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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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6B_850/2016
Urteil vom 7. März 2017
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiberin Pasquini.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Nadine Hagenstein,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaat sanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Ambulante Behandlung (Art. 63 StGB),
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 23. Juni 2016.
Sachverhalt:
A.
Das Bezirksgericht Brugg verurteilte X.________ am 7. Juli 2015 wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit Kindern und sexueller Nötigung zu 22 Monaten Freiheitsstrafe, bedingt bei einer Probezeit von 5 Jahren. Für die Dauer der Probezeit ordnete es eine Bewährungshilfe an und erteilte ihm die Weisung, eine fachärztliche Betreuung in Anspruch zu nehmen.
B.
Die Staatsanwaltschaft und X.________ erhoben Berufung respektive Anschlussberufung gegen das erstinstanzliche Urteil. Das Obergericht des Kantons Aargau sprach X.________ am 23. Juni 2016 vom Vorwurf der sexuellen Nötigung frei und verurteilte ihn wegen mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern zu einer unbedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Es ordnete eine ambulante therapeutische Massnahme während des Strafvollzugs an.
C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt im Wesentlichen, Ziff. 3 und 5 des obergerichtlichen Entscheids seien aufzuheben. Er sei zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten, unter Ansetzung einer Probezeit von 5 Jahren, zu verurteilen. Für die Dauer der Probezeit sei eine Bewährungshilfe anzuordnen und ihm die Weisung zu erteilen, eine fachärztliche Betreuung in Anspruch zu nehmen. Eventualiter sei die Sache zur Anordnung eines Zweit- oder Ergänzungsgutachtens sowie zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. X.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Erwägungen:
1.
1.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anordnung der ambulanten Behandlung. Er macht im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz verletze Art. 56 Abs. 2 StGB und Art. 5 Abs. 2 BV, da sie die Erforderlichkeit der Massnahme ohne Auseinandersetzung mit der Argumentation der ersten Instanz oder dem Erfordernis der Verhältnismässigkeit lediglich unter dem Hinweis auf das nicht mehr aktuelle Gutachten vom 30. Januar 2015 bejahe. Mit Ablauf der Zeit und insbesondere zufolge veränderter Verhältnisse habe das Gutachten an Aktualität eingebüsst. Daher wäre eine neuerliche bzw. ergänzende Begutachtung unabdingbar gewesen. Indem die Vorinstanz auf das Gutachten abstelle, obschon sich seine Situation unbestrittenermassen wesentlich verändert habe, und sie davon absehe, ein Ergänzungs- oder Zweitgutachten einzuholen, verletze sie Art. 56 Abs. 3 StGB. Gleichzeitig verstosse sie gegen Art. 189 lit. b und Art. 389 Abs. 3 StPO, weil sie trotz dem Umstand, dass bei ihm eine veränderte Ausgangslage bestanden habe und zwischen dem Therapiebericht vom 21. März 2016 sowie dem Gutachten im wesentlichen Aspekt der Rückfallgefahr erhebliche Abweichungen vorliegen würden, kein Ergänzungsgutachten angefordert habe. Sie habe es somit trotz entsprechendem Beweisergänzungsantrag unterlassen, die erforderlichen zusätzlichen Beweise einzuholen. Ohne weitere Begründung weise die Vorinstanz seinen Antrag auf Einholung eines Therapieberichts des behandelnden Arztes ab, womit sie den Sachverhalt ungenügend abkläre und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletze.
Der Beschwerdeführer bringt vor, eventualiter sei der Vollzug der Freiheitsstrafe zugunsten der ambulanten Massnahme aufzuschieben.
1.2. Die Vorinstanz hält fest, gemäss psychiatrischem Gutachten vom 30. Januar 2015 leide der Beschwerdeführer an einer Störung der Sexualpräferenz, heterosexuelle Pädophilie vom nichtausschliesslichen Typus, und an akzentuierten Persönlichkeitszügen mit unreifen sowie schizoiden Anteilen. Die Untersuchung des Beschwerdeführers habe ergeben, dass neben den persönlichen auch situative Faktoren vorliegen müssten, damit er sexuelle Handlungen mit Kindern habe vornehmen können. Mit diesen situativen Faktoren sei die Opferverfügbarkeit gemeint, d.h. die notwendige emotionale Bindung zu den Opfern, deren Geschlecht und vor allem deren Alter. Die strukturelle Rückfallgefahr für Delikte sei beim Beschwerdeführer kurz- bis mittelfristig als moderat einzuschätzen. Langfristig sei diese Rückfallgefahr jedoch als moderat bis deutlich einzustufen. Sowohl für die Pädophilie wie auch für die unreife und schizoide Persönlichkeitsakzentuierung gebe es Behandlungsmöglichkeiten. Da diese Persönlichkeitseigenschaften beim Beschwerdeführer etwas stärker ausgeprägt und tief in seiner Persönlichkeit verwurzelt seien und seit frühester Kindheit sowie Jugend bestünden, stelle diese Behandlung einen langwierigen und mehrjährigen Prozess dar. Mit einer adäquat deliktsorientierten und störungsspezifisch psychotherapeutischen Behandlung liesse sich beim Beschwerdeführer der Gefahr neuerlicher einschlägiger Straftaten begegnen. Obschon aufgrund der Schwere des Delikts, dem sehr engen Zusammenhang zwischen den Taten und den diagnostizierten Störungen sowie des moderat bis deutlich strukturellen Rückfallrisikos die Voraussetzungen einer stationären Massnahme erfüllt wären, sei wegen der vorhandenen Massnahmebedürftigkeit, -fähigkeit sowie -willigkeit und aufgrund der Tatsache, dass es dem Beschwerdeführer gelungen sei, nach seinen ersten sexuellen Handlungen zum Nachteil seiner Nichten in den Jahren 1992/1993 deliktsfrei zu leben, dass seine Delikte bisher eine lange Tatvorlaufphase aufwiesen und dass er künftig sehr wahrscheinlich eine ambulante Therapie besuchen werde, aus forensich-psychiatrischer Sicht die Anordnung einer ambulanten Massnahme zu empfehlen (Urteil S. 15 f. E. 4.3). Die Vorinstanz erwägt, obwohl der Beschwerdeführer zwischenzeitlich einer Beschäftigung nachgehe und sich freiwillig in psychiatrische Behandlung begebe, sei das Gutachten vom 30. Januar 2015 nach wie vor aktuell und damit massgebend. Die Ausgangslage seit dessen Erstellung habe sich bis heute bezüglich der Rückfallgefahr und der Massnahmebedürftigkeit nicht verändert. Daran ändere die Arbeitsstelle und die freiwillig eingegangene Therapie nichts. Auch der eingereichte Therapiebericht vom 21. März 2016 gehe davon aus, dass die Therapie insgesamt für eine längere Zeit fortzusetzen sei (Urteil S. 16 f. E. 4.3).
1.3.
1.3.1. Eine Massnahme ist anzuordnen, wenn eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Straftaten des Täters zu begegnen, ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert und die Voraussetzungen der Artikel 59-61, 63 oder 64 erfüllt sind (Art. 56 Abs. 1 StGB).
Gemäss Art. 63 Abs. 1 StGB kann das Gericht, wenn der Täter psychisch schwer gestört ist, anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn er eine mit Strafe bedrohte Tat verübt, die mit seinem Zustand in Zusammenhang steht und wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Taten begegnen.
1.3.2. Sind die gesetzlichen Voraussetzungen einer ambulanten Massnahme erfüllt, ist diese in Anwendung von Art. 63 Abs. 1 StGB zwingend anzuordnen (Urteil 6B_1048/2010 vom 6. Juni 2011 E. 6.2). Nach Art. 63 Abs. 2 StGB kann das Gericht den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen Freiheitsstrafe zugunsten einer ambulanten Massnahme aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Der Strafaufschub ist nach der Praxis des Bundesgerichts anzuordnen, wenn eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreiche Behandlung durch den sofortigen Vollzug der ausgefällten Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würde. Die Therapie geht vor, falls eine sofortige Behandlung gute Resozialisierungschancen bietet, welche der Strafvollzug klarerweise verhindern oder vermindern würde. Dabei sind einerseits die Auswirkungen des Strafvollzuges, die Erfolgsaussichten der ambulanten Behandlung und die bisherigen Therapiebemühungen zu berücksichtigen, andererseits aber auch das kriminalpolitische Erfordernis, Straftaten schuldangemessen zu ahnden bzw. rechtskräftige Strafen grundsätzlich zu vollziehen. Der Aufschub ist die Ausnahme und muss sich aus Gründen der Heilbehandlung hinreichend rechtfertigen (BGE 129 IV 161 E. 4.1 und E. 4.3; Urteile 6B_95/2014 vom 16. Oktober 2014 E. 3 und 6B_495/2012 vom 6. Februar 2013 E. 6.2; je mit Hinweisen).
1.3.3. Das Gericht stützt sich bei seinem Entscheid über die Anordnung einer stationären oder einer ambulanten Massnahme zur Behandlung psychischer Störungen nach Art. 59 und Art. 63 StGB sowie deren allfälligen Aufschub auf eine sachverständige Begutachtung (Art. 56 Abs. 3 StGB; BGE 129 IV 161 E. 4.1 S. 163; 116 IV 101 E. 1b). Es würdigt das Gutachten grundsätzlich frei. In Fachfragen darf es aber nicht ohne triftige Gründe von diesem abweichen und muss Abweichungen begründen (BGE 136 II 539 E. 3.2). Ob ein Gutachten noch hinreichend aktuell ist, richtet sich nicht primär nach dem formellen Kriterium seines Alters. Massgeblich ist vielmehr, ob Gewähr dafür besteht, dass sich die Ausgangslage seit der Erstellung des Gutachtens nicht gewandelt hat. Soweit ein früheres Gutachten mit Ablauf der Zeit und zufolge veränderter Verhältnisse an Aktualität eingebüsst hat, sind neue Abklärungen unabdingbar (BGE 134 IV 246 E. 4.3 mit Hinweisen).
1.4. Die Vorinstanz erwägt zutreffend, das Gutachten äussere sich bezüglich der Massnahmebedürftigkeit und Rückfallgefahr unmissverständlich bzw. bejahe diese eindeutig. Auch wenn es ausführe, die Rückfallgefahr für einschlägige Sexualdelikte (sexuelle Handlungen mit Kindern) sei kurz- bis mittelfristig als moderat einzuschätzen, da der Beschwerdeführer für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zu potentiellen Opfern Zeit brauche, so sei hervorzuheben, dass die Rückfallgefahr langfristig als moderat bis eindeutig eingestuft worden sei. Der Gutachter empfehle die Anordnung einer ambulanten Massnahme. Es seien keine sachlichen Gründe ersichtlich, weshalb von dieser unmissverständlichen und nachvollziehbaren Empfehlung abgewichen werden solle. Zwar sei die Rückfallgefahr des Beschwerdeführers gemäss Gutachten nur unter bestimmten situativen Faktoren erhöht. Jedoch sei zweifelhaft, ob die durch die erste Instanz angeordnete Weisung einer Bewährungshilfe genüge, um der Entstehung solcher Faktoren Einhalt zu gebieten. So sei nicht nachvollziehbar, inwiefern eine Bewährungshilfe geeignet sein soll, den Beschwerdeführer wirksam von der Schaffung solcher Faktoren abzuhalten. Eine Massnahme habe nicht nur den Zweck, die Rückfallgefahr kurzzeitig zu verringern, sondern langfristig Straftaten zu verhindern. Bei derartiger Eindeutigkeit des Gutachtens sei die gerichtliche Anordnung einer ambulanten Massnahme zwingend und die Gewährung des bedingten Vollzugs der Freiheitsstrafe ausgeschlossen. Eine private und freiwillig eingegangene Therapie vermöge das Gericht nicht von der Pflicht zu befreien, eine indizierte Massnahme anzuordnen (Urteil S. 17 E. 4.3).
Insgesamt sind wesentliche Umstände, die eine Neubegutachtung erfordern würden, nicht erkennbar. Das Gutachten ist vollständig und weiterhin aktuell. Entgegen der Darstellung des Beschwerdeführers liegen zwischen diesem und dem von ihm eingereichten Therapiebericht in Bezug auf die Rückfallgefahr keine erheblichen Abweichungen vor. Er scheint zu verkennen, dass die Rückfallgefahr im Gutachten nicht kurzfristig sondern kurz- bis mittelfristig als moderat eingeschätzt wird. Dass im Therapiebericht die kurzfristige Rückfallgefahr als äusserst unwahrscheinlich bezeichnet wird, bedeutet überdies nicht, dass auch die langfristige Rückfallprognose positiver ausfallen wird (Beschwerde S. 8 unten). Die Vorinstanz durfte auf ein neues bzw. ergänzendes Gutachten oder die Einholung eines Therapieberichts des behandelnden Arztes verzichten, ohne Bundesrecht zu verletzen. Sie hat Bundesrecht auch nicht dadurch verletzt, dass sie den Vollzug der Strafe nicht zum Zweck der angeordneten ambulanten Behandlung aufschob. Auf ihre diesbezüglichen Erwägungen kann verwiesen werden (Urteil S. 18 E. 4.5). Der angefochtene Entscheid ist bundesrechtskonform.
1.5. Die Rüge der Verletzung von Art. 42 Abs. 1 und Art. 44 Abs. 2 StGB ist ebenfalls unbegründet (Beschwerde S. 6-10). Die Vorinstanz verweigert dem Beschwerdeführer den bedingten Strafvollzug zu Recht (Urteil S. 15 E. 4.2 und S. 19 E. 4.6). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bedeutet die Anordnung einer Massnahme zugleich eine ungünstige Prognose, so dass eine gleichzeitig ausgefällte Strafe nicht bedingt gemäss Art. 42 oder teilbedingt gemäss Art. 43 StGB aufgeschoben werden kann. Dies gilt auch, wenn eine ambulante Massnahme ausgesprochen wird (BGE 135 IV 180 E. 2.3; Urteile 6B_1195/2015 vom 18. April 2016 E. 5; 6B_1048/2010 vom 6. Juni 2011 E. 6.2; 6B_342/2010 vom 9. Juli 2010 E. 3.5.2; 6B_141/2009 vom 24. September 2009 E. 1; je mit Hinweisen).
1.6. Nicht ersichtlich ist schliesslich eine Verletzung der Begründungspflicht (vgl. Beschwerde S. 7 f.). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers legt die Vorinstanz hinlänglich dar, weshalb sie in Abweichung zur ersten Instanz die Anordnung einer ambulanten Behandlung als erforderlich erachtet (Urteil S. 17 E. 4.3).
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 7. März 2017
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini