Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
{T 0/2}
6B_499/2014
Urteil vom 30. März 2015
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Schär.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Guido Ranzi,
Beschwerdeführer,
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Parteientschädigung, Genugtuung, Schadenersatz,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 22. Januar 2014.
Sachverhalt:
A.
X.________ erklärte sich auf Anfrage seines Schwagers hin bereit, für diesen einen Koffer bei sich aufzubewahren. A.________ und B.________ sollten besagten Koffer bei X.________ abliefern. Sie wurden jedoch von der Polizei abgefangen und es stellte sich heraus, dass der Koffer mehrere Kilogramm Heroin enthielt. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau erhob am 9. Februar 2010 Anklage gegen X.________ wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Das Bezirksgericht Weinfelden sprach X.________ am 2. Mai 2013 vom Vorwurf der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz frei und richtete ihm aufgrund der zu Unrecht erstandenen Untersuchungshaft von 122 Tagen eine Genugtuung von Fr. 12'200.-- sowie eine Entschädigung für die wirtschaftliche Einbusse von Fr. 14'800.-- aus. Für seine Verteidigung wurde X.________ mit Fr. 39'150.-- einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer entschädigt. Überdies wurde seinem vormaligen Verteidiger eine zusätzliche Entschädigung von Fr. 1'087.50 zugesprochen.
B.
Am 22. Januar 2014 bestätigte das Obergericht des Kantons Thurgau auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin den Freispruch. Es gewährte X.________ jedoch weder Entschädigungen für die wirtschaftliche Einbusse und die Verteidigungskosten des erstinstanzlichen Verfahrens noch eine Genugtuung. Die Verfahrenskosten des Berufungsverfahrens wurden ihm teilweise auferlegt. Dem amtlichen Verteidiger wurde für das Berufungsverfahren eine Entschädigung von Fr. 7'398.-- zugesprochen. Mit Berichtigungsentscheid vom 2. Juni 2014 sprach das Obergericht dem amtlichen Verteidiger für das erstinstanzliche Verfahren eine vom Staat zu tragende Entschädigung von Fr. 18'257.40 zu.
C.
X.________ reicht eine Beschwerde in Strafsachen sowie eventualiter eine subsidiäre Verfassungsbeschwerde ein. Er beantragt, die Ziffern 1, 4a und 4c des obergerichtlichen Entscheids seien aufzuheben. Die Berufung der Staatsanwaltschaft sei abzuweisen. Ihm seien eine Genugtuung und Entschädigungen im Sinne des erstinstanzlichen Urteils zuzusprechen. Eventualiter sei das Verfahren an die Vorinstanz zurückzuweisen. Falls auf die Begehren betreffend Schadenersatz und Genugtuung nicht eingetreten werden könne, sei die Beschwerde hinsichtlich dieser Begehren als subsidiäre Verfassungsbeschwerde entgegenzunehmen. Schliesslich ersucht X.________ für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
D.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wurde mit Verfügung vom 14. Juli 2014 zufolge fehlender Bedürftigkeit abgewiesen.
E.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt die Abweisung der Beschwerde. Eventualiter seien ein stark reduzierter Schadenersatz von höchstens Fr. 5'000.-- und eine reduzierte Genugtuung von höchstens Fr. 4'000.-- zuzusprechen. Die Vernehmlassung des Obergerichts des Kantons Thurgau wurde verspätet eingereicht und bleibt daher unbeachtet.
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer bemängelt, das Dispositiv des obergerichtlichen Entscheids sei unklar und unvollständig, da es keine Dispositivziffer zur (nicht gewährten) Parteientschädigung respektive zum Schadenersatz und zur Genugtuung enthalte. Zudem habe es die Vorinstanz unterlassen, dem amtlichen Verteidiger für das erstinstanzliche Verfahren eine Entschädigung zuzusprechen, was gegen Art. 422 sowie Art. 135 Abs. 2 StPO verstosse. Aus diesem Grund beantragte der Beschwerdeführer am 9. April 2014 bei der Vorinstanz eine Urteilsberichtigung.
Am 2. Juni 2014 erging der Berichtigungsentscheid. Die Vorinstanz erwog, ihr sei nicht bekannt gewesen, dass der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren teilweise amtlich verteidigt gewesen sei. Sie ergänzte das Dispositiv und setzte die aus der Staatskasse zu bezahlende Entschädigung für den amtlichen Verteidiger auf Fr. 18'257.40 fest. Mit dem Berichtigungsentscheid, welcher im Übrigen unangefochten blieb, ist die gegen das vorinstanzliche Dispositiv erhobene Rüge insoweit gegenstandslos geworden. Sollte sich seine Rüge auch auf die Höhe des zugesprochenen Honorars beziehen, wäre darauf nicht einzutreten, denn die amtlich verteidigte Person ist nicht zur Rüge legitimiert, das dem amtlichen Verteidiger zugesprochene Honorar sei zu niedrig bemessen (Urteil 6B_45/2012 vom 7. Mai 2012 E. 1.2 mit Hinweisen). Aus demselben Grund ist der Beschwerdeführer auch nicht legitimiert, eine zusätzliche Entschädigung für seinen ursprünglichen amtlichen Verteidiger zu beantragen. Auf das Begehren kann nicht eingetreten werden. In Bezug auf die übrigen Beanstandungen hielt die Vorinstanz fest, sie habe die Ansprüche geprüft und aus der Urteilsbegründung gehe hervor, weshalb sie verweigert würden. Die Erwähnung im Dispositiv sei nicht erforderlich. Wie noch zu zeigen sein wird, hat die Vorinstanz betreffend Entschädigungen und Genugtuung einen neuen Entscheid zu fällen, weshalb es sich erübrigt, an dieser Stelle näher auf die diesbezüglichen Rügen des Beschwerdeführers einzugehen.
2.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die teilweise Kostenauflage sowie die Verweigerung der Genugtuung und Entschädigungen. Seine Aussagen seien weder irreführend gewesen, noch hätten sie zusätzlichen Aufwand verursacht. Im Grunde habe er lediglich die Vorhalte bestritten. Die Haft hätte gleich lang gedauert, wenn er zum Inhalt des Koffers geschwiegen hätte. Seine Aussagen seien daher nicht kausal für die Dauer des Strafverfahrens und der Untersuchungshaft. Die Länge des Verfahrens sei darauf zurückzuführen, dass der Fall einen Auslandsbezug aufweise. Schliesslich seien seine Aussagen vor dem Hintergrund zu sehen, dass er unter schweren psychischen Problemen leide und unter dem enormen Druck der Untersuchungshaft gestanden habe. Bereits die erste Instanz habe die Befragungsmethoden der Polizei kritisiert und diesbezüglich eine Verletzung der Unschuldsvermutung festgestellt. Die Verweigerung der Entschädigungen könne lediglich damit begründet werden, dass die Vorinstanz die Öffentlichkeit vor hohen Kosten und Ersatzansprüchen habe bewahren wollen. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 426, 429 Abs. 1 lit. a - c und Art. 430 StPO.
2.1. Die Kosten einer Strafuntersuchung trägt grundsätzlich der Staat (Art. 423 StPO). Wird das Strafverfahren eingestellt oder erfolgt ein Freispruch, so können die Verfahrenskosten nach Art. 426 Abs. 2 StPO dem Beschuldigten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn er rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens verursacht oder dessen Durchführung erschwert hat. Unter denselben Voraussetzungen können ihm auch die Entschädigung für die Ausübung seiner Verfahrensrechte und die erlittenen wirtschaftlichen Einbussen sowie die Genugtuung für erstandene Haft ganz oder teilweise verweigert werden (Art. 429 Abs. 1 lit. a - c i.V.m. Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO). Bei der Kostenpflicht des freigesprochenen oder aus dem Verfahren entlassenen Beschuldigten handelt es sich nicht um eine Haftung für ein strafrechtliches Verschulden, sondern um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für ein fehlerhaftes Verhalten, durch das die Einleitung oder Erschwerung eines Strafverfahrens verursacht wurde. Gemäss Art. 41 Abs. 1 OR ist zum Ersatz verpflichtet, wer einem anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit. Im Zivilrecht wird demnach eine Haftung ausgelöst, wenn jemandem durch ein widerrechtliches und - abgesehen von den Fällen der Kausalhaftung - schuldhaftes Verhalten ein Schaden zugefügt wird. Widerrechtlich im Sinne von Art. 41 Abs. 1 OR ist ein Verhalten, wenn es gegen Normen verstösst, die direkt oder indirekt Schädigungen untersagen bzw. ein Schädigungen vermeidendes Verhalten vorschreiben. Solche Verhaltensnormen ergeben sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung, unter anderem aus Privat-, Verwaltungs- und Strafrecht, gleichgültig, ob es sich um eidgenössisches oder kantonales, geschriebenes oder ungeschriebenes Recht handelt (BGE 119 Ia 332 E. 1b S. 334 mit Hinweisen). Gegen die Unschuldsvermutung von Art. 10 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verstösst es aber, in der Begründung des Entscheids, mit dem ein Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung erfolgt und dem Beschuldigten Kosten auferlegt werden oder eine Entschädigung verweigert wird, diesem direkt oder indirekt vorzuwerfen, er habe sich strafbar gemacht bzw. es treffe ihn ein strafrechtliches Verschulden (BGE 120 Ia 147 E. 3b S. 155 mit Hinweis; vgl. Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1326 Ziff. 2.10.2 und 1329 f. Ziff. 2.10.3.1). Die Unschuldsvermutung ist verletzt, wenn die Kostenauflage (offen oder verdeckt) an eine eben gerade nicht bewiesene Tatschuld anknüpft. Die Begründung der Kostenauflage darf bei einer unbefangenen Person nicht den Eindruck erwecken, die beschuldigte Person sei nach wie vor eines Delikts verdächtig oder schuldig ( YVONA GRIESSER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 9 zu Art. 426 StPO mit Hinweisen).
