Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
9C_810/2015
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Urteil vom 17. August 2016
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Pfiffner, Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber R. Widmer.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kaspar Saner,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 9. September 2015.
Sachverhalt:
A.
A.________, Vater zweier Kinder (1993 und 1997), war im Jahre 1997 als Gruppenleiter/Sozialpädagoge im Wohnheim B.________ tätig. Am 2. September 1997 und 14. Januar 1999 erlitt er bei Verkehrsunfällen Verletzungen, für welche die Unfallversicherung die gesetzlichen Leistungen erbrachte. Am 1. April 1998 meldete er sich unter Hinweis auf ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule (HWS) bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Seit 1. September 1998 bezieht A.________ Invalidenrenten in unterschiedlicher Höhe, u.a. seit 1. Januar 2005 im Rahmen eines Vergleichs eine Invalidenrente der Unfallversicherung aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 60 %, sowie seit 1. Januar 2003 bei einem Invaliditätsgrad von 55 % eine halbe Rente der Invalidenversicherung (Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 22. November 2007).
Im Juni 2010 eröffnete die IV-Stelle ein Revisionsverfahren, das zu einer Bestätigung der bisherigen halben Invalidenrente führte. Im Januar 2013 leitete die IV-Stelle ein Revisionsverfahren gestützt auf die Schlussbestimmungen der 6. IV-Revision ein. Sie holte eine polydisziplinäre Expertise des Begutachtungszentrums (BEGAZ), Binningen, vom 28. November 2013 ein. Mit Verfügung vom 14. April 2014 hob sie die halbe Invalidenrente auf Ende Mai 2014 auf, wobei sie festhielt, die Diagnosen, die zur Rentenzusprechung geführt hatten, gehörten zu den ätiologisch-pathogenetisch unklaren syndromalen Zustandsbildern ohne nachweisbare organische Grundlagen. Der Gesundheitsschaden sei objektiv betrachtet überwindbar, sodass die laufende Rente aufzuheben sei.
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher A.________ die Weitergewährung der bisher ausgerichteten Invalidenrente hatte beantragen lassen, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 9. September 2015 ab.
C.
Der Versicherte lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei ihm über den 1. Juni 2014 hinaus eine halbe Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur Anordnung ergänzender gutachterlicher Abklärungen an das kantonale Gericht zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Lit. a Abs. 1 der Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom 18. März 2011 (6. IV-Revision) bestimmt, dass Renten, die bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage gesprochen wurden, innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten dieser Änderung überprüft werden. Sind die Voraussetzungen nach Art. 7 ATSG nicht erfüllt, so wird die Rente herabgesetzt oder aufgehoben, auch wenn die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 ATSG nicht erfüllt sind.
3.
3.1. Die Vorinstanz hielt fest, dass der ursprünglichen Rentenzusprechung gemäss neurologisch-psychiatrischem Gutachten der Dres. med. C.________ und D.________ sowie der Neuropsychologin Frau Dr. phil. E.________ zuhanden der Unfallversicherung (vom 14. Februar 2002) ein Status nach Distorsionstrauma der HWS und Commotio cerebri am 2. September 1997 sowie Status nach erneutem Distorsionstrauma der HWS am 14. Januar 1999 mit chronischem Zervikalsyndrom, Spannungskopfschmerzen, posttraumatischer Migräne, Defiziten der kognitiven Funktionen, chronifizierter depressiver Verstimmung im Sinne einer leicht bis mittelgradig depressiven Episode und Verdacht auf Erschöpfungssyndrom zugrunde gelegen hätten. Laut Gutachten der MEDAS Zentralschweiz vom 5. April 2007 fanden sich im Wesentlichen funktionell überzeichnete Beschwerden ohne somatische Grundlage. U.a. gestützt auf diese Angaben stellte das kantonale Gericht fest, insgesamt liege ein Beschwerdebild vor, das unter lit. a Abs. 1 Schlussbestimmungen der 6. IV-Revision fällt. Bei der Beurteilung der Auswirkungen der ärztlicherseits als glaubwürdig erachteten Angaben des Versicherten betreffend die posttraumatische Migräne seien aus juristischer Sicht weitere Kriterien (Indikatoren) heranzuziehen. Die Vorinstanz würdigte ferner auch das polydisziplinäre BEGAZ-Gutachten vom 28. November 2013, worin die gutachterliche Einschätzung der MEDAS Zentralschweiz bestätigt worden sei, wobei die Experten eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 30 % wegen des zervikogenen Schmerzsyndroms und der Migräne für gerechtfertigt erachtet hätten. In Anwendung der geänderten Rechtsprechung gemäss BGE 141 V 281 zur rentenbegründenden Invalidität bei psychosomatischen Leiden sowie in Würdigung des gemäss altem Verfahrensstandard eingeholten Gutachtens des BEGAZ vom 28. November 2013, dem sie hinreichenden Beweiswert beimass, gelangte die Vorinstanz zum Schluss, der Beschwerdeführer könnte bei Aufbietung allen guten Willens und in Nachachtung der ihm obliegenden Schadenminderungspflicht zumutbarerweise eine körperlich leichte, teilweise mittelschwere Erwerbstätigkeit vollzeitlich ausüben. Ein Invalidenrentenanspruch sei damit nicht mehr ausgewiesen.
3.2. Der Beschwerdeführer vertritt demgegenüber die Auffassung, die Schlussbestimmungen der 6. IV-Revision seien im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Laut Expertise der MEDAS vom 5. April 2007, zusätzlich erläutert im späteren Gutachten des BEGAZ vom 28. November 2013, leide er an einer starken Verspannung der Nacken- und Schultermuskulatur (Tendomyose). Dabei handle es sich um eine objektivierbare Gesundheitsbeeinträchtigung. Die posttraumatische Migräne falle ebenso wenig unter die pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebilder ohne organische Grundlage. Vielmehr habe er beim Unfall Kopfkontusionen erlitten, die eine Migräne auslösen können. Werde von einem sogenannten Mischsachverhalt ausgegangen, seien die Schlussbestimmungen der 6. IV-Revision nur anwendbar, wenn die vom syndromalen Zustand unabhängige organische (oder psychische) Gesundheitsschädigung die anspruchserhebliche Arbeitsunfähigkeit nicht mitverursacht hat. Dies treffe hier nicht zu. Die chronische Verspannung der Nacken-/Schultermuskulatur und die Migräne seien die hauptsächlichen Beschwerdebilder. Falls eine Prüfung anhand der geänderten Rechtsprechung erforderlich sei, erscheine die Expertise des BEGAZ zu wenig aussagekräftig. Der angefochtene Entscheid äussere sich sodann zu verschiedenen Indikatoren gemäss BGE 141 V 281 gar nicht oder nur rudimentär (Komorbiditäten, Persönlichkeit und Konsistenz sowie ausgewiesener Leidensdruck). Schliesslich resultiere bei einer Arbeitsfähigkeit von 70 % in einer leichten wechselbelastenden Tätigkeit gemäss Gutachten des BEGAZ im Rahmen eines Einkommensvergleichs ein Invaliditätsgrad von 51 %; damit bleibe es bei der bisher ausgerichteten halben Invalidenrente.
4.
4.1. Nach den Feststellungen der Vorinstanz, die auf der Würdigung der Gutachten der MEDAS Zentralschweiz (vom 5. April 2007) und des BEGAZ (vom 28. November 2013) beruhen, lag beim Versicherten zum Zeitpunkt der Rentenzusprechung ein pathogenetisch-ätiologisch unklares syndromales Beschwerdebild ohne nachweisbare organische Grundlage vor. Damals habe keine vom syndromalen Zustand unabhängige organische oder psychische Gesundheitsschädigung vorgelegen, welche selbstständig zur Begründung des Rentenanspruchs hätte beitragen können. Inwiefern diese auf zahlreichen fachärztlichen Stellungnahmen basierende Beweiswürdigung der Vorinstanz offensichtlich unrichtig und damit willkürlich sein soll (E. 1 hievor), vermag der Beschwerdeführer nicht zu begründen. Seine eigene Würdigung der medizinischen Akten an die Stelle der Einschätzung des kantonalen Gerichts zu setzen, genügt jedenfalls nicht. Ebenso wenig ausreichend ist es, die Schwerpunkte aus den umfangreichen medizinischen Expertisen und sonstigen Unterlagen anders als die Vorinstanz auszuwählen, um dadurch eine in Tat und Wahrheit fehlende organische Grundlage für das psychosomatische Beschwerdebild zu schaffen. Dass durchaus vereinzelt auch Hinweise auf ein ursprünglich somatisch begründbares Leiden deuten, stellt auch die Vorinstanz nicht in Abrede, weshalb sie festgehalten hat, die Invalidenrente sei im Wesentlichen aufgrund eines unklaren syndromalen Beschwerdebildes zugesprochen worden. Dies schliesst nicht aus, dass peripher auch organische Befunde erhoben wurden.
4.2. Mit Bezug auf die Arbeitsfähigkeit des Versicherten hielt das Sozialversicherungsgericht zu Recht fest, dass die Praxisänderung gemäss BGE 141 V 281, die grundsätzlich auf alle im Zeitpunkt der Rechtsänderung noch nicht erledigten Fälle anwendbar ist (ZAK 1990 S. 255), auch für Rentenüberprüfungen gemäss den Schlussbestimmungen zur 6. IV-Revision massgebend ist (Urteil 9C_354/2015 vom 29. Februar 2016 E. 5). Es hat die Beurteilung der Auswirkungen der somatoformen Schmerzstörung auf die Arbeitsfähigkeit alsdann zu Recht anhand der im Regelfall beachtlichen Standardindikatoren (BGE 141 V 281 E. 4.1.3 S. 297) vorgenommen. Dabei hat es im Einklang mit der Rechtsprechung auf das vor der Praxisänderung erstattete Gutachten abgestellt, was vom Beschwerdeführer zu Unrecht gerügt wird.
Was die in der Beschwerde in den Vordergrund gerückte Migräne betrifft, hat die Vorinstanz dargelegt, dass der Versicherte nie eine eigentliche Migränebehandlung beansprucht hat, was auf einen fehlenden Leidensdruck hindeute. Auch einer stationären Therapie habe er sich nie unterzogen. Entgegen den Einwendungen des Beschwerdeführers hat sich das kantonale Gericht mit dem Gesundheitsschaden durchaus im Lichte der nach der neuen Rechtsprechung massgeblichen Indikatoren befasst. So hat es sich zu dem mit der mangelnden Inanspruchnahme von therapeutischen Optionen zusammenhängenden ausgebliebenen Behandlungserfolg, zum Schweregrad der Gesundheitsschädigung, zum sozialen Kontext sowie zur Konsistenz geäussert. Dabei hat die Vorinstanz insbesondere das Schmerzgebaren, ausgeprägtes Grimassieren, Symptomverdeutlichung und nicht konstante Schmerzangaben erwähnt. Gestützt auf die entsprechenden Erwägungen ist die Feststellung, dass sich auch unter Berücksichtigung der im Regelfall beachtlichen Standardindikatoren kein Nachweis für erhebliche funktionelle Auswirkungen der medizinischen Diagnosen findet, jedenfalls nicht in einer angepassten Tätigkeit, durchaus bundesrechtskonform. Dies gilt auch dann, wenn berücksichtigt wird, dass die Vorinstanz nicht sämtliche Indikatoren in die Beurteilung einbezogen hat. Eine eingehendere Prüfung der Gesundheitsschädigung mit Blick auf weitere massgebliche Beweisthemen (BGE 141 V 281 E. 4.1.2 S. 297) drängte sich insbesondere deshalb nicht auf, weil im angefochtenen Entscheid auch Ressourcen genannt werden, die dem Beschwerdeführer den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben mit einer leidensangepassten Arbeit erleichtern dürften, namentlich die zu erwartende Unterstützung im sozialen Bereich.
4.3. Dem Eventualantrag auf Rückweisung der Sache zur Vornahme ergänzender Abklärungen in medizinischer Hinsicht ist nicht stattzugeben. Es liegen umfangreiche schlüssige fachärztliche Unterlagen vor, die eine Beurteilung der Streitsache ohne zusätzliche Beweismassnahmen erlauben.
5.
Hinsichtlich der Invaliditätsbemessung ist auf den von der Vorinstanz durchgeführten Einkommensvergleich zu verweisen, der einen Invaliditätsgrad von 30 % ergeben hat, wobei selbst nach Vornahme eines leidensbedingten Abzugs von 10 % vom Invalideneinkommen kein rentenbegründender Invaliditätsgrad von mindestens 40 % resultieren würde. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers ist die Annahme der Vorinstanz, er könnte in einer körperlich leichten bis sporadisch mittelschweren wechselbelastenden Tätigkeit voll arbeiten, aus rechtlicher Sicht mit Blick auf den Gesundheitsschaden und gestützt auf die vorstehenden Erwägungen zu den Auswirkungen der somatoformen Schmerzstörung nicht als willkürlich oder anderweitig bundesrechtswidrig zu qualifizieren.
6.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 17. August 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Glanzmann
Der Gerichtsschreiber: Widmer