Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
6B_254/2015
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Urteil vom 27. August 2015
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Gerichtsschreiber Held.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Beat Widmer,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Mehrfache Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte; mehrfache Beschimpfung; Strafzumessung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 22. Januar 2015.
Erwägungen:
1.
Am 22. Januar 2015 verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau X.________ u.a. wegen versuchter Nötigung (bei gleichzeitigem Freispruch vom Vorwurf der Gewalt und Drohung gegen Beamte und Behörden in diesem Fall) und versuchter einfacher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten sowie einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 10.-. Es "bestätigte" das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Anordnung einer ambulanten Massnahme, hob jedoch den X.________ zugunsten der ambulanten Massnahme gewährten Aufschub der Freiheitsstrafe auf.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt sinngemäss, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben, er sei vom Vorwurf der Nötigung und der versuchten Körperverletzung freizusprechen und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu verurteilen, deren Vollzug zugunsten einer ambulanten Massnahme aufzuschieben sei. X.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklageprinzips. Die Staatsanwaltschaft habe hinsichtlich Ziffer 1 der Anklageschrift ausschliesslich eine Verurteilung wegen Drohung und Gewalt gegen Beamte und Behörden und nicht wegen Nötigung beantragt. Das Anklageprinzip garantiere der beschuldigten Person, dass nur die in der Anklageschrift genannten Tatbestände Prozessgegenstand seien. Die Anklageschrift könne nur in den engen Grenzen von Art. 333 StPO abgeändert werden, weshalb der Schuldspruch wegen Nötigung bundesrechtswidrig sei.
3.
3.1. Die Rügen des Beschwerdeführers gehen an der Sache vorbei. Der Beschwerdeführer verkennt, dass die in der Anklage gestellten Anträge im Hinblick auf den Schuldspruch nicht massgebend sind. Zwar bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens, dies bedeutet jedoch nur, dass das Gericht an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden ist, nicht aber an die darin vorgenommene rechtliche Würdigung (vgl. Art. 350 Abs. 1 StPO; BGE 133 IV 235 E. 6.2 f.; 120 IV 348 E. 2b; Niklaus Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 1333 S. 598). Die rechtliche Würdigung des durch die Anklageschrift bestimmten Prozessgegenstandes ist ausschliesslich Aufgabe des Gerichts und kann nicht durch die Parteien vorbestimmt oder eingeschränkt werden (Sarah Wildi, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 13 zu Art. 337 StPO), weshalb das Gericht von den Anträgen der Staatsanwaltschaft - ebenso wie von denjenigen der beschuldigten Person oder der Privatklägerschaft - abweichen kann. Zudem übersieht der Beschwerdeführer, dass die Staatsanwaltschaft entgegen seinem Vorbringen bereits in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eventualiter eine Verurteilung wegen Nötigung beantragt hat und sie jederzeit ihre in der Anklageschrift vorgenommene rechtliche Würdigung oder die darin gestellten Anträge ändern kann (Art. 337 Abs. 2 i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO). Dies stellt keine Änderung oder Erweiterung der Anklage im Sinne von Art. 333 StPO dar.
Dass der Anklagesachverhalt in Ziffer 1 nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale einer versuchten Nötigung hinreichend umschreibt oder dass dessen rechtliche Würdigung durch die Vorinstanz bundesrechtswidrig sein soll, rügt der Beschwerdeführer nicht und ist auch nicht ersichtlich.
3.2. Hinsichtlich der formellen Anforderungen an das Dispositiv des in der Sache ergehenden Berufungsurteils wird auf Art. 81 i.V.m. Art. 408 StPO verwiesen (vgl. hierzu: Urteile 6B_482/2012 vom 3. April 2013 E. 5.3; 6B_99/2012 vom 14. November 2012 E. 5; Hug/Scheidegger, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 3 zu Art. 408 StPO; Luzius Eugster, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 3 zu Art. 408 StPO). Eine Berichtigung des erstinstanzlichen Dispositivs ist aufgrund des reformatorischen Charakters des Berufungsurteils nicht erforderlich und widerspricht zudem Art. 83 StPO. Anzumerken ist ferner, dass die abweichende rechtliche Beurteilung des Anklagesachverhalts durch das Gericht keinen Freispruch oder Teilfreispruch hinsichtlich des angeklagten Tatbestandes nach sich zieht. Es hat lediglich eine Verurteilung wegen des vom Gericht bejahten Tatbestandes zu ergehen. Entsprechendes gilt, wenn sich die Anklage auf eine Tat bezieht, die entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht mehrere Tatbestände erfüllt (Idealkonkurrenz) oder bei einer Eventual- oder Alternativanklage (vgl. Urteil 6B_803/2014 vom 15. Januar 2015 E. 3.4.2 mit Hinweisen; Oliver Jornot, in: Commentaire romand, Code de procédure pénal Suisse, 2011, N. 3 zu Art. 351 StPO; Heimgartner/Niggli, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 6 zu Art. 351 StPO).
4.
4.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Schuldspruch wegen versuchter einfacher Körperverletzung. Die Vorinstanz verfalle in Willkür, indem sie sein Vorbringen, er habe den Faustschlag gegen den Leiter des Bezirksgefängnisses Kulm lediglich angetäuscht und diesen nicht treffen wollen, als Schutzbehauptung abtut. Er habe schon des öfteren gedroht, aber noch nie jemanden verletzt, weshalb insbesondere der subjektive Tatbestand nicht erstellt sei.
4.2. Auf die nicht den Begründungsanforderungen gemäss Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden Willkürrügen ist nicht einzutreten (vgl. BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445; zum Begriff der Willkür BGE 140 III 16 E. 2.1 S. 18 f.; je mit Hinweisen). Die Vorbringen des Beschwerdeführers erschöpfen sich in appellatorischer Kritik. Er setzt sich nicht ansatzweise mit den vorinstanzlichen Erwägungen auseinander, sondern beschränkt sich darauf vorzubringen, er habe den Anstaltsleiter nicht treffen wollen. Er legt nicht dar, dass und inwiefern die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen bzw. die beanstandete Beweiswürdigung unhaltbar bzw. klar und eindeutig mangelhaft sein sollen und sich ein anderes Beweisergebnis geradezu aufdrängt. Er verkennt, dass das Bundesgericht keine Appellationsinstanz ist, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt. Dem (implizit geltend gemachten) Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in der vom Beschwerdeführer angerufenen Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende selbstständige Bedeutung zu (vgl. BGE 138 V 74 E. 7 S. 82 mit Hinweisen).
5.
Die Rüge, die einjährige Freiheitsstrafe sei zugunsten der angeordneten ambulanten Massnahme aufzuschieben, ist unbegründet, soweit sie den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG genügt. Der Beschwerdeführer setzt sich mit den vorinstanzlichen Erwägungen nicht auseinander und übersieht, dass gemäss Gutachten der Psychiatrischen Dienste Aargau AG seiner "ambulanten, forensisch-psychiatrischen Behandlung [...] auch bei gleichzeitigem Strafvollzug Rechnung getragen werden" kann. Da die ambulante Therapie durch den Strafvollzug nicht beeinträchtigt wird, sind beide gleichzeitig zu vollziehen. Für den Aufschub des Strafvollzugs, der die Ausnahme bildet, besteht kein Platz (vgl. Art. 63 Abs. 2 StGB; BGE 129 IV 161 E. 4.1 und E. 4.3; Urteil 6B_339/2014 vom 27. November 2014 E. 4.1, nicht publ. in: BGE 140 IV 145; je mit Hinweisen).
6.
Der Beschwerdeführer begründet die beantragte Herabsetzung der ausgesprochenen Freiheitsstrafe nicht. Da es bei den Schuldsprüchen wegen Nötigung und versuchter einfacher Körperverletzung bleibt, ist sein Antrag nicht weiter zu behandeln.
7.
Die Beschwerde ist im Verfahren gemäss Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei der Festsetzung der Gerichtsgebühr ist seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 800. - auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. August 2015
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Held