BGer 8C_766/2016
 
BGer 8C_766/2016 vom 25.04.2017
{T 0/2}
8C_766/2016
 
Urteil vom 25. April 2017
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
Gerichtsschreiber Grunder.
 
Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdeführerin,
gegen
vertreten durch Advokatin Sarah Brutschin,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 26. September 2016.
 
Sachverhalt:
A. Der 1956 geborene A.________ war seit 1979 bei der B.________ AG als Vorarbeiter angestellt und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 12. März 2015 glitt er beim Abdecken eines Daches aus, stürzte, rutschte hinunter und blieb mit dem Fuss an der Dachrinne hängen (Schadenmeldung UVG vom 17. April 2015). Die Suva erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld). Wegen anhaltender bewegungs- und belastungsabhängiger Schmerzen bei tomografisch nachgewiesener Ruptur der Supraspinatussehne sowie aktivierter AC-Gelenksarthrose führte Dr. med. C.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates FMH, am 22. Juni 2015 eine Arthroskopie an der rechten Schulter durch. Laut kreisärztlicher Beurteilung des Dr. med. D.________, Facharzt für Chirurgie FMH, Suva, vom 8. Juli 2015 erlitt der Versicherte am 12. März 2015 eine seitliche Kontusion, die nicht überwiegend wahrscheinlich zu einer richtunggebenden Verschlimmerung der degenerativ vorgeschädigten Schulter führte. Mit Verfügung vom 10. Juli 2015 eröffnete die Suva dem Versicherten, der Zustand, wie er sich auch ohne den Unfall eingestellt hätte, sei spätestens am 21. Juni 2015 erreicht worden, weshalb über diesen Zeitpunkt hinaus kein Anspruch auf Versicherungsleistungen mehr bestehe. Im Einspracheverfahren erläuterte Dr. med. C.________, beim Schaden an der rechten Schulter handle es sich eindeutig um eine unfallbedingte Verletzung (Schreiben vom 31. Juli 2015). Dazu nahm Dr. med. D.________ am 30. September 2015 schriftlich Stellung. Mit Entscheid vom 18. Januar 2016 wies die Suva die Einsprache ab.
B. A.________ liess beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt Beschwerde einreichen und beantragen, ihm seien die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen. Die Suva brachte die chirurgische Beurteilung des Dr. med. E.________, Facharzt für Chirurgie, Kompetenzzentrum, Suva Versicherungsmedizin, vom 22. März 2016 ins Verfahren ein. Nach durchgeführter Hauptverhandlung mit Einvernahme des Versicherten (im Beisein einer Dolmetscherin), dessen Ehegattin sowie eines Arbeitskollegen hiess das kantonale Gericht die Beschwerde gut (Entscheid vom 26. September 2016).
C. Die Suva führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280; vgl. auch BGE 141 V 234 E. 1 S. 236; 140 V 136 E. 1.1 S. 137 f.).
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung hingegen ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
 
2.
2.1. Das kantonale Gericht hat die gesetzliche Bestimmung über den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung im Allgemeinen (Art. 6 Abs. 1 UVG) und die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod: BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.2. Zu wiederholen ist, dass dann, wenn die Unfallkausalität einmal mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, die Leistungspflicht des Unfallversicherers erst entfällt, sobald der Unfall nicht mehr die natürliche und adäquate Ursache des Gesundheitsschadens darstellt, wenn also Letzterer nur noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft dann zu, wenn entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor dem Unfall bestanden hat (Status quo ante) oder aber derjenige Zustand, wie er sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (Status quo sine), erreicht ist. Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche Kausalzusammenhang muss das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen eines Gesundheitsschadens mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die blosse Möglichkeit nunmehr gänzlich fehlender ursächlicher Auswirkungen des Unfalles genügt nicht. Da es sich hiebei um eine anspruchsaufhebende Tatfrage handelt, liegt aber die entsprechende Beweislast - anders als bei der Frage, ob ein leistungsbegründender natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht beim Versicherten, sondern beim Unfallversicherer (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 326, U 180/93 E. 3b).
 
3.
3.1. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht einen über den 21. Juni 2015 hinausgehenden Anspruch auf weitere Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung bejaht hat. Prozessthema bildet dabei in erster Linie die Frage, inwieweit der Beschwerdegegner sich beim Unfall vom 12. März 2015 objektiv nachweisbar im Bereich des rechten Schultergelenkes verletzte und damit an Folgen in Form richtunggebender Verschlimmerungen der vorbestehenden degenerativen Veränderungen litt. Ausschlaggebende Bedeutung kommt dabei, wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, gemäss den insoweit übereinstimmenden Auskünften der Suva-Ärzte und des behandelnden Dr. med. C.________ dem