Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img] |
|
|
{T 0/2}
4A_401/2015
|
|
|
Urteil vom 8. Januar 2016
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterin Klett, Bundesrichterin Niquille,
Gerichtsschreiberin Marti-Schreier.
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Manfred Dähler,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Kummer,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Werkvertrag; Mangel,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
Appenzell Ausserrhoden, 1. Abteilung,
vom 16. Februar 2015.
Sachverhalt:
A.
A.a. Am 26. Februar 1999 löste sich in Alt St. Johann der Anhänger eines Postautos und geriet auf die Gegenfahrbahn, wo er mit einem Personenwagen kollidierte; die Lenkerin wurde schwer verletzt.
A.b. B.________ (Beklagter, Beschwerdegegner) hatte den Anhänger als Prototyp für die A.________ AG (Klägerin, Beschwerdeführerin) aufgrund einer Offerte vom 23. Oktober 1998 hergestellt. Die Auftragsbestätigung der A.________ AG datiert vom 17. November 1998; am 16. Dezember 1998 nahm die Motorfahrzeugkontrolle der Klägerin den Sachentransport-Anhänger im Betrieb des Beklagten ab. Mit Schreiben vom 17. Dezember 1998 erinnerte sie den Beklagten "nochmals daran, dass der Anhänger in U.________ an verschiedenen Postautos mitgeführt wird, die einen hinteren Überhang von 3,2 bis 3,6 m aufweisen. Die Garantie der Deichsel bzw. der 50 mm Durchmesser Kugelkupplung (Albe) am Anhänger muss deshalb auf den erschwerten Betriebseinsatz durch Sie als Fahrzeughersteller überprüft werden. Mit diesem Vorbehalt kann der Anhänger am 24.12.1998 in Ihrer Verantwortung zum Probelauf, dem Postautodienst in U.________, freigegeben werden." Der Beklagte baute darauf eine stärkere Kupplung - eine 3,5 t-Kugelkupplung - ein, die er bei der C.________ AG in V.________ bezogen hatte, und lieferte den Anhänger am 24. Dezember 1998 an die Klägerin in U.________ aus. Am 8. Januar 1999 stellte die Motorfahrzeugkontrolle der Klägerin den Fahrzeugausweis für den Anhänger mit dem Vermerk "1. Inverkehrsetzung: 24.12.1998" aus.
A.c. Mit Schreiben vom 8. März 1999 verlangte B.________ von der C.________ AG eine Berechnung und eine schriftliche Garantie für die Kugelkupplung ALBE 3,5 t EM 300A. Die A.________ AG meldete am 17. März 1999 gegenüber dem Beklagten vorsorglich Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 26. Februar 1999 an und erhob Rüge wegen Mängeln am Anhänger, insbesondere Materialfehler im Bereich der Kupplung. Am 19. März 1999 rügte der Beklagte vorsorglich gegenüber der C.________ AG Mängel an der gelieferten Kugelkupplung, insbesondere durch Materialfehler. Der Beklagte reparierte in der Folge den Anhänger für die Klägerin und übergab ihr diesen am 16. Juli 1999.
A.d. Es wurden Strafverfahren gegen den Postauto-Chauffeur und den Garagenchef eröffnet, die am 13. März 2001 wegen Verjährung eingestellt wurden. Im Rahmen dieses Verfahrens erstellte D.________ vom Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt St. Gallen am 20. April 1999 ein Gutachten und am 19. Juli 2000 ein Zusatzgutachten.
A.e. Am 31. August 2007 stellte die Klägerin ein Vermittlungsbegehren und gelangte unter Beilage des Leitscheins vom 20. September 2007 an das Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden mit dem Begehren, der Beklagte sei zu verpflichten, ihr den Betrag von Fr. 526'199.15 nebst 5 % Zins seit 26. Februar 1999 und Betreibungskosten zu bezahlen; es sei der in Betreibung Nr. xxx des Betreibungsamts Appenzeller Mittelland erhobene Rechtsvorschlag aufzuheben.
