BGer 4A_319/2014
 
BGer 4A_319/2014 vom 19.11.2014
{T 0/2}
4A_319/2014
 
Urteil vom 19. November 2014
 
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Kolly,
Bundesrichterinnen Hohl, Kiss, Niquille,
Gerichtsschreiber Kölz.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwältin Andjelka Grubesa-Milic,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. B.________,
2. C.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Silvan Hauser,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Sonderprüfung,
Beschwerde gegen das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich, Einzelgericht, vom 9. April 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
Die A.________ AG (Beklagte, Beschwerdeführerin) mit Sitz in Zürich bezweckt die Erbringung von Dienstleistungen jeglicher Art im Finanz- und Vermögensverwaltungsbereich sowie in den Bereichen Beratung Geschäftsführung, Verkauf und Kauf von Unternehmen.
 
B.
Mit Eingabe vom 27. September 2013 gelangten die Kläger an das Handelsgericht des Kantons Zürich und beantragten gestützt auf Art. 697b OR die Einsetzung eines Sonderprüfers, "um die Frage zu klären, welche Handlungen des Verwaltungsratsmitglieds D.________ und des Zeichnungsberechtigten E.________ seit anfangs Geschäftsjahr 2012 der Beklagten [...] dazu geführt haben, dass ein wesentlicher Teil der Beteiligung an der F.________ AG mit Sitz in Zürich zu einem nicht marktüblichen Preis veräussert wurde und damit ein Schaden von mindestens CHF 1'400'000.-- bei der A.________ AG entstanden ist".
 
C.
Die Beklagte beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Handelsgerichts sei aufzuheben und das Gesuch um Einsetzung eines Sonderprüfers vom 27. September 2013 sei abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Mit Präsidialverfügung vom 26. Juni 2014 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt.
 
Erwägungen:
 
1.
Der gerichtliche Entscheid über die Einsetzung eines Sonderprüfers im Sinne von Art. 697b OR stellt einen Endentscheid (Art. 90 BGG) in einer Zivilsache (Art. 72 BGG) dar, der grundsätzlich mit Beschwerde in Zivilsachen angefochten werden kann (Urteile 4A_260/2013 vom 6. August 2013 E. 1; 4A_554/2011 vom 10. Februar 2012 E. 1, nicht publ. in: BGE 138 III 246; vgl. auch Urteil 4C.334/2006 vom 7. Februar 2007 E. 2, nicht publ. in: BGE 133 III 180). Der Einzelrichter am Handelsgericht hat als einzige kantonale Instanz im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. g ZPO und Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG entschieden. Die Beschwerde in Zivilsachen ist daher unabhängig vom Streitwert zulässig (Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
 
2.
2.1. Jeder Aktionär kann der Generalversammlung beantragen, bestimmte Sachverhalte durch eine Sonderprüfung abklären zu lassen, sofern dies zur Ausübung der Aktionärsrechte erforderlich ist und er das Recht auf Auskunft oder das Recht auf Einsicht bereits ausgeübt hat (Art. 697a Abs. 1 OR). Entspricht die Generalversammlung dem Antrag, so kann die Gesellschaft oder jeder Aktionär innert 30 Tagen den Richter um Einsetzung eines Sonderprüfers ersuchen (Art. 697a Abs. 2 OR). Entspricht die Generalversammlung dem Antrag nicht, so können Aktionäre, die zusammen mindestens 10 Prozent des Aktienkapitals oder Aktien im Nennwert von 2 Millionen Franken vertreten, innert dreier Monate den Richter ersuchen, einen Sonderprüfer einzusetzen (Art. 697b Abs. 1 OR). Die Gesuchsteller haben Anspruch auf Einsetzung eines Sonderprüfers, wenn sie glaubhaft machen, dass Gründer oder Organe Gesetz oder Statuten verletzt und damit die Gesellschaft oder die Aktionäre geschädigt haben (Art. 697b Abs. 2 OR).
2.2. Nach Art. 697a Abs. 1 OR kann ein Aktionär die Anordnung einer Sonderprüfung nur beanspruchen, wenn er das Auskunfts- oder das Einsichtsrecht gemäss Art. 697 OR bereits ausgeübt hat. Insoweit ist der Anspruch auf Einsetzung eines Sonderprüfers gegenüber dem Recht auf Auskunft und auf Einsicht subsidiär (BGE 123 III 261 E. 3a S. 264). In der aktienrechtlichen Informationsordnung bildet die Sonderprüfung das dritte Element neben der vom Verwaltungsrat ausgehenden Informationsvermittlung durch den Geschäftsbericht (Art. 696 OR) und der aktiven Informationsbeschaffung seitens des Aktionärs durch die Ausübung seines Auskunftsrechts (Art. 697 OR). Um eine Gleichstellung aller Aktionäre bezüglich des Informationsstandes zu erreichen, muss das Auskunftsrecht gemäss Art. 697 OR in der Generalversammlung ausgeübt werden (BGE 133 III 133 E. 3.3). Unter Umständen, namentlich bei Begehren um Informationen, die nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen, oder bei einem umfangreichen Fragenkatalog kann es angezeigt sein, das Auskunftsbegehren vor der Generalversammlung schriftlich einzureichen (siehe Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 16 Rz. 32). Die Auskunftsbegehren und die erteilten Antworten sind zu protokollieren (Art. 702 Abs. 2 Ziff. 3 OR).
 
