BGer 4A_307/2016
 
BGer 4A_307/2016 vom 08.11.2016
{T 0/2}
4A_307/2016
 
Urteil vom 8. November 2016
 
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Hohl, Niquille,
Gerichtsschreiber Lüthi.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Wagner,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________ AG,
vertreten durch Advokat Thomas Waldmeier,
Beschwerdegegnerin,
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt.
Gegenstand
Sistierung; Rechtliches Gehör,
Beschwerde gegen die Verfügung des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 20. April 2016.
 
Sachverhalt:
 
A.
A.________ (Klägerin, Beschwerdeführerin) reichte am 21. August 2015 beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt eine Teilklage ohne Begründung gemäss Art. 245 Abs. 1 ZPO über Fr. 5'000.-- gegen die B.________ AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin) ein, welche sie an der Hauptverhandlung vom 8. März 2016 auf Fr. 10'000.-- erhöhte.
Anlässlich der Hauptverhandlung begründete die Klägerin ihre Forderung ausführlich in einer umfassenden schriftlichen Klagebegründung. Daraufhin wurde der Beklagten Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben, wobei sie sich zusätzlich zur Frage der Vergleichsbereitschaft, zur Honorarnote des Parteivertreters der Klägerin und zu einer allfälligen Sistierung des Verfahrens bis zum Vorliegen eines (rechtskräftigen) Entscheids betreffend die Leistungspflicht der Unfallversicherung zu äussern habe.
Mit Eingabe vom 5. April 2016 beantragte die Beklagte dem Sozialversicherungsgericht u.a., das Verfahren sei zu sistieren bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids betreffend die Leistungspflicht der Unfallversicherung. Der Präsident des Sozialversicherungsgerichts sistierte daraufhin mit unbegründeter Verfügung vom 20. April 2016 das Verfahren auf unbestimmte Zeit und stellte der Klägerin gleichzeitig die Eingabe der Beklagten vom 5. April 2016 zu.
 
B.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, die Verfügung des Sozialversicherungsgerichts vom 20. April 2016 sei kostenfällig aufzuheben und die Vorinstanz sei zu verpflichten, das Verfahren fortzusetzen.
Die Beschwerdegegnerin trägt auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde an, soweit darauf einzutreten ist. Auch das Sozialversicherungsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung der Sistierung bis das unfallversicherungsrechtliche Verfahren entschieden und in Rechtskraft erwachsen ist. Die Parteien haben unaufgefordert repliziert bzw. dupliziert.
 
Erwägungen:
 
1.
Der angefochtene Entscheid über die Verfahrenssistierung stellt einen selbstständig eröffneten Zwisc henentscheid dar (vgl. BGE 138 III 190 E. 6 S. 191 f.). Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache (BGE 137 III 380 E. 1.1. S. 382; 133 III 645 E. 2.2 S. 647 f.).
In der Hauptsache geht es um die Leistungspflicht aus einer Kollektiv-Krankentaggeldversicherung, die unter den Begriff der Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung fällt (Urteil 4A_409/2015 vom 2. Dezember 2015 E. 1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 138 III 2 E. 1.1/1.2 S. 3). Derartige Zusatzversicherungen unterstehen gemäss Art. 2 Abs. 2 Krankenversicherungsaufsichtsgesetz (KVAG; SR 832.12) dem VVG (SR 221.229.1). Streitigkeiten aus solchen Versicherungen sind privatrechtlicher Natur, weshalb als Rechtsmittel an das Bundesgericht die Beschwerde in Zivilsachen gemäss Art. 72 ff. BGG in Betracht kommt (BGE 138 III 2 E. 1.1 S. 3; 133 III 439 E. 2.1 S. 441 f.).
Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid einer oberen kantonalen Gerichtsinstanz, die als einzige kantonale Instanz im Sinne von Art. 7 ZPO in Verbindung mit Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG entschieden hat. Die Zulässigkeit der Beschwerde ist in diesem Fall streitwertunabhängig (Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG; BGE 138 III 2 E. 1.2.2 S. 5, 799 E. 1.1 S. 800).
Nach der Rechtsprechung muss bei Beschwerden gegen einen Zwischenentscheid über die Verfahrenssistierung die Zulässigkeitsvoraussetzung eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht erfüllt sein, wenn die beschwerdeführende Partei - wie vorliegend - mit hinreichender Begründung rügt, die Sistierung verletze das Beschleunigungsgebot, indem sie aufzuzeigen versucht, dass die strittige Sistierung dazu führt, dass in Anbetracht der Natur des betroffenen Prozesses nicht innerhalb angemessener Frist mit einem Urteil gerechnet werden kann (BGE 138 III 190 E. 6 S. 191 f.; 138 IV 258 E. 1.1 S. 261; 137 III 261 E. 1.2.2 S. 264; 134 IV 43 E. 2.5 S. 47; je mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist durch die Sistierungsverfügung besonders berührt (Art. 76 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde ist demnach einzutreten.
 
2.
Die Beschwerdeführerin rügt u.a. eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV), weil ihr das Gesuch der Beschwerdegegnerin vom 5. April 2016 nicht vorgängig zur Stellungnahme zugestellt wurde, sondern erst zusammen mit der Verfügung vom 20. April 2016. Die Vorinstanz bestreitet in ihrer Vernehmlassung eine Gehörsverletzung: eine unbefristete Sistierung könne jederzeit aufgehoben werden; daher hätte die Beschwerdeführerin nach Kenntnis des Sistierungsgesuchs und der darin genannten Gründe jederzeit einen Antrag auf Aufhebung der Sistierung stellen können.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Wird er verletzt, führt dies ohne Prüfung der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 137 I 195 E. 2.2 S. 197 mit Hinweis).
2.1. Art. 126 Abs. 1 ZPO, der die Sistierung des Verfahrens regelt, sagt nichts zur Gewährung des rechtlichen Gehörs vor dem Entscheid. Es sind demnach die allgemeinen Grundsätze gemäss Art. 53 Abs. 1 ZPO anzuwenden, welche dem Normgehalt von Art. 29 Abs. 2 BV entsprechen (Urteil 4A_527/2011 vom 5. März 2012 E. 2.6, nicht publ. in: BGE 138 III 213). Der aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessende Anspruch auf rechtliches Gehör dient einerseits der Sachaufklärung und stellt anderseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht dar beim Erlass eines Entscheids, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Zum Gehörsanspruch gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines solchen Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 135 I 187 E. 2.2 S. 190; 127 I 54 E. 2b S. 56 mit Hinweis).
2.2. Soweit sich die Kommentatoren überhaupt äussern, wird auch im Anwendungsbereich von Art. 126 Abs. 1 ZPO eine vorgängige Anhörung der Parteien verlangt (ADRIAN STAEHELIN, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 4 zu Art. 126 ZPO; MARTIN KAUFMANN, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO] Kommentar, Alexander Brunner und andere [Hrsg.], Bd. 1, 2. Aufl. 2016, N. 20 zu Art. 126 ZPO; unklar, aber wohl auch dahingehend NINA J. FREI, in: Berner Kommentar Schweizerische Zivilprozessordnung, Bd. 1, 2012, N. 14 f. zu Art. 126 ZPO). Allgemein hält die sich dazu äussernde Lehre dafür, das vorgängige Anhörungsrecht müsse auch für Zwischenentscheide gelten, jedenfalls für solche, die selbstständig angefochten werden können (TARKAN GÖKSU, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO] Kommentar, a.a.O., N. 16 zu Art. 53 ZPO; SUTTER-SOMM/CHEVALIER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, a.a.O., N. 6 zu Art. 53 ZPO).
2.3. Das Bundesgericht hat in einem älteren Urteil erwogen, das rechtliche Gehör müsse grundsätzlich vorgängig gewährt werden, wo die einmal getroffene Massnahme weder mit einem ordentlichen, die freie Überprüfung gestattenden Rechtsmittel angefochten noch von der verfügenden Behörde selbst uneingeschränkt in Wiedererwägung gezogen werden könne. Die Möglichkeit der Wiedererwägung rechtfertige indessen nicht schlechthin, auf die Anhörung des Betroffenen zu verzichten. Die nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs bilde häufig nur einen unvollkommenen Ersatz für eine vorgängig unterlassene Anhörung. Im konkreten Fall, in dem es um die Bezeichnung eines gemeinsamen Gerichtsstands gehe, erscheine