BGer 1C_443/2016 |
BGer 1C_443/2016 vom 11.11.2016 |
{T 0/2}
|
1C_443/2016
|
Urteil vom 11. November 2016 |
I. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
|
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
|
Bundesrichter Karlen, Chaix,
|
Gerichtsschreiberin Pedretti.
|
Verfahrensbeteiligte |
A.________,
|
Beschwerdeführerin,
|
gegen
|
B.________,
|
Beschwerdegegnerin,
|
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
|
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8036 Zürich,
|
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
|
Florhofgasse 2, Postfach, 8090 Zürich.
|
Gegenstand
|
Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung,
|
Beschwerde gegen den Beschluss vom 18. August 2016 des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer.
|
Sachverhalt: |
A. A.________ stürzte am 3. Februar 2016 um ca. 12.00 Uhr in einem von B.________ gelenkten Bus der Linie 33 der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ). Dabei fiel sie auf die Treppenstufen des Aufgangs zur hintersten Sitzreihe des Busses und zog sich eine Kontusion der Lendenwirbelsäule sowie des rechten Oberschenkels zu.
|
B. Am 21. April 2016 reichte A.________ einen Strafantrag gegen B.________ wegen fahrlässiger Körperverletzung im Sinne von Art. 125 Abs. 1 StGB ein. Weil es sich bei dieser als Buschauffeurin der VBZ um eine Beamtin im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB handelt, überwies die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat die Akten an das Obergericht des Kantons Zürich mit dem Antrag, über die Ermächtigung zur Durchführung einer Strafuntersuchung zu entscheiden. Nachdem beide Beteiligte eingeladen worden waren, zur Frage der Ermächtigung Stellung zu nehmen, entschied das Obergericht mit Beschluss vom 18. August 2016, der Staatsanwaltschaft die Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen B.________ nicht zu erteilen.
|
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 16. September 2016 gelangt A.________ an das Bundesgericht und beantragt, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und es sei die Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung zu gewähren.
|
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, die Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht verzichten auf eine Stellungnahme. B.________ (Beschwerdegegnerin) hat sich nicht vernehmen lassen.
|
Erwägungen: |
1. Gegen den angefochtenen Entscheid über die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafuntersuchung steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272). Eine Buschauffeurin der VBZ gehört nicht den obersten kantonalen Vollziehungs- und Gerichtsbehörden an, weshalb der Ausschlussgrund nach Art. 83 lit. e BGG nicht greift (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f. mit Hinweis). Die Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und könnte sich in einem allfälligen Strafverfahren gegen die Beschwerdegegnerin voraussichtlich als Privatklägerin beteiligen (vgl. Art. 118 Abs. 1 i.V.m. Art. 115 StPO), sodass ihr im Falle des Obsiegens vor Bundesgericht ein praktischer Nutzen entstünde. Damit ist sie nach Art. 89 Abs. 1 BGG beschwerdeberechtigt. Auf die Beschwerde ist vorbehaltlich zulässiger und genügend begründeter Rügen einzutreten.
|
2. |
2.1. Nach Art. 7 Abs. 1 StPO sind die Strafbehörden verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihnen Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden. Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone allerdings vorsehen, dass die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen oder richterlichen Behörde abhängt. Diese Möglichkeit steht den Kantonen für sämtliche Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden offen (BGE 137 IV 269 E. 2.1 f. S. 275 f.).
|
Nach § 148 des Gesetzes über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG; LS 211.1) setzt im Kanton Zürich die Eröffnung einer Strafuntersuchung gegen Beamte im Sinne von Art. 110 Abs. 3 StGB wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen - vorbehältlich der hier nicht weiter interessierenden Zuständigkeit des Kantonsrats - eine Ermächtigung des Obergerichts voraus. Mit dieser kantonalen Bestimmung, die gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung den bundesrechtlichen Anforderungen (namentlich Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO) Rechnung trägt, sollen Staatsbedienstete vor mutwilliger Strafverfolgung geschützt werden (BGE 137 IV 269 E. 2.2 f. S. 276 f.).
|
2.2. In verfassungskonformer Auslegung von Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO dürfen in solchen Ermächtigungsverfahren - ausser bei obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden - nur strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden (BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.). Für die Erteilung der Ermächtigung sind genügende minimale Hinweise auf strafrechtliches Verhalten zu verlangen. Nicht jeder behördliche Fehler begründet eine Pflicht, die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen. Vielmehr darf dafür vorausgesetzt werden, dass ein strafrechtlich relevantes Verhalten in minimaler Weise glaubhaft erscheint, mithin genügende Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen (vgl. Urteil 1C_453/2015 vom 23. Oktober 2015 E. 2.3).
|
3. Die Beschwerdeführerin rügt eine offensichtlich unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts sowie (sinngemäss) eine willkürliche Beweiswürdigung. Sie macht geltend, aufgrund der Aussagen zweier Zeuginnen, die sie telefonisch kontaktiert habe, liege entgegen der Auffassung der Vorinstanz ein hinreichender Anfangsverdacht vor. Diese Zeuginnen hätten beide beobachtet, dass sie vor dem Losfahren des Busses nicht genügend Zeit gehabt habe, um sich hinzusetzen oder sich an einer Stange festzuhalten. Zudem bezeugten beide, dass die Buschauffeurin "ruppig" bzw. "rüpelhaft" gefahren sei und sich nach dem Sturz nicht um die Verletzte gekümmert habe. Eine Zeugin habe ihre Tochter aufgrund der "schlechten Fahrweise" sogar festhalten müssen und könne bestätigen, dass auch andere Passagiere beinahe das Gleichgewicht verloren hätten.