3.
 
4.
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor, hinsichtlich der Voraussetzung der vorgängigen Ausübung des Auskunfts- und des Einsichtsrechts in Verletzung von Bundesrecht anstelle des strikten Beweises ein blosses Glaubhaftmachen verlangt und mithin das falsche Beweismass angewandt zu haben. Selbst unter Zugrundelegung eines reduzierten Beweismasses habe die Vorinstanz die Beweise aber willkürlich gewürdigt, indem sie sich allein mit den unbelegten Behauptungen der Beschwerdegegner begnügt und sich auf haltlose Vermutungen gestützt habe.
4.1. Nach dem bundesrechtlichen Regelbeweismass gilt ein Beweis als erbracht, wenn das Gericht nach objektiven Gesichtspunkten von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist. Ausnahmen von diesem 
4.2. In der Tat führte die Vorinstanz im Rahmen der rechtlichen Erörterungen aus, "die Anforderungen an das Glaubhaftmachen" betreffend die Ausübung des Auskunfts- und Einsichtsrechts dürften "nicht übersteigert werden". Die darauf folgende eingehende Prüfung schloss die Vorinstanz mit dem Satz, "gesamthaft erschein[e] glaubhaft", dass die Beschwerdegegner von der Beschwerdeführerin in der Generalversammlung (erfolglos) Auskünfte zum Geschäftsgang, insbesondere zur Reduktion der Beteiligung an der F.________ AG, verlangt hätten. Dem Subsidiaritätsprinzip sei damit Genüge getan.
 
