Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
6B_398/2014
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Urteil vom 30. April 2015
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Schär.
Verfahrensbeteiligte
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
Beschwerdeführerin,
gegen
X.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Wiederaufnahme des Verfahrens (Einbruchdiebstahl),
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 8. April 2014.
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Oberland, führte gegen X.________ ein Strafverfahren wegen mehrfachen Einbruchdiebstahls sowie weiterer Delikte. Hauptsächlich werden X.________ zwei Einbruchdiebstähle zur Last gelegt, welche er am 23. Dezember 2013 in A.________ und am 27. Dezember 2013 in B.________ begangen haben soll. Mit Strafbefehl vom 11. Februar 2014 sprach die Regionale Staatsanwaltschaft Oberland X.________ der erwähnten Delikte schuldig. Am 23. Dezember 2013 hatten sich in C.________ an der D.________-Strasse sowie an der E.________-Strasse und an der F.________-Strasse drei weitere (versuchte) Einbruchdiebstähle ereignet. X.________ wurde zunächst als möglicher Täter in Betracht gezogen. Mangels konkreter Beweise verfügte die Regionale Staatsanwaltschaft Oberland am 6. Februar 2014 in Bezug auf diese Einbruchdiebstähle die Nichtanhandnahme des Verfahrens.
B.
Am 25. Februar 2014 ging bei der Regionalen Staatsanwaltschaft Oberland der Bericht des Kriminaltechnischen Dienstes der Kantonspolizei Bern vom 19. Februar 2014 ein, wonach auf dem am Tatort an der D.________-Strasse in C.________ gefundenen mutmasslichen Einbruchswerkzeug, einem Fugenkratzer, eine DNA-Spur von X.________ erhoben werden konnte. Gleichentags nahm die Regionale Staatsanwaltschaft Oberland das Verfahren gegen X.________ wegen des versuchten Einbruchdiebstahls vom 23. Dezember 2013 an der D.________-Strasse in C.________ wieder auf und dehnte die Untersuchung auf die Straftatbestände des versuchten Diebstahls und der Sachbeschädigung aus.
C.
Das Obergericht des Kantons Bern hiess am 8. April 2014 die Beschwerde von X.________ gegen die Wiederaufnahmeverfügung gut und hob die Verfügung der Regionalen Staatsanwaltschaft Oberland vom 25. Februar 2014 auf.
D.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern vom 8. April 2014 sei aufzuheben. Es sei die Wiederaufnahme des Verfahrens zu verfügen und dieses sei zur Fortsetzung an die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Oberland, zu überweisen. Eventuell sei das Verfahren zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Auf die Erhebung von Kosten sei zu verzichten.
E.
X.________ ist unbekannten Aufenthaltes. Gemäss Bekanntmachung im Bundesblatt vom 24. März 2015 wurde ihm eine Frist von 10 Tagen ab der Publikation angesetzt, um zur Beschwerde Gegenbemerkungen einzureichen. Die Frist verstrich ungenützt. Das Obergericht des Kantons Bern verzichtet auf eine Vernehmlassung.
F.
Das Bundesgericht hat das Urteil öffentlich beraten (Art. 58 Abs. 1 BGG).
Erwägungen:
1.
Bewilligt die kantonale Beschwerdeinstanz die Verfahrenswiederaufnahme nicht, handelt es sich um einen Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG, gegen welchen die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist ( NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 14 zu Art. 323 StPO; Grädel/Heiniger, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 24 zu Art. 323 StPO). Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG; BGE 139 IV 199 E. 2 S. 200 f. mit Hinweis).
2.
2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, zum Zeitpunkt der Nichtanhandnahme am 6. Februar 2014 habe aus staatsanwaltschaftlicher Sicht höchstens die vage Vermutung bestanden, dass der Beschwerdegegner am versuchten Einbruchdiebstahl an der D.________-Strasse in C.________ beteiligt gewesen sein könnte. Von der auf dem Fugenkratzer gefundenen DNA-Spur habe man erst mit Zugang des Berichts des Kriminaltechnischen Dienstes der Kantonspolizei Bern (KTD) am 25. Februar 2014 Kenntnis erlangt. Die Wiederaufnahme des Verfahrens sei noch am selben Tag erfolgt. Die Vorinstanz habe verneint, dass es sich beim DNA-Treffer um ein neues Beweismittel im Sinne von Art. 323 Abs. 1 StPO handle und deshalb die Verfahrenswiederaufnahme nicht bewilligt. Die Literatur, auf welche sie sich beziehe, werde jedoch unvollständig wiedergegeben. Es könne nicht verlangt werden, dass eine Tatsache oder ein Beweismittel nur als neu anzusehen sei, wenn sie oder es der Staatsanwaltschaft im ersten Verfahren auch bei Anwendung der notwendigen Sorgfalt nicht hätte bekannt sein können. Angesichts der Masse der zu erledigenden Strafverfahren dürften an die Sorgfaltspflicht der Staatsanwaltschaft keine zu hohen Anforderungen gestellt werden.
