BGer 6B_644/2016 |
BGer 6B_644/2016 vom 02.11.2016 |
{T 0/2}
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6B_644/2016
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Urteil vom 2. November 2016 |
Strafrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Denys, Präsident,
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Bundesrichter Oberholzer,
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Bundesrichterin Jametti,
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Gerichtsschreiberin Siegenthaler.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Bleuler,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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1. Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich, Tösstalstrasse 163, 8400 Winterthur,
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2. A.________,
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vertreten durch Rechtsanwältin Evelyn Schaltegger,
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Beschwerdegegnerinnen.
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Gegenstand
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Willkür (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung),
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Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 16. Februar 2016.
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Sachverhalt: |
A. |
X.________ soll in der Zeit von Ende Juni 1998 bis längstens am 23. Dezember 2000 seine Halbschwester A.________ zehn bis zwölf Mal abends unter dem Vorwand, sie dürfe seinen Computer benützen, oder ähnlichen Versprechungen in sein Zimmer im Elternhaus gelockt und sie aufgefordert haben, sich auszuziehen. Dann habe er sich selbst ausgezogen und seinen Penis zumindest in den Scheidenvorhof von A.________ eingeführt, die deshalb Schmerzen gehabt, geweint und ihn aufgefordert habe aufzuhören, worauf er aber nicht eingegangen sei. Im selben Zeitraum soll er A.________ auf gleiche Weise mehr als zehn Mal in sein Zimmer gelockt haben, wo sich wiederum beide ausgezogen hätten und er A.________ aufgefordert habe, seinen Penis in den Mund zu nehmen, was sie auch getan habe. Schliesslich soll er A.________ in derselben Zeitspanne einmal in einem Kaufhaus auf die Toilette gefolgt sein und dort von vorne mit der Zunge ihren Genitalbereich geleckt haben. X.________ bestreitet sämtliche Vorwürfe.
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B. |
Nach dem Jugendgericht Zürich sprach ihn am 16. Februar 2016 auch das Obergericht des Kantons Zürich der mehrfachen Vergewaltigung und mehrfachen sexuellen Nötigung schuldig. Von der Verhängung einer Strafe oder Massnahme sah es ab, und das Schadenersatzbegehren der Privatklägerin verwies es auf den Zivilweg.
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C. |
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 16. Februar 2016 sei aufzuheben. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Beweiswürdigung.
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1.2. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 141 IV 317 E. 5.4 mit Hinweisen). Willkür liegt vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint, genügt nicht (BGE 141 IV 369 E. 6.3 mit Hinweisen). Die Rüge der Willkür muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, wie sie z.B. im Berufungsverfahren vor einer Instanz mit voller Kognition vorgebracht werden kann, tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 369 E. 6.3, 317 E. 5.4; je mit Hinweisen).
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1.3. |
1.3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz verfalle in Willkür, soweit sie festhalte, die Knappheit seiner Aussagen weise auf deren Unwahrheit hin. Ein Unschuldiger könne ja nicht mehr, als nur zu sagen, er sei es nicht gewesen, und wie solle er anders auf ungerechtfertigte Vorwürfe reagieren als karg und teilnahmslos (Beschwerde, S. 9).
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1.3.2. Die Vorinstanz erläutert zunächst sehr ausführlich und differenziert, weshalb sie die Angaben der Beschwerdegegnerin 2 als glaubhaft erachtet. Dabei setzt sie sich auch eingehend mit den Einwänden des Beschwerdeführers auseinander und entkräftet diese mit überzeugender Argumentation (Urteil, S. 9 ff.). Schliesslich hält sie fest, das Aussageverhalten des Beschwerdeführers sei entgegen seinen Ausführungen nicht in besonderem Masse überzeugend, sondern erscheine vielmehr karg und teilnahmslos. Es erwecke den Eindruck, das Verfahren interessiere ihn nur mässig. Als mögliche Motivation der Beschwerdegegnerin 2 für eine Falschbeschuldigung habe er Eifersucht wegen seines besseren Einvernehmens mit der Gotte genannt. Dies sei wenig stringent und insgesamt nicht überzeugend (Urteil, S. 16).