4.3.
4.3.1. Zunächst bedeutet der Umstand, dass eine Angelegenheit - wie nach Art. 250 lit. c Ziff. 8 ZPO die Sonderprüfung bei der Aktiengesellschaft - in den Anwendungsbereich des summarischen Verfahrens nach Art. 248 ff. ZPO fällt, nicht, dass das 
4.3.2. Die Vorinstanz verwies in der fraglichen Erwägung auf eine Kommentarstelle (Weber, Basler Kommentar, Obligationenrecht II, 4. Aufl. 2012, N. 3b zu Art. 697c OR). Aus dieser geht hervor, dass ihr Autor seine Aussage, "die Anforderungen an das Glaubhaftmachen des Subsidiaritätsprinzips" dürften nicht übersteigert werden, auf die Frage der 
4.3.3. Im Gesetz besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass in Bezug auf die Voraussetzung der vorgängigen Ausübung des Auskunfts- oder Einsichtsrechts ein blosses Glaubhaftmachen genügen soll. Vielmehr sieht Art. 697b Abs. 2 OR einzig hinsichtlich der materiellen Voraussetzung einer Gesetzes- oder Statutenverletzung und einer Schädigung der Gesellschaft oder der Aktionäre vor, dass ein Glaubhaftmachen genügt. Die Rechtfertigung für diese Erleichterung liegt namentlich im Zweck des Instituts der Sonderprüfung. Dieses dient nämlich der Verbesserung der Information der Gesuchsteller, weshalb das Gericht von ihnen nicht diejenigen Nachweise verlangen darf, die erst der Sonderprüfer erbringen soll (vgl. BGE 120 II 393 E. 4c S. 398). Die vorgängige Ausübung des Auskunfts- oder Einsichtsrechts stellt demgegenüber selbstredend keinen Umstand dar, über den erst die Sonderprüfung informieren soll. Vielmehr liegt er offensichtlich in der Wissenssphäre des Gesuchstellers selbst. Mit Bezug auf diese Voraussetzung besteht somit insofern kein Grund für eine Herabsetzung des Beweismasses auf eine blosse Glaubhaftmachung. Dem entspricht es im Übrigen, dass in der Rechtsprechung auch hinsichtlich der Aktionärseigenschaft und der Höhe der Kapitalbeteiligung der 
4.3.4. Der Gesuchsteller hat demnach die Voraussetzung, dass vorgängig zum Gesuch um Sonderprüfung an der Generalversammlung das Auskunfts- oder Einsichtsrecht ausgeübt wurde, nicht bloss glaubhaft zu machen, sondern nachzuweisen, d.h. er muss das Gericht nach dem Regelbeweismass davon überzeugen, so dass es keine ernsthaften Zweifel mehr hat (so auch Kunz, Zur Subsidiarität der Sonderprüfung, SJZ 92/1996 S. 5, der aus diesem Grund empfiehlt, auf einer Protokollierung zu bestehen [Fn. 75]; ausdrücklich den vollständigen Beweis verlangend Reichenbach/Bläsi, Gerichtliche Anordnung der Sonderprüfung als systemkonforme Durchsetzung der Selbstverwaltung der Aktiengesellschaft, in: Jahrbuch des Handelsregisters 2003, 2005, S. 110 und 112; vgl. auch Gabrielli, Das Verhältnis des Rechts auf Auskunftserteilung zum Recht auf Einleitung einer Sonderprüfung, 1997, S. 42, der auf die Protokollierungspflicht betreffend Auskunftsbegehren sowie Auskunftserteilung und -verweigerung hinweist, damit diese Punkte bei einem Sonderprüfungsbegehren "beweiserheblich belegt werden können").
4.4. Indem sich die Vorinstanz in Bezug auf die Voraussetzung der vorgängigen Ausübung des Auskunfts- oder Einsichtsrechts mit einem blossen Glaubhaftmachen begnügte, legte sie ihrem Entscheid ein falsches Beweismass zugrunde. Die Rüge der Beschwerdeführerin ist in diesem Punkt begründet, ohne dass beurteilt werden müsste, ob die Vorinstanz auch dadurch Bundesrecht verletzte, dass sie die Sachdarstellung der Beschwerdegegner als glaubhaft erachtete.
 
