Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
5A_591/2015
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Urteil vom 21. August 2015
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Schöbi, Bovey,
Gerichtsschreiber Zbinden.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Brülhart,
Beschwerdeführer,
gegen
Obergericht des Kantons Uri,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Rechtsverzögerung / Rechtsverweigerung (Fürsorgerische Unterbringung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri.
Sachverhalt:
A.
A.a. Am 31. März 2015 ordnete die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde des Kantons Uri (KESB) die fürsorgerische Unterbringung von A.________, deutscher Staatsangehöriger mit damaligem Wohnsitz in U.________, in der Pflegewohngruppe B.________ an. Diese Verfügung wurde mit Beschwerde beim Obergericht des Kantons Uri angefochten (OG V 2015 12). Das Beschwerdeverfahren ist immer noch hängig.
A.b. Mit Verfügung vom 8. Juni 2015 teilte die Pflegewohngruppe B.________ der KESB mit, der Bruder und ein Neffe hätten den Betroffenen nach Deutschland mitgenommen. Die KESB liess ihn in der Folge zur polizeilichen Rückführung ausschreiben. Der Beschwerdeführer wohnt nunmehr in Deutschland.
A.c. Mit Verfügung vom 9. Juli 2015 ordnete die KESB gestützt auf Art. 426 Abs. 1 ZGB eine fürsorgerische Unterbringung des Betroffenen in der Psychiatrischen Klinik C.________ an. Damit entfiel die am 31. März 2015 angeordnete Massnahme mit sofortiger Wirkung. Einer allfälligen Beschwerde gegen die neue Massnahme wurde die aufschiebende Wirkung entzogen.
B.
B.a. Gegen diese Verfügung reichte der Betroffene, vertreten durch Rechtsanwalt Michael Brülhart, am 20. Juli 2015 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Uri ein mit den Begehren, es sei festzustellen, dass der Entscheid der KESB vom 9. Juli 2015 nichtig sei und die besagte Behörde für allfällige Erwachsenenschutzmassnahmen nicht zuständig sei (1a). Eventuell sei sofort in einem beschwerdefähigen Entscheid über die Nichtigkeit der Verfügung vom 9. Juli 2015 sowie über die Zuständigkeit der KESB zu befinden (1b). Subeventualiter sei die Verfügung vom 9. Juli 2015 mit Ausnahme der Dispositiv-Ziff. 4 aufzuheben und von der Anordnung von Massnahmen gestützt auf Art. 426 Abs. 1 und Art. 428 ZGB zu verzichten (1c). Subsubeventualiter sei das Verfahren zu sistieren, dem Beschwerdeführer Akteneinsicht zu gewähren und ihm eine angemessene Frist zur Begründung der Beschwerde anzusetzen (1d). Der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu erteilen (2). Die Ausschreibung zur Rückführung des Beschwerdeführers sei bei sämtlichen involvierten Amtsstellen und Behörden sofort zu widerrufen (3a). Den verantwortlichen Personen sei unter Androhung der Ungehorsamsstrafe gemäss Art. 292 StGB zu untersagen, jeglichen Behörden den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in Deutschland bekannt zu geben (3b).
B.b. Mit prozessleitender Verfügung vom 22. Juli 2015 wurde die Beschwerde unter der Verfahrensnummer OG V 2015 30 in das Geschäftsprotokoll aufgenommen und der KESB eine zehntägige Frist zur Einreichung der Akten und einer Stellungnahme zur Beschwerde gesetzt. Mit Eingabe vom 23. Juli 2015 ersuchte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf Art. 450e Abs. 5 ZGB, Art. 29 Abs. 1 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK um einen sofortigen Entscheid. Bisher hat das Obergericht noch nicht entschieden.
C.
Der Betroffene gelangt mit Rechtsverzögerungs- bzw. Rechtsverweigerungsbeschwerde vom 29. Juli 2015 (Postaufgabe) an das Bundesgericht. Er beantragt, das Obergericht habe über die in der rubrizierten Angelegenheit gestellten Begehren 1a, 1b, 2, 3a und 3b zu entscheiden. Eventuell habe das Bundesgericht über die in der Beschwerde vom 20. Juli 2015 gestellten Begehren 1a, 1b, 2, 3a und 3b zu befinden. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. Der Beschwerdeführer reichte am 3. August 2015 eine Beschwerdeergänzung ein. Das Obergericht hat sich am 10. August 2015 vernehmen lassen. Es reichte die Verfügung vom 10. August 2015 zu den Akten, wonach der Beschwerde gegen die Verfügung der KESB vom 9. Juli 2015 aufschiebende Wirkung erteilt worden ist. Der Beschwerdeführer hat sich dazu am 14. August 2015 vernehmen lassen.
Erwägungen:
1.
Die Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerde gemäss Art. 94 BGG ist keine eigene Beschwerdeart. Mit Bezug auf die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist an die Hauptsache anzuknüpfen (vgl. dazu etwa Urteil 5A_710/2008 vom 12. Januar 2009 E. 1.2). Dabei handelt es sich um eine fürsorgerische Unterbringung, die gestützt auf Art. 72 Abs. 2 Ziff. 6 BGG mit Beschwerde in Zivilsachen angefochten werden kann. Die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Die Beschwerde in Zivilsachen ist somit grundsätzlich zulässig.
2.
2.1. Der Beschwerdeführer begründet seinen Vorwurf der Rechtsverzögerung im Wesentlichen damit, die Vorinstanz habe nicht innert der fünftägigen Frist gemäss Art. 450e Abs. 5 ZGB entschieden. Im Weiteren beruft er sich auf Art. 31 Abs. 4 BV sowie Art. 5 Ziff. 4 und Art. 6 Ziff. 1 EMRK . Die Beschwerde sei am 21. Juli 2015 beim Obergericht eingetroffen. Die Frist gemäss Art. 450e Abs. 5 ZGB habe am 22. Juli 2015 zu laufen begonnen und sei somit am 28. Juli 2015, 24.00 Uhr abgelaufen. Das Obergericht hätte ohne Weiteres innert der gesetzlichen Frist entscheiden können. Im vorliegenden Fall sei in der Beschwerde vom 20. Juli 2015 an das Obergericht hauptsächlich geltend gemacht worden, der Entscheid der KESB vom 9. Juli 2015 sei wegen örtlicher Unzuständigkeit nichtig; zudem sei eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt worden. Dabei handle es sich um Rechtsfragen, über die das Obergericht ohne die betreffenden Akten hätte befinden können.
2.2. Das Obergericht erachtet den Vorwurf der Rechtsverweigerung für unbegründet. Art. 450e Abs. 5 ZGB sei nur dann verletzt, wenn das Gericht vernünftigerweise innert dieser Frist habe entscheiden können.
3.
3.1. Bei Art. 450e Abs. 5 ZGB, wonach die Beschwerdeinstanz über Beschwerden in der Regel innert 5 Tagen zu entscheiden hat, handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift. Diese Bestimmung gilt namentlich dann nicht als verletzt, wenn im konkreten Fall ein Entscheid in der Sache nicht früher möglich war (Urteil 5A_221/2015 vom 23. April 2015 E. 3.1.1).
3.2. Welche Verfahrensdauer den zeitlichen Anforderungen von Art. 5 Ziff. 4 EMRK bzw. Art. 31 Abs. 4 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu genügen vermag, lässt sich nicht nach einheitlichen und formalen Kriterien allgemein und abstrakt festlegen. Massgebend sind wie in der Praxis zu Art. 5 Ziff. 4 EMRK die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalles (vgl. mit Blick auf die fürsorgerische Freiheitsentziehung das Urteil des Bundesgerichts 1P.793/1991 vom 12. Dezember 1991 E. 4, in: EuGRZ 1991 S. 526, mit Verweisungen auf die Rechtsprechung und Lehre; BGE 122 I 18 E. 2d S. 31 ff.). Zu berücksichtigen ist, dass sich die Verfahrensdauer nicht für alle Arten der Freiheitsentziehung nach den gleichen Massstäben beurteilt. Das Bundesgericht hat im erwähnten, nicht amtlich publizierten Entscheid unter Hinweis auf die Praxis der Strassburger Organe ausgeführt, dass psychiatrische Einweisungen oft schwierigere Fragen aufwerfen als Fälle der Untersuchungshaft. Verletzungen des Beschleunigungsgebots sind daher nicht schon allein deswegen zu bejahen, weil ein Verfahren längere Zeit in Anspruch genommen hat. Als massgebend muss vielmehr gelten, ob das Verfahren in Anbetracht der auf dem Spiel stehenden Interessen zügig durchgeführt worden ist und die Gerichtsbehörden insbesondere keine unnütze Zeit haben verstreichen lassen (BGE 137 I 23 E. 2.4.3 S. 27; 127 III 385 E. 3a S. 389).
3.3.
3.3.1. Im vorliegenden Fall erweckt Bedenken, dass das Obergericht trotz der in Art. 450e Abs. 5 ZGB enthaltenen Vorschrift, innert fünf Tagen zu entscheiden, der Vorinstanz eine Frist von zehn Tagen angesetzt hat, um zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Gemäss den kantonalen Akten ist die Beschwerde vom 20. Juli 2015 am 21. Juli 2015 beim Obergericht des Kantons Uri eingegangen. Eine kürzere Frist oder gar ein Verzicht auf eine Stellungnahme hätte sich aufgedrängt. Angesichts des Umstandes, dass es sich bei Art. 450e Abs. 5 ZGB um eine Ordnungsvorschrift handelt, rechtfertigt sich eine Gutheissung der Beschwerde nicht.
3.3.2. Das Obergericht hat im Verfahren OG V 2015 30 kein Gutachten eingeholt. Unter diesen Umständen erscheint es nicht zuletzt mit Blick auf Art. 450e Abs. 5 ZGB nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeentscheid in der Sache nicht unmittelbar nach Eingang der Verzichtserklärung des Beschwerdeführers vom 10. August 2015 bezüglich seines Replikrechts ergangen ist. Im vorliegenden Fall gilt es in erster Linie zu entscheiden, ob die KESB aufgrund des Wegzuges des Beschwerdeführers nach Deutschland (noch) örtlich zuständig war. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage. Zudem hätten die Akten sowie die Tatsachendarstellungen in der Verfügung der KESB vom 9. Juli 2015 einen Entscheid in der Sache erlaubt.
4.
Unter dem Titel "Rechtsverweigerung" wirft der Beschwerdeführer dem Obergericht vor, es habe trotz seines gegenteiligen Antrages in der Beschwerde seine Meldeadresse in Deutschland an die KESB weitergegeben. Das Obergericht hat mit seiner Mitteilung der Adresse an die KESB den entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers (3b) faktisch abgewiesen. Damit liegt keine Rechtsverweigerung vor. Insoweit ist die Beschwerde unbegründet.
5.
Damit ist die Rechtsverweigerungs- bzw. Rechtsverzögerungsbeschwerde abzuweisen. Dennoch ist das Obergericht anzuweisen, in der Sache innert 10 Tagen seit Zustellung des begründeten bundesgerichtlichen Entscheids über die noch offenen Begehren der Beschwerde vom 20. Juli 2015 zu befinden. Wird nicht innert Frist entschieden, fällt die fürsorgerische Unterbringung ohne Weiteres dahin. In diesem Fall hat das Obergericht für einen Widerruf der Ausschreibung des Beschwerdeführers zur Rückführung besorgt zu sein.
6.
Den Umständen des konkreten Falles entsprechend werden keine Kosten erhoben (Art. 66 Abs. 1 BGG).
7.
Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist zu entsprechen: Einerseits ist er bedürftig; anderseits hat sich die Beschwerde angesichts der gesetzlichen Bestimmung nicht geradezu als von vornherein aussichtslos erwiesen. Dem Beschwerdeführer ist ein amtlicher Rechtsbeistand zu bestellen, der für seine Bemühungen im bundesgerichtlichen Verfahren aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen ist ( Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen. Das Obergericht des Kantons Uri wird angewiesen, binnen zehn Tagen ab Zustellung des begründeten bundesgerichtlichen Urteils die noch offenen Begehren der Beschwerde vom 20. Juli 2015 zu behandeln und darüber zu entscheiden. Wird nicht binnen der gesetzten Frist entschieden, fällt die fürsorgerische Unterbringung ohne Weiteres dahin. Das Obergericht hat diesfalls für einen Widerruf der Ausschreibung des Beschwerdeführers besorgt zu sein.
2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Ihm wird Rechtsanwalt Michael Brülhart, Advokatur Gartenhof, Gartenhofstrasse 15, 8004 Zürich, als amtlicher Rechtsbeistand bestellt.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Rechtsanwalt Michael Brülhart wird für seine Bemühungen im bundesgerichtlichen Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- aus der Bundesgerichtskasse entrichtet.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 21. August 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: von Werdt
Der Gerichtsschreiber: Zbinden