Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
8C_4/2017 {T 0/2}
Urteil vom 13. März 2017
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard,
Bundesrichterin Viscione,
Gerichtsschreiberin Durizzo.
Verfahrensbeteiligte
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, Abteilung Arbeitslosenversicherung, Stampfenbachstrasse 32, 8001 Zürich,
Beschwerdeführer,
gegen
A.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 4. November 2016.
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 10. März 2015 und Einspracheentscheid vom 3. Juni 2015 stellte das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Zürich A.________, geboren 1954, für sieben Tage ab dem 24. Februar 2015 in der Anspruchsberechtigung ein. Er sei dem "Strategiekurs A - Mit Erfahrung zum Erfolg" beim Kursveranstalter B.________ ohne entschuldbaren Grund ferngeblieben. A.________ stellte am 30. Juni 2015 ein Wiedererwägungsgesuch, welches das AWA am 17. September 2015 abwies.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich am 4. November 2016 gut und hob den angefochtenen Entscheid vom 17. September 2015 und den Einspracheentscheid vom 3. Juni 2015 ersatzlos auf.
C.
Das AWA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei der Wiedererwägungsentscheid vom 17. September 2015 zu bestätigen.
A.________ schliesst sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde. Die Arbeitslosenkasse und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichten auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist (Art. 97 Abs. 1 BGG) oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht.
2.
Die Eingabe des Versicherten vom 30. Juni 2015 wurde während der laufenden Rechtsmittelfrist des Einspracheentscheids vom 3. Juni 2015 eingereicht. Es stellt sich daher die Frage, ob das AWA sie zu Recht als Wiedererwägungsgesuch entgegengenommen hat oder ob es sie als Beschwerde an das dafür zuständige Versicherungsgericht hätte überweisen müssen (vgl. Art. 30 und Art. 58 Abs. 3 ATSG). Der Versicherte hatte sich zunächst am 18. Juni 2015 per E-Mail beschwert. Das AWA wies ihn mit Schreiben vom 23. Juni 2015 darauf hin, dass eine allfällige Beschwerde mit Unterschrift versehen an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zu richten wäre. Sofern er keine Beschwerde erhebe, werde seine Eingabe vom 18. Juni 2015 nach Eintritt der Rechtskraft des Einspracheentscheides im Sinne eines Wiedererwägungsgesuches geprüft, wenn er sie unterschrieben zustelle. Am 30. Juni 2015 reichte er ein unterzeichnetes Schreiben ein. Das AWA hat somit die Eingabe des Versicherten vom 30. Juni 2015 zu Recht als Wiedererwägungsgesuch behandelt.
3.
3.1. Das AWA hat in seinem Entscheid vom 17. September 2015 die Wiedererwägungsvoraussetzungen geprüft, das Erfordernis der zweifellosen Unrichtigkeit seines Einspracheentscheides vom 3. Juni 2015 verneint und das Wiedererwägungsgesuch mit einem erneut ablehnenden Sachentscheid beantwortet (vgl. BGE 117 V 8 E. 2b/aa S. 14, E. 2b/cc S. 15). Es hat seine Auffassung bestätigt, wonach für die verfügte Einstellung in der Anspruchsberechtigung massgeblich sei, dass der Versicherte nach schuldhaftem Versäumen des ersten Tages den ganzen Weiterbildungskurs verpasst habe, weil ein späterer Einstieg nicht möglich gewesen sei.
3.2. Die nachfolgende gerichtliche Überprüfung hat sich in einem solchen Fall auf die Beurteilung der Wiedererwägungsvoraussetzungen zu beschränken. Sie allein bilden das Prozessthema (BGE 117 V 8 E. 2b/cc S. 16; 116 V 63 E. 3a S. 63). Diese Rechtsprechung findet ihre Begründung darin, dass eine Ausdehnung über die Wiedererwägungsvoraussetzungen hinaus auf eine uneingeschränkte materielle Prüfung des strittigen Rechtsverhältnisses im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren der Verwaltung ermöglichte, nach rechtskräftiger Erledigung eines Versicherungsfalles durch voraussetzungslosen Erlass einer zweiten Verfügung betreffend das gleiche Rechtsverhältnis bei gleicher Sachlage dem Versicherten erneut den Rechtsmittelweg zu eröffnen, welche Befugnis ihr aber praxisgemäss nicht zusteht (BGE 116 V 62 E. 3a S. 63).
3.3. Entgegen diesen Grundsätzen hat die Vorinstanz nicht nur die Wiedererwägungsvoraussetzungen geprüft (und sie entgegen dem AWA als erfüllt erachtet), sondern zugleich die Vorbringen des Gesuchstellers materiell geprüft und einen vom Einspracheentscheid abweichenden Sachentscheid gefällt. Sie gelangte zum Schluss, dass aufgrund des Verhaltens des Versicherten kein Grund für eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung vorgelegen habe. Dagegen wehrt sich das beschwerdeführende AWA zu Recht. Schon aus diesem Grund ist der angefochtene Entscheid aufzuheben.
4.
4.1. Zu überprüfen bleibt hier, ob die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung erfüllt waren. Gemäss Art. 53 Abs. 2 ATSG kann der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Diese Bestimmung wurde in Anlehnung an die Kriterien erlassen, welche die Rechtsprechung bis zum Inkrafttreten des ATSG am 1. Januar 2003 entwickelt hatte (BGE 133 V 50 E. 4.1 S. 52; vgl. auch BGE 138 V 147 E. 2.1 S. 148 f.). Voraussetzung einer Wiedererwägung ist - nebst der erheblichen Bedeutung der Berichtigung -, dass kein vernünftiger Zweifel an der Unrichtigkeit der Verfügung (gemeint ist hiebei immer auch ein allfälliger Einspracheentscheid) besteht, also nur dieser einzige Schluss denkbar ist. Dieses Erfordernis ist in der Regel erfüllt, wenn eine Leistungszusprache aufgrund falscher Rechtsregeln erfolgt ist oder wenn massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt wurden (BGE 138 V 324 E. 3.3 S. 328). Ob dies zutrifft, beurteilt sich nach der bei Erlass der Verfügung bestandenen Sach- und Rechtslage, einschliesslich der damaligen Rechtspraxis (BGE 140 V 77 E. 3.1 S. 79).
4.2. Das kantonale Gericht hat erwogen, dass ein nach Art. 17 Abs. 3 lit. a und Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG zu sanktionierendes Verhalten nach der Praxis insbesondere dann vorliege, wenn ein Termin aus Gleichgültigkeit und Desinteresse verpasst worden sei, nicht aber, wenn eine versicherte Person den Termin irrtümlich oder zufolge einer Unaufmerksamkeit nicht eingehalten und durch ihr übriges Verhalten gezeigt habe, dass sie ihre Pflichten als Arbeitslose und Leistungsbezügerin ernst nehme. Im vorliegenden Fall habe der Versicherte den ersten Tag des Kurses verpasst, weil er den Termin, obwohl im Kalender eingetragen, verwechselt habe. Er sei ausser Haus am Babysitten seiner drei Enkel und überzeugt gewesen, dass der Kurs erst am Tag danach beginne. Die Vorinstanz verweist dabei auf das Urteil 8C_543/2009 vom 23. Juli 2009. Die dort zitierte Rechtsprechung betrifft jedoch das Versäumen von Beratungs- und Kontrollgesprächen (E. 2), und es waren die Unpünktlichkeit und andere Verhaltensweisen an einem Weiterbildungskurs zu beurteilen (E. 3). Das von der Vorinstanz weiter herangezogene Urteil C 120/00 vom 11. Juli 2000 betraf einen Versicherten, der zweimal eine Informationsveranstaltung versäumt hatte (E. 2a). Hier jedoch ging es um einen fünftägigen Kurs. Nachdem der Versicherte den ersten Tag verpasst hatte, konnte er nicht mehr daran teilnehmen. Der vorliegende Fall ist mit den von der Vorinstanz herangezogenen Präjudizien nicht zu vergleichen. Die vorinstanzlichen Schlussfolgerungen, dass der Einspracheentscheid vom 3. Juni 2015 aufgrund falscher Rechtsregeln erfolgt sei beziehungsweise gegen eine einschlägige Rechtspraxis verstosse und kein vernünftiger Zweifel an dessen Unrichtigkeit bestehe, sind unzutreffend. Die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung waren nicht erfüllt. Der Entscheid des AWA vom 17. September 2015 ist daher zu bestätigen.
5.
Der vorinstanzliche Entscheid umfasst insgesamt fünf Seiten und ist in einem einzigen Satz als sog. "Dass-Entscheid" verfasst worden. Dies erschwert seine Les- und Nachvollziehbarkeit erheblich. Auf diese Problematik und ihre Bedeutung im Zusammenhang mit den Anforderungen an die Entscheideröffnung gemäss Art. 112 BGG wurde das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich schon wiederholt hingewiesen, zuletzt im Urteil 8C_713/2016 vom 24. Januar 2017 (mit Hinweis auf die Urteile 8C_742/2016 vom 5. Januar 2017 sowie 8C_7/2013 vom 3. April 2013; vgl. auch Urteil 8C_301/2011 vom 30. Juni 2011 E. 2 mit weiteren Hinweisen). Im vorliegenden Fall kann von einer Rückweisung im Sinne von Art. 112 Abs. 3 BGG abgesehen werden, da - anders als im Verfahren 8C_742/2016 - der vorinstanzliche Entscheid trotz "Dass-Form" gerade noch hinreichend verständlich ist.
6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem Prozessausgang entsprechend dem Beschwerdegegner auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 4. November 2016 wird aufgehoben und der Entscheid des Amts für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich vom 17. September 2015 bestätigt.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 13. März 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo