Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
1B_12/2017
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Urteil vom 3. Februar 2017
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Eusebio, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.
Verfahrensbeteiligte
A.C.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Johann Burri,
gegen
Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen,
Rüeggisingerstrasse 29, Postfach 1948, 6021 Emmenbrücke,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern,
Zentralstrasse 28, Postfach 3439, 6002 Luzern.
Gegenstand
Anordnung von Sicherheitshaft,
Beschwerde gegen die Verfügung vom 3. Dezember 2016 des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung.
Sachverhalt:
A.
Das Kriminalgericht des Kantons Luzern verurteilte A. D.________ am 22. Juni 2016 wegen Entführung nach Art. 183 Ziff. 2 i.V.m. Art. 184 Abs. 4 StGB und Entziehens von Unmündigen im Sinn von Art. 220 aStGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten. Es hielt für erwiesen, dass der damals mit B. D.________ verheiratete A. D.________ den gemeinsamen Sohn C.________ (Jg. 2006), der unter der gemeinsamen Obhut von A. D.________ und der Vormundschaftsbehörde Kriens stand, anfangs Oktober 2011 eigenmächtig in den Libanon mitnahm, dem Gewahrsam seiner Angehörigen übergab und in der Folge trotz mehrfacher Aufforderung nichts unternahm, um dessen Rückführung in die Schweiz zu veranlassen.
Am 27. Juni 2016 meldete A. D.________ beim Kantonsgericht Berufung gegen seine erstinstanzliche Verurteilung an. Dieses liess A. D.________ am 2. Dezember 2016 auf Antrag der Staatsanwaltschaft verhaften und versetzte ihn am 3. Dezember 2016 für die Dauer des Berufungsverfahrens wegen Fluchtgefahr in Sicherheitshaft.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A. D.________, diesen Haftentscheid des Kantonsgerichts aufzuheben und ihn umgehend aus der Haft zu entlassen, eventuell unter Auferlegung von Ersatzmassnahmen ("Electronic Monitoring"). Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
C.
Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf Vernehmlassung. Das Kantonsgericht beantragt in seiner Stellungnahme, die Beschwerde abzuweisen. Es teilt mit, dass der Kanton Luzern zurzeit über keine eigenen Geräte für die Durchführung eines "Electronic Monitoring" verfüge.
In seiner Replik hält A. D.________ an der Beschwerde fest.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Haftentscheid des Kantonsgerichtspräsidenten. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG gegeben. Der Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Haftentlassung ist zulässig (BGE 132 I 21 E. 1). Der Beschwerdeführer ist durch die Verweigerung der Haftentlassung in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen und damit zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Er macht die Verletzung von Bundesrecht geltend, was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde eingetreten werden kann.
2.
Sicherheitshaft kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein dringender Tatverdacht in Bezug auf ein Verbrechen oder Vergehen sowie Fluchtgefahr besteht (Art. 221 Abs. 1 StPO).
2.1. Der Beschwerdeführer wurde erstinstanzlich wegen qualifizierter Entführung im Sinn von Art. 183 Ziff. 2 i.V.m. Art. 184 Abs. 4 StGB sowie wegen Entziehens von Unmündigen im Sinn von Art. 220 aStGB und damit wegen eines Verbrechens und eines Vergehens ( Art. 10 Abs. 2 und 3 StGB ) zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Damit ist der allgemeine Haftgrund des dringenden Tatverdachts, was auch der Beschwerdeführer nicht bestreitet, ohne Weiteres erfüllt.
2.2. Für die Annahme von Fluchtgefahr genügt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe für sich allein nicht. Eine solche darf nicht schon angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr müssen konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsachen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a; 117 Ia 69 E. 4a; 108 Ia 64 E. 3; 107 Ia 3 E. 6).
