BGer 2C_699/2014
 
BGer 2C_699/2014 vom 01.12.2014
{T 0/2}
2C_699/2014
 
Urteil vom 1. Dezember 2014
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler,
Bundesrichterin Aubry Girardin,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________, vertreten Dr. Reza Shahrdar, Beschwerdeführer,
gegen
Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau.
Gegenstand
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 27. Juni 2014.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
D.
 
E.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den (End-) Entscheid eines oberen kantonalen Gerichts betreffend Widerruf der Niederlassungsbewilligung ist zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89, Art. 90 BGG), da auf den Fortbestand dieser Bewilligung ein Rechtsanspruch besteht (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario; BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
1.2. Das Bundesgericht prüft frei und von Amtes wegen die Anwendung von Bundesrecht mit Einschluss des Verfassungs- und Völkerrechts (Art. 95 lit. a und b und Art. 106 Abs. 1 BGG). Die Verletzung von Grundrechten mit Einschluss der Rechte gemäss der EMRK prüft das Bundesgericht jedoch nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat; es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig, d. h. willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 bzw. Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Solche Mängel müssen in der Beschwerde rechtsgenüglich gerügt werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht kann allerdings auch den Sachverhalt von Amtes wegen berichtigen (Art. 105 Abs. 2 BGG), vor allem wenn die Vorinstanz einen rechtserheblichen Sachverhalt nicht oder nicht vollständig festgestellt hat, sich dieser aber aus den Akten ergibt.
 
2.
 
3.
3.1. Die Niederlassungsbewilligung kann nach Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG, auf den sich die Vorinstanz gestützt hat, widerrufen werden, wenn der Ausländer in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet. Dieser Widerrufsgrund gilt auch, wenn sich der Betroffene - wie hier - mehr als 15 Jahre ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz aufgehalten hat (Art. 63 Abs. 2 AuG; Urteil 2C_242/2011 vom 23. September 2011 E. 3.3.1). Der Widerruf muss verhältnismässig sein (Art. 96 Abs. 1 AuG), was sich bei Ausländern, die sich auf Art. 8 EMRK berufen können, auch aus dessen Ziff. 2 ergibt.
3.2. Im Rahmen von Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG muss, anders als beim Widerrufsgrund von Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. b AuG, nicht eine Verurteilung zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe (d.h. zu einer Strafe von mindestens einem Jahr, BGE 137 II 297 E. 2.1 S. 299; 135 II 377 E. 4.2 und E. 4.5 S. 379 ff.) vorliegen. Ein schwerwiegender Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann auch sonst gegeben sein, und zwar in erster Linie, wenn die ausländische Person durch ihre Handlungen besonders hochwertige Rechtsgüter wie namentlich die körperliche, psychische und sexuelle Integrität eines Menschen verletzt oder gefährdet hat. Indes können auch vergleichsweise weniger gravierende Pflichtverletzungen als "schwerwiegend" im Sinne von Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG bezeichnet werden: So ist ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung namentlich auch dann möglich, wenn sich eine ausländische Person von strafrechtlichen Massnahmen nicht beeindrucken lässt und damit zeigt, dass sie auch zukünftig weder gewillt noch fähig ist, sich an die Rechtsordnung zu halten. Dies bedeutet, dass auch eine Summierung von Verstössen, die für sich genommen für einen Widerruf nicht ausreichen würden, einen Bewilligungsentzug rechtfertigen können. Diesfalls ist nicht die Schwere der verhängten Strafen, sondern die Vielzahl der Delikte entscheidend (BGE 139 I 16 E. 2.1 S. 18; 137 II 297 E. 3 S. 302 ff.; Urteil 2C_160/2013 vom 15. November 2013 E. 2.1.1). Auch das Nichterfüllen von öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Verpflichtungen kann gegebenenfalls einen schwerwiegenden Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, wenn die Verschuldung mutwillig erfolgt ist (Art. 80 Abs. 1 lit. b VZAE; Urteil 2C_160/2013 vom 15. November 2013 E. 2.1.1; 2C_310/2011 vom 17. November 2011 E. 5.1). Die Verschuldung muss allerdings selbstverschuldet und qualifiziert vorwerfbar sein (Urteil 2C_273/2010 vom 6. Oktober 2010 E. 3.3, ZBl 112/2011 S. 96).
3.3. Aus der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG ergibt sich folgende Übersicht:
 
