BGer 5A_539/2015 |
BGer 5A_539/2015 vom 10.07.2015 |
{T 0/2}
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5A_539/2015
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Urteil vom 10. Juli 2015 |
II. zivilrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter von Werdt, Präsident,
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Bundesrichter Marazzi, Bovey,
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Gerichtsschreiber Möckli.
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Verfahrensbeteiligte |
B.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Silvio Mayer,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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A.________,
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vertreten durch Rechtsanwältin Fabienne Brunner,
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Beschwerdegegnerin,
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C.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Oliver Bulaty.
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Gegenstand
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Kindesrückführung (Abänderung),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
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des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, vom 29. Juni 2015.
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Sachverhalt: |
A. A.________ und B.________, beide Jahrgang 1975, sind die Eltern der am xx.xx.2005 als ihr eheliches Kind in Acapulco geborenen Tochter C.________. Im Juni 2014 reiste der Vater mit der Tochter im Einverständnis der Mutter für Ferien in die Schweiz. Er versprach der Mutter, das Kind am 16. September 2014 wieder zurück nach Mexiko zu bringen. Am 24. August 2014 teilte er ihr mit, er werde C.________ nicht mehr nach Mexiko reisen lassen. Die Mutter stellte ein Gesuch nach dem Haager Rückführungsübereinkommen.
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B. Das Obergericht des Kantons Aargau wies das Gesuch mit Entscheid vom 19. Februar 2015 ab. In dahingehender Gutheissung der Beschwerde der Mutter wies das Bundesgericht mit Urteil vom 30. April 2015 (Verfahren 5A_229/2015) die Sache mit der verbindlichen Vorgabe der Rückführung von C.________ zur weiteren Behandlung im Sinn der Erwägungen (konkrete Regelung der Rückführung) an das Obergericht zurück. Mit Entscheid vom 6. Mai 2015 ordnete dieses in Gutheissung des Rückführungsgesuchs die Rückführung von C.________ nach Mexiko an und regelte die konkreten Modalitäten der Rückführung. Die hiergegen erhobene Beschwerde des Vaters wies das Bundesgericht mit Urteil vom 22. Juni 2015 ab, soweit es darauf eintrat (Verfahren 5A_429/2015).
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C. Am 21. Mai 2015 reichte der Vater vor Obergericht ein Abänderungsgesuch ein, mit welchem er verlangte, der Entscheid vom 6. Mai 2015 sei in Wiedererwägung zu ziehen, auf den Vollzug der Rückführung sei zu verzichten und es sei eine Begutachtung von C.________ zur Klärung der Frage einer schweren psychologischen Schädigung bei einer Rückführung nach Mexiko sowie zur Reisefähigkeit anzuordnen.
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D. Gegen den Entscheid vom 29. Juni 2015 hat der Vater am 8. Juli 2015 eine Beschwerde eingereicht mit den Begehren, in Änderung der Ziff. 1 und 3 dieses Entscheides sei der Rückführungsentscheid vom 6. Mai 2015 abzuändern und auf eine Rückführung zu verzichten, sei die mit Entscheid vom 29. Mai 2015 verfügte Kontaktbeschränkung aufzuheben, sei die Kantonspolizei Aargau anzuweisen, die angeordneten Eintragungen in den Fahndungssystemen zu löschen und seien die sich in den Akten befindenden Reisedokumente auszuhändigen. Sodann wird ein Antrag auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt; die Mutter ist durch den vorliegenden Entscheid nicht beschwert und der Kinderanwalt hätte gegen den angefochtenen Entscheid selbständig Beschwerde erheben können. Das Gutachten wurde durch das Obergericht des Kantons Aargau per Fax gesendet.
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Erwägungen: |
1. Fristgerecht angefochten ist der kantonale Abänderungsentscheid betreffend einen Rückführungsentscheid. Der Abänderungsentscheid stützt sich auf Art. 13 Abs. 1 BG-KKE und ist in gleicher Weise anfechtbar wie der Rückführungsentscheid selbst. Die Eintretensvoraussetzungen für die Beschwerde in Zivilsachen sind im Einzelnen erfüllt (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 BGG, Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 BG-KKE, Art. 90 BGG und Art. 100 Abs. 2 lit. c BGG).
