BGer 9C_238/2015
 
BGer 9C_238/2015 vom 06.07.2015
{T 0/2}
9C_238/2015
 
Urteil vom 6. Juli 2015
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Fessler.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführerin,
gegen
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Abteilung Beiträge und Zulagen,
Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung
(Beiträge; Nichterwerbstätige),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 12. März 2015.
 
Sachverhalt:
A. Mit Einspracheentscheid vom 3. Juni 2014 und Verfügungen vom selben Tag setzte die Ausgleichskasse des Kantons Bern die von A.________ für 2009 bis 2013 geschuldeten Beiträge als Nichterwerbstätige samt Verwaltungskostenbeiträge (neu) fest.
B. Die Beschwerde von A.________ wies die Sozialversicherungsrechtliche Abteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern mit Entscheid vom 12. März 2015 ab, wobei sie in Abänderung des angefochtenen Einspracheentscheids für 2011 und 2012 höhere Beiträge festsetzte.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, der Entscheid vom 12. März 2015 sei aufzuheben und die Sache zur Neuberechnung an die Ausgleichskasse zurückzuweisen.
Die Ausgleichskasse ersucht um Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
1. Aufgrund der Beschwerdebegehren sind Streitgegenstand die Beiträge, welche die Beschwerdeführerin als Nichterwerbstätige nach Art. 10 Abs. 1 AHVG für 2009 bis 2014 zu entrichten hat (BGE 133 II 35 E. 2 S. 38). In Bezug auf die Beiträge für 2014 fehlt es indessen an einem Anfechtungsgegenstand und damit an einer Sachurteilsvoraussetzung (BGE 125 V 413 E. 1a S. 414), unterliegt die Verfügung vom 3. Juni 2014 betreffend das Jahr 2014 doch zunächst der Einsprache, wie die Beschwerdegegnerin richtig einwendet. Hinsichtlich der Beiträge für 2013 sodann fehlt jegliche Begründung, inwiefern der angefochtene Entscheid diesbezüglich Bundesrecht verletzen soll (Art. 95 lit. a BGG). Dieses Jahr hat somit ebenfalls ausser Betracht zu bleiben (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 171 E. 1.4 S. 176; Urteil 2C_413/2014 vom 11. Mai 2014 E. 2.1).
 
2.
2.1. Die Vorinstanz hat der Bemessung der Nichterwerbstätigenbeiträge für 2009 bis 2011 folgende Renteneinkommen nach Art. 28 Abs. 1 AHVV zugrunde gelegt: Fr. 40'306.- (Fr. 21'106.- + Fr. 19'200.-), Fr. 59'593.- (Fr. 21'306.- + Fr. 38'287.-) und Fr. 30'906.- (Fr. 21'306.- + Fr. 9'600.-). Die Beträge von Fr. 19'200.-, Fr. 38'287.- und Fr. 9'600.- hatte die Beschwerdeführerin in den Steuererklärungen der betreffenden Jahre unter "Nicht steuerbare Einkünfte" deklariert. Gemäss Vorinstanz waren sie (indes) rechtskräftig als steuerbare Einkünfte qualifiziert worden. Das habe auch für das vorliegende beitragsrechtliche Verfahren zu gelten, zumal der Beschwerdeführerin Gelegenheit gegeben worden sei, die geltend gemachten Rückzahlungen der von ihr angeblich gewährten zinslosen Darlehen zu belegen, worauf sie jedoch nicht reagiert habe.
2.2. Die Beschwerdeführerin rügt, die bei der Bemessung der Beiträge als Nichterwerbstätige beim Renteneinkommen nach Art. 28 Abs. 1 AHVV berücksichtigten Fr. 19'200.- (2009), Fr. 38'287.- (2010) und  Fr. 9'600.- (2011) seien entgegen der Feststellung der Vorinstanz nicht als steuerbare Einkünfte qualifiziert worden. Das hätte mit einer einfachen Anfrage beim Steueramt, dem sie alle Unterlagen abgeliefert habe, geklärt werden können. Die betreffenden Beträge seien daher ausser Acht zu lassen. Insoweit beruhe der angefochtene Entscheid auf einer offensichtlich unrichtigen und unvollständigen Sachverhaltsfeststellung, was Bundesrecht verletze (Art. 95 lit. a und Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 135 V 23 E. 2 S. 25).
 
3.
3.1. Die in den Steuerklärungen 2010 und 2011 als nicht steuerbare Einkünfte deklarierten Fr. 38'287.- und Fr. 9'600.- wurden gemäss den in den vorinstanzlichen Akten befindlichen rechtskräftigen Steuerveranlagungsentscheiden für 2010 und 2011 nicht zum Steuersubstrat gezählt; sie wurden zwar in den letzten beiden Kolonnen ("Steuerbar", "Zum Satz von") aufgeführt, jedoch bei der Berechnung des "Total Einkünfte" nicht berücksichtigt, was sich leicht verifizieren lässt. Dasselbe gilt auch für die Fr. 19'200.- in der Steuererklärung 2009, wie der in diesem Verfahren - zulässigerweise (Art. 99 Abs. 1 BGG) - eingereichte Einspracheentscheid der kantonalen Steuerverwaltung vom 13. Juni 2012 zeigt. Die Feststellung der Vorinstanz, die betreffenden Summen seien rechtskräftig als steuerbare Einkünfte qualifiziert worden (vorne E. 2), ist somit offensichtlich unrichtig und es kann grundsätzlich nicht darauf abgestellt werden (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).
 
3.2.
3.2.1. Im Sozialversicherungsverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz. Danach haben der Versicherungsträger oder das Durchführungsorgan und im Beschwerdefall das kantonale Versicherungsgericht von sich aus für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu sorgen. Die Versicherten resp. die Parteien trifft eine Mitwirkungspflicht (Art. 43 Abs. 1 ATSG und Art. 61 lit. c ATSG; BGE 136 V 376 E. 4.1.1 S. 377; 110 V 48 E. 4a S. 52). In diesem Sinne rechtserheblich sind alle Tatsachen, von deren Vorliegen es abhängt, ob über den streitigen Anspruch so oder anders zu entscheiden ist ( Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. 1983, S. 43 und 273; Urteil 9C_818/2013 vom 24. Februar 2014   E. 4.1.1 mit Hinweis). Dazu zählen vorliegend die in den Steuererklärungen 2009 bis 2011 als nicht steuerbare Einkünfte deklarierten und auch nicht besteuerten Fr. 19'200.-, Fr. 38'287.- und Fr. 9'600.- mit Bezug auf die Frage, ob sie Renteneinkommen nach Art. 28 Abs. 1 AHVV darstellen oder nicht.
Die Mitwirkungspflicht obliegt der versicherten Person vor allem in Bezug auf Tatsachen, die sie besser kennt als die (Verwaltungs- oder Gerichts-) Behörde und welche diese sonst gar nicht oder nicht mit vernünftigem Aufwand erheben könnte (BGE 132 II 113 E. 3.2 S. 115; Urteile 1D_2/2014 vom 11. März 2015 E. 5.2, 1C_360/2008 vom  11. Mai 2009 E. 3.2.2 und 9C_137/2007 vom 21. April 2008 E. 4.2, in: RtiD 2008 II S. 292 E. 4.2). Aus der Beweislastverteilung dürfen nicht Mitwirkungspflichten abgeleitet werden, die sich nicht aus dem Gesetz oder nach Treu und Glauben ergeben (Urteil 2C_388/2008 vom   16. Dezember 2008 E. 4.1).
3.2.2. Nach Art. 29 Abs. 4 AHVV ermitteln die Ausgleichskassen das Renteneinkommen; sie arbeiten dabei mit den kantonalen Steuerbehörden zusammen.
Die Beschwerdeführerin hatte in den Steuererklärungen 2009, 2010 und 2011 zur Art der nicht steuerbaren Einkünfte folgende Angaben gemacht: Fr. 19'200.- "Mutter", Fr. 38'287.- "Zinsloses Darlehen, Stipendien", Fr. 9'600.- "Zinsloses Darlehen". Die Steuerbehörde akzeptierte die Selbsteinschätzung als nicht der Steuer unterliegende Einkommen. Es wäre sowohl für die Beschwerdegegnerin als auch für die Vorinstanz ein Leichtes gewesen, zur Klärung der Hintergründe vorab die Steuerakten beizuziehen. Hätten danach immer noch Unklarheiten bestanden, wäre es an der Beschwerdeführerin gelegen, weitere Angaben zu machen und Beweismittel einzureichen, um die Art der als nicht steuerbar deklarierten Einkünfte zu belegen. Indem das kantonale Gericht direkt die Beschwerdeführerin aufforderte, Beweismittel zum Beleg der "geltend gemachten Rückzahlungen der von ihr gewährten zinslosen Darlehen" einzureichen, und infolge deren Schweigen keine Weiterungen getroffen hat, hat es den Untersuchungsgrundsatz verletzt.
3.3. Die Rüge der unvollständigen Sachverhaltsabklärung in Bezug auf die Nichterwerbstätigenbeiträge für 2009 bis 2011 ist somit begründet. Die Vorinstanz wird darüber nach Beizug der Steuerakten neu zu entscheiden haben.
4. Hinsichtlich der Beiträge für 2012 hat die Vorinstanz auf die rechtskräftige steuerliche Ermessenstaxation für dieses Jahr abgestellt. Zur Begründung hat sie angeführt, die Beschwerdegegnerin habe - zu Recht - für 2009 bis 2011 ebenfalls auf die rechtskräftigen Steuerveranlagungen für die betreffenden Jahre abgestellt und für das Jahr 2012 würden keine anderweitigen (und zuverlässigen) Angaben zum Renteneinkommen vorliegen. Dagegen wendet die Beschwerdeführerin ein, es bestehe kein Grund, für 2012 von anderen Rentenzahlungen auszugehen als die Jahre vorher oder nachher.
Die vorinstanzliche Argumentation verkennt, dass der Begriff des Renteneinkommens gemäss Art. 28 Abs. 1 AHVV unabhängig vom Begriff der Rente oder des Einkommens im Sinne des Steuerrechts ist (Urteil 9C_617/2014 vom 15. März 2015 E. 3.2.2 in fine mit Hinweisen). Die Ausgleichskassen haben somit grundsätzlich eigenständig ohne Bindung an den Steuerentscheid zu beurteilen, ob bestimmte Einkünfte für die Beitragsbemessung bei Nichterwerbstätigen massgebendes Renteneinkommen darstellen. Auch mit Bezug auf das Beitragsjahr 2012 wird die Vorinstanz somit die Nichterwerbstätigenbeiträge neu festzusetzen haben.
5. Ausgangsgemäss wird die Beschwerdegegnerin kostenpflichtig  (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin ist nicht anwaltlich vertreten, weshalb ihr keine Parteientschädigung zuzusprechen ist  (Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 133 III 439 E. 4 S. 446).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 12. März 2015 und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Bern vom 3. Juni 2014, soweit die Beitragsjahre 2009 bis 2012 betreffend, werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 6. Juli 2015
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Glanzmann
Der Gerichtsschreiber: Fessler