eine Wiedererwägung als praktisch ausgeschlossen, weshalb eine Pflicht zur vorgängigen Anhörung bestehe (BGE 105 Ia 193 E. 2b S. 195, E. 2b/cc S. 197 und E. 4b S. 200). In späteren Urteilen äusserte sich das Bundesgericht namentlich im Zusammenhang mit der Gewährung bzw. dem Entzug der aufschiebenden Wirkung zur Frage der vorgängigen Anhörung. So erachtete es die nachträgliche Möglichkeit, ein Wiedererwägungsgesuch zu stellen, in der Regel als nicht ausreichend für die Gehörswahrung, da es nicht dasselbe sei, ob das Gericht nach beidseitiger Anhörung erstmals entscheide oder ob es auf Intervention der Gegenseite wieder auf seinen (jederzeit änderbaren) Entscheid zurückkomme. Im zu entscheidenden Fall, in welchem die Elternrechte der Parteien in zentraler Weise betroffen waren, stufte es diese nachträgliche Möglichkeit deshalb als ungenügend ein (Urteil 5A_350/2013 vom 8. Juli 2013 E. 2.2 hinsichtlich vorsorglicher Massnahmen betr. Obhut über ein Kind). Als nicht erforderlich wurde die vorgängige Anhörung bei einem 
2.4. Die Bedeutung, die der Gesetzgeber dem (positiven) Sistierungsentscheid zumisst, zeigt sich darin, dass ausdrücklich die Beschwerdemöglichkeit eingeräumt wird (Art. 126 Abs. 2 ZPO); von besonderer Tragweite ist der Entscheid, weil eine Sistierung im Konflikt mit dem Beschleunigungsgebot steht und damit das verfassungsmässige Verbot der Rechtsverzögerung tangieren kann. Vorliegend kann dem Gehörsanspruch auch nicht dadurch Rechnung getragen werden, dass das Bundesgericht im Beschwerdeverfahren die Einwände der Beschwerdeführerin prüft. Denn dem verfahrensleitenden Richter kommt beim Sistierungsentscheid ein Ermessensspielraum zu, in den das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung eingreift (zit. Urteil 4A_409/2015 E. 4 mit Hinweisen), womit die Kognition nicht dieselbe ist. Die Nicht-Gewährung der Möglichkeit zur vorgängigen Stellungnahme verletzte daher den Anspruch auf rechtliches Gehör.
2.5. Die angefochtene Verfügung ist somit aufzuheben und die Sache zur weiteren Behandlung an das Sozialversicherungsgericht zurückzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin einzugehen, namentlich betreffend die fehlende Begründung des Entscheids.
 
3.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, es seien ihr (auch) im Fall der Bejahung einer Gehörsverletzung keine Kosten zu auferlegen, da sie keinen Einfluss auf den Verfahrensgang gehabt habe. Damit verkennt sie, dass sie im bundesgerichtlichen Verfahren einen klaren Antrag auf Abweisung bzw. Nichteintreten gestellt hat, mit welchem sie unterliegt (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; Urteile 4A_499/2012 vom 18. Februar 2013 E. 3; 4A_237/2013 vom 8. Juli 2013 E. 5, nicht publ. in: BGE 139 III 334; vgl. auch BGE 138 III 471 E. 7 S. 483). Es rechtfertigt sich jedoch, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und die Verfügung des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 20. April 2016 wird aufgehoben. Die Sache wird zur weiteren Behandlung an das Sozialversicherungsgericht zurückgewiesen.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3. Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. November 2016
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Kiss
Der Gerichtsschreiber: Lüthi