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2. Das Obergericht hat sich bei seinem Entscheid auf das ausführliche Gutachten von Dr. med. E.________ gestützt, welches dem Kind die Reisefähigkeit attestiert und eine schwere Schädigung durch die Rückführung verneint. Gemäss Gutachten wurde C.________ von allen Fachleuten, welche in F.________ und in G.________ mit ihr zu tun hatten, als gesundes, aufgewecktes, für ihr Alter erstaunlich reifes und insgesamt sehr resilientes, d.h. psychisch widerstandsfähiges Mädchen wahrgenommen, ohne dass Hinweise auf akute Selbstgefährdung zu erheben gewesen wären. Insbesondere habe C.________ auch die Flucht mit der Grossmutter nach Frankreich sowie die dortige Verhaftung und Rückführung in die Schweiz durch die Polizei gut verkraftet. Grundsätzlich entspreche ihre Situation einem heftigen Nachtrennungskonflikt. Sie berichte über die Familiensituation wie folgt: "Mein Vater sagt in mein rechtes Ohr schwarze Schokolade, meine Mutter in mein linkes Ohr weisse Schokolade und deshalb sage ich selbst braune Schokolade." Mit einem anderen Bild habe sie gemeint: "Es ist, wie wenn mein Vater von rechts an meinen Haaren ziehen würde und meine Mutter von links." C.________ meine, irgendwie müsse sie für den Vater und die Mutter schauen. Der Vater habe ihr auch schon vermittelt, er könnte sich etwas antun, wenn sie nicht mehr bei ihm sei. Darum gebeten, auf einer Linie anzuzeichnen, ob es sie eher zum Vater oder zur Mutter hinziehe, habe sie das Kreuz mit aller Klarheit genau in die Mitte der Linie gesetzt, was bedeute, dass für sie beide Elternteile gleich wichtig seien. Sie leide stark unter der Situation, sei damit überfordert und wisse keinen Ausweg. Die Frage nach dem Kindeswillen in Bezug auf einen Verbleib in der Schweiz oder einer Rückkehr nach Mexiko ziele am Problem von C.________ vorbei: Ihr Wille sei vielmehr, mit beiden Eltern in regelmässigem Kontakt zu sein, nachdem ihr kindgemäss grösster Wunsch nach Wiedervereinigung der Familie nicht erfüllbar sei. Mit dieser Perspektive sei sowohl ein Verbleib in der Schweiz unter Rückkehr der Mutter nach Mexiko als auch eine Rückkehr nach Mexiko ohne Vater nicht das, was ihrem Willen entspreche. Würde sie von der väterlichen oder der mütterlichen Seite aktuell nach ihrem Willen befragt, so sei zu erwarten, dass sie jeweils jene Antwort geben würde, von der sie meine, dass man sie von ihr erwarte. In Beantwortung der konkreten Fragen des Gerichts hielt der Gutachter schliesslich fest, dass C.________ derzeit reisefähig und auch ihre körperliche Fähigkeit zu einer Flugreise etabliert sei. Die Frage nach einer ernsthaften und dauernden psychischen oder physischen Schädigung beantwortete er dahingehend, dass die starke Ablehnungshaltung gegenüber der Mutter hinfällig sei, weil C.________ sehr schnell und spontan mit der Mutter Kontakt verlangt habe, als sie verstanden gehabt habe, dass dies für sie wichtig sei, und in der Folge weder aus den Aussagen ihm gegenüber noch aufgrund der Beobachtungen der Betreuungspersonen Hinweise auf eine Ablehnungshaltung gegenüber der Mutter festzustellen gewesen seien. In Bezug auf die Frage nach kindsgerechter Rückführung bei einer Abwehrhaltung hielt der Gutachter fest, dass eine problemlose Umsetzung möglich sei, wenn sich die Eltern auf eine gemeinsame Position einigen könnten, während andernfalls die Gefahr eines Widersetzens weiterhin bestehen könne, jedenfalls soweit C.________ nicht glaubhafte Garantien habe, dass sie auch zum Vater regelmässigen Kontakt behalten könne. Die Frage nach der Gefahr einer ernsthaften und dauernden Gesundheitsschädigung bei Vollzug der Rückführung beantwortete der Gutachter dahingehend, dass eine psychische Schädigung primär vom heftigen Nachtrennungskonflikt zu erwarten sei; die Rückkehr nach Mexiko gegen den Willen des Vaters und die daraus resultierenden Folgen seien in diesem Kontext zu sehen.
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3. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Begründungspflicht durch das Obergericht als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV). Es habe sich nicht mit seinen Argumenten zur Einräumung des Besuchsrechts auseinandergesetzt und nehme zu den diesbezüglichen Rechtsfragen keine Stellung, sondern es würden stets nur Vorwürfe an seine Adresse gemacht. Soweit sich das Obergericht auf Hinweise aus anderen Verfahren berufe, gelte für ihn im Zusammenhang mit der Reise von Kind und Grossmutter nach Frankreich immer noch die Unschuldsvermutung. Es bestünden überhaupt keine Gründe, ihm Kontakte zu verweigern, und dies verletze das Recht auf Familie (Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 BV; Art. 8 EMRK). Sodann fehle es für die Anordnung des Kontaktverbotes an einer gesetzlichen Grundlage; jedenfalls sei bislang nie eine solche genannt worden.
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4. Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass der Gutachter eingangs des Gutachtens erwähnt habe, mündliche Instruktionen durch den Präsidenten der zuständigen Kammer des Obergerichts erhalten zu haben. Er habe am 26. Juni 2015 Einsicht in die Notizen dieses Gesprächs und der Instruktionsausführungen verlangt. Die Akten seien nicht vollständig, wenn sich diesbezüglich keine Notiz in den Akten finde, und damit sein rechtliches Gehör verletzt.
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5. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, das Gutachten bestätige die kognitive wie emotionale Stärke und die hohe Resilienz des Kindes. Entgegen den Annahmen in allen früheren Gerichtsentscheiden sei das Kind folglich gar nicht durch den Vater beeinflusst worden bzw. beeinflussbar gewesen. Vielmehr sei jetzt klar, dass es sich immer aus eigenem Willen gegen eine Rückführung nach Mexiko gewehrt habe. Diesen Willen habe es auch gegenüber dem Gutachter zum Ausdruck gebracht. Die Bedrohungslage für C.________ in Mexiko sei konkret; dass sie gemäss Gutachten nichts davon geschildert habe, lasse sich damit erklären, dass sie das eben als Normalität erlebt habe. Das Gutachten gehe sodann fehl, wenn festgestellt werde, C.________ würde auf die Frage des Vater oder der Mutter jeweils die Antwort geben, von der sie meine, dass man sie erwarte. Vielmehr habe sie konstant den Willen geäussert, unter keinen Umständen nach Mexiko zurückkehren zu wollen. Selbst nach wochenlanger Behandlung durch Fachpersonen habe sie an diesem Willen festgehalten. Die Tochter sei resilient und ändere daher ihren Willen nicht. Zusammenfassend ergebe sich deshalb, dass die bisherigen gerichtlichen Erwägungen auf falschen Tatsachen beruht hätten. Mit dem Gutachten würden nunmehr neue Tatsachen auf dem Tisch liegen und diese seien zu beachten; das Obergericht habe genau dies in Verletzung von Art. 13 Abs. 2 HKÜ und Art. 13 Abs. 1 und 2 BG-KKE nicht getan.
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6. Zusammenfassend ergibt sich, dass keine nachträglich eingetretenen veränderten Tatsachen erstellt sind, welche eine Rückführung von C.________ nach Mexiko in Begleitung ihrer Mutter ausschliessen würden. Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
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2. Rechtsanwalt Silvio Mayer wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien, C.________, dem Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, dem Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau, Bürgerrecht und Personenstand, und dem Bundesamt für Justiz, Zentralbehörde für Kindesentführungen, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 10. Juli 2015
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Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: von Werdt
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Der Gerichtsschreiber: Möckli
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