4.
4.1. Vorliegend hat die Vorinstanz festgestellt und erwogen, der Beschwerdeführer sei schon bald nach seiner Einreise in die Schweiz straffällig geworden und habe während einer Zeitspanne von mehr als 18 Jahren regelmässig eine Vielzahl strafbarer Handlungen begangen. Weder die diversen strafrechtlichen Verurteilungen noch die fremdenpolizeiliche Verwarnung und Ermahnung hätten ihn von weiteren Straftaten abgehalten. Er habe zudem hohe Schulden insbesondere gegenüber dem Alimenteninkasso, der Krankenkasse, verschiedenen Gemeinden, dem Kanton, der Ausgleichskasse und verschiedenen Autogaragen. Die Anhäufung von Schulden in dieser Grössenordnung, ohne dass er sich um die Sanierung seiner Finanzen gekümmert hätte, könne nur als mutwillig bezeichnet werden. Das Argument, er habe wegen seiner Kinder Schulden machen müssen, sei nicht stichhaltig, zumal der Beschwerdeführer bereits vor deren Geburt seine Steuern und Krankenkassenprämien nicht bezahlt habe und gegen ihn Betreibungen erfolgt seien. Zwar würden die erwähnten Gesichtspunkte für sich allein kaum die Voraussetzungen für einen Widerruf erfüllen, wohl aber in ihrer Gesamtheit.
4.2. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor allem vor, er sei in den letzten 6-7 Jahren nur einmal und zwar wegen geringfügiger Delikte verurteilt worden. Das zeige, dass er sich durch die ergangenen Strafen und Ermahnungen habe belehren lassen. Zudem habe er immer gearbeitet, aber einfach nicht genügend verdient, so dass ihm keine Mutwilligkeit vorzuwerfen sei.
4.3. Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass die von ihm begangenen Delikte teilweise Bagatelldelikte sind. Aus den vorinstanzlichen Feststellungen geht hervor, dass der Beschwerdeführer nach seiner am 14. September 2007 erfolgten fremdenpolizeilichen Ermahnung strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist bis zu den vom Dezember 2011 bis Februar 2012 begangenen Delikten, die mit dem Strafbefehl vom 11. Juli 2012 geahndet wurden. Insoweit kann man ihm nicht vorhalten, dass die Ermahnung völlig wirkungslos geblieben wäre. Sodann wiegen die mit dem Strafbefehl vom 11. Juli 2012 geahndeten Delikte für sich allein nicht besonders schwer (Geldstrafe von 20 Tagessätzen à Fr. 60.-- wegen Nichtabgabe von Kontrollschildern trotz behördlicher Aufforderung, Fahren ohne Haftpflichtversicherung und Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit um 3 km/h).
 
5.
5.1. Zur Verhältnismässigkeit des Widerrufs hat die Vorinstanz erwogen, der Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung wiege schwer; die Zeitspanne des Wohlverhaltens seit der letzten Verurteilung sei kurz. Entsprechend sei das öffentliche Interesse an einem Widerruf gross. Zu Gunsten des Beschwerdeführers spreche dessen lange Anwesenheit in der Schweiz. Er lebe aber von seiner Ehefrau seit 2004 getrennt und bezahle seit Jahren für seine Kinder die Unterhaltsbeiträge nicht oder nur ungenügend. Dass ein intaktes Verhältnis zu seinen drei Kindern bestehe, sei nicht anzunehmen und werde vom Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht. Seine heutige Lebenspartnerin, die wie er aus dem Kosovo stammt, habe ihre Heimat erst im Jahre 2012 verlassen und verfüge in der Schweiz über kein Aufenthaltsrecht. Ihr sowie den beiden gemeinsamen Kindern sei die Rückkehr in die Heimat ohne weiteres zumutbar. Familiäre Interessen sprächen daher nicht für einen Verbleib in der Schweiz. Auch von einer beruflichen Integration in der Schweiz könne keine Rede sein, reiche dem Beschwerdeführer doch sein Jahresgewinn von Fr. 8'265.-- aus der aktuellen Erwerbstätigkeit offensichtlich nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus. Seine Wiedereingliederungschancen im Kosovo seien intakt. Seine Deutschkenntnisse müssten als unterdurchschnittlich bezeichnet werden; dass überdurchschnittlich enge Beziehungen zu Personen in der Schweiz bestehen würden, werde nicht geltend gemacht. Umgekehrt habe der Beschwerdeführer die ersten 22 Jahre seines Lebens im Kosovo verbracht und sei regelmässig zwei bis drei Mal jährlich in sein Heimatland gereist; dort habe er sich einige Monate im Jahr 2008 und vom September 2009 bis Juni 2010 aufgehalten und auch mit der neuen Lebenspartnerin eine neue Familie gegründet; er verfüge daher über ein soziales Netz im Kosovo, so dass ihm die Wiedereingliederung keine Probleme bereiten werde.
5.2. Soweit es sich bei diesen vorinstanzlichen Erwägungen um Sachverhaltsfeststellungen handelt, werden sie vom Beschwerdeführer nicht substantiiert in Frage gestellt und sind für das Bundesgericht verbindlich (vorne E. 1.2). Bei dieser Sachlage erscheint die vorinstanzliche Verhältnismässigkeitsprüfung nicht als bundesrechtswidrig. Der Beschwerdeführer bringt dagegen nur vor, er habe in der Schweiz immerhin einen Beruf und ein bescheidenes Einkommen, aber im Kosovo gar nichts. Indessen bestätigt er selber, dass er - obwohl gesund - einen "Jahresgewinn" von lediglich gut Fr. 8'000.-- erzielt (vgl. S. 3 der Beschwerdeschrift), womit er offensichtlich nicht als wirtschaftlich integriert gelten kann.
5.3. In Bezug auf seine drei Kinder mit schweizerischem Bürgerrecht bringt der Beschwerdeführer nur vor, er wage nicht, sich ihnen zu nähern, weil die Kindsmutter sich weigere, ihm ein Besuchsrecht zu gewähren und ihm mit der Polizei drohe. Er macht aber nicht geltend, dass er sich konkret bemüht hätte, ein Besuchsrecht zu erwirken oder sonstwie Kontakt zu diesen Kindern aufzunehmen. Es fehlt offensichtlich an einer gelebten Beziehung zu ihnen, was Voraussetzung wäre, damit er sich auf Art. 8 EMRK berufen könnte, was er denn auch nicht tut. In Bezug auf seine neue Lebenspartnerin und die mit ihr gemeinsam gezeugten Kinder ist nichts ersichtlich, was gegen eine Rückkehr in die Heimat spräche.
 
6.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. 
2. 
3. 
Lausanne, 1. Dezember 2014
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein