BGer 1C_413/2014 |
BGer 1C_413/2014 vom 30.03.2015 |
{T 0/2}
|
1C_413/2014
|
Urteil vom 30. März 2015 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung |
1-7
|
Besetzung
|
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
|
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
|
Gerichtsschreiber Störi.
|
Verfahrensbeteiligte |
Kommission für Administrativmassnahmen im Strassenverkehr des Kantons Freiburg,
|
Beschwerdeführerin,
|
gegen1-7
|
A.________,
|
vertreten durch DAS Rechtsschutz-Versicherungs-AG,
|
Beschwerdegegner.
|
Gegenstand
|
Entzug des Führerausweises,
|
Beschwerde gegen das Urteil vom 24. Juli 2014 des Kantonsgerichts des Kantons Freiburg, III. Verwaltungsgerichtshof.1-7
|
Sachverhalt: |
A. |
B. |
C. |
D. |
Erwägungen: |
1. |
2. |
2.1. Das Gesetz unterscheidet zwischen der leichten, mittelschweren und schweren Widerhandlung (Art. 16a-c SVG). Gemäss Art. 16a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft (Abs. 1 lit. a). Die fehlbare Person wird verwarnt, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis nicht entzogen war und keine andere Administrativmassnahme verfügt wurde (Abs. 3). Gemäss Art. 16b SVG begeht eine mittelschwere Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer mittelschweren Widerhandlung wird der Führerausweis für mindestens einen Monat entzogen (Abs. 2 lit. a). Leichte und mittelschwere Widerhandlungen werden von Art. 90 Ziff. 1 SVG als einfache Verkehrsregelverletzungen erfasst (BGE 135 II 138 E. 2.4 S. 143). Gemäss Art. 16c SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer schweren Widerhandlung, welche einer groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG entspricht (BGE 132 II 234 E. 3 S. 237), wird der Führerausweis für mindestens drei Monate entzogen (Abs. 2 lit. a). Eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindestentzugsdauer ist ausgeschlossen (Art. 16 Abs. 3 SVG; zum Ganzen: Urteil 1C_424/2012 vom 15. Januar 2013 E 2.1).
|
2.2. Ein Strafurteil vermag die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht zu binden. Allerdings gebietet der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, widersprüchliche Entscheide im Rahmen des Möglichen zu vermeiden, weshalb die Verwaltungsbehörde beim Entscheid über die Massnahme von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters nur abweichen darf, wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Entscheid zugrunde legt, die dem Strafrichter unbekannt waren, wenn sie zusätzliche Beweise erhebt oder wenn der Strafrichter bei der Rechtsanwendung auf den Sachverhalt nicht alle Rechtsfragen abgeklärt, namentlich die Verletzung bestimmter Verkehrsregeln übersehen hat. In der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts - namentlich auch des Verschuldens - ist die Verwaltungsbehörde demgegenüber frei, ausser die rechtliche Qualifikation hängt stark von der Würdigung von Tatsachen ab, die der Strafrichter besser kennt, etwa weil er den Beschuldigten persönlich einvernommen hat (BGE 136 II 447 E. 3.1; 127 II 302 nicht publ. E. 3a; 124 II 103 E. 1c/aa und bb). Auch in diesem Zusammenhang hat er jedoch den eingangs genannten Grundsatz (Vermeiden widersprüchlicher Urteile) gebührend zu berücksichtigen (Urteil 1C_424/2012 vom 15. Januar 2013 E 2.3).
|
3. |
3.1. Das Einhalten eines ausreichenden Abstandes beim Hintereinanderfahren im Sinn von Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV ist von grundlegender Bedeutung für die Verkehrssicherheit, ist doch die Missachtung dieser Regel eine häufige Unfallursache (BGE 131 IV 133 E. 3.2.1 mit Hinweis). Für die Bestimmung des auch bei günstigen Verhältnissen minimal einzuhaltenden Abstands kann nach der Praxis des Bundesgerichts von der Faustregel "halber Tacho" (bzw. 1,8 Sekunden) ausgegangen werden (BGE 131 IV 133 E. 3.1; Entscheid 6B_3/2010 vom 25. Februar 2010 E. 3). Keine allgemeinen Grundsätze entwickelt hat die Rechtsprechung zur Frage, bei welchem Abstand auch bei günstigen Umständen objektiv von einer groben Verkehrsregelverletzung auszugehen ist. In der Lehre wird etwa ein Abstand von 0,6 Sekunden vorgeschlagen (BGE 131 IV 133 E. 3.2.2 mit Hinweisen). Das Bundesgericht geht bei Abständen von rund 10 m (bzw. 0,36 Sekunden) bei Tempi um die 100 km/h regelmässig von groben Verkehrsregelverletzungen aus (BGE 131 IV 133 E. 3.2.3; Urteile 1C_424/2012 vom 15. Januar 2013 E. 4.1; 1C_502/2011 vom 6. März 2012; 1C_274/2010 vom 7. Oktober 2010; 1C_7/2010 vom 11. Mai 2010).
|
3.2. Im Rapport der Gendarmerie wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, bei einem Tempo von 120 km/h während 400 m auf das vor ihm fahrende Fahrzeug einen Abstand von 5 m eingehalten zu haben. Bei einem solchen Fahrverhalten wäre nach der dargestellten Rechtsprechung klarerweise objektiv von einer groben Verkehrsregelverletzung bzw. einer schweren Widerhandlung auszugehen. Für den Präfekten von Nyon war allerdings dieser Vorwurf nicht bewiesen. In Würdigung der beiden einzigen Beweismittel - dem Verzeigungsrapport der Gendarmerie und der Einvernahme des Beschwerdeführers an der Einspracheverhandlung - kam er "in dubio pro reo" zum Schluss, erstellt sei einzig eine auf mangelnde Sorgfalt zurückzuführende, kurzzeitige Unterschreitung des genügenden Abstandes. Zu deren Ausmass äussert sich der Präfekt im Strafbefehl zwar nicht konkret. Aus der dafür verhängten sehr moderaten Busse von 190 Franken - gemäss Art. 3a VRV i.V.m. Ziff. 312 1. der Bussenliste des Anhangs 1 der Ordnungsbussenverordnung (vom 4. März 1996, SR 741.031) entfallen 60 Franken der Gesamtbusse von 250 Franken auf das unbestrittene Nichttragen der Sicherheitsgurte - ergibt sich indessen klar, dass er von einer geringfügigen, die Verkehrssicherheit nicht ernsthaft gefährdenden Unterschreitung des relevanten Sicherheitsabstandes "halber Tacho" ausging.
|
3.3. Die KAM fühlt sich an die tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls nicht gebunden, weil der Präfekt keine vollständige Sachverhaltsabklärung durchgeführt habe, indem er nur den Beschwerdeführer, nicht aber die beiden Gendarmen einvernommen und "die Tatsachen im Polizeirapport" völlig ausser Acht gelassen habe. Es bestehe daher der Verdacht, dass er nur an der schnellen Liquidierung des Dossiers interessiert gewesen sei.
|
4. |
Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1.
|
2.
|
3.
|
Lausanne, 30. März 2015
|
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
|
des Schweizerischen Bundesgerichts
|
Der Präsident: Fonjallaz
|
Der Gerichtsschreiber: Störi
|