A.f. Das Kantonsgericht Appenzell Ausserrhoden beschränkte das Verfahren auf die Grundsatzfrage der Haftung. Es zog die Akten der Strafuntersuchung bei; auf Anfrage des Gerichts teilte das Untersuchungsamt Flums am 7. Juli 2009 per E-Mail mit, die Anhängerkupplung sei im November 2008 vom Strassenverkehrsamt entsorgt worden. Das Kantonsgericht holte bei der E.________ ein gerichtliches Gutachten ein, das von Dr. Sc. Tech. F.________ am 18. August 2010 erstellt wurde. Der Experte ergänzte seinen Bericht am 2. Februar 2011 aufgrund der Foto-Dokumentation des Strassenverkehrsamtes. Am 21. Oktober 2011 fand vor Kantonsgericht eine mündliche Experteninstruktion statt und am 10. November 2011 lieferte der Gutachter einen weiteren Bericht ab. In der Folge führte er Belastungstests an Anhängerkupplungen durch, deren Ergebnisse er in einem Bericht vom 11. Februar 2013 festhielt. Die Parteien nahmen je zum Beweisergebnis Stellung.
A.g. Das Kantonsgericht von Appenzell Ausserrhoden wies die Klage mit Urteil vom 22. August 2013 (schriftlich begründet zugestellt am 20. Dezember 2013) ab. Es gelangte zum Schluss, der Klägerin sei der Beweis nicht gelungen, dass der Beklagte eine mangelhafte Kugelkupplung geliefert habe, welche den Unfall verursacht habe.
B.
Das Obergericht Appenzell Ausserrhoden wies mit Entscheid vom 16. Februar (zugestellt am 16. Juni) 2015 die Berufung der Klägerin unter Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils vollumfänglich ab. Das Obergericht bestätigte die Beweiswürdigung durch das Kantonsgericht; es erkannte, dass die Klägerin den Anhänger am 24. Dezember 1998 abgenommen und in der Folge stillschweigend genehmigt habe, verneinte die Rechtzeitigkeit der Mängelrüge und bestätigte, dass der Klägerin als Bestellerin der Nachweis eines Mangels nicht gelungen sei.
C.
Mit Eingabe vom 18. August 2015 ficht die Klägerin das Urteil des Obergerichts Appenzell Ausserrhoden vom 16. Februar 2015 an und beantragt sinngemäss dessen Aufhebung unter Bejahung der Haftung und Rückweisung der Sache zur Bestimmung des Schadenersatzbetrages an das Kantonsgericht, eventuell an das Obergericht. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe die Haftung des Beschwerdegegners zu Unrecht nicht nach Art. 97 ff. OR, sondern nach Art. 365 ff. OR beurteilt, denn der Probebetrieb des Anhängers sei im Unfallzeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen, weshalb eine Werkabnahme und -genehmigung nicht möglich gewesen sei; eine strassenverkehrsrechtliche Zulassung sei keine Werkabnahme bzw. -genehmigung. Eventualiter behauptet sie, die rechtzeitige Mängelrü ge sei bewiesen, und sie beanstandet, dass die Vorinstanz den Beweis des Mangels nicht als erbracht ansah.
Der Beschwerdegegner schliesst in der Antwort auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:
1.
Das angefochtene Urteil beendet mit der Abweisung der Klage das Verfahren (Art. 90 BGG); es hat eine Zivilstreitigkeit zum Gegenstand (Art. 72 Abs. 1 BGG) und ist von einem oberen kantonalen Gericht als Rechtsmittelinstanz erlassen worden (Art. 75 BGG). Die Beschwerdeführerin ist mit ihren Anträgen unterlegen (Art. 76 Abs. 1 BGG) und der Streitwert ist erreicht (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG). Auf die fristgerecht eingereichte Beschwerde (Art. 100 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG) ist unter Vorbehalt hinreichender Begründung (Art. 42 Abs. 2 BGG) einzutreten.
2.
Die Beschwerdeführerin stellt zu Recht nicht in Frage, dass die Vorinstanz den Vertrag, aus dessen angeblicher Verletzung sie ihre Forderung ableitet, als Werkvertrag qualifiziert hat. Sie rügt, dass die Ablieferung und Genehmigung des Werks bejaht wurde.
