BGer 8C_411/2015
 
BGer 8C_411/2015 vom 17.09.2015
{T 0/2}
8C_411/2015
 
Urteil vom 17. September 2015
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.
 
Verfahrensbeteiligte
vertreten durch Rechtsanwalt Silvan Meier Rhein,
Beschwerdeführer,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. März 2015.
 
Sachverhalt:
A. A.________, geboren 1966, war ab 1. Mai 1993 bei der B.________ AG angestellt und bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (nachfolgend: SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 11. Februar 1997 erlitt er eine Schussverletzung an der rechten Hand. Mit Verfügung vom 25. Januar 1999 sprach ihm die SUVA eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 25 % zu. Von 7. Januar 2001 bis 31. Juli 2012 war er bei der C.________ AG als Zugbegleiter angestellt. Am 30. April 2010 liess er infolge zunehmender Schmerzen einen Rückfall melden. Nachdem er sich mehreren Operationen hatte unterziehen müssen und die Invalidenversicherung eine berufliche Abklärung durchgeführt hatte, sprach ihm die SUVA mit Verfügung vom 12. Juli 2013, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 16. Mai 2014, ab 1. Mai 2013 eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 30 % zu.
B. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 31. März 2015 ab.
C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid, der Einspracheentscheid sowie die Verfügung vom 12. Juni 2013 aufzuheben und es sei ihm eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 46 % auszurichten.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
2. Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente.
3. Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Leistungsvoraussetzungen des natürlichen (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen) und des adäquaten Kausalzusammenhangs (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181 mit Hinweis), namentlich bei geltend gemachten Rückfällen und Spätfolgen (BGE 118 V 293 E. 2c S. 296), den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG) sowie die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG), insbesondere die Ermittlung des Invalideneinkommens, etwa gestützt auf die DAP (BGE 139 V 592, 129 V 472) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Anforderungen an einen ärztlichen Bericht (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352). Darauf wird verwiesen.
4. Die Vorinstanz hat die massgebenden ärztlichen Berichte in ihrem Entscheid (E. 3) zutreffend dargelegt. Darauf wird ebenfalls verwiesen.
 
5.
5.1. Die BEFAS hat in ihrem Schlussbericht vom 26. Februar 2013 eine angepasste Tätigkeit zu einem 80 %-Pensum als zumutbar erachtet. Die Reduktion um 20 % wird "zwecks Vorbeugung von überlastungsbedingten Zustandsverschlechterungen auch unter behinderungsgerechten Arbeitsverhältnissen" sowie unter Berücksichtigung einer "allenfalls etwas eingeschränkte (n) psychische (n) Belastbarkeit, bei allgemeiner Verunsicherung mit Zukunftsängsten und erhöhter Tagesmüdigkeit während Phasen mit Schlafstörung" gewährt.
Die Kreisärztin, Fachärztin für Chirurgie, attestierte anlässlich ihrer Abschlussuntersuchung vom 17. April 2013 - in Unkenntnis des BEFAS-Berichts - für behinderungsangepasste Tätigkeiten eine volle zumutbare Arbeitsfähigkeit. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 8. Mai 2014 weist sie darauf hin, dass Dr. med. D.________, Facharzt für physikalische Medizin und Rehabilitation, spez. Rheumatologie, BEFAS, praktisch den gleichen Befund erhoben habe wie sie und sich die Umschreibungen der zumutbaren Tätigkeit entsprechen würden. Die abweichende Beurteilung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit hält sie nicht für begründet. Denn die Reduktion um 20 % zwecks Vermeidung von überlastungsbedingten Zuständen sei angesichts der im BEFAS-Bericht festgehaltenen Diskrepanzen im Verhalten des Versicherten sowie der aktuellen Medikation (1g Dafalgan nach Bedarf) nicht nachvollziehbar.
Der behandelnde Dr. med. E.________, Facharzt für Chirurgie, speziell Handchirurgie, äussert sich in seinem Bericht vom 26. Februar 2013 nicht zur zumutbaren Arbeitsfähigkeit; er stellt lediglich fest, in der bisherigen Tätigkeit als Zugbegleiter sei der Versicherte nicht mehr arbeitsfähig.
5.2. Wohl obliegt die abschliessende Beurteilung der sich aus einem Gesundheitsschaden ergebenden funktionellen Leistungsfähigkeit in der Hauptsache dem Arzt oder der Ärztin, nicht den Fachleuten der Berufsberatung/beruflichen Eingliederung. Mit Blick auf die rechtsprechungsgemäss enge, sich gegenseitig ergänzende Zusammenarbeit zwischen der Ärzteschaft und der Berufsberatung ist jedoch einer konkret leistungsorientierten beruflichen Abklärung nicht jegliche Aussagekraft für die Beurteilung der Restarbeitsfähigkeit abzusprechen. Steht eine medizinische Einschätzung der Leistungsfähigkeit in offensichtlicher und erheblicher Diskrepanz zu einer Leistung, wie sie während einer ausführlichen beruflichen Abklärung bei einwandfreiem Arbeitsverhalten/-einsatz des Versicherten effektiv realisiert und gemäss Einschätzung der Berufsfachleute objektiv realisierbar ist, vermag dies ernsthafte Zweifel an den ärztlichen Annahmen zu begründen und ist das Einholen einer klärenden medizinischen Stellungnahme grundsätzlich unabdingbar (vgl. Urteil 9C_737/2011 vom 16. Oktober 2012 E. 3.3 und Urteil 9C_833/2007 vom 4. Juli 2008 E. 3.3.2).
5.3. Aus dem Bericht der BEFAS vom 26. Februar 2013 ergeben sich Hinweise, wonach der Versicherte nicht ein einwandfreies Arbeitsverhalten gezeigt hat. So werden zwar weder Aggravation noch Simulation explizit genannt, doch es wird festgehalten, dass die von ihm genannten körperlichen Einschränkungen bzw. Beschwerden teilweise nachvollziehbar waren, seine Angaben jedoch verschiedentlich eher wenig stichhaltig wirkten (etwa betonte Angabe von Schmerzen bei leichten Arbeiten, aber unauffällige Erledigung von schwereren Arbeiten, S. 6), dass er nach dem Aufzeigen von beruflichen Perspektiven seine Einschränkungen betonte (S. 6; vgl. auch den festgehaltenen Eindruck verschiedener Abklärungspersonen, der Versicherte tendiere auf eine [Teil-]Rente, weshalb speziell auf den Grundsatz "Eingliederung vor Rente" hingewiesen werden musste, S. 12), dass sich im körperlichen Einsatz verschiedene Widersprüche und Inkonsistenzen zeigten (S. 7), dass er bezüglich der Methoden wiederholt auch bequem anmutendes Verhalten zeigte (S. 8) und bei Ansprechen auf seine verhaltene Eigeninitiative seine aggressive Seite erkennen liess (S. 8 und 12). Unter diesen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz der Einschätzung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit durch die Abklärungspersonen der beruflichen Eingliederung weniger Aussagekraft einräumte und der Meinung der Kreisärztin folgte, die Begründung für die von der BEFAS gewährte Reduktion der zumutbaren Arbeitsfähigkeit um 20 % sei aus sachlichen Gründen als nicht nachvollziehbar zu werten.
 