Aus den Anzeigenrapporten vom 24. Dezember 2013 und 5. Januar 2014 sei nicht ersichtlich gewesen, dass sich auf dem Fugenkratzer eine biologische Spur befunden habe. Sie und nicht etwa der Fugenkratzer würde ein neues Beweismittel darstellen. Die Regionale Staatsanwaltschaft Oberland habe am 6. Februar 2014, rund sieben Wochen nach der Sicherstellung des Spurenmaterials, nicht mehr mit einem DNA-Fund rechnen müssen. Vielmehr habe sie darauf vertrauen dürfen, dass die Auswertung aufgrund der Tatsache, dass es sich um einen Haftfall gehandelt habe, rasch vorgenommen werde. Eine Nachfrage beim KTD hätte zu keinem anderen Resultat geführt, da auch dem KTD der DNA-Treffer zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen sei. Der Regionalen Staatsanwaltschaft Oberland könne keine ungenügende Sorgfalt oder gar ein bewusster Verzicht auf die Einbringung eines Beweismittels vorgeworfen werden. Das neue Beweismittel führe mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einer anderen Beurteilung der für die Nichtanhandnahme massgebenden Umstände, weshalb die Verfahrenswiederaufnahme zu bewilligen sei.
2.2. Die Vorinstanz erwägt, es sei bereits bei Erlass der Nichtanhandnahmeverfügung aktenkundig gewesen, dass das mutmassliche Einbruchswerkzeug am Tatort sichergestellt und dem KTD zur Auswertung übergeben worden sei. Auch wenn die Sicherstellung zuhanden des KTD dem üblichen Vorgehen entspreche und die Staatsanwaltschaft daraus nicht zwingend auf die tatsächliche Existenz einer auswertbaren biologischen Spur habe schliessen müssen, so habe die Staatsanwaltschaft zumindest um die Möglichkeit des Spurenfundes gewusst. Wenn sie trotz dieser Aktenlage und ohne Nachfrage beim KTD eine Nichtanhandnahme verfüge, sei von einem Verzicht auf die Einbringung dieses Beweismittels auszugehen. Es verstosse gegen Treu und Glauben, gestützt auf dieses Beweismittel eine Wiederaufnahme zu beschliessen. Dabei sei unerheblich, ob die Staatsanwaltschaft den Spurenfund als unwahrscheinlich erachtet habe. Entscheidend sei, ob bereits entsprechende Hinweise in den Akten vorhanden gewesen seien oder nicht. Beweismittel, die zwar im eingestellten Verfahren genannt oder sogar abgenommen, aber nicht bezüglich des ganzen Beweisthemas ausgeschöpft worden seien, seien nicht als neu zu betrachten. Bei der auf dem Fugenkratzer gefundenen DNA-Spur handle es sich somit nicht um ein neues Beweismittel im Sinne von Art. 323 Abs. 1 StPO.
2.3. Gemäss Art. 323 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme eines durch Einstellungsverfügung rechtskräftig beendeten Verfahrens, wenn ihr neue Beweismittel oder Tatsachen bekannt werden, die für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der beschuldigten Person sprechen (lit. a) und die sich nicht aus den früheren Akten ergeben (lit. b). Diese beiden Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (Urteil 6B_1015/2013 vom 8. April 2014 E. 5.1 mit Hinweisen).
Beweismittel sind neu, wenn sie zum Zeitpunkt der Nichtanhandnahme unbekannt waren. Entscheidend ist dabei, ob entsprechende Hinweise in den Akten vorhanden waren oder nicht (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1274 Ziff. 2.6.4.1). Aus dem Offizial- und Legalitätsprinzip folgt, dass die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme nur verfügen darf, wenn sie die sich aufgrund der Akten anbietenden Beweise abgenommen und bezüglich des Beweisthemas ausgeschöpft hat ( NIKLAUS SCHMID, Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Nichtanhandnahme oder Einstellung des Strafverfahrens, in: ZStrR 1991 S. 251 ff., S. 264). Beweismittel, die zwar im eingestellten Verfahren genannt oder sogar abgenommen, aber nicht bezüglich des ganzen Beweisthemas ausgeschöpft wurden, sind demnach nicht als neu zu betrachten. Umgekehrt kann nicht verlangt werden, eine Tatsache oder ein Beweismittel nur als neu anzusehen, wenn sie oder es der Staatsanwaltschaft im ersten Verfahren auch bei Anwendung der notwendigen Sorgfalt nicht hätte bekannt sein können. Angesichts der Masse der zu erledigenden Strafverfahren seitens der Untersuchungsbehörden dürfen an die Sorgfaltspflicht keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (BBl 2006 1274 f. Ziff. 2.6.4.1). Im Übrigen entsprechen die Wiederaufnahmegründe weitgehend jenen, die nach Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO eine Revision begründen ( SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 1 zu Art. 323 StPO; DERSELBE, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 1264; PIQUEREZ/MACALUSO, Procédure pénale suisse, 3. Aufl. 2011, N. 1741). Die Wiederaufnahme eines eingestellten Verfahrens ist jedoch an geringere Voraussetzungen geknüpft als die Revision eines rechtskräftigen Urteils gemäss Art. 410 ff. StPO (Urteil 6B_92/2014 vom 8. Mai 2014 E. 3.1 mit Hinweisen).