2.1. Die Ablieferung und Abnahme des Werkes setzen dessen Vollendung voraus (BGE 129 III 738 E. 7.2 S. 748). Abgeliefert wird es durch Übergabe oder durch die Mitteilung des Unternehmers, es sei vollendet. Eine Abnahme kann auch stillschweigend dadurch erfolgen, dass das Werk gemäss seinem Zweck gebraucht wird (BGE 115 II 456 E. 4 S. 459 mit Verweis). Vollendet ist das Werk, wenn sämtliche vereinbarten Arbeiten - mit allfälligen Bestellungsänderungen - ausgeführt sind (GAUCH, Werkvertrag, 5. Aufl. 2011, N. 101 f. mit Hinweisen).
2.2. Im vorliegenden Fall vereinbarten die Parteien nach den Feststellungen der Vorinstanz, welche die Beschwerdeführerin insoweit nicht in Frage stellt, die Erstellung eines Anhängers als Prototyp durch den Beschwerdegegner. Dieser Prototyp wurde vom Beschwerdegegner hergestellt und von der Beschwerdeführerin im Betrieb des Beschwerdegegners am 16. Dezember 1998 unter Vorbehalt der Kupplungsstärke gemäss Schreiben vom 17. Dezember 1998 abgenommen. Nachdem der Beschwerdegegner die Kupplung durch eine stärkere ersetzt und den Anhänger am 24. Dezember 1998 mit dieser verstärkten Kupplung abgeliefert hatte, liess die Motorfahrzeugkontrolle der Klägerin den Anhänger am 8. Januar 1999 rückwirkend per 24. Dezember 1998 als Strassenfahrzeug zu. Die Vorinstanz schliesst zutreffend, dass damit das vereinbarte Werk geliefert und abgenommen wurde.
2.3. Wenn die Beschwerdeführerin aus dem Verwendungszweck des Anhängers als Testfahrzeug bzw. Prototyp ableiten will, das Werk sei unvollendet, verkennt sie, dass sich das Werk und damit auch dessen Vollendung nach der vertraglichen Vereinbarung bestimmt. Der Anhänger wurde aber nach den Feststellungen der Vorinstanz vom Beschwerdegegner als Prototyp oder Testfahrzeug so geliefert, wie ihn die Beschwerdeführerin bestellt hatte. Die Beschwerdeführerin behauptet denn auch nicht, dass bestimmte vertraglich vereinbarte Teile des Prototyps noch gefehlt hätten; sie bestreitet nicht, dass der Beschwerdegegner sämtliche Arbeiten ausführte, die vertraglich geschuldet waren. Dass sie das - vertragsgemäss ausgeführte und damit vollendete - Werk zur Grundlage veränderter oder verbesserter Werkausführungen machen wollte, ändert daran nichts. Die Vorinstanz hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Beschwerdeführerin nicht nur zu beweisen hat, dass der Anhänger mangelhaft war bzw. dessen Mangel den Unfall - dessen Kosten sie zum Ersatz beansprucht - adäquat-kausal verursachte, sondern dass sie auch die Rechtzeitigkeit der Mängelrüge beweisen muss (BGE 100 II 30 E. 2 S. 32 f.).
3.
Die Vorinstanz hat mit dem Kantonsgericht den Beweis nicht als erbracht angesehen, dass die Kupplung des vom Beschwerdegegner hergestellten Anhängers Mängel aufgewiesen hat. Sie hat aus diesem Grund die Forderung der Beschwerdeführerin auf Ersatz des behaupteten Mangelfolgeschadens abgewiesen.
3.1. Gemäss Art. 97 BGG kann die Feststellung des Sachverhalts und damit die Beweiswürdigung nur gerügt werden, wenn die Sachverhaltsfeststellung offensichtlich unrichtig - d.h. willkürlich (Art. 9 BV; BGE 135 III 127 E. 1.5 S. 130 mit Hinweis) - ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann. Es gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht prüft in diesem Fall nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen; auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 137 II 353 E. 5.1 S. 356; 134 II 244 E. 2.2 S. 246). Die Sachverhaltsfeststellung bzw. Beweiswürdigung erweist sich als willkürlich (Art. 9 BV), wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 137 III 226 E. 4.2 S. 234; 136 III 552 E. 4.2 S. 560).
