BGer 1B_111/2015 |
BGer 1B_111/2015 vom 20.08.2015 |
{T 0/2}
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1B_111/2015, 1B_123/2015
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Urteil vom 20. August 2015 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
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Bundesrichter Chaix, Kneubühler,
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Gerichtsschreiber Härri.
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Verfahrensbeteiligte |
1B_111/2015
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Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Generalstaatsanwaltschaft,
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Maulbeerstrasse 10, Postfach 6250, 3001 Bern,
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Beschwerdeführerin 1,
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gegen
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A.________,
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vertreten durch Fürsprecher Stephan Schmidli,
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Beschwerdegegner,
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Kantonspolizei Bern, Polizeikommando, Waisenhausplatz 32, Postfach 7571, 3001 Bern.
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1B_123/2015
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Kantonspolizei Bern, Polizeikommando, Waisenhausplatz 32, Postfach 7571, 3001 Bern,
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Beschwerdeführerin 2,
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gegen
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A.________,
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vertreten durch Fürsprecher Stephan Schmidli,
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Beschwerdegegner,
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Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Generalstaatsanwaltschaft,
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Maulbeerstrasse 10, Postfach 6250, 3001 Bern.
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Gegenstand
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Entnahme einer DNA-Probe und erkennungsdienstliche Erfassung,
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Beschwerden gegen den Beschluss vom 9. März 2015 des Obergerichts des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen.
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Sachverhalt: |
A. Die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ (geb. 1996) wegen des Verdachts der Hinderung einer Amtshandlung und Beschimpfung. Sie wirft ihm vor, er habe bei einer polizeilichen Patrouille vom 25. Oktober 2014, um ca. 02.00 Uhr, beim Gaskessel-Areal in Bern sich den Polizeibeamten in den Weg gestellt, lautstark Stimmung gegen sie gemacht, sie als "Wixer", "Arschlöcher" und "Bastarde" beschimpft und mehrfach den Mittelfinger gegen sie ausgestreckt.
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B. Am 25. November 2014 erschien A.________ bei der Polizei zur Befragung. Dabei eröffnete ihm die Polizei, er werde erkennungsdienstlich erfasst, was er verweigerte. Der zuständige Pikettstaatsanwalt verfügte darauf mündlich die erkennungsdienstliche Erfassung. A.________ entschied sich dafür, sich unmittelbar nach der Befragung erkennungsdienstlich behandeln zu lassen, um nicht ein weiteres Mal bei der Polizei erscheinen zu müssen. Die Polizei nahm in der Folge einen Wangenschleimhautabstrich (WSA) zwecks Erstellung eines DNA-Profils vor. Am 26. November 2014 verfügte die Staatsanwaltschaft die erkennungsdienstliche Erfassung nachträglich schriftlich.
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C. Gegen den WSA und die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 26. November 2014 erhob A.________ Beschwerde. Am 9. März 2015 hiess das Obergericht des Kantons Bern (Beschwerdekammer in Strafsachen) diese gut, soweit es darauf eintrat. Es wies die Staatsanwaltschaft an, die entnommene DNA-Probe und die Resultate der erkennungsdienstlichen Erfassung aus den Akten zu entfernen und zu vernichten.
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D. Die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu erteilen. Der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben. Eventualiter sei der Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an dieses zurückzuweisen. Subeventualiter - für den Fall, dass die aufschiebende Wirkung nicht erteilt werde - sei festzustellen, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Erfassung sowie die Entnahme der DNA-Probe rechtens gewesen seien und Letztere daher zu Recht zwecks Analyse zu den Akten erkannt worden sei (Verfahren 1B_111/2015).
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E. Die Kantonspolizei Bern führt ebenfalls Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und die DNA-Probe in den Akten zu belassen. Der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu erteilen, soweit das Obergericht die Entfernung der DNA-Probe aus den Akten und ihre Vernichtung angeordnet habe. Eventualiter sei der Beschluss des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an dieses zurückzuweisen (Verfahren 1B_123/2015).
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Erwägungen: |
1. Die beiden Beschwerden richten sich gegen denselben Entscheid und können in einem einzigen Urteil behandelt werden. Die Beschwerdeverfahren werden deshalb vereinigt.
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2. |
2.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben.
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2.2. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerden sind somit insoweit nach Art. 80 BGG zulässig.
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2.3. Die Beschwerdeführerin 1 hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen. Sie hat als für die gleichmässige Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs verantwortliche Behörde (Art. 16 Abs. 1 StPO) ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Sie ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 3 BGG zur Beschwerde befugt (Urteil 1B_685/2011 vom 23. Februar 2012 E. 2.3.1 mit Hinweisen, nicht publ. in: SJ 2012 I 440).
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2.4. Der WSA, der noch nicht analysiert worden ist, und die erkennungsdienstliche Erfassung dienen hier unstreitig nicht dazu, den Beschwerdegegner jener Straftaten zu überführen, deren er im jetzigen Strafverfahren beschuldigt wird. Vielmehr sollen damit andere - bereits begangene oder künftige - Straftaten geklärt werden. Den in Frage stehenden Massnahmen kommt demnach eine über das jetzige Strafverfahren hinausgehende eigenständige Bedeutung zu. Der vorinstanzliche Entscheid ist deshalb als nach Art. 90 BGG anfechtbarer Endentscheid anzusehen (BGE 128 II 259 E. 1.4 S. 264; Urteil 1B_277/2013 vom 15. April 2014 E. 1, in: Pra 2014 Nr. 97 S. 765, mit Hinweisen).
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2.5. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin 1 ist demnach einzutreten.
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2.6. Da es um Zwangsmassnahmen gemäss Art. 196 ff. StPO geht, mit denen eine definitive Grundrechtsbeschränkung einhergeht, ist Art. 98 BGG, der eine Beschränkung der Beschwerdegründe vorsieht, nicht anwendbar (BGE 140 IV 57 E. 2.2 S. 59 f. mit Hinweisen).
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3. |
3.1. Art. 255-258 StPO enthalten Bestimmungen zu den DNA-Analysen. Art. 259 StPO erklärt im Übrigen das Bundesgesetz vom 20. Juni 2003 über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten oder vermissten Personen (DNA-Profil-Gesetz; SR 363) für anwendbar.
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3.2. Wie gesagt, dienen die angeordneten Massnahmen nicht der Aufklärung der Straftaten, denen der Beschwerdegegner im jetzigen Strafverfahren beschuldigt wird. Dafür waren die Massnahmen nicht erforderlich. Sie wären somit nur dann verhältnismässig, wenn erhebliche und konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Beschwerdegegner in andere - auch künftige - Delikte verwickelt sein könnte (BGE 141 IV 87 E. 1.3.1 und 1.4.1). Dabei muss es sich um Delikte gewisser Schwere handeln (Urteil 1B_685/2011 vom 23. Februar 2012 E. 3.3, in: SJ 2012 I 440).
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3.3. Der Beschwerdegegner ist nicht vorbestraft.
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3.4. Der Fall liegt ähnlich wie jener, über den das Bundesgericht in BGE 141 IV 87 zu befinden hatte. Dort ging es um eine Frau, die zusammen mit weiteren Personen an einem Asylsymposium Mist auf den Tischen des Vortragsraums deponiert hatte. Für die Abklärung dieser Tat waren die DNA-Analyse und erkennungsdienstliche Erfassung nicht erforderlich. Hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Frau in andere Straftaten von gewisser Schwere verwickelt sein könnte, fehlten, weshalb das Bundesgericht die Zwangsmassnahmen als unzulässig beurteilte (E. 1.4.1 S. 91).
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3.5. Die DNA-Analyse und erkennungsdienstliche Erfassung dürfen nach der Rechtsprechung nicht routinemässig erfolgen. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalles an (BGE 141 IV 87 E. 1.4.2 S. 92 mit Hinweisen). Dabei ist auch das Alter des Betroffenen zu berücksichtigen (Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. Dezember 2008 i.S.
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3.6. Es hält demnach vor Bundesrecht stand, wenn die Vorinstanz den WSA und die erkennungsdienstliche Erfassung als unverhältnismässig beurteilt hat. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin 1 ist daher abzuweisen.
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4. Bei diesem Ausgang der Verfahren sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton hat dem Anwalt des Beschwerdegegners eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG sind damit gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Verfahren 1B_111/2015 und 1B_123 2015 werden vereinigt.
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2. Auf die Beschwerde der Kantonspolizei wird nicht eingetreten.
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3. Die Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft wird abgewiesen.
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4. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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5. Der Kanton Bern hat dem Vertreter des Beschwerdegegners, Fürsprecher Stephan Schmidli, für beide Beschwerdeverfahren eine Entschädigung von insgesamt Fr. 3'000.-- (inkl. Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
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6. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern (Beschwerdekammer in Strafsachen) schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 20. August 2015
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Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Fonjallaz
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Der Gerichtsschreiber: Härri
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