Aufgrund des Verweises in Art. 310 Abs. 2 StPO findet Art. 323 StPO auch auf die Wiederaufnahme eines durch Nichtanhandnahme erledigten Strafverfahrens Anwendung (vgl. auch Art. 11 Abs. 2 StPO). An die Wiederaufnahme sind in diesem Fall jedoch noch geringere Voraussetzungen geknüpft als an die Wiederaufnahme nach einer Einstellung (Urteil 6B_1015/2013 vom 8. April 2014 E. 5.1 mit Hinweisen).
2.4. Bereits zu Beginn des Strafverfahrens bestand gegen den Beschwerdegegner bezüglich des Einbruchsversuchs an der D.________-Strasse aufgrund der zeitlichen und örtlichen Nähe zu den übrigen Tatorten in der Region C.________ ein vager Tatver-dacht. Abgesehen von den erwähnten Umständen lagen jedoch im Zeitpunkt der Nichtanhandnahme keine konkreten Beweise vor, welche den Tatverdacht gegen den Beschwerdegegner erhärtet und eine Verurteilung möglich gemacht hätten. In den Anzeigerapporten der Berner Kantonspolizei vom 24. Dezember 2013 und 5. Januar 2014 wurde zwar festgehalten, dass am Tatort ein Tatwerkzeug sichergestellt und dem KTD zur Auswertung übergeben wurde. Es bestand damit die theoretische Möglichkeit eines Spurenfundes. Die Mitteilung des DNA-Treffers, welcher die bisher fehlende Verbindung zwischen dem Beschwerdegegner und dem mutmasslichen Einbruchswerkzeug herstellt, erfolgte jedoch erst am 25. Februar 2014 und somit rund 20 Tage nach der Nichtanhandnahme. Damit steht fest, dass der Spurenfund der Staatsanwaltschaft bei Erlass der Nichtanhandnahmeverfügung nicht bekannt war. Das Beweismittel ergab sich auch nicht aus den bisherigen Akten, bestand doch lediglich eine theoretische Möglichkeit eines Spurenfundes. Der Staatsanwaltschaft kann unter diesen Umständen weder mangelnde Sorgfalt noch ein Verstoss gegen den Grundsatz von Treu und Glauben vorgeworfen werden. Ein solcher würde vorliegen, wenn die Staatsanwaltschaft Kenntnis von einem Beweismittel oder einer erheblichen Tatsache gehabt, diese aber aus irgendwelchen Gründen bewusst nicht in das Verfahren eingebracht hätte (BBl 2006 1275 Ziff. 2.6.4.1). Vorliegend gibt es jedoch keine Hinweise auf ein absichtliches Vorenthalten des Beweismittels durch die Staatsanwaltschaft. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das neue Beweismittel zu einer anderen Beurteilung der entscheidenden Umstände führen wird, als in der Nichtanhandnahmeverfügung angenommen (vgl. Urteil 1B_662/2011 vom 26. Januar 2012 E. 3.1). Die DNA-Spur stellt somit ein neues Beweismittel im Sinne von Art. 323 Abs. 1 StPO dar. Die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme sind erfüllt und die Beschwerde ist gutzuheissen.
3.
Der Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern vom 8. April 2014 ist aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Gestützt auf Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG ist umständehalber auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten. Der Kanton Bern hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG). Das Dispositiv des vorliegenden Urteils wird dem Beschwerdegegner auf dem Ediktalweg mittels Publikation im Bundesblatt eröffnet. Das für den Beschwerdegegner bestimmte Exemplar des begründeten Entscheids wird einstweilen im Dossier deponiert.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern vom 8. April 2014 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich sowie dem Beschwerdegegner durch Publikation des Dispositivs im Bundesblatt mitgeteilt.
Lausanne, 30. April 2015
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Schär