3.2. Die Vorinstanz hat zunächst zutreffend festgehalten, dass die Beschwerdeführerin - welche die eingeklagten Ansprüche aus einem angeblichen Mangel des Anhängers im Bereich der Kupplung ableitet - den behaupteten Werkmangel zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen muss. Sie hat die behauptete Beweisnot der Beschwerdeführerin mit dem zutreffenden Hinweis verworfen, dass blosse Beweisschwierigkeiten im Einzelfall nicht zu Beweiserleichterungen führen können (BGE 130 III 321 E. 3.2 S. 324) und sich die Beschwerdeführerin ausserdem vorhalten lassen muss, dass sie nicht rechtzeitig ein Begehren auf Edition der Original-Unfallkupplung gestellt hat. Unbesehen der Umstände der Entsorgung der Originalkupplung besteht hier kein Grund für eine Beweiserleichterung. Die Beschwerdeführerin verkennt zudem die ihr obliegende Beweislast, wenn sie annimmt, sie brauche den technischen Mangel nicht zu beweisen. Die Vorinstanz hält zutreffend fest, dass das Loslösen des Anhängers während der Fahrt nicht beweist, dass die Ursache dafür ein Defekt der Kupplung war.
3.3. Die Vorinstanz hat - teilweise mit Verweis auf die Erwägungen der ersten Instanz - gestützt auf das Gerichtsgutachten den Beweis des Werkmangels nicht als erbracht angesehen, ohne den Experten des Strassenverkehrsamtes als Zeugen einzuvernehmen, der im Strafverfahren starke Indizien für Materialalterungen und Verschleiss-Spuren festgestellt hatte. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist nicht willkürlich, dass die Vorinstanz dem von ihr eingeholten Gerichtsgutachten den Vorzug vor dem Gutachten eingeräumt hat, das im Verfahren der Strafuntersuchung bei einem Angestellten des Strassenverkehrsamtes St. Gallen eingeholt wurde. Der Gerichtsexperte ist in Kenntnis des im Strafverfahren eingeholten Gutachtens zum Schluss gelangt, dass die Kupplung mit grosser Wahrscheinlichkeit vor der Unfallfahrt für den Gebrauch funktionstauglich und in Ordnung war. Was die von der Beschwerdeführerin beantragte Zeugeneinvernahme des Experten des Strassenverkehrsamtes daran hätte ändern können, wird in der Beschwerde nicht begründet. Die Vorinstanz hat in vertretbarer Weise auf die vom erstinstanzlichen Gericht eingeholte Expertenmeinung abgestellt. Danach lässt sich der Grund, warum sich die Kupplung gelöst hat, nicht mehr eindeutig feststellen und sind insbesondere Fehlmanipulationen beim Anhängen oder ein ausgefahrenes Stützrad als Ursache nicht auszuschliessen. Der Schluss, dass die Beschwerdeführerin damit mit dem ihr obliegenden Beweis gescheitert ist, dass der Unfall auf einen Mangel des Anhängers bzw. dessen Kupplung zurückzuführen sei, beruht nicht auf willkürlicher Würdigung der Beweise.
4.
Die Vorinstanz hat weder die bundesrechtlichen Anforderungen an den Beweis verkannt noch die Beweise willkürlich gewürdigt, wenn sie die Klage mangels nachgewiesenen Werkmangels abwies. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob sie bundesrechtskonform auch die Rechtzeitigkeit der Mängelrüge als nicht bewiesen erachtete. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Diesem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin zu auferlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und sie hat dem anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner überdies dessen Parteikosten für das bundesgerichtliche Verfahren zu ersetzen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Gebühr und Entschädigung bemessen sich nach dem Streitwert.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 8'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 9'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht Appenzell Ausserrhoden, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. Januar 2016
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Kiss
Die Gerichtsschreiberin: Marti-Schreier