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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
8C_207/2015
Urteil vom 29. September 2015
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Grünvogel.
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit; Verwaltungs- und vorinstanzliches Verfahren),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. Februar 2015.
Sachverhalt:
A.
Die Versicherung B.________ AG meldete am 23. August 2011 die 1977 geborene, bei ihr als Call-Center Agentin in einem Pensum von 35% angestellte A.________ bei der IV-Stelle des Kantons Zürich zur Früherfassung an. Es folgten verschiedene Abklärungen, darunter bei der Arbeitgeberin und Ärzten. Mit Verfügung vom 11. September 2013 sprach die IV-Stelle der zwischenzeitig arbeitslos gewordenen A.________ mit Wirkung ab 1. Juli 2012 eine Viertelsrente zuzüglich Kinderrenten zu.
B.
Mit Entscheid vom 3. Februar 2013 hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich eine dagegen erhobene Beschwerde teilweise gut, indem es in Abänderung der Verfügung die Invalidenrente auf eine Dreiviertelsrente anhob.
C.
Dagegen führt die IV-Stelle Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt in der Sache, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und der Verwaltungsverfügung sei die Angelegenheit an die IV-Stelle zur Durchführung weiterer Abklärungen mit anschliessender neuer Verfügung zurückzuweisen; eventuell sei die Verfügung in Aufhebung des kantonal-gerichtlichen Entscheids zu bestätigen.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, soweit darauf eingetreten werden könne.
D.
Mit Verfügung vom 4. Mai 2015 wird der Beschwerde, dem Prozessantrag der IV-Stelle entsprechend die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
Die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen sowie die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG) stellen solche Rechtsverletzungen dar (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Der Untersuchungsgrundsatz gebietet der Verwaltung, und im Streitfall dem Sozialversicherungsgericht, den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Diese Untersuchungspflicht dauert so lange, bis über die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen Tatsachen hinreichende Klarheit besteht (SVR 2010 ALV Nr. 2 S. 3, 8C_269/2009 E. 2.2 mit Hinweisen).
2.
Die Vorinstanz erachtet die medizinische Aktenlage, wie sie sich seit Verfügungserlass vom 11. September 2013 unverändert präsentiert, für ausreichend, um über die Auswirkungen der Beschwerden auf eine dem Leiden angepasste Tätigkeit befinden zu können. Demgegenüber vertritt die IV-Stelle wie bereits im kantonalen Gerichtsverfahren die Auffassung, selber im verwaltungsinternen Verfahren nur in unzureichendem Umfang ihren Abklärungspflichten nachgekommen zu sein; rückblickend gesehen sei die Aktenlage zu dürftig gewesen und hätte zwingend weitere Abklärungen erheischt, ehe über den Rentenanspruch hätte verfügt werden dürfen; dadurch, dass das kantonale Gericht weder eigene Abklärungen noch die von der IV-Stelle vorinstanzlich beantragte Rückweisung zwecks weiterer Beweismassnahmen vorgenommen habe und statt dessen auf der Grundlage ungenügender Akten in der Sache selbst entschieden hat, habe es (ebenfalls) Recht verletzt; der angefochtene Entscheid sei daher aufzuheben und die Angelegenheit zwecks weiterer Abklärungen an die Verwaltung zurückzuweisen.
3.
Das kantonale Gericht hat bei der Festlegung der Restarbeitsfähigkeit auf die inhaltlich weitgehend deckungsgleichen Berichte der Neurochirurgin Dr. med. C.________ vom 19. Juni 2012 und 26. März 2013 abgestellt. Eine nähere Begründung dafür lieferte es in der irrigen Annahme, dies sei unter den Parteien unbestritten, nicht.
3.1. Vorauszuschicken ist, dass die Neurochirurgin die einzige Ärztin ist, welche gestützt auf eigene Untersuchungen die Restarbeitsfähigkeit in einer dem Leiden adaptierten Tätigkeit auf 1 bis maximal 2 Stunden pro Tag einschätzte. Die übrigen Personen, welche die Versicherte untersucht oder behandelt haben, äusserten sich dazu nicht oder aber gingen von einer erheblich höheren Restarbeitsfähigkeit aus (z.B. behandelnde Ärztin Dr. med. D.________ am 11. Oktober 2011: 50 bis 80% bei leidensadaptierter Tätigkeit; Dr. E.________, Chiropraktor SCG am 11. November 2011: 50% in bisheriger Tätigkeit, voraussichtlich 100% ab 1. Januar 2012). Die jüngste Einschätzung ist jene der Neurochi rurgin. Der Regionale Ärztliche Dienst (RAD) der IV-Stelle hat selber keine Untersuchungen vorgenommen, die Einschätzung auf entsprechende Vorlage hin jedoch nicht beanstandet.
3.2. Die Einschätzung der Neurochirurgin beruht, wie bereits ausgeführt, auf eigenen Untersuchungen. Die dabei erstellten MRIs führten sie zur Diagnose einer Diskushernie L5/S1 mit Wurzelkompression L5 rechts, einer Diskushernie C6/C7 rechts mediolateral mit mässiger Pelottierung des Myelons und einer Diskusprotrusion C5/C5 links mediolateral mit Tangierung der Nervenwurzel C5 links. Ferner prüfte sie die Beweglichkeit, Reflexe, Motorik/Restkraft sowie die Sensibilität der Hals- und Lendenwirbelsäule (HWS und LWS). Daraus folgerte die Ärztin, die Versicherte leide an Cervikobrachialgien und Lumboischialgien.
Nicht näher bzw. abschliessend abgeklärt sind die in den Berichten dazu erwähnten Gefühlsstörungen und das Taubheitsgefühl in der rechten Hand. Dies ist insoweit von Bedeutung, als die Ärztin ihre Einschätzung zur Restarbeitsfähigkeit selbst nicht näher erläuterte, statt dessen lediglich mit "Ich glaube, die Patientin könnte..." einleitete, insoweit völlig unklar ist, was alles in diese Einschätzung als leistungsmindernd betrachtet hineingeflossen ist. Dies zu wissen ist aber Voraussetzung für die vom Gericht vorzunehmende Plausibilitätskontrolle.
3.3. Die Berichte waren konzeptionell nicht primär darauf ausgerichtet, die Arbeitsfähigkeit allumfassend zu bestimmen, sondern es ging schwergewichtig darum, die aus neurochirurgischer Sicht bestehenden Verbesserungsmöglichkeiten zu prüfen und aufzuzeigen. Aus diesem Grund dürfte die Ärztin nicht nur darauf verzichtet haben, den angesprochenen Gefühlsstörungen und dem Taubheitsgefühl näher nachzugehen, sondern sie verzichtete auch darauf, die Patientenvorgeschichte zu erheben, das heisst bereits bestandene Arzt- und Erfahrungsberichte beizuziehen, obwohl dies für die Einschätzung der Auswirkungen einer Schmerzsymptomatik auf den Arbeitsalltag von erheblicher Bedeutung sein kann. Zwar ist der Beizug keineswegs Grundvoraussetzung, um eine Restarbeitsfähigkeit festlegen zu können. Wenn eine solche aber, wie vorliegend, erheblich von anderen Einschätzungen abweicht, bedarf es jedoch zumindest einer nachvollziehbaren Begründung für die anderslautende Einschätzung. Diese kann sich aus den Berichten selber oder aus den weiteren Umständen ergeben.
Eine Erklärung, weshalb die Neurochirurgin die Restarbeitsfähigkeit in einer dem Leiden angepassten Tätigkeit signifikant tiefer einschätzte als jene Personen, welche die Versicherte zuvor behandelt hatten, findet sich weder in ihren Berichten, noch ergibt sich solches mittelbar aus den unterschiedlichen Diagnosestellungen oder den weiteren Umständen. Insbesondere kann nicht argumentiert werden, die unterschiedliche Diagnose allein erkläre dies, zumal insbesondere bereits Dr. E.________, Chiropraktor SCG, bei welchem die Beschwerdegegnerin seit dem 26. August 2011 in Behandlung gestanden hatte, auch auf Auffälligkeiten im HWS-Bereich gestossen war, im Übrigen aber bei aktuell bestehender Arbeitsfähigkeit von 50% am 11. November 2011 noch ein Wiedererlangen der vollständigen Arbeitsfähigkeit bei Weiterführung der Behandlung für die Zeit ab Anfang 2012 als zu erwarten erachtete. Dass die Versicherte die Behandlung bei Dr. E.________ abbrach, statt dessen - soweit aktenmässig erkennbar - auch nicht an anderer Stelle fortführte, geschweige denn eine andere, zielgerichtete Behandlung später noch durchgeführt worden wäre, hilft nicht weiter. Gleiches gilt für den Umstand, dass sie sich im Gespräch vom 16. November 2011 mit dem Eingliederungsberater der IV-Stelle entgegen der Einschätzung von Dr. E.________ für nicht arbeitsfähig erachtete und die Hausärztin Dr. med. D.________, welche zumindest bis zu diesem Zeitpunkt auch noch von einer in erheblichem Umfang bestehenden Arbeitsfähigkeit in einer dem Leiden angepassten Tätigkeit ausging, dies für die aktuell innegehaltene Arbeitsstelle gleichentags unkommentiert für die Zeit vom 1. Dezember bis 31. Dezember 2011 denn auch so attestierte.
3.4. Stattdessen fällt der zeitlich enge Konnex zwischen dem "zutiefst gekränkt" erlebten Verlust der Arbeitsstelle und der sich verändernden Beschreibung der Restarbeitsfähigkeit durch die Versicherte untersuchende Personen auf. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer sich mit den früheren Einschätzungen zur Restarbeitsfähigkeit erkenn- und nachvollziehbar auseinandersetzenden, die weiteren Umstände mit einschliessenden vertieften medizinischen Gesamtbeurteilung. Ohne diese erweist sich die Angelegenheit als nicht spruchreif.
3.5. Die Sache ist somit an das kantonale Gericht zurückzuweisen, welches weitere Abklärungen zu tätigen haben wird. Eine Rückweisung direkt an die Verwaltung zwecks weiterer Abklärungen fällt hingegen ausser Betracht (dazu siehe Näheres in: BGE 137 V 201 E. 4.4.1.4 S. 264).
4.
Da es letztlich die IV-Stelle ist, welche durch die vor Verfügungserlass nur unzureichend durchgeführten Sachverhaltsabklärungen das Rechtsmittelverfahren veranlasst hat, sind ihr in Anlehnung an Art. 66 Abs. 3 BGG trotz letztinstanzlichem Obsiegen die Gerichtskosten zu überbinden. Aus demselben Grund hat sie die anwaltschaftlich vertretene Beschwerdegegnerin zu entschädigen (Art. 68 Abs. 4 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. Februar 2015 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 29. September 2015
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Leuzinger
Der Gerichtsschreiber: Grünvogel