ 25 Abs. 1 lit. b DMSG) hat das Verwaltungsgericht einerseits ausgeführt, dass das konkurrierende öffentliche Interesse der Verkehrssicherheit - die Lage des Gebäudes lässt die Erstellung eines Fussgängerstreifens nicht zu - vorliegend zurückzutreten habe. Dies insbesondere auch deshalb, weil der Gemeinderat überzeugend dargelegt habe, dass er mit geeigneten Massnahmen sicherstellen wolle, dass sich die Gestaltung des Strassenraums in Zukunft den historischen Bauten im Dorfkern unterzuordnen habe und ein Nebeneinander von Fussgänger- und Fahrzeugverkehr ermöglichen solle. Im Erläuternden Bericht zur Richtplanung 2010 habe er aufgezeigt, dass im Bereich der Hauptstrasse verkehrsberuhigende Massnahmen - namentlich Geschwindigkeitsbeschränkungen - vorgesehen seien (angefochtener Entscheid E. 3c/bb S. 38 f.).
4.6. In Bezug auf die Verhältnismässigkeit (§ 25 Abs. 1 lit. c DMSG) fällt in Betracht, dass der Ochsen 2002, als ihn die Beschwerdeführer kauften, im Inventar der schützenswerten Denkmäler eingetragen war. Sie wussten damit bereits beim Erwerb der Liegenschaft, dass sie für bauliche Veränderungen mit denkmalpflegerischen Auflagen würden rechnen müssen und konnten diesen Umstand bei der Gestaltung des nach der unbestrittenen Auffassung des Verwaltungsgerichts günstigen Kaufpreises von Fr. 950'000.-- entsprechend berücksichtigen.
4.7. Steht aber damit fest, dass die Unterschutzstellung des Ochsen auf einer formellen gesetzlichen Grundlage beruht, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist, so ist sie auch unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie nicht zu beanstanden.
4.8. Die Beschwerdeführer machen geltend, die Unterschutzstellung des Ochsen verletze das Rechtsgleichheitsgebot (Art. 8 BV). Was sie in der Beschwerdeschrift selber (S. 29) dazu vorbringen - nur darauf ist abzustellen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 134 II 244 E. 2) - reicht indessen nicht aus, diese Verfassungsrüge, für die eine qualifizierte Begründungspflicht gilt (BGE 133 III 393 E. 6; 133 II 249 E. 1.4.2 und 1.4.3), in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise zu begründen. Auch wenn sie immerhin nachvollziehbar behaupten, dass in der (auch noch jüngeren) Vergangenheit gewisse Objekte mit ähnlicher oder gar höherer Schutzwürdigkeit als der Ochsen nicht unter Schutz gestellt worden seien, so legen sie mit keinem Wort dar, dass - was unabdingbare Voraussetzung für eine Gleichbehandlung im Unrecht wäre (BGE 139 II 39 E. 7.1; 127 I 1 E. 3a; 116 Ia 345 E. 6a/aa; 114 Ib 238 E. 4c; 120 Ib 64 nicht publ. E. 3d) - die Direktion des Innern und der Regierungsrat auch in Zukunft nicht gewillt sind, das Denkmalschutzgesetz gleichmässig anzuwenden und schutzwürdige Objekte ausnahmslos unter Schutz zu stellen. Auf die Rüge ist nicht einzutreten.
4.9. Die Beschwerdeführer machen weiter geltend, sie hätten aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes von § 12 des kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 1. April 1976 Anspruch auf Ersatz der von ihnen für das Gutachten C.________ aufgewendeten Fr. 30'000.--. Auf die Rüge ist nicht einzutreten, da die Verletzung von kantonalem Gesetzesrecht - abgesehen von dessen willkürlicher Anwendung, was nicht geltend gemacht wird - vor Bundesgericht nicht gerügt werden kann (Art. 95 BGG e contrario).
5. Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Gemeinderat Oberägeri, dem Regierungsrat des Kantons Zug und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 18. November 2014
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Störi