BGer 1C_71/2015
 
BGer 1C_71/2015 vom 23.06.2015
{T 0/2}
1C_71/2015
 
Urteil vom 23. Juni 2015
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Kneubühler,
Gerichtsschreiberin Gerber.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Franz A. Wolf,
gegen
Erbengemeinschaft B.________, bestehend aus:
1. C.B.________,
2. D.B.________,
3. E.B.________,
4. F.B.________,
Politische Gemeinde Schönholzerswilen,
handelnd durch den Gemeinderat Schönholzerswilen,
Amt für Raumentwicklung des Kantons Thurgau,
Departement für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau.
Gegenstand
Baubewilligung ausserhalb der Bauzone,
Beschwerde gegen den Entscheid vom 17. Dezember 2014 des Verwaltungsgerichts
des Kantons Thurgau.
 
Sachverhalt:
 
A.
 
B.
 
C.
 
D.
 
E.
 
F.
 
Erwägungen:
 
1.
 
2.
2.1. Zunächst rügt sie eine Verletzung der Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV), weil das verwaltungsgerichtliche Urteil zu den Fragen der Zonenkonformität, der inneren Aufstockung und der Möglichkeit einer Ausnahmebewilligung nicht bzw. nicht genügend begründet sei.
2.2. Unbegründet ist auch die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) durch eine für die Beschwerdeführerin völlig überraschende rechtliche Begründung, zu der sie vorgängig hätte angehört werden müssen. Das Verwaltungsgericht ist im Wesentlichen der Argumentation der Beschwerdegegnerin gefolgt, zu der sich die Beschwerdeführerin im Schriftenwechsel vor Verwaltungsgericht ausreichend äussern konnte.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat das Verwaltungsgericht den Bestand der bereits erteilten rechtskräftigen Ausnahmebewilligungen nicht in Frage gestellt, sondern erwähnte diese lediglich als Beleg für die Zonenwidrigkeit des Viehhandels und die Notwendigkeit einer planerischen Grundlage für weitere Bauten und Anlagen. Im Dispositiv des verwaltungsgerichtlichen Entscheids wurden nur der angefochtene Rekursentscheid des DBU und die Baubewilligung vom 16. September 2013 aufgehoben, die Streitgegenstand des Verfahrens bildeten. Damit erweist sich auch der Vorwurf der Beschwerdeführerin, das Verwaltungsgericht habe den Streitgegenstand und damit seine funktionelle Zuständigkeit überschritten, als unbegründet.
 
3.
3.1. Es ist unstreitig, dass die Kälbermast bodenunabhängig ist, da die Kälber mit Milchpulver bzw. Buttermilch gefüttert werden (vgl. Rekursentscheid DBU S. 6 f.). Zu prüfen ist daher, ob die dafür bestimmten Kälberbuchten im Rahmen der inneren Aufstockung (Art. 16a Abs. 2 RPG i.V.m. Art. 36 RPV) bewilligt werden können.
3.2. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die innere Aufstockung eine bodenabhängige Landwirtschaft voraussetze. Dies wird von der Beschwerdeführerin zu Unrecht bestritten: Wie bereits der Ausdruck "innere Aufstockung" zum Ausdruck bringt, geht es darum, einen überwiegend bodenabhängig geführten Betrieb mit Bauten und Anlagen für die bodenunabhängige Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu ergänzen (Botschaft des Bundesrats zu einer Teilrevision des RPG vom 22. Mai 1996, BBl 1996 III Ziff. 111.2 S. 517; BGE 129 II 413 E. 3.2 S. 415 f.). Auch wenn die Voraussetzungen für die innere Aufstockung durch verschiedene RPV-Revisionen gelockert worden sind, muss weiterhin eine bodenabhängige landwirtschaftliche Nutzung vorhanden sein, die aufgestockt werden kann. Davon gehen auch die Art. 36 f. RPV aus, welche das zulässige Mass der bodenunabhängigen Produktion bestimmen; diese muss gegenüber der bodenabhängigen Produktion eine untergeordnete Rolle einnehmen ( WALDMANN/HÄNNI, Handkommentar RPG, Art. 16a N. 19; ALEXANDER RUCH, in: Aemisegger/Kuttler/Moor/Ruch [Hrsg.], Kommentar RPG, Art. 16a RPG N. 43). Bauten und Anlagen für eine ausschliesslich oder überwiegend bodenunabhängige Produktion dürfen nur in vom Kanton in einem Planungsverfahren dafür freigegebenen speziellen Landwirtschaftszonen erstellt werden ( RUCH, a.a.O., Art. 16 N. 23 und Art. 16a N. 10).
 
4.
4.1. Das Landwirtschaftsamt ging in seiner Stellungnahme davon aus, dass der Viehhandelsbetrieb der Beschwerdeführerin nicht unter den Begriff "Landwirtschaft" falle, weil die Tiere, die in den Stallungen stehen, nicht auf dem Betrieb aufgewachsen seien. Allerdings dürfe nicht ausser Acht gelassen werden, dass die Tiere während ihres Aufenthalts täglich gefüttert und gemolken würden und es sich dabei ausschliesslich um Wiederkäuer und Raufutterverzehrer handle. Der Umschlagplatz eines Grossviehhandelsbetriebs stelle deshalb ein landwirtschaftliches Gewerbe dar, dessen Besonderheit darin bestehe, dass der Tierbestand täglich wechsle.
4.2. Das Verwaltungsgericht vertrat dagegen die Auffassung, dass es nicht möglich sei, zwischen Bauten und Anlagen für den Viehhandel einerseits und die Milchwirtschaft andererseits zu trennen. Im Gesuchsformular ARP sei ausdrücklich auf den Handel mit Kälbern hingewiesen worden. Aufgrund der maximalen Platzzahl von 146 Grossvieheinheiten (GVE) und dem deklarierten Handelsumfang von 1'600 Tieren pro Jahr (mit einer geplanten Erhöhung auf 2'000 Tiere) ergebe sich eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Tiere von nur rund einem Monat. Das ARE/TG sei schon bei der Erteilung der Ausnahmebewilligung 2006 für den Händlerstall von einem intensiven Viehhandel ausgegangen. Milchwirtschaft und Kälberaufzucht seien ein notwendiges Nebenprodukt beim vorübergehenden Halten und Handeln mit Milchkühen.
4.3. Die Beschwerdeführerin macht dagegen geltend, dass sie neben dem Viehhandel einen eigenen bodenabhängigen Milchbetrieb betreibe. Der Viehhandel spiele gegenüber dem Landwirtschaftsbetrieb nur eine untergeordnete Rolle, mit einem Anteil von nur 28 % am Bruttogewinn. Die streitigen Kälberbuchten dienten zu 80 % der Haltung von eigenen Kälbern und nur zu 20 % der Haltung von Kälbern von Handelskühen. Sie belegt allerdings diese Behauptung nicht. Insbesondere hat sie keine Unterlagen eingereicht, aus denen sich ergibt, dass sie eigene Milchkühe hält, die längerfristig im Betrieb verbleiben und nicht gehandelt werden. Die vorinstanzlich eingereichte Bestätigung der G.________ AG, wonach die Sparte Milch/ Landwirtschaft 72 % des Bruttogewinns erwirtschafte, gegenüber nur 28 % durch den Nutztierhandel, lässt die Kriterien für die Sparten-Aufteilung vermissen und ist ohnehin als Parteibehauptung zu werten. Die Beschwerdegegnerin vermag damit den vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt nicht als offensichtlich unrichtig erscheinen zu lassen (Art. 105 Abs. 2 BGG). Für diesen spricht auch der Projektbeschrieb vom 6. August 2012, wonach sich der Betrieb durch einen grossen Viehwechsel auszeichne und ein dringender Bedarf an neuen Tierplätzen für den Viehhandel bestehe, namentlich für den Tränkekälberhandel.
Mit dem Verwaltungsgericht ist daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin keine vom Viehhandel unabhängige Milchwirtschaft betreibt, sondern im Wesentlichen die beim Handel mit Milchkühen anfallende Milch verwertet.
 
5.
5.1. In zwei Urteilen zu aArt. 16 RPG (in der bis zum 1. September 2000 geltenden Fassung) führte das Bundesgericht aus, dass der Viehhandel nur dann als landwirtschaftliche Tätigkeit betrachtet werden könne, wenn er als unmittelbare Folge des Futteranbaus und der damit direkt verbundenen Tierhaltung betrieben werde. Hierunter falle der Kauf von Jungtieren zur eigenen Aufzucht oder der Verkauf von selber grossgezogenen Tieren, immer unter der Voraussetzung eines genügenden betriebseigenen Futtermittelanbaus (Urteil 1A.67/1993 vom 18. Januar 1994 E. 3a, in: Blätter für Agrarrecht 1995 S. 34; Urteil A 406/81 vom 1. März 1982, in: Informationshefte BRP Nr. 4/82 S. 20 E. 5a).
5.2. Seit der Teilrevision des RPG vom 20. März 1998 stellt der Gesetzgeber zwar für die Definition der Landwirtschaft nicht mehr auf die bodenabhängige Produktion, sondern nur noch auf die Erzeugung von pflanzlichen und tierischen Produkten ab (sog. Produktemodell, vgl. Botschaft 1996, BBl 1996 III 523 f.; Urteil 1A.110/2001 vom 4. Dezember 2001 E. 4.2, in: ZBl 103/2002 S. 615; RDAF 2003 I S. 389; WALDMANN/HÄNNI, a.a.O., Art. 16 RPG N. 12). Dagegen bleibt es dabei, dass Bauten und Anlagen (ausser in den Fällen von Art. 16a Abs. 2 und 3 RPG) in der Landwirtschaftszone nur zonenkonform sind, wenn sie der bodenabhängigen Bewirtschaftung dienen (oben E. 3). Für die Definition der Bodenabhängigkeit kann daher weiterhin auf die bisherigen, zu aArt. 16 RPG entwickelten Abgrenzungskriterien abgestellt werden (Urteil 1C_561/2012 vom 4. Oktober 2013 E. 2.4.4, in: ZBl 116/2015 S. 218 mit Hinweisen).
5.3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Viehhandel sei bodenabhängig, weil die Tiere im Wesentlichen auf der Grundlage der auf dem Betrieb produzierten Futtermittel ernährt würden. Sie verweist hierfür auf den Rekursentscheid des DBU und die Stellungnahme des Landwirtschaftsamts Thurgau vom 8. Dezember 2013.
5.4. Im Übrigen hat bereits das DBU festgehalten, dass die Tiere, die in den Stallungen stehen, nicht (auch nicht zur Hälfte) auf dem Betrieb aufgewachsen sind. Damit ist der Bezug zum (eigenen und zum gepachteten) Boden der Beschwerdeführerin nicht eng genug, um von einem bodenabhängigen Landwirtschaftsbetrieb auszugehen. Zwar müssen die Tiere während ihres kurzen Aufenthalts auf dem Betrieb täglich gefüttert und die Milchkühe gemolken werden. Der Boden ist aber für diese Betriebsform als Produktionsfaktor entbehrlich. Die Beschwerdeführerin hat denn auch in ihrem Projektbeschrieb vom 6. August 2012 selbst ausgeführt, dass es für sie sinnvoller sei, mit Landwirtschaftsbetrieben in der Umgebung zusammenzuarbeiten, um von diesen Futterbauprodukte zu beziehen und Hofdünger abzugeben, anstatt eigene landwirtschaftliche Nutzflächen zu bearbeiten. Ein Weidegang findet unstreitig nicht statt. Das Verwaltungsgericht durfte daher willkürfrei davon ausgehen, dass der Abschluss von Pachtverträgen im Oktober 2013 (per Anfang 2015) lediglich erfolgte, um die Anerkennung als landwirtschaftlichen Betrieb zu erreichen.
Schliesslich berücksichtigte das Verwaltungsgericht im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung auch die Intensität des Viehhandels (mit 1'600 bzw. künftig 2'000 Tieren pro Jahr), die dafür mittels Ausnahmebewilligungen errichteten Bauten und Anlagen wie auch die zahlreichen Lastwagentransporte und den Publikumsverkehr als Indiz gegen die Zonenkonformität in der Landwirtschaftszone. Auch dies ist nicht zu beanstanden. Unter diesen Umständen ist die Qualifikation des Betriebs als bodenunabhängiger Grossgewerbebetrieb nicht zu beanstanden.
5.5. Fehlt es nach dem Gesagten an einem (ganz oder überwiegend) bodenunabhängigen landwirtschaftlichen Betrieb, kommt eine innere Aufstockung gemäss Art. 16a Abs. 2 RPG nicht in Betracht.
 
6.
6.1. Die Beschwerdeführerin bringt dagegen nichts Substanzielles vor. Das Bestehen einer Planungspflicht lässt sich auch nicht ernsthaft in Frage stellen:
Dieses Vorgehen, etappenweise einen zonenwidrigen Tierhandelsgrossbetrieb in der Landwirtschaftszone zu bewilligen, ist unzulässig. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich um ein landschaftlich empfindliches Gebiet handelt: Der Freihof befindet sich in einem kantonalen Landschaftsentwicklungskonzept mit Vorrang Landschaft und dem Vernetzungskorridor Nr. 533, nur rund 600 m unterhalb vom Weiler Wertbühl, der gemäss ISOS als Weiler von nationaler Bedeutung eingestuft wurde, u.a. wegen der unverbauten Lage.
6.2. Unter diesen Umständen können ohne planerische Grundlage, die ein Gesamtkonzept voraussetzt, keine weiteren Bauten und Anlagen bewilligt werden. Es ist Sache der Vollzugsbehörde, die notwendigen Wiederherstellungsmassnahmen für die bereits errichteten, aber nicht (oder nur provisorisch) bewilligten Bauten und Anlagen anzuordnen.
 
7.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Die Beschwerdeführerin hat die private Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4'000.-- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, der Politischen Gemeinde Schönholzerswilen, dem Amt für Raumentwicklung, dem Departement für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau sowie dem Bundesamt für Raumentwicklung schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. Juni 2015
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Die Gerichtsschreiberin: Gerber