6.
6.1. Der Versicherte bringt verschiedene Einwände gegen die von der SUVA der Invaliditätsermittlung zugrunde gelegten DAP-Profile vor. So seien diese alle ungeeignet bei bloss zumutbarer Teilerwerbstätigkeit. Zudem handle es sich bei diesen Arbeiten nicht um behinderungsangepasste Tätigkeiten, habe es doch solche, welche beidhändig zu erledigen seien, oder Arbeiten wie Kleinmontage resp. Bohren/Schrauben darunter. Würde korrekterweise die LSE 2010 zugrunde gelegt, resultiere bei einem zumutbaren Arbeitspensum von 80 % ein Invalideneinkommen von Fr. 50'214.40 und selbst bei Berücksichtigung der DAP-Löhne ein solches von Fr. 49'399.20. Tatsächlich sei aber auf das nunmehr erzielte Einkommen von Fr. 52'551.80 als Invalideneinkommen abzustellen. Das Valideneinkommen von Fr. 92'420.- wird hingegen nicht bestritten.
6.2. Entgegen der Ansicht des Versicherten kann nicht das in der nunmehr ausgeübten Tätigkeit erzielte Einkommen als Invalideneinkommen eingesetzt werden. Denn mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass allein schon auf Grund der befristeten Anstellung von nicht besonders stabilen Verhältnissen gesprochen werden kann. Zudem schöpft er mit dem aktuellen Beschäftigungsgrad von 80 % - so denn der neue Arbeitsvertrag ein zulässiges Novum wäre (Art. 99 Abs. 1 BGG) - die zumutbare volle Arbeitsfähigkeit nicht aus (vgl. dazu SVR 2012 UV Nr. 3 S. 9 E. 2.3, 8C_237/2011).
6.3. Nachdem dem Versicherten ein volles Arbeitspensum zumutbar ist (E. 5.3), ist auf seinen Einwand der nicht möglichen Teilerwerbstätigkeit nicht weiter einzugehen. Soweit er geltend macht, die von der SUVA verwendeten DAP-Arbeitsplätze stellten nicht zumutbare Tätigkeiten dar, kann ihm nicht gefolgt werden. Die auszuführenden Arbeiten entsprechen dem sowohl von Dr. med. D.________ als auch von der Kreisärztin formulierten und wie bereits erwähnt übereinstimmenden Anforderungsprofil. Insbesondere enthalten diese Arbeiten keine wesentlichen feinmotorischen Tätigkeiten (selten bis manchmal). Entgegen der Aussage des Versicherten geht es auch nicht um Kleinmontage im eigentlichen Sinne, sondern um Qualitätskontrolle (Kontrolle, ob Pralinenschachteln richtig gefüllt sind, resp. Kontrolle von Filtern), um Parkplatzbewirtschaftung (Einweisung der Parkplätze für Kunden und Handwerker sowie deren Begleitung an ihren Bestimmungsort), um Personalführung (Organisation, Instruktion und Überwachung von Reinigungspersonal) und um Transport (Handstaplerfahren ohne Be-/ Entladen von Hand). Auch wird nur in bescheidenem Umfang der Einsatz beider Hände verlangt (nicht oder nur bedingt notwendig). Schliesslich ist nicht erkennbar, inwiefern diese Arbeitsstellen Anforderungen stellen würden, welche nicht auch bei der aktuellen Arbeitsstelle erforderlich wären, enthält die Arbeitsplatzbeschreibung etwa auch die "Bedienung der ankommenden und abfahrenden Schiffe" sowie den "Fahrausweisverkauf", welche ebenfalls in einem gewissen Ausmass feinmotorische Handgriffe verlangen dürften, etwa die Bedienung einer Tastatur.
Letztlich kann die Frage der Anwendung der DAP aber offengelassen werden, denn auch bei Berücksichtigung der LSE resultiert kein Anspruch auf eine höhere Invalidenrente. Vielmehr stellt sich die Frage, ob diesbezüglich angesichts der abgeschlossenen Lehre sowie der erfolgten Umschulung nicht von zumutbaren Tätigkeiten mit Anforderungsniveau 3 auszugehen wäre. Jedenfalls aber wäre nicht die Tabelle TA1 (Privater Sektor) massgebend, sondern Tabelle T1 (Privater und öffentlicher Sektor), hat doch der Versicherte schon vor dem Unfall im Jahr 1997 und auch seither praktisch ausschliesslich im Bereich des öffentlichen Verkehrs gearbeitet. Somit ergibt sich selbst bei Zugrundelegung des Anforderungsniveaus 4 sowie der betriebsüblichen Arbeitszeit von 41.7 Stunden (vgl. Die Volkswirtschaft 3/4 2015, B 9.2 S. 88) und der Nominallohnentwicklung (vgl. Die Volkswirtschaft 3/4 2015, B 10.2 S. 89) ein Invalideneinkommen von Fr. 64'126.- (Fr. 5000.- x 12 : 40 x 41.7 x 1.01 x 1.008 x 1.007). Dies ist vergleichbar mit dem von Vorinstanz und Verwaltung nach den DAP-Profilen ermittelten Invalideneinkommen von Fr. 64'722.-, so dass angesichts der mit einer hypothetischen Einkommensermittlung stets behafteten Ungenauigkeiten für das Bundesgericht kein Grund besteht, korrigierend einzugreifen. Bei Berücksichtigung des Anforderungsniveaus 3 würde gar ein Invalideneinkommen von Fr. 77'926.- (Fr. 6076.- x 12 : 40 x 41.7 x 1.01 x 1.008 x 1.007) und damit ein geringerer Invaliditätsgrad als 30 % resultieren. Da das Bundesgericht jedoch nicht über die Anträge der Parteien hinausgehen darf (Art. 107 Abs. 1 BGG), kommt eine reformatio in peius nicht in Frage. Damit hat es beim kantonalen Entscheid sein Bewenden.
7. Das Verfahren ist kostenpflichtig. Der unterliegende Versicherte hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 17. September 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Leuzinger
Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold