BGer 9C_630/2014
 
BGer 9C_630/2014 vom 23.12.2014
{T 0/2}
9C_630/2014
 
Urteil vom 23. Dezember 2014
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Grünenfelder.
 
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Noser,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 8. Juli 2014.
 
Sachverhalt:
A. Der 1956 geborene A.________ meldete sich am 27. August 2008 (Eingangsdatum) zum Leistungsbezug an. Nach zweimaliger Begutachtung durch die MEDAS und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen mit Verfügung vom 9. November 2012 einen Rentenanspruch (Invaliditätsgrad von 35 %).
B. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 8. Juli 2014 gut, hob die angefochtene Verfügung auf und sprach dem Versicherten eine Viertelsrente ab 1. Februar 2009 zu.
C. Die IV-Stelle lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, der Entscheid vom 8. Juli 2014 sei aufzuheben und ihre Verfügung vom 9. November 2012 sei zu bestätigen.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
2.
2.1. Wird das Invalideneinkommen auf der Grundlage von statistischen Durchschnittswerten ermittelt, ist der entsprechende Ausgangswert (Tabellenlohn) allenfalls zu kürzen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können (BGE 124 V 321 E. 3b/aa S. 323). Aufgrund dieser Faktoren kann die versicherte Person die verbliebene Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt möglicherweise nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten (BGE 126 V 75 E. 5b/aa in fine S. 80). Der Abzug soll aber nicht automatisch erfolgen. Er ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen und darf 25 % nicht übersteigen (BGE 126 V 75 E. 5b/bb-cc S. 80; 134 V 322 E. 5.2 S. 327 f.; Urteil 9C_368/2009 vom 17. Juli 2009 E. 2.1). Die Rechtsprechung gewährt insbesondere dann einen Abzug auf dem Invalideneinkommen, wenn eine versicherte Person selbst im Rahmen körperlich leichter Hilfsarbeitertätigkeit in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist (BGE 126 V 75 E. 5a/bb S. 78). Sind hingegen leichte bis mittelschwere Arbeiten zumutbar, ist allein deswegen auch bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit noch kein Abzug gerechtfertigt, weil der Tabellenlohn im Anforderungsniveau 4 bereits eine Vielzahl von leichten und mittelschweren Tätigkeiten umfasst (Urteil 8C_97/2014 vom 16. Juli 2014 E. 4.2 mit Hinweis).
2.2. Ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage dar (Urteil 8C_652/2008 vom 8. Mai 2009 E. 4 in fine, nicht publiziert in: BGE 135 V 297).
 
3.
3.1. Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die Vorinstanz dem Beschwerdegegner zu Recht einen Abzug vom Tabellenlohn gewährt hat. In diesem Zusammenhang hat sie den Gutachten der MEDAS vom 27. Februar 2009 und 1. März 2012 Beweiskraft beigemessen (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352; 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Darüber hinaus hat sie festgestellt, es bestehe kein Widerspruch zwischen den beiden Gutachten. Daraus ergebe sich, dass der Beschwerdegegner in einer angepassten Tätigkeit vollzeitlich arbeitsfähig sei. Eine zumutbare adaptierte Tätigkeit sollte vor allem im Gehen ausgeübt werden. Kurzzeitiges Sitzen und noch kürzeres Stehen seien möglich; das wiederholte Heben von Lasten sei auf 10 kg limitiert. Mit dem rechten Arm könne der Versicherte sodann keine repetitiven Überkopfarbeiten mehr ausführen. Dabei sei eine Leistungsminderung von 30 % zu berücksichtigen. Diese Sachverhaltsfeststellungen beruhen weder auf einer Rechtsverletzung noch sind sie offensichtlich unrichtig. Damit sind sie für das Bundesgericht verbindlich (E. 1).
3.2. Dazu steht im Widerspruch, dass die Vorinstanz bei einer Gewichtslimite von "wahrscheinlich eher" 5 kg nur noch körperlich leichte Tätigkeiten für zumutbar hält. Sie hat erwogen, die Tatsache, dass diese Einschränkung noch nicht im verminderten Rendement enthalten sei, rechtfertige einen Abzug vom Tabellenlohn. Dabei verkennt sie, dass dem Versicherten mit Blick auf die gutachterliche Beurteilung nicht nur leichte, sondern leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zumutbar sind (so explizit das Gutachten der MEDAS vom 27. Februar 2009, S. 16). Darauf lässt schon die Gewichtslimite von 10 kg schliessen, zumal diese lediglich für repetitives Heben von Lasten gilt. Zwar erwähnte der orthopädische Experte in seinem Teilgutachten vom 2. November 2011 eine Belastungsgrenze von 5 kg. Im Weiteren und in der beweiskräftigen polydisziplinären Gesamtbeurteilung vom 1. März 2012, die er mitunterschrieben hat, legte er aber unmissverständlich eine solche von 10 kg fest. An den in dieser Hinsicht widersprüchlichen Sachverhaltsfeststellungen im vorinstanzlichen Entscheid kann nicht festgehalten werden.
Da der Versicherte somit für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten arbeitsfähig ist, liegt kein Grund für einen Abzug vom Tabellenlohn vor (E. 2.1 in fine). Auch die Tatsache, dass er mit dem rechten Arm keine repetitiven Arbeiten über Kopfhöhe ausführen kann, führt zu keinem zusätzlichen lohnrelevanten Nachteil und ist damit vernachlässigbar (vgl. Urteil 8C_534/2012 vom 4. Februar 2013 E. 4.5). Der Umstand, dass eine vollzeitlich arbeitsfähige Person krankheitsbedingt lediglich vermindert leistungsfähig ist, rechtfertigt ebenfalls keine Reduktion des Invalideneinkommens (vgl. Urteil 8C_20/2012 vom 4. April 2012 E. 3). Weitere abzugsbegründende Merkmale (zum Lebensalter: Urteil 8C_939/2011 vom 13. Februar 2012 E. 5.2.3) sind nicht ersichtlich (E. 2.1).
3.3. Bei einem Invalideneinkommen von Fr. 41'985.- und im Übrigen unveränderten Faktoren resultiert ein Invaliditätsgrad von (aufgerundet) 35 %. Dies schliesst einen Rentenanspruch aus (Art. 28 Abs. 2 IVG). Die Beschwerde ist begründet.
4. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 8. Juli 2014 wird aufgehoben und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 9. November 2012 bestätigt.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3. Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 23. Dezember 2014
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kernen
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder