BGer 1B_26/2014
 
BGer 1B_26/2014 vom 12.12.2014
{T 0/2}
1B_26/2014
 
Urteil vom 12. Dezember 2014
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Haag.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf Mayr von Baldegg,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern,
Abteilung 4 Spezialdelikte. 
Gegenstand
Verfahrensrechte und -pflichten eines Zeugen (Beizug eines Rechtsbeistandes, Schweigepflicht und Edition),
Beschwerde gegen den Beschluss vom 28. November 2013 des Kantonsgerichts Luzern,
1. Abteilung.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 BGG zulässig.
1.2. Zur Beschwerde in Strafsachen ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat.
1.2.1. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein Verfahrensbeteiligter befugt, die Verletzung von Verfahrensrechten geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus einer Berechtigung in der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen (vgl. BGE 136 IV 29 E. 1.9 S. 40 mit Hinweisen; Urteil 1B_212/2009 vom 20. Januar 2010 E. 1.2, in: Pra 2010 Nr. 57 S. 415). Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe als Zeuge im Sinne von Art. 105 lit. c StPO Anspruch auf die Anwesenheit eines Rechtsbeistands. Er rügt damit eine Verletzung eines Verfahrensrechts und ist insoweit grundsätzlich zur Beschwerdeführung berechtigt (Art. 81 BGG). Weiter beschwert er sich über die Auferlegung einer Geheimhaltungspflicht bzw. eines Informationsverbots in Anwendung von Art. 165 StPO, was auf eine Zensur und ungerechtfertigte Behinderung seiner Tätigkeit als Journalist hinauslaufe. Schliesslich macht er geltend, er sei zu Unrecht zur Herausgabe der Videoaufnahmen verpflichtet worden, obwohl ihn nach Art. 265 Abs. 2 lit. b StPO keine Herausgabepflicht treffe. Mit diesen Rügen beruft sich der Beschwerdeführer auf eigene rechtlich geschützte Interessen, wozu er im Rahmen der vorliegenden Beschwerde berechtigt ist.
1.2.2. Das nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse muss nicht nur bei der Beschwerdeeinreichung, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung aktuell und praktisch sein (vgl. BGE 123 II 285 E. 4 S. 286 f.). Das Bundesgericht verzichtet jedoch ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 139 I 206 E. 1.1; 136 II 101 E. 1.1 S. 103; 135 I 79 E 1.1 S. 81; vgl. auch BGE 137 I 296 ff.).
1.2.3. Die Einvernahme des Beschwerdeführers als Zeuge erfolgte entgegen seinem Antrag ohne die Anwesenheit seines Anwalts. Der Beschwerdeführer verzichtete während der Einvernahme im Wesentlichen darauf, die ihm gestellten Fragen zu beantworten. Er berief sich als Medienschaffender auf sein Zeugnisverweigerungsrecht (Quellenschutz gemäss den Art. 28a StGB und 172 StPO). Weitere Einvernahmen mit dem Beschwerdeführer sind im Rahmen der Strafuntersuchung nicht vorgesehen.
 
2.
 
3.
3.1. Die Staatsanwaltschaft verzichtete im kantonalen Beschwerdeverfahren darauf, an der Editionsverfügung festzuhalten. In der Folge trat die Vorinstanz auf die Beschwerde in diesem Punkt mangels aktueller Beschwer des Beschwerdeführers bzw. infolge Gegenstandslosigkeit der Editionsaufforderung nicht ein. "Der Vollständigkeit halber sowie im Hinblick auf die Kostenverlegung" hielt sie indessen fest, dass Personen, die zur Aussage- oder Zeugnisverweigerung berechtigt sind, im Umfang ihres Verweigerungsrechts keine Herausgabepflicht treffe (Art. 265 Abs. 2 lit. b StPO). Eine Beschlagnahme dürfe, wie auch andere Zwangs- und Überwachungsmassnahmen, den Quellenschutz bzw. generell den Sinn und den Zweck des journalistischen Zeugnisverweigerungsrechts nicht aushöhlen. Gleiches gelte auch für eine aus Gründen der Verhältnismässigkeit vorgängig angeordnete Edition. Aufgrund dieser Überlegungen kam das Kantonsgericht zum Schluss, dass in Bezug auf die Editionsverfügung mutmasslich zu Ungunsten der Staatsanwaltschaft hätte entschieden werden müssen, wenn diese an der Herausgabe festgehalten hätte.
3.2. Soweit der Beschwerdeführer das Verhalten der Vorinstanzen in Bezug auf die Editionsverfügung kritisiert, ist er durch den angefochtenen Entscheid offensichtlich nicht beschwert, weshalb auf die Beschwerde in diesem Punkt nicht einzutreten ist.
 
