BGer 9C_598/2016
 
BGer 9C_598/2016 vom 11.04.2017
{T 0/2}
9C_598/2016
 
Urteil vom 11. April 2017
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber R. Widmer.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsdienst Inclusion Handicap, Fürsprecher Georges Pestalozzi-Seger,
Beschwerdeführer,
gegen
Ausgleichskasse Basel-Landschaft,
Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft
vom 7. Juli 2016.
 
Sachverhalt:
A. Der 1942 geborene A.________ leidet an einer hochgradigen Hochton-Innenohrschwerhörigkeit rechts und einer leichten Hochton-Innenohrschwerhörigkeit links. Im Februar 1996 sprach ihm die Invalidenversicherung erstmals ein Hörgerät zu. Mit Schreiben vom 17. September 2009 ersuchte der Versicherte die Invalidenversicherung um Abgabe eines BAHA Hörgeräts. Gemäss Mitteilung vom 18. Januar 2011 übernahm die IV-Stelle Basel-Landschaft die Kosten im Betrag von Fr. 6'181.60 für die Hörhilfe mit implantierter Komponente.
Mit Anmeldung vom 21. März 2014 ersuchte A.________ die Sozialversicherungsanstalt Basel-Landschaft um beidseitige Hörgeräteversorgung. Am 8. April 2014 gewährte ihm die IV-Stelle im Rahmen der Besitzstandsgarantie die Pauschale für eine beidseitige Hörgeräteversorgung in der Höhe von Fr. 1'650.-. A.________ gelangte am 14. Mai 2014 an die IV-Stelle, reichte eine Rechnung der Hörberatung B._________ AG über Fr. 5'768.- ein und ersuchte um Vergütung eines höheren Betrages im Rahmen der Härtefallregelung, weil aus medizinischen Gründen eine teurere Lösung gewählt werden müsse. Mit Verfügung vom 24. Juni 2014 lehnte die Ausgleichskasse Basel-Landschaft die Übernahme der Mehrkosten aufgrund der "Härtefallregelung Hörgeräteversorgung" ab, da diese als Hilfsmittel der Invalidenversicherung gelte. Im Gegensatz zur Invalidenversicherung könne die AHV auch in sehr spezifischen Ausnahmefällen keine Vergütung über dem gewährten Pauschalbetrag entrichten. Dies gelte für Versicherte, die im AHV-Rentenalter erwerbstätig sind.
Auf Einsprache hin, mit welcher der Versicherte die Übernahme der die Pauschale überschreitenden Mehrkosten aufgrund der Härtefallregelung beantragt hatte, hielt die Ausgleichskasse mit Entscheid vom 14. Oktober 2015 an ihrem Standpunkt fest. Zur Begründung führte sie aus, im Sinne der Besitzstandsregelung könnten nur Leistungen weiterhin gewährt werden, die bereits vor Erreichen des AHV-Alters bezogen wurden. Dies treffe auf Leistungen gemäss Härtefallregelung nicht zu.
B. Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher der Versicherte die Vergütung der vollen Kosten in der Höhe von Fr. 5'768.- für eine beidseitige Hörgeräteversorgung beantragt hatte, wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 7. Juli 2016 ab.
C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die Sache zur Prüfung der Voraussetzungen für eine Hörgeräteversorgung im Härtefall an die Ausgleichskasse zurückzuweisen.
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
1. Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch von in der Schweiz wohnhaften Personen, welche das ordentliche AHV-Rentenalter erreicht haben oder eine AHV-Rente vorbeziehen, auf Leistungen für Hilfsmittel zu Lasten der AHV zutreffend wiedergegeben (Art. 43quarter Abs. 1 AHVG i.v.m. Art. 66ter AHVV; Art. 2 HVA sowie insbesondere Art. 4 HVA über die Besitzstandsgarantie). Darauf wird verwiesen.
 
2.
2.1. Wie das kantonale Gericht zutreffend bemerkt, fällt ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Hörgeräteversorgung nach Erreichen des Rentenalters nur aufgrund der AHV-rechtlichen Bestimmungen in Betracht. Da er jedoch bereits von der Invalidenversicherung Hörgeräte bezogen hat, bleibt sein Anspruch auf diese Leistungen in Art und Umfang erhalten, solange die massgebenden Voraussetzungen der Invalidenversicherung weiterhin erfüllt sind (Art. 4 HVA). Bei Hörgeräten erstreckt sich der Anspruch mindestens auf die gleiche Versorgung, die von der Invalidenversicherung zugestanden wurde (vgl. Rz. 1003 des Kreisschreibens über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung [KSHA], gültig ab 1. Januar 2013).
2.2. Die Vorinstanz hat festgehalten, der Beschwerdeführer habe Anspruch auf die in Ziffer 5.07 HVI-Anhang, in Kraft seit 1. Juli 2011, vorgesehene Pauschale, welche für eine binaurale Versorgung Fr. 1'650.- beträgt.
2.3. Der Beschwerdeführer weist zunächst darauf hin, die Invalidenversicherung habe ihm wiederholt Hörgeräte zugesprochen; zuletzt habe er gemäss Mitteilung vom 18. Januar 2011 Kostengutsprache im Betrag vom Fr. 6'181.60 erhalten. Nachdem sich die Versorgung mit dem BAHA-Gerät nicht als zufriedenstellend erwiesen hatte, sei ihm in der Folge laut Mitteilung vom 8. April 2014 nur noch eine Pauschalentschädigung im Betrag von Fr. 1'650.- gewährt worden. Mit Schreiben vom 14. Mai 2014 habe er um Prüfung einer Kostenübernahme im Härtefall ersucht, was die Ausgleichskasse abgelehnt habe, weil durch die Invalidenversicherung noch keine Härtefallversorgung zugesprochen wurde. Die Ausgleichskasse wie auch die Vorinstanz würden verkennen, dass gemäss Artikel 4 HVA für Bezüger von Altersrenten, die bis zum Entstehen des Anspruchs auf eine Altersrente Hilfsmittel nach Artikel 21 IVG erhielten, der Anspruch auf diese Leistungen in Art und Umfang bestehen bleibt. Die Bestimmungen der Invalidenversicherung gälten sinngemäss. Die Revision der Hilfsmittelliste im Jahr 2011, mit welcher Ziffer 5.07 HVI-Anhang durch mehrere Ziffern ersetzt wurde und komplexe Versorgungen nunmehr unter Ziffer 5.07.2* (Härtefallregelung und Hörgeräteversorgung) beurteilt werden, habe eine partielle Eingrenzung und systematische Neuordnung gebracht. Damit sei nicht beabsichtigt worden, die Ansprüche von Hörbehinderten mit einem Besitzstand so zu schmälern, dass sie selbst bei komplexen Versorgungsverhältnissen und fortdauernder Erwerbstätigkeit nur noch Anspruch auf eine Pauschalvergütung haben sollten, während den Versicherten im IV-Alter eine differenzierte Versorgung im Sinne der neuen Ziffer 5.07.2* HVI-Anhang (Härtefallregelung mit Festlegung von über den Pauschalen liegenden Beiträgen an monaurale oder binaurale Versorgungen durch das BSV) gewährt wird. Der Besitzstand nach Artikel 4 HVA müsse unabhängig von der systematischen Subsumierung unter das alte oder neue System der Hörgeräteleistungen gewährt werden, wenn eine Person bereits vor Erreichen des Rentenalters erwerbstätig war und komplexe Versorgungsverhältnisse bestanden. Dass die Versorgung seinerzeit unter Ziffer 5.07 und nicht unter der damals noch nicht bestehenden Ziffer 5.07.2* HVI-Anhang erfolgte, dürfe nicht massgebend sein. Die Beschwerdegegnerin werde eine ORL-Klinik mit der Prüfung der Frage zu betrauen haben, ob die Hörgeräteversorgung als komplex nach Ziffer 5.07.2* HVI-Anhang zu gelten hat.
 
3.
