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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
{T 0/2}
1C_614/2015
Urteil vom 5. Februar 2016
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Pedretti.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
B.________,
Beschwerdegegner,
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen,
Kantonales Untersuchungsamt,
Spisergasse 15, 9001 St. Gallen.
Gegenstand
Ermächtigungsverfahren,
Beschwerde gegen den Entscheid vom 29. September 2015 der Anklagekammer des Kantons St. Gallen.
Sachverhalt:
A.
Gegen A.________ wird ein Strafverfahren wegen Verdachts der sexuellen Handlungen mit Kindern und der Pornografie geführt. In diesem Strafverfahren wurde Dr. med. B.________ mit der forensisch-psychiatrischen Begutachtung von A.________ beauftragt. Im Gutachten vom 23. März 2015 kommt er im Wesentlichen zum Ergebnis, dass A.________ an einer multiplen Störung der Sexualpräferenz mit vorwiegend fetischistischen, sadomasochistischen und ausgeprägt pädophilen Anteilen leide. Ferner weise dieser akzentuierte Persönlichkeitszüge im Sinne einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung auf. Es bestehe hohe Rückfallgefahr und eine Behandlung sei erforderlich, wobei eine Massnahme nach Art. 59 StGB zu empfehlen sei.
B.
A.________ wandte sich mit "Strafantrag" vom 27. August 2015 an die Anklagekammer des Kantons St. Gallen. Darin wirft er Dr. med. B.________ im Wesentlichen vor, als Sachverständiger gegen Art. 307 Abs. 1 StGB verstossen zu haben, indem er ein falsches Gutachten erstellt habe. Die Anklagekammer verweigerte mit Entscheid vom 29. September 2015 die Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Dr. med. B.________.
C.
Mit Beschwerde vom 25. November 2015 gelangt A.________ an das Bundesgericht und beantragt, der Entscheid der Anklagekammer sei aufzuheben und die Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen Dr. med. B.________ sei zu erteilen. In prozessualer Hinsicht ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
Dr. med. B.________ (Beschwerdegegner) hat sich vernehmen lassen, ohne einen förmlichen Antrag zu stellen. Die Anklagekammer verzichtet auf eine Stellungnahme. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen.
Erwägungen:
1.
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid über die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafuntersuchung steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272). Der Beschwerdegegner gehört nicht den obersten kantonalen Vollziehungs- und Gerichtsbehörden an, weshalb der Ausschlussgrund nach Art. 83 lit. e BGG nicht greift (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f. mit Hinweis). Der Beschwerdeführer, der am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen hat und dessen Strafanzeige nicht weiter behandelt wird, ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG beschwerdeberechtigt. Auf die Beschwerde ist vorbehaltlich zulässiger und genügend begründeter Rügen einzutreten.
1.2. Streitgegenstand bildet einzig die Frage, ob die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu Recht nicht erteilt worden ist. Die darüber hinausgehenden Vorbringen, das Abstellen auf ein nicht schlüssiges Gutachten könne gegen das Verbot der willkürlichen Beweiswürdigung verstossen und die Beurteilung der Wiederholungsgefahr in einem allfälligen Haftprüfungsverfahren negativ präjudizieren, sind daher unbeachtlich.
1.3. Der Beschwerdeführer rügt zwar eine unzutreffende Sachverhaltsfeststellung, legt aber nicht dar, worin diese bestehen soll. Darauf ist nicht einzutreten. Ausserdem spielt keine Rolle, ob es vorliegend um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geht, wie der Beschwerdeführer geltend macht.
2.
2.1. Nach Art. 7 Abs. 1 StPO sind die Strafbehörden verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihnen Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden. Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone allerdings vorsehen, dass die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen oder richterlichen Behörde abhängt. Diese Möglichkeit steht den Kantonen für sämtliche Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden offen (BGE 137 IV 269 E. 2.1 S. 275).
2.2. Der Kanton St. Gallen hat von seiner gesetzlichen Kompetenz Gebrauch gemacht und ein Ermächtigungsverfahren eingeführt (Art. 17 Abs. 2 lit. b des Einführungsgesetzes des Kantons St. Gallen vom 3. August 2010 zur Schweizerischen Straf- und Jugendstrafprozessordnung [EG-StPO]; sGS 962.1). Der hier angezeigte Beschwerdegegner fällt in den Anwendungsbereich des Ermächtigungserfordernisses.
2.3. Der Ermächtigungsvorbehalt dient namentlich dem Zweck, Behördenmitglieder und Beamte vor mutwilliger Strafverfolgung zu schützen und damit das reibungslose Funktionieren staatlicher Organe sicherzustellen. Es dürfen - ausser bei obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden - nur strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden (BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.).
2.4. Nach der Rechtsprechung ist für die Erteilung der Ermächtigung ein Mindestmass an Hinweisen auf strafrechtlich relevantes Verhalten zu verlangen (Urteil 1C_453/2015 vom 23. Oktober 2015 E. 2.3 mit Hinweis). Dabei muss eine Kompetenzüberschreitung oder eine gemessen an den Amtspflichten missbräuchliche Vorgehensweise oder ein sonstiges Verhalten, das strafrechtliche Konsequenzen zu zeitigen vermag, in minimaler Weise glaubhaft erscheinen und müssen hinreichende Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen (vgl. Urteil 1C_97/2015 vom 1. September 2015 E. 2.2 mit Hinweis).
3.
3.1. Nachfolgend ist demnach zu prüfen, ob genügend minimale Hinweise bestehen, dass das Verhalten, welches der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner vorwirft, strafbar sein könnte. Nicht in Frage gestellt wird dabei, dass der Beschwerdegegner, der von der Staatsanwaltschaft in einem Strafverfahren als Gutachter eingesetzt worden ist, zumindest eine beamtenähnliche Stellung innehat (vgl. BGE 135 IV 198 E. 3.3 S. 201 f.; 134 I 159 E. 3 S. 163; NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, S. 384).
3.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, der Beschwerdegegner habe vorsätzlich ein falsches Gutachten abgegeben (Art. 307 Abs. 1 StGB). Es bestünden genügende Anhaltspunkte dafür, dass die Befunde objektiv falsch seien und der Beschwerdegegner wissentlich ein unrichtiges Gutachten ausgestellt habe. So sei dieser insbesondere von Diagnosen, die in einem früheren polnischen Strafverfahren gestellt worden seien, ausgegangen und habe diese ohne Überprüfung übernommen. Zudem habe er ein veraltetes Prognoseinstrument verwendet und dabei gewisse Angaben falsch bewertet.
3.3. Wer in einem gerichtlichen Verfahren als Sachverständiger einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt, wird gemäss Art. 307 Abs. 1 StGB bestraft. In der Lehre wird dabei die Auffassung vertreten, dass das Strafverfahren bereits im Stadium des Vorverfahrens als gerichtliches Verfahren gilt (vgl. STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 7. Aufl. 2013, § 56 N. 24; DELNON/RÜDY, in: Basler Kommentar zum StGB II, 3. Aufl. 2013, N. 17 zu Art. 307 StGB). Der Tatbestand von Art. 307 StGB schützt in erster Linie die wahrheitsgemässe Tatsachenfeststellung in gerichtlichen Verfahren und damit die Rechtspflege in ihrer Funktionsfähigkeit. Es geht darum sicherzustellen, dass der Richter bei der Beweisaufnahme nicht durch falsche Aussagen in die Irre geführt und die Wahrheitsfindung im Prozess dadurch gefährdet wird (BGE 133 IV 324 E. 3.2 S. 326). Subjektiv erfordert der Tatbestand (Eventual-) Vorsatz (vgl. Urteil 6S.425/2004 vom 28. Januar 2005 E. 2.5).
3.4. Wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid zu Recht erwägt, sind die diagnostische Begutachtung und die daraus mit Blick auf die Rückfallgefahr resp. die Therapiebedürftigkeit gezogenen Schlussfolgerungen nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer wurde am 16. Januar 2015 und am 20. Februar 2015 in einer insgesamt knapp sechsstündigen psychiatrischen Exploration vom Beschwerdegegner eingehend untersucht. Zudem wurde am 20. Januar 2015 eine zusätzliche testpsychologische Abklärung durch eine weitere Fachperson durchgeführt. Gestützt auf die dadurch gewonnenen Erkenntnisse, die Informationen aus einer umfassenden Anamnese, die subjektiven Angaben des Beschwerdeführers, die ausführlichen Auswertungen der Akten und die Befunderhebungen hat der Beschwerdegegner die vorerwähnten Diagnosen (vgl. Bst. A hiervor) anhand eines internationalen Klassifikationssystems formuliert und Angaben zur Rückfallgefahr bzw. Massnahmenbedürftigkeit gemacht. Die Ausführungen im Gutachten sind kriterienorientiert, nachvollziehbar und transparent. Insofern ist nicht ersichtlich, weshalb die Diagnosen nach einer mehrstündigen psychiatrischen Exploration mit zusätzlichen testpsychologischen Untersuchungen nicht fehlerfrei hätten gestellt werden können. Unerheblich ist dabei, dass der Beschwerdeführer die Prognose hinsichtlich der Begehung weiterer Delikte bzw. seinen psychischen Zustand anders wahrnimmt. Für den von ihm erhobenen Vorwurf der Ausstellung eines zur objektiven Wahrheit in Widerspruch stehenden Gutachtens finden sich keine Anhaltspunkte. Dies insbesondere auch in subjektiver Hinsicht nicht, da der Beschwerdegegner nicht wissentlich und willentlich unwahre Befunde angegeben resp. ein falsches Gutachten erstellt hat. Im Übrigen bringt er in seiner Stellungnahme vom 15. Dezember 2015 vor, er habe das Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen ausgearbeitet. Insoweit hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, indem sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung verweigert hat.
3.5. Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang eine Verletzung der aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör fliessenden Begründungspflicht geltend macht (Art. 29 Abs. 2 BV), ist ihm zwar darin zuzustimmen, dass die Erwägungen der Anklagekammer im angefochtenen Entscheid eher knapp ausgefallen sind. Indes muss sich die Vorinstanz nicht mit jedem einzelnen Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandersetzen, sondern darf sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (vgl. BGE 136 I 229 E. 5.2 S. 236 mit Hinweisen). Da - wie sich aus dem soeben Ausgeführten ergibt - keine Hinweise für das Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale von Art. 307 Abs. 1 StGB ersichtlich sind, durfte sich die Vorinstanz entsprechend kurz halten. Aus ihren Erwägungen gehen die Motive für die Verweigerung der Ermächtigungserteilung mit genügender Klarheit hervor, so dass der Beschwerdeführer in der Lage war, diesen sachgerecht anzufechten.
Im Übrigen hat sich der Beschwerdeführer in seiner Strafanzeige bereits ausführlich zur Sache äussern können und Art. 29 Abs. 2 BV räumt im Verwaltungsverfahren keinen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung oder Anhörung ein (vgl. BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148 mit Hinweis). Dass sich ein solcher aus dem kantonalen Verfahrensrecht ableiten liesse, macht er nicht geltend.
4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nach Art. 64 BGG ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen. Indes ist der finanziellen Situation des Beschwerdeführers bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 300.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft, Kantonales Untersuchungsamt, und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. Februar 2016
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Die Gerichtsschreiberin: Pedretti