4.
4.1. Die einvernehmende Behörde kann eine Zeugin oder einen Zeugen gestützt auf Art. 165 StPO unter Hinweis auf die Strafdrohung von Art. 292 StGB verpflichten, über die beabsichtigte oder die erfolgte Einvernahme oder deren Gegenstand Stillschweigen zu bewahren. Die Verpflichtung wird befristet. Art. 165 StPO geht als lex specialis Art. 73 Abs. 2 StPO vor (Urs Saxer/Simon Thurnheer, Strafprozessordnung, Basler Kommentar, 2. Auflage 2014, N. 18 zu Art. 73 StPO). Aus dem Protokoll der Einvernahme vom 20. September 2013 ist ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer vorab ausführlich dargelegt wurde, dass es sich um eine Strafuntersuchung betreffend Amtsgeheimnisverletzung handelt, was Gegenstand dieser Untersuchung bildet und dass diese Untersuchung geheim ist. Es wurde ihm unter Androhung von Art. 292 StGB verboten, über die Einleitung dieser Strafuntersuchung wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses, über seine Einvernahme und über Informationen, die er bei dieser Einvernahme erfuhr, zu berichten oder Dritte darüber zu informieren. Auf Nachfrage wurde ihm erläutert, dass er seinem Anwalt berichten dürfe, nicht aber Mitarbeitern des Schweizer Fernsehens. Die Verpflichtung, über diese Strafuntersuchung Stillschweigen zu bewahren, wurde bis zum Abschluss des Vorverfahrens befristet. Weiter wurde dem Beschwerdeführer erläutert, dass durch eine allfällige Veröffentlichung von Informationen aus diesem Verfahren bzw. durch die Mitteilung an Dritte oder die mutmassliche Täterschaft selbst die Gefahr bestehe, dass die mutmassliche Täterschaft gewarnt sowie über den aktuellen Ermittlungsstand informiert würde und in der Folge Kollusionshandlungen vornehmen könnte.
4.2. Den Akten des vorliegenden Verfahrens ist nicht zu entnehmen, dass das Vorverfahren betreffend Amtsgeheimnisverletzung inzwischen abgeschlossen worden wäre. Es ist somit davon auszugehen, dass die Verpflichtung des Beschwerdeführers zum Stillschweigen noch andauert. Damit ist er in diesem Punkt noch aktuell beschwert (vgl. dazu vorne E. 1.2.2).
4.3. Mit Art. 165 StPO besteht eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für das Schweigegebot von Zeuginnen und Zeugen. Dieses dient der Wahrheitsfindung. Eine Spezialregelung für Medienschaffende liegt nicht vor. Werden mehrere Personen zum gleichen Sachverhalt einvernommen, liegt es oft im Interesse der Wahrheitsfindung, dass Personen, die Zeugnis ablegen sollen bzw. abgelegt haben, verpflichtet werden, über die bevorstehende oder bereits erfolgte Einvernahme und deren Gegenstand Stillschweigen zu wahren. Die Auferlegung einer Schweigepflicht mit Strafandrohung darf allerdings nicht ungeprüft in jedem Fall verfügt werden. Vielmehr muss die tatsächliche Gefahr einer Beeinflussung bestehen, welche die Wahrheitsfindung beeinträchtigen könnte. Schweigegebote können etwa auferlegt werden, um zu verhindern, dass Verfahrensbeteiligte ihre Standpunkte in den Massenmedien ausbreiten oder mit bestimmten Personen Kontakt aufnehmen und sich über den Gegenstand der Beweisabnahme unterhalten oder absprechen, bevor die hauptsächlichen Beweismittel erhoben sind (Jürg Bähler, Strafprozessordnung, Basler Kommentar, 2. Auflage 2014, N. 1 zu Art. 165 StPO N. 1; Niklaus Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, Rz. 558 und 881).
4.3.1. Die Staatsanwaltschaft begründete das Schweigegebot mit der Gefahr, dass durch eine allfällige Veröffentlichung von Informationen aus dem Untersuchungsverfahren bzw. von Informationen, welche der Beschwerdeführer bei dieser Einvernahme erfuhr, die mutmassliche Täterschaft gewarnt und in der Folge Kollusionshandlungen vornehmen könnte. Diese Begründung bezeichnete die Vorinstanz unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu Recht als nachvollziehbar und hinreichend. Das Schweigegebot wurde in sachlicher und zeitlicher Hinsicht sowie in Bezug auf die persönliche Reichweite umschrieben und eingegrenzt. In zutreffender Weise wurde auch festgehalten, dass das Schweigegebot gegenüber dem Anwalt nicht gilt (vgl. Bähler, a.a.O., N. 2 zu Art. 165 StPO). Im Übrigen wurde das Schweigegebot bis zum Abschluss des Vorverfahrens befristet (Art. 165 Abs. 2 StPO).
4.3.2. Die Begründung der Vorinstanzen erweist sich auch unter Berücksichtigung der Kritik des Beschwerdeführers als zutreffend und ist nicht zu beanstanden. An der Zulässigkeit des Schweigegebots ändert auch nichts, dass nach der Einvernahme des Beschwerdeführers öffentlich bekannt wurde, dass betreffend die Videoaufnahmen eine Strafuntersuchung wegen Amtsgeheimnisverletzung eingeleitet worden war. Das Schweigegebot soll verhindern, dass der Beschwerdeführer Informationen, die er in seiner Eigenschaft als Zeuge im Rahmen seiner Einvernahme erhielt (z.B. Namen von bereits einvernommenen Personen und deren Aussagen), weitergibt, bevor das Vorverfahren abgeschlossen ist. Insoweit erscheint das Schweigegebot weiterhin gerechtfertigt. Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass das Schweigegebot lediglich die Voruntersuchung wegen Amtsgeheimnisverletzung in Bezug auf die Videoaufnahmen betrifft und den Beschwerdeführer nicht daran hindert, als Medienschaffender weiterhin über die so genannte "Luzerner Polizeiaffäre" zu recherchieren und zu berichten. Er macht insoweit zu Unrecht eine Behinderung seiner Berufstätigkeit und eine unzulässige Beschränkung der Medienfreiheit (Art. 17 BV) geltend. Informationen, die von dritter Seite allgemein bekannt gemacht werden, darf selbstverständlich auch der Beschwerdeführer gestützt auf die Informationsfreiheit (Art. 16 Abs. 2 BV) weiterverbreiten, soweit er keine zusätzlichen Informationen preisgibt, die ihm einzig aufgrund seiner Eigenschaft als Zeuge bekannt wurden. Aus den genannten Gründen ist die Beschwerde in Bezug auf das dem Beschwerdeführer auferlegte Schweigegebot abzuweisen.
 
5.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. 
2. 
3. 
Lausanne, 12. Dezember 2014
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Haag