Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
4A_519/2015
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Urteil vom 4. Februar 2016
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Hohl, Niquille,
Gerichtsschreiberin Reitze-Page.
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Krishna Müller,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________ SA,
vertreten durch Rechtsanwalt Nicolas De Cet,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Mieterausweisung, Rechtsschutz in klaren Fällen,
Beschwerde gegen den Entscheid des Handelsgerichts
des Kantons Bern vom 25. August 2015.
Sachverhalt:
A.
A.a. Zwischen der B.________ SA (Vermieterin, Gesuchstellerin, Beschwerdegegnerin), deren Gesellschaftszweck u.a. das Verwalten von Grundstücken umfasst, und der A.________ AG (Mieterin, Gesuchsgegnerin, Beschwerdeführerin) bestand ein unbefristetes Mietverhältnis betreffend die Geschäftsräume an der Strasse U.________ in V.________. Mit Schreiben vom 24. Dezember 2014 forderte die Vermieterin die Mieterin auf, den noch offenen Betrag der Nebenkostenabrechnung 2011/2012 im Umfang von Fr. 2'420.29 bis am 2. Februar 2015 zu bezahlen, andernfalls der Mietvertrag auf Ende März 2015 gekündigt werde. Gemäss elektronischer Sendungsverfolgung der Post wurde die Kündigungsandrohung der Mieterin am 29. Dezember 2014 zugestellt. Diese kam dieser Aufforderung innert Frist nicht nach, worauf die Vermieterin am 26. Februar 2015 den Mietvertrag mit dem vom Kanton genehmigten Formular mit Wirkung per 31. März 2015 kündigte.
A.b. Die Mieterin focht die Kündigung mit Klage vom 8. Juni 2015 vor dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland an. Im Hauptbegehren beantragte sie die Feststellung der Ungültigkeit der Kündigung mangels Vorliegen eines Zahlungsrückstands im Sinn von Art. 257d OR; eventualiter berief sie sich auf Missbräuchlichkeit der Kündigung; subeventualiter verlangte sie die Feststellung, dass die Kündigung nicht vollstreckbar sei.
B.
Am 8. Juni 2015 reichte die Vermieterin beim Handelsgericht des Kantons Bern gestützt auf Art. 257 ZPO ein Ausweisungs- und Forderungsbegehren ein. Mit Entscheid vom 25. August 2015 fällte das Handelsgericht - soweit hier von Interesse - folgenden Entscheid: Es befahl der Gesuchsgegnerin, die Räumlichkeiten an der Strasse W.________ in V.________ bis spätestens am 24. September 2015 um 12.00 Uhr zu räumen und die Schlüssel der Gesuchstellerin zu übergeben. Falls die Gesuchsgegnerin dieser Anordnung nicht innert Frist Folge leistet, wurde die Gesuchstellerin ermächtigt, den Vollzug der Ausweisung durch die zuständige Polizeibehörde vornehmen zu lassen.
C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, der Entscheid des Handelsgerichts des Kantons Bern vom 25. August 2015 sei aufzuheben und auf das Gesuch der Beschwerdegegnerin vom 8. Juni 2015 sei nicht einzutreten. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte sie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung, die ihr mit Präsidialverfügung vom 23. Oktober 2015 erteilt wurde.
Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Die Beschwerdeführerin sei zu verpflichten, die Räumlichkeiten an der Strasse U.________ in V.________ (und nicht an der Strasse W.________ in V.________) innert einer kurzen vom Gericht anzusetzenden Frist zu räumen und die Schlüssel der Gesuchstellerin zurückzugeben, unter Androhung der Bestrafung nach Art. 292 StGB. Ausserdem sei anzuordnen, dass im Unterlassungsfall die zuständige Behörde unter Beizug der Polizei die zwangsweise Räumung vornehme.
Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in Zivilsachen sind erfüllt. Unter Vorbehalt einer rechtsgenüglichen Begründung (Art. 42 Abs. 2 BGG) ist auf die Beschwerde einzutreten.
1.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf die allgemeinen Begründungsanforderungen an eine Beschwerde ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ) behandelt es aber grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind; es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 140 III 86 E. 2 S. 88 f. mit Hinweisen).
Unerlässlich ist im Hinblick auf Art. 42 Abs. 2 sowie Art. 106 Abs. 2 BGG , dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 140 III 86 E. 2 S. 89, 115 E. 2 S. 116). Erfüllt eine Beschwerde diese Anforderungen nicht, ist darauf nicht einzutreten.