|
3.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Von der beschwerdeführenden Partei kann die Feststellung des Sachverhalts nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge ist substanziiert vorzubringen (Art. 42 Abs. 2 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG). Es ist anhand der angefochtenen Subsumtion im Einzelnen darzulegen, inwiefern der Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet. Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
|
3.2. Das Obergericht nimmt im angefochtenen Beschluss eine eingehende und sorgfältige Beweiswürdigung vor und legt schlüssig dar, weshalb es aufgrund des als erstellt erachteten Sachverhalts zum Schluss gelangt, der Beschwerdegegnerin könne keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, womit mangels Anfangsverdacht eine Ermächtigungserteilung zur Strafuntersuchung ausser Betracht falle. Die Vorinstanz würdigte mehrere Aussagen von Fahrgästen, die den Sturz beobachtet haben. Diese als Auskunftspersonen befragten Passagiere gaben an, der Grund für den Sturz der Beschwerdeführerin sei ein Ruck beim Losfahren des Busses von der Haltestelle X.________strasse gewesen. Ein solches Anfahren sei aber nicht aussergewöhnlich, sondern komme immer wieder vor. Eine Passagierin bemerkte dazu, sie habe keinen besonders guten Stand, weshalb ihr eine ruckelige Fahrweise bestimmt aufgefallen wäre. Des Weiteren stützte sich die Vorinstanz auf die Daten des sichergestellten Fahrtenschreibers ab, dessen Übersichtsprotokolle ebenfalls kein Ruckeln oder Bremsen des Busses beim Losfahren erkennen liessen. Schliesslich gehe, so das Obergericht, aus dem Polizeirapport hervor, dass nach Auskunft eines Fahrgastes die Beschwerdeführerin genügend Zeit gehabt habe, um sich beim Losfahren an einer Stange im Bus festzuhalten. In Würdigung sämtlicher Beweise könne der Beschwerdegegnerin daher nicht vorgeworfen werden, bereits abgefahren zu sein, bevor die Beschwerdeführerin einen sicheren Stand habe einnehmen können. Diese sei weder gebrechlich noch sonst schlecht zu Fuss gewesen. Auch müsse die Beschwerdegegnerin nicht warten, bis sich alle Fahrgäste hingesetzt hätten, bevorzugten es manche Passagiere doch stehen zu bleiben. Ebenso gebe es erfahrungsgemäss einen kleinen Ruck beim Losfahren eines Busses, der auf das Lösen der Bremsen zurückzuführen sei. Insgesamt könne der Beschwerdegegnerin daher keine pflichtwidrige Unvorsichtigkeit vorgeworfen werden, weshalb die Ermächtigung zur Eröffnung einer Strafuntersuchung nicht erteilt werden könne.
|
3.3. Die von der Beschwerdeführerin dagegen vorgebrachten Einwände, sofern sie denn überhaupt zulässig sind (Art. 99 Abs. 1 BGG), vermögen die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung des Obergerichts nicht zu entkräften. Die Beschwerdeführerin setzt sich damit denn auch nicht substanziiert auseinander. Sie zeigt nicht auf, inwiefern die Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unhaltbar sein sollen und die vorhandenen Beweise andere Schlussfolgerungen geradezu aufdrängen. Dies ist auch nicht ersichtlich. Soweit sie sich auf die Aussage von C._________ beruft, die ihr gegenüber bestätigt habe, dass der Bus sehr "ruppig" gefahren sei, weshalb sie ihre Tochter habe festhalten müssen und auch andere Fahrgäste beinahe zu Fall gekommen seien, vermag sie nicht durchzudringen. Diese Ausführungen erscheinen wenig glaubhaft, denn gegenüber der Stadtpolizei Zürich, die C._________ als Auskunftsperson befragt hat, gab diese noch an, der wahrgenommene Ruck des Busses sei nicht auf einen aussergewöhnlichen Bremsvorgang zurückzuführen und es komme immer wieder vor, dass der Bus 33 so fahre (vgl. Polizeirapport der Stadtpolizei Zürich vom 29. Februar 2016, S. 4). Daraus lässt sich ableiten, dass der Bus im Zeitpunkt des Vorfalls nicht mehr als üblich geruckelt, abgebremst oder beschleunigt hat, was durch die Wahrnehmungen weiterer Auskunftspersonen und die Daten auf dem sichergestellten Fahrtenschreiber bestätigt wird. Aus diesem Grund ist auch die Aussage von D.________, auf die sich die Beschwerdeführerin ferner beruft, nicht geeignet, die vorinstanzliche Beweiswürdigung als unhaltbar erscheinen zu lassen. Im Übrigen bringt die Beschwerdeführerin diese neuen Behauptungen erstmals im bundesgerichtlichen Verfahren vor, obschon dazu bereits vor der Vorinstanz Anlass bestanden hat und ihr hierfür auch prozessual Gelegenheit geboten worden ist.
|
4. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und ist abzuweisen, soweit sie überhaupt den gesetzlichen Formerfordernissen zu genügen vermag. Bei diesem Verfahrensausgang trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdegegnerin steht praxisgemäss keine Entschädigung zu.
|
Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
|
2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
|
3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
|
4. Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, der Oberstaatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
|
Lausanne, 11. November 2016
|
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
|
des Schweizerischen Bundesgerichts
|
Der Präsident: Fonjallaz
|
Die Gerichtsschreiberin: Pedretti
|