2.2. Die Vorinstanz begründet ihren Entscheid damit, der Beschwerdeführer sei, auch wenn ihm nicht nachgewiesen werden könne, dass er über den genauen Inhalt des Koffers Bescheid wusste, von einem "illegalen Inhalt" des Koffers ausgegangen. Wer einen Koffer mit illegalem Inhalt zur Aufbewahrung entgegennehme, müsse damit rechnen, dass er sich möglicherweise der Hehlerei oder der Gehilfenschaft zu einer anderen Straftat schuldig mache und gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet werde. Die Behörden seien verpflichtet gewesen, die näheren Umstände abzuklären. Ob sein Verhalten direkt in den Bereich von Art. 41 OR falle, sei nicht näher zu prüfen. Vielmehr habe er einen Sachverhalt geschaffen, der geeignet sei, anderen einen Schaden zu verursachen. Der Beschwerdeführer habe damit die Einleitung des Verfahrens bewirkt. Der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer wurde vom Vorwurf der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz freigesprochen. Weiterer Delikte wurde er nicht angeklagt. Indem die Vorinstanz dem Beschwerdeführer vorwirft, er habe damit rechnen müssen, sich in irgendeiner Form strafbar zu machen, macht sie ihm unerlaubterweise einen strafrechtlichen Vorwurf, ohne dass ein qualifiziert rechtswidriger und rechtsgenügend nachgewiesener Sachverhalt vorliegen würde (vgl. GRIESSER, a.a.O., N. 10 zu Art. 426 StPO; BGE 112 Ia 371 E. 2a S. 374). Gleiches gilt, soweit die Vorinstanz dem Beschwerdeführer ein in zivilrechtlicher Hinsicht relevantes Verhalten vorwirft. Der Sachverhalt ist auch diesbezüglich nicht ausreichend erstellt und die Erwägungen der Vorinstanz sind äusserst vage. Damit lässt sich die Verweigerung der Entschädigungen nicht begründen.
Die Vorinstanz erwägt weiter, das Verhalten des Beschwerdeführers während der Untersuchungshaft habe zu einer Verfahrensverzögerung geführt. Insbesondere wirft sie ihm vor, ein falsches Geständnis abgelegt zu haben. Auch damit lässt sich die Verweigerung der Entschädigungen und der Genugtuung nicht begründen. Die beschuldigte Person trifft keine Mitwirkungspflicht und sie ist nicht zur Wahrheit verpflichtet. Sie darf die Aussage verweigern. Selbst wenn das Verfahren dadurch zweifellos erschwert wird, darf dies keine Kosten nach sich ziehen ( GRIESSER, a.a.O., N. 16 zu Art. 426 StPO mit Hinweis). An einfaches Lügen beziehungsweise Bestreiten oder eine blosse Passivität dürfen keine prozessualen Nachteile geknüpft werden ( NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 160). Für eine Kostenauflage kommt allein das mutwillige, rechtsmissbräuchliche Ausüben dieser Schweige- und der Verteidigungsrechte im Allgemeinen oder das Veranlassen von weiteren unnötigen Untersuchungshandlungen in Frage. Dies ist etwa der Fall, wenn durch falsche Aussagen oder auch falsche Geständnisse aufwendige zusätzliche Abklärungen notwendig werden ( GRIESSER, a.a.O., N. 16 zu Art. 426 StPO mit Hinweisen). Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer in erster Linie vor, ein falsches Geständnis abgelegt und seine Aussagen mehrmals geändert zu haben. Welche konkreten Untersuchungshandlungen dies zur Folge hatte, führt sie nicht näher aus. Aus den Erwägungen der Vorinstanz kann nicht abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer die Strafverfolgungsbehörden absichtlich in die Irre führen wollte. Er änderte zwar seine Aussagen im Laufe des Verfahrens und gab mehrere Versionen zu Protokoll. Zudem legte er ein Geständnis ab, welches er später widerrief. Darin allein ist jedoch noch keine über das einfache Bestreiten der Tat hinausgehende Absicht oder gar ein hinterhältiges oder krass wahrheitswidriges Verhalten (vgl. WEHRENBERG/FRANK, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 13 zu Art. 430 StPO) erkennbar. Die Voraussetzungen des Art. 426 Abs. 2 sowie Art. 430 Abs. 1 StPO sind nicht erfüllt.
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann und sie nicht gegenstandslos geworden ist. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz wird über die Höhe der Genugtuung und Entschädigungen zu befinden haben. Damit braucht auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers nicht eingegangen zu werden.
4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist der Beschwerdeführer im Umfang seines Unterliegens kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Kanton Thurgau sind keine Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Er hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten und sie nicht gegenstandslos geworden ist. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 22. Januar 2014 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 500.-- auferlegt.
3.
Der Kanton Thurgau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'250.-- auszurichten.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. März 2015
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Schär