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 17 f. mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117; 264 E. 2.3 S. 266; 135 III 397 E. 1.5 S. 401). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Wer die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 17 f.; 264 E. 2.3 S. 266; je mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt offensichtlich unrichtig dargestellt, indem sie als erwiesen erachtet habe, dass ein Zahlungsrückstand bestand; die Parteien seien sich betreffend der Höhe der Nebenkosten uneinig gewesen. Es ist unklar, ob sie damit wirklich die tatsächliche Feststellung der Vorinstanz, dass ein Zahlungsrückstand betreffend der Nebenkostenabrechnung bestand, rügen will. Vielmehr scheint es ihr hier darum zu gehen, wie bereits vor Vorinstanz darzulegen, dass sie die Berechtigung der Nebenkosten angesichts der ihres Erachtens notwendigen Sanierungsarbeiten nicht akzeptiere. Soweit man entgegen dem annehmen wollte, es liege eine Sachverhaltsrüge vor, wären die Rügeerfordernisse offensichtlich nicht erfüllt, weshalb nicht darauf eingetreten werden kann.
2.
2.1. Nach Art. 257d OR kann der Vermieter dem Mieter von Wohnräumen, der sich mit fälligen Mietzinsen oder Nebenkosten im Zahlungsrückstand befindet, unter Ansetzung einer Frist von mindestens 30 Tagen schriftlich die Kündigung des Mietverhältnisses androhen. Wird auch innert dieser Frist nicht bezahlt, kann er mit einer weiteren Frist von 30 Tagen auf das Ende eines Monats kündigen.
2.2. Art. 257 Abs. 1 ZPO sieht unter dem Titel "Rechtsschutz in klaren Fällen" vor, dass das Gericht Rechtsschutz im summarischen Verfahren gewährt, wenn zum einen der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar (lit. a) und zum anderen die Rechtslage klar ist (lit. b).
3.
Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, aufgrund der im Mietrecht geltenden uneingeschränkten Empfangstheorie gelte die Kündigung als am 27. Februar 2015 zugestellt, womit mit der Kündigung per Ende März 2015 die gesetzliche Frist eingehalten sei. Die Gültigkeit der Kündigung stelle im Ausweisungsverfahren eine Vorfrage dar. Die Kündigung sei wegen Nichtbezahlens eines Teils der Nebenkosten erfolgt und damit gültig. Selbst wenn die Nebenkostenabrechnung strittig gewesen wäre, würde dies nichts ändern. Zum Einwand der Beschwerdeführerin, die Kündigung sei missbräuchlich gemäss Art. 271a Abs. 1 lit. a und b OR führte die Vorinstanz aus, die Beschwerdeführerin habe mangels Einhaltung der 30-tägigen Frist gemäss Art. 273 Abs. 1 OR ihr Recht, die Kündigung wegen eines Verstosses gegen Treu und Glauben im Sinn von Art. 271 und 271a OR anzufechten, verwirkt. Daher könne die vorfrageweise Prüfung, ob die Kündigung rechtsmissbräuchlich gewesen wäre, unterbleiben.
4.
4.1. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz sei zu Unrecht von einem liquiden Sachverhalt im Sinn von Art. 257 Abs. 1 lit. a ZPO ausgegangen. In welchen Punkten der
Sachverhalt bestritten bzw. nicht bewiesen sei, legt sie aber nicht dar. Konkret macht sie geltend, der Sachverhalt sei deshalb nicht liquid, weil die Kündigung angefochten sei. Damit vermischt sie aber Sachverhalt und Rechtsfrage. Als Tatsache ist die Kündigungsanfechtung unbestritten; strittig ist allenfalls die (Rechts) Frage, welche rechtliche Bedeutung der Anfechtung zukommt.
Sie macht weiter geltend, die Korrespondenz mit der Vermieterin im Vorfeld der Kündigung sei in Französisch erfolgt, weshalb die Vermieterschaft auf den Unklarheiten der Formulierungen zu behaften sei. Die Parteien seien sich uneinig, wie die Abmahnung betreffend die Nebenkosten zu interpretieren sei und es hätte mehrmals hin und her geschrieben werden müssen, da es zu einem Missverständnis bezüglich deren Höhe gekommen sei. Es ist völlig unklar, worin diese Unklarheiten bestanden haben sollen und auch aus dem angefochtenen Entscheid ergeben sich keine diesbezüglichen Feststellungen. Auch auf diese Rüge ist daher nicht einzutreten.
4.2. Auch soweit die Beschwerdeführerin die Beurteilung der klaren Rechtslage (Art. 257 Abs. 1 lit. b ZPO) durch die Vorinstanz bemängelt, liegen keine genügenden Rügen vor:
Sie scheint erneut geltend machen zu wollen, die Nebenkostenabrechnung sei nicht gerechtfertigt und strittig gewesen - man sei sich diesbezüglich "uneinig " gewesen - und daher eine Kündigung wegen Zahlungsverzug nicht gültig. Die Vorinstanz hat dargelegt, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 140 III 591 E. 3.2 S. 595 f.; Urteil 4A_40/2015 vom 18. Februar 2015 E. 4.2.1) Art. 257d OR nicht voraussetze, dass die Mietzins- oder Nebenkostenforderung unbestritten oder gerichtlich festgelegt worden sei, sondern lediglich, dass sie fällig sei und der Mieter genügend Zeit hatte, die Originalbelege einzusehen und die Richtigkeit der Abrechnung zu prüfen. Die Beschwerdeführerin bringe nicht vor, dass die Nebenkosten vorliegend nicht detailliert abgerechnet worden, die Einsichtnahme in die Originalbelege verweigert und die Nebenkosten nicht effektiv entstanden wären. Mit dieser Begründung setzt sich die Beschwerdeführerin nicht auseinander, weshalb die Rüge nicht rechtsgenüglich erhoben und darauf nicht einzutreten ist. Im Übrigen sind die Ausführungen der Vorinstanz offensichtlich zutreffend: Diese bejahte zu Recht, dass hinsichtlich des Zahlungsverzugs als Voraus setzung für die Kündigung eine klare Rechtslage gemäss Art. 257 Abs. 1 lit b ZPO besteht.
Schliesslich wendet die Beschwerdeführerin erneut ein, die Kündigung verstosse gegen Treu und Glauben. Die Vorinstanz hat wie erwähnt diese Vorfrage nicht geprüft mit der Begründung, die Beschwerdeführerin habe mit dem am 2. April 2015 anhängig gemachten Schlichtungsgesuch die 30-tägige Frist zur Anfechtung der Kündigung nach Art. 273 Abs. 1 OR, die am 30. März 2015 abgelaufen sei, nicht eingehalten. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 133 III 175 E. 3.3.4 S. 180; Urteil 4A_469/2013 vom 14. November 2013 E. 4) könne die Rüge, die Kündigung sei rechtsmissbräuchlich gewesen im Ausweisungsverfahren mangels Einhaltung der bundesrechtlichen Verwirkungsfrist nicht mehr erhoben werden. Auch auf diese Begründung geht die Beschwerdeführerin nicht ein und genügt daher die Beschwerde den Rügeerfordernissen erneut nicht, weshalb darauf nicht einzutreten ist. Auch diese Ausführungen der Vorinstanz sind zudem offensichtlich zutreffend und der Einwand der Beschwerdeführerin ändert nichts daran, dass die Rechtslage klar ist.
5.
Auf die Beschwerde ist somit insgesamt nicht einzutreten. Damit bleibt es beim angefochtenen Entscheid des Handelsgerichts; dieser wird nicht durch den Entscheid des Bundesgerichts ersetzt.
Die Beschwerdegegnerin macht wie erwähnt geltend, die Ausweisung sei für die Räumlichkeiten an der Strasse U.________ in V.________ auszusprechen und nicht wie im Dispositiv des angefochtenen Entscheids aufgeführten Räumlichkeiten an der Strasse W.________ in V.________. Der Antrag zielt auf eine Berichtigung des angefochtenen Dispositivs. Auch die Vorinstanz ging davon aus, das strittige Mietverhältnis betreffe die Geschäftsräume an der Strasse U.________ in V.________ (angefochtener Entscheid Ziff. III./2.2). Zuständig für eine Berichtigung ist das Gericht, welches den zu berichtigenden Entscheid gefällt hat; das Gesetz sieht keine Frist für das Berichtigungsgesuch vor (Art. 334 ZPO; BGE 139 III 379 E. 2.1 S. 380). Sollte es im Hinblick auf die Vollstreckung notwendig werden, kann die Beschwerdegegnerin somit der Vorinstanz, deren Entscheid wie dargelegt nicht durch den vorliegenden Entscheid ersetzt wird, ein Berichtigungsgesuch stellen.
6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'500.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. Februar 2016
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Kiss
Die Gerichtsschreiberin: Reitze-Page