5.
Der Entscheid des Handelsgerichts erweist sich indessen auch als bundesrechtswidrig, wenn man annimmt, die Vorinstanz habe der Sache nach das Gelingen des strikten Beweises bejaht, sei also in Wahrheit vom richtigen Beweismass ausgegangen:
5.1. Zu beachten ist, dass das Bundesgericht in die Beweiswürdigung des Sachgerichts nur eingreift, wenn diese willkürlich ist. Dies ist dann der Fall, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 137 III 226 E. 4.2 S. 234; 136 III 552 E. 4.2).
5.2. Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz ist im Protokoll der Generalversammlung vom 28. Juni 2013 festgehalten, dass die Beschwerdegegner zur Jahresrechnung eine Sonderprüfung beantragt haben. Begehren um Auskunft bzw. Einsicht und entsprechende Antworten werden hingegen nicht erwähnt.
5.3. Die dargestellte Beweislage lässt den Schluss, die Beschwerdegegner hätten den strikten Beweis dafür erbracht, dass sie vorgängig zum Begehren um Sonderprüfung in der Generalversammlung ihr Auskunftsrecht ausgeübt hätten, von Bundesrechts wegen nicht zu:
5.3.1. Das Gesetz bestimmt ausdrücklich, dass der Aktionär nur um Durchführung einer Sonderprüfung ersuchen kann, sofern er "das Recht auf Auskunft oder das Recht auf Einsicht bereits ausgeübt hat" (Art. 697a Abs. 1 OR). Diesem Zusammenhang widerspräche es, einfach aus dem Begehren um Sonderprüfung beweiswürdigend auf ein vorgängiges Auskunftsbegehren zu schliessen und dabei die inhaltliche Tragweite des Auskunftsbegehrens durch Rückschluss aus der Auslegung des Sonderprüfungsbegehrens herzuleiten. Die gesetzliche Voraussetzung würde ihres Gehalts und Zwecks entleert, wenn ein gestelltes Sonderprüfungsbegehren die tatsächliche Vermutung begründen könnte, dass ein entsprechendes Auskunftsbegehren vorausgegangen ist (vgl. demgegenüber Pauli, Le droit au contrôle spécial dans la société anonyme, 2004, S. 213, die annimmt, das Begehren um Sonderprüfung enthalte implizite ein Auskunftsbegehren).
5.3.2. Ebenso wenig lässt sich der Beweis auf die nachträglichen Schreiben der Beschwerdegegner vom 24. Juli, 5. August und 16. August 2013 stützen. Sollte die Vorinstanz aus den darin enthaltenen Schilderungen des Ablaufs der Generalversammlung ableiten wollen, dass die Beschwerdegegner an der Generalversammlung tatsächlich um Auskunft zur Beteiligung an der F.________ AG ersucht, diese aber nicht erhalten hätten, stellte sie auf blosse - durch nichts belegte - Parteibehauptungen ab. Die Beschwerdeführerin rügt zutreffend, dass diese nachträglichen Schreiben, in denen die Beschwerdegegner den Ablauf der Generalversammlung aus ihrer Sicht schilderten, den Nachweis für die bestrittene Ausübung des Auskunfts- oder Einsichtsrechts an der Generalversammlung nicht erbringen können. Wenn sie diese nachträglichen Schreiben als Rettungsversuch der Beschwerdegegner erklärt, weil Letztere - offenbar nach erfolgter anwaltlicher Beratung - realisiert hätten, dass anlässlich der Generalversammlung das Auskunfts- oder Einsichtsbegehren versäumt worden sei, so erscheint diese Erklärung nicht weniger plausibel als die einseitigen Behauptungen der Beschwerdegegner.
5.3.3. Die Vorinstanz führte sodann an, auch die allgemeine Lebenserfahrung spreche dafür, dass die stark reduzierte Beteiligung am einzigen Investment zu Fragen der nicht informierten Minderheit geführt habe.
5.4. Nach dem Gesagten erwiese sich jedenfalls die Würdigung, die Beschwerdegegner hätten den strikten Beweis für die vorgängige Ausübung des Auskunftsrechts erbracht, unter Willkürgesichtspunkten als nicht haltbar.
 
6.
Unter diesen Umständen mangelt es in tatsächlicher Hinsicht an der bundesrechtskonformen Feststellung, dass das Auskunfts- oder Einsichtsrecht an der Generalversammlung ausgeübt wurde. Der Anspruch auf Einsetzung eines Sonderprüfers scheitert bereits an dieser Voraussetzung. Die Beschwerde erweist sich als begründet und ist gutzuheissen. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, und das Gesuch der Beschwerdegegner um Einsetzung eines Sonderprüfers vom 27. September 2013 ist abzuweisen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich, Einzelgericht, vom 9. April 2014 wird aufgehoben. Das Gesuch der Beschwerdegegner vom 27. September 2013 um Einsetzung eines Sonderprüfers wird abgewiesen.
2. Die Sache wird zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz zurückgewiesen.
3. Die Gerichtskosten von Fr. 7'000.-- werden den Beschwerdegegnern auferlegt, in solidarischer Haftbarkeit.
4. Die Beschwerdegegner haben die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 8' 000.-- zu entschädigen, in solidarischer Haftbarkeit.
5. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 19. November 2014
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Klett
Der Gerichtsschreiber: Kölz