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1.3.3. Damit erweist sich die Darstellung des Beschwerdeführers als unzutreffend, schliesst doch die Vorinstanz nicht direkt von der Knappheit seiner Aussagen auf deren Wahrheitswidrigkeit. Vielmehr befasst sie sich zuerst ausgiebig mit den Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 und legt detailliert dar, aus welchen Gründen sie diese als glaubhaft einstuft. Wenn sie im Rahmen ihrer umfassenden Aussagewürdigung schliesslich die Aussagen des Beschwerdeführers prüft und zum Schluss gelangt, diese vermöchten wegen ihrer Kargheit und aufgrund wenig überzeugender Inhalte jene der Beschwerdegegnerin 2 nicht in Zweifel zu ziehen, ist diese Auffassung ohne Weiteres vertretbar.
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1.4. |
1.4.1. Der Beschwerdeführer führt aus (Beschwerde, S. 9 f.), die Beschwerdegegnerin 2 habe anlässlich ihrer zweiten Befragung auf die Frage, ob sie noch wisse, was sie bei der ersten Einvernahme gesagt habe, mit "nein" geantwortet. Gleichzeitig habe sie aber angegeben, damals die Wahrheit gesagt zu haben. Dies deute darauf hin, dass sie seinerzeit Dinge berichtet habe, die sie in Wirklichkeit nicht erlebt habe, andernfalls sie sich noch an den Kern ihrer Aussagen hätte erinnern können. So führe denn auch das Glaubhaftigkeitsgutachten aus, dass erlebte Traumata als Ganzes nicht vergessen gingen, aber mit der Zeit in ihrer Genauigkeit nachliessen und im Detaillierungsgrad abnähmen. Die Vorinstanz verfalle in Willkür, wenn sie diese Beurteilung des Gutachters negiere, obschon sie das Glaubhaftigkeitsgutachten insgesamt als schlüssig bewerte.
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1.4.2. Die Vorinstanz erwägt (Urteil, S. 17), die vom Beschwerdeführer zitierten Antworten der Beschwerdegegnerin 2 zeigten, dass diese keinesfalls lügen wolle. Deshalb antworte sie wahrheitsgemäss, dass sie sich an ihre Aussagen von vor zwei Jahren nicht mehr erinnern könne. Hingegen sei es durchaus folgerichtig, dass sie auf die zweite Frage angebe, damals die Wahrheit gesagt zu haben. Damit mache sie klar, sich zwar nicht mehr an all ihre Aussagen erinnern zu können, aber dennoch sicher zu wissen, dass sie nichts als die Wahrheit ausgesagt habe. In der nachfolgenden Befragung zeige sie ausserdem eindrücklich auf, dass sie sich sowohl an das Kerngeschehen als auch hinsichtlich vieler Details gut erinnere. Ihre Aussagen wiesen diesbezüglich über drei Einvernahmen hinweg eine hohe Konstanz auf. All dies spreche für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben.
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1.4.3. Diese Ausführungen lassen keine Willkür erkennen und stehen auch nicht in Widerspruch zu der vom Beschwerdeführer hervorgehobenen Passage des Glaubhaftigkeitsgutachtens, wonach erlebte Traumata als Ganzes nicht vergessen gingen. Die Beschwerdegegnerin 2 hat lediglich in Bezug auf den Inhalt ihrer früheren Aussagen angegeben, sich nicht mehr zu erinnern, und nicht hinsichtlich der Vorkommnisse mit dem Beschwerdeführer. Dessen Argumentation kann nicht gefolgt werden.
