Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
1G_2/2016
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Urteil vom 19. April 2016
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Stohner.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Gesuchstellerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Margot Benz,
gegen
B.________,
Gesuchsgegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Fidel Cavelti,
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau,
Sonnenstrasse 4a, 9201 Gossau SG.
Gegenstand
Erläuterungsgesuch betreffend das bundesgerichtliche Urteil 1B_441/2015 vom 15. Februar 2016.
Sachverhalt:
A.
Mit Entscheid vom 12. Juni 2015 sprach das Kreisgericht Wil B.________ insbesondere der sexuellen Belästigung schuldig. Die Genugtuungsforderung der Privatklägerin A.________ verwies es auf den Weg des Zivilprozesses. Zudem verpflichtete es A.________, die vom Staat ihrer unentgeltlichen Rechtsvertreterin ausgerichtete Entschädigung zurückzuzahlen, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse erlaubten.
Am 5. Oktober 2015 reichte A.________ gegen diesen Entscheid Berufung an das Kantonsgericht St. Gallen ein. Mit Verfügung vom 24. November 2015 wies der Präsident der Strafkammer des Kantonsgerichts ein von A.________ gestelltes Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab. Diese Verfügung focht A.________ mit Beschwerde in Strafsachen vom 22. Dezember 2015 beim Bundesgericht an.
Mit Urteil 1B_441/2015 vom 15. Februar 2016 entschied das Bundesgericht in Dispositiv-Ziffer 1 das Folgende:
"Die Beschwerde wird gutgeheissen und die angefochtene Verfügung des Präsidenten der Strafkammer des Kantonsgerichts vom 24. November 2015 aufgehoben. Die Vorinstanz wird angewiesen, der Beschwerdeführerin für das Berufungsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der Erwägungen zu gewähren."
B.
Mit Eingabe vom 30. März 2016 stellt A.________ ein Gesuch um Erläuterung von Dispositiv-Ziffer 1 Satz 2 des bundesgerichtlichen Urteils 1B_441/2015 vom 15. Februar 2016. Zugleich ersucht sie für das Gesuchsverfahren um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt (Art. 127 und Art. 129 Abs. 3 BGG ).
Erwägungen:
1.
Ist das Dispositiv eines bundesgerichtlichen Entscheids unklar, unvollständig oder zweideutig, stehen seine Bestimmungen untereinander oder mit der Begründung im Widerspruch oder enthält es Redaktions- oder Rechnungsfehler, so nimmt das Bundesgericht auf schriftliches Gesuch einer Partei oder von Amtes wegen die Erläuterung oder Berichtigung vor (Art. 129 Abs. 1 BGG).
Als unklar und zweideutig erweist sich ein Dispositiv, wenn es aus objektiver Sicht verschieden verstanden werden kann. Ein Widerspruch kann zwischen verschiedenen Ziffern des Dispositivs oder mit Blick auf die Urteilsmotive bestehen. Die Begründung des Entscheids allein ist der Erläuterung nicht zugänglich, es sei denn, das Dispositiv nehme ausdrücklich darauf Bezug. Dies trifft insbesondere auf Entscheide zu, mit denen eine Streitsache im Sinne der Erwägungen zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. Ferner ist ein allfälliger Widerspruch zwischen Begründung und Dispositiv zu klären (ELISABETH ESCHER, Basler Kommentar BGG, 2. Aufl. 2011, N. 3 zu Art. 129).
2.
Die Gesuchstellerin bringt vor, nach ihrer Auffassung sei der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nicht teilbar; der Anspruch gelte entweder für das vollständige Berufungsverfahren oder gar nicht. Dispositiv-Ziffer 1 Satz 2 des Urteils 1B_441/2015 vom 15. Februar 2016 lasse sich unterschiedlich interpretieren. Das Bundesgericht werde deshalb ersucht, zu erläutern, ob die unentgeltliche Rechtspflege nebst der Rückzahlungsverpflichtung auch die Zivilklage umfasse.
3.
Mit Dispositiv-Ziffer 1 Satz 2 des Urteils 1B_441/2015 vom 15. Februar 2016 wies das Bundesgericht in Gutheissung der Beschwerde die Vorinstanz an, der Gesuchstellerin für das Berufungsverfahren die unentgeltliche Rechtspflege
im Sinne der Erwägungen zu gewähren. In E. 2.4 und E. 2.5 erwog das Bundesgericht zusammenfassend, es könne offen bleiben, ob die Zivilklage der Gesuchstellerin aussichtslos erscheine. Aus Art. 30 Abs. 3 OHG (SR 312.5) ergebe sich, dass die Berufung, soweit sie sich gegen die Rückzahlungsverpflichtung richte, nicht aussichtslos sei. Die Gesuchstellerin habe für das Berufungsverfahren unmittelbar gestützt auf Art. 29 Abs. 3 BV einen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, weshalb ihr die Vorinstanz diese
zumindest teilweise hätte gewähren müssen.
4.
Diese Erwägungen, auf welche in Dispositiv-Ziffer 1 Satz 2 des Urteils 1B_441/2015 vom 15. Februar 2016 verwiesen wird, sind nicht unklar oder zweideutig. Vielmehr folgt daraus ohne Weiteres, dass die unentgeltliche Rechtspflege grundsätzlich auch nur teilweise gewährt werden kann. Ausführungen, welche die gegenteilige Rechtsauffassung der Gesuchstellerin, wonach der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege unteilbar sei, stützen würden, finden sich in der Urteilsbegründung keine.
Das Gesuch um Erläuterung ist deshalb abzuweisen.
5.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Erläuterungsverfahren vor Bundesgericht ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (vgl. Art. 64 Abs. 1 BGG). Es rechtfertigt sich indes, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen ( Art. 68 Abs. 1 - 3 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Das Gesuch um Erläuterung wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau, und dem Präsident der Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 19. April 2016
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Stohner