2.3. Nach der erstinstanzlichen Verurteilung muss der Beschwerdeführer für den Fall, dass er mit seiner Berufung keinen Erfolg hat, mit einer empfindlichen, mehrjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Sein Einwand gegen die Annahme von Fluchtgefahr, die Strafe könne nicht als "überaus lang" bezeichnet werden, zumal er bei guter Führung mit einer Haftentlassung nach zwei Dritteln der Strafdauer rechnen könne, überzeugt nicht. Als Dauerdelikte sind Entführung bzw. Entziehung erst beendet, wenn das Herrschaftsverhältnis Täter - Opfer beendet bzw. der Unmündige dem Berechtigten wieder herausgegeben worden ist (BGE 119 IV 216 E. 2f), d.h. in concreto, wenn das Kind zurück in der Schweiz und in den Händen der zuständigen Behörde ist. Wie bereits im Urteil des Kriminalgerichts vom 22. Juni 2016 zutreffend festgehalten wird, ändert der Umstand, dass dem Beschwerdeführer mit dem in Rechtskraft erwachsenen zweitinstanzlichen Scheidungsurteil des Luzerner Kantonsgerichts vom 11. März 2015 die alleinige Obhut zugesprochen wurde, diese Rechtslage nicht entscheidend. Nach neuem Kindsrecht ist die Befugnis, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen, Bestandteil des elterlichen Sorgerechts (Art. 301a ZGB), welches nach diesem Urteil den Eltern gemeinsam zusteht. Der obhutsberechtigte Beschwerdeführer war und ist nicht befugt, den Aufenthaltsort des Kindes eigenmächtig zu bestimmen (zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil 5A_991/2015 vom 29. September 2016 E. 4.1; BGE 142 III 481 E. 2.3). Das bedeutet, dass er kaum mit einer vorzeitigen Entlassung rechnen kann, solange er seinen Sohn im Libanon versteckt und damit den rechtswidrigen Zustand aufrecht erhält (vgl. Art. 86 Abs. 1 StGB), sondern er hat im Gegenteil nach Verbüssung der Strafe allenfalls ein weiteres Strafverfahren zu gewärtigen. Dies zu vermeiden, stellt zweifellos einen starken Fluchtanreiz dar.
Der als Staatenloser im Libanon aufgewachsene Beschwerdeführer hat offensichtlich die Möglichkeit, in den Libanon zu reisen und dort unterzukommen; das ergibt sich schon daraus, dass es ihm gelang, seinen Sohn bei seiner dort lebenden Mutter unterzubringen und dem Zugriff der Schweizer Behörden dauerhaft zu entziehen. Eine besondere Verankerung des seit 2001 in der Schweiz lebenden und über die Niederlassung C verfügenden Beschwerdeführers, die ihn von einer Flucht abhalten könnte, ist nach dem Scheitern seiner Ehe nicht ersichtlich. Zum ebenfalls in der Schweiz lebenden Vater und zu weiteren Verwandten hat er offenbar kaum Kontakt. Arbeiten kann er zurzeit nicht, nach einem Arbeitsunfall 2009 bezieht er eine IV-Rente, welche sein wirtschaftliches Auskommen sicherstellt. Diese Rente würde bei einer Flucht ins Ausland wegfallen. Allerdings steht keineswegs fest, dass er sein Aufenthaltsrecht in der Schweiz behält, selbst wenn der am 1. Oktober 2016 in Kraft getretene Art. 66a Abs. 1 lit. g StGB, der bei Verurteilungen von Ausländern wegen Entführung nach Art. 183 und 184 StGB die obligatorische Landesverweisung vorsieht, noch nicht anwendbar sein sollte.
Zusammenfassend erscheint es somit höchst unsicher, ob sich die Vorstellung des Beschwerdeführers, nötigenfalls eine von ihm als nicht "überaus lang" empfundene Freiheitsstrafe bzw. zwei Drittel davon zu verbüssen und anschliessend von seiner IV-Rente in der Schweiz weiterzuleben, im Idealfall zusammen mit seinem Sohn, verwirklichen lässt. Diese unsicheren Aussichten in Bezug auf sein weiteres Fortkommen in der Schweiz könnten den Beschwerdeführer dazu verleiten, im Libanon unterzutauchen um sich der weiteren Strafverfolgung in der Schweiz zu entziehen. Dass er bisher nicht floh, ändert daran nichts, hat er doch möglicherweise den Ernst seiner Lage noch nicht erkannt oder verdrängt. Der Kantonsgerichtspräsident hat kein Bundesrecht verletzt, indem er Fluchtgefahr bejahte.
2.4. Mildere Ersatzmassnahmen, die den Beschwerdeführer wirksam an einer Flucht hindern könnten, sind nicht ersichtlich. Eine Schriftensperre reicht dazu nicht aus, da nach den Abklärungen des Kantonsgerichts nicht auszuschliessen ist, dass er sich bei der libanesischen Botschaft in der Schweiz einen neuen libanesischen Flüchtlingspass für Palästinenser besorgen könnte. Die vom Beschwerdeführer angeregte Möglichkeit, ihn mittels eines "Electronic Monitorings" zu überwachen, fällt ausser Betracht, da der Kanton Luzern dafür (noch) nicht eingerichtet ist.
3.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen. Damit wird an sich der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches gutzuheissen ist, da die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war und die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ausgewiesen scheint ( Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
2.2.
Rechtsanwalt Johann Burri wird für das bundesgerichtliche Verfahren als amtlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Abteilung 2 Emmen, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 3. Februar 2017
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Merkli
Der Gerichtsschreiber: Störi