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1.5. |
1.5.1. Schliesslich bringt der Beschwerdeführer vor, für die Erstellung des Gutachtens sei ursprünglich eine andere anerkannte Expertin angefragt worden, die den Auftrag abgelehnt habe mit dem Hinweis, dass ein Glaubhaftigkeitsgutachten bei grossem zeitlichem Abstand zwischen dem angeblichen Ereignis und dem Begutachtungszeitpunkt kaum mehr erstellt werden könne, weil die natürlicherweise ständigen Interaktionen zwischen allen Beteiligten kaum mehr rekonstruiert werden könnten. Wenn die Vorinstanz nun das vorliegende Glaubhaftigkeitsgutachten, das die Problematik der Rekonstruierbarkeit von zwischenzeitlichen Interaktionen ausklammere, als schlüssig betrachte und in der Folge die Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 als glaubhaft erachte, verfalle sie in Willkür (Beschwerde, S. 11 f.).
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1.5.2. Zu diesem bereits vor Vorinstanz vorgebrachten Punkt erwägt diese (Urteil, S. 19), die fragliche Problematik werde im Glaubhaftigkeitsgutachten konkret angesprochen. Die Gutachter führten aus, dass je zeitnaher eine Aussage gemacht werde, desto günstiger dies für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit sei. Je eingeschränkter die kognitiven Fähigkeiten eines Zeugen seien und je weiter zurück die Kindheitserlebnisse lägen, desto schwieriger könne das detailgetreue Abspeichern und Abrufen der Erlebnisse sein. Vorliegend würden die Erlebnisse zwar weit zurück liegen. Gleichwohl habe die Beschwerdegegnerin 2 diese ausreichend detailliert geschildert. Ausserdem würden erlebte Traumata als Ganzes nicht vergessen, aber mit der Zeit in ihrer Genauigkeit verblassen und im Detaillierungsgrad eine Abnahme erleiden. Die Gefahr liege darin, dass dieser Mangel an Details mit suggestiven Inhalten gefüllt werde. Im vorliegenden Fall gebe es aber keinerlei Hinweise auf eine solche suggestive Beeinflussung durch nachträgliche Einflüsse.
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1.5.3. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers klammert das Glaubhaftigkeitsgutachten die Problematik der Rekonstruierbarkeit von zwischenzeitlichen Interaktionen damit keineswegs einfach aus, sondern erläutert sie eingehend. Abschliessend hält das Gutachten fest, es bestünden keinerlei Hinweise dafür, dass die Beschwerdegegnerin 2 nachträglich durch solche Interaktionen beeinflusst worden sei. Der Beschwerdeführer selbst bringt nichts vor, was auf eine Beeinflussung der Beschwerdegegnerin 2 schliessen liesse. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Vorinstanz das Glaubhaftigkeitsgutachten nicht als schlüssig hätte qualifizieren dürfen. Ihr ist folglich auch keine Willkür vorzuwerfen, wenn sie gestützt darauf die Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 als glaubhaft erachtet.
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1.6. Über diese Rügen hinaus wiederholt der Beschwerdeführer hauptsächlich dieselben Argumente, die er bereits vor Vorinstanz vorbrachte. So moniert er wiederum den späten Zeitpunkt der Anzeigeerstattung, dass die Beschwerdegegnerin 2 dabei unvermittelt auch Übergriffe des Vaters erwähnte, dass ihre Angaben zur zeitlichen Abfolge der behaupteten Übergriffe falsch seien, dass sie bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt mit ihrer Mutter über die Vorfälle habe sprechen können und eine diesbezügliche Blockade nicht der Grund gewesen sein könne, weshalb sie erst derart spät Anzeige erstattete, dass ihre Mutter sie dabei ernst genommen habe und es deshalb unverständlich sei, dass sie mit ihrer Anzeigeerstattung weiter zuwartete (Beschwerde, S. 5 ff.). Ausserdem kritisiert er das gesamte Aussageverhalten der Beschwerdegegnerin 2 sowie angebliche Widersprüche in ihren Aussagen (Beschwerde, S. 9 f.).
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Mit all diesen Punkten hat sich die Vorinstanz bereits eingehend befasst und die Einwände allesamt überzeugend entkräftet (vgl. Urteil, S. 9-20). Was der Beschwerdeführer dazu vorbringt, beschränkt sich auf eine appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil. Damit lässt sich keine Willkür belegen, weshalb darauf nicht einzutreten ist.
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2. |
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
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3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 2. November 2016
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Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Denys
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Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler
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