3.1. Für in der Schweiz wohnhafte Bezüger von Altersrenten, die bis zum Entstehen des Anspruchs auf eine Altersrente Hilfsmittel oder Ersatzleistungen nach den Artikeln 21 oder 21bis IVG erhalten haben, bleibt der Anspruch auf diese Leistungen in Art und Umfang bestehen, solange die massgebenden Voraussetzungen weiterhin erfüllt sind und soweit die vorliegende Verordnung nichts anderes bestimmt. Im Übrigen gelten die entsprechenden Bestimmungen der Invalidenversicherung sinngemäss (Art. 4 der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung [HVA], in Kraft seit 1. Januar 1983). Im Urteil H 230/01 vom 10. Januar 2003 E. 2.2 (SVR 2003 AHV Nr. 12 S. 31), bestätigt im Urteil 9C_317/2009 vom 19. April 2010 E. 4.1, hat sich das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Blick auf Wortlaut sowie ratio legis der Bestimmung zum Umfang der in Artikel 4 HVA umschriebenen sogenannten Besitzstandsgarantie geäussert. Dabei hielt es fest, dass die AHV einzig diejenigen Hilfsmittel weiter zu erbringen hat, welche bereits die Invalidenversicherung zugesprochen hatte und die in der Liste der Hilfsmittel nach HVA (im Unterschied zu jener nach HVI) nicht enthalten sind. Die versicherte Person soll im AHV-Rentenalter mit denjenigen Hilfsmitteln ausgestattet sein, die sie bereits vorgängig erhalten hat. Die ratio legis des Artikel 4 HVA besteht demzufolge darin, dass über das Erreichen des AHV-Rentenalters hinaus der frühere leistungsmässige Status zugesichert werden soll. Die Besitzstandsgarantie knüpft demnach an die konkrete, unter dem zeitlichen Regime von Art. 10 Abs. 1 IVG (in der damals gültigen Fassung vom 7. Oktober 1994) bestehende Hilfsmittelversorgung an. In dem zu Art. 4 HVA ergangenen Urteil H 253/83 (ZAK 1984 S. 227) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht festgehalten, dass Hilfsmittel, die aufgrund der Besitzstandsgarantie abgegeben werden, dem jeweiligen Zustand des Versicherten und der allenfalls in der Zwischenzeit eingetretenen technischen Entwicklung entsprechen müssen. Es kann daher auch Anspruch auf ein Hilfsmittel in einer besseren Ausführung als der bisher abgegebenen bestehen. Laut dem zitierten Urteil kann ferner bei einer erheblichen Verschlechterung des Hörvermögens unter Umständen Anspruch auf eine binaurale Versorgung bestehen, auch wenn vor Eintritt ins AHV-Rentenalter nur ein monaurales Gerät abgegeben worden ist.
Den Grundsatz, dass aufgrund der technischen Entwicklung Anspruch auf ein Hilfsmittel in besserer Ausführung bestehen kann, hat das Bundesgericht gestützt auf die in Art. 4 HVA gewährte Besitzstandswahrung im Urteil 9C_474/2012 vom 6. Mai 2013 mit Bezug auf den Anspruch auf einen elektrischen Sitzlift als notwendiges Zubehör zum Elektrorollstuhl des Versicherten bestätigt; der Sitzlift war nicht wegen eines veränderten Gesundheitszustandes, sondern wegen der geänderten technischen Gegebenheiten erforderlich (E. 3.4). Über den Besitzstand hinaus gehen hingegen neu entstehende Mehraufwendungen für Anpassungen, die von den bisher übernommenen invaliditätsbedingten Abänderungen begrifflich unterschieden werden können (E. 3).
3.2. Hinsichtlich der Abgabe von Hörgeräten durch die Invalidenversicherung gilt Folgendes:
Die Hilfsmittelabgabe bei Schwerhörigkeit war ursprünglich in Ziff. 5.07 HVI-Anhang geregelt. In der seit 1. Januar 1993 geltenden Fassung vom 9. Oktober 1992 wurden den Versicherten Hörgeräte bei Schwerhörigkeit abgegeben, sofern das Hörvermögen durch ein solches Gerät namhaft verbessert wird und die versicherte Person sich wesentlich besser mit der Umwelt verständigen kann. Eine betragliche Obergrenze bestand nicht. Ziff. 5.07 HVI-Anhang erfuhr in der Folge eine Ergänzung, indem pauschale Vergütungen für Batteriekosten eingefügt wurden. Auf den 1. Juli 2011 wurde Ziff. 5.07 HVI-Anhang revidiert. Für Hörgeräte wurden nun Pauschalen eingeführt. Ziff. 5.07.2* HVI-Anhang bestimmt, dass das Bundesamt für Sozialversicherungen festlegt, in welchen Fällen über der Pauschale liegende Beiträge an monaurale und binaurale Versorgungen ausgerichtet werden können.
4. Am 18. Januar 2011 gewährte die IV-Stelle dem Beschwerdeführer, der damals das AHV-Rentenalter bereits erreicht hatte, gestützt auf die Besitzstandsgarantie Kostengutsprache für eine Hörhilfe mit implantierter Komponente im Betrag von Fr. 6'181.60. Nachdem auf den 1. Juli 2011 das System der Beiträge der Invalidenversicherung an Hörgeräte im vorstehend dargelegten Sinn (E. 3.2 hievor) geändert worden war, lehnte die Ausgleichskasse das Gesuch des Beschwerdeführers um Wiederversorgung mit Verfügung vom 24. Juni 2014 und Einspracheentscheid vom 14. Oktober 2015 ab. Die Vorinstanz hat diesen Verwaltungsakt bestätigt. Damit hat sie indessen den vorstehend (E. 3.1 hievor) umschriebenen Gehalt der in Artikel 4 HVA statuierten Besitzstandsgarantie verkannt. Wie dargelegt, bezieht sich die Besitzstandsgarantie auf die von der Invalidenversicherung bis Erreichen des AHV-Alters ausgerichteten Leistungen, indem der leistungsmässige Status erhalten bleiben soll. Die Besitzstandsregelung des Artikel 4 HVA hat durch die Revision von Ziffer 5.07 HVI-Anhang keine Änderung erfahren. Entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts besteht kein Grund, die Pauschale gemäss Änderung von Ziffer 5.07 HVI-Anhang ab 1. Juli 2011 von Fr. 1'650.- für binaurale Versorgung anzuwenden. Der Versicherte hatte vor Erreichen des AHV-Rentenalters Anspruch auf Leistungen nach Ziff. 7.02 HVI-Anhang in der bis 30. Juni 2011 gültig gewesenen Fassung ("Hörgeräte bei Schwerhörigkeit"). Ziff. 5.07.2* HVI-Anhang in der seit 1. Juli 2011 geltenden Fassung ("Härtefallregelung Hörgeräteversorgung") bringt eine Änderung mit sich, die nicht im Sinne der Rechtsprechung (Urteil 9C_474/2012 vom 6. Mai 2013 E. 3 Ingress mit Hinweisen) begrifflich von den bisher gewährten Leistungen unterschieden werden kann, handelt es sich doch nach wie vor um das gleiche Hilfsmittel "Hörgeräte", das auch in der teureren Ausführung im Sinne eines Härtefalls von der Besitzstandsgarantie erfasst wird. Dem Anspruch des Versicherten auf Leistungen nach Massgabe von Ziff. 5.07.2* HVI-Anhang gestützt auf Art. 4 HVA steht somit nichts entgegen, sofern die medizinischen Voraussetzungen und die sinngemäss anwendbaren Bestimmungen der Invalidenversicherung erfüllt sind, was die Verwaltung noch prüfen wird. Hernach wird sie über den Anspruch des Versicherten auf Kostengutsprache für die Hörgeräteversorgung neu verfügen.
5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese hat dem obsiegenden Beschwerdeführer überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid vom 7. Juli 2016 und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse Basel-Landschaft vom 14. Oktober 2015 werden aufgehoben. Die Sache wird an die Ausgleichskasse Basel-Landschaft zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Hörgeräteversorgung im Sinne der Erwägungen neu verfüge.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 700.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3. Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 11. April 2017
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Der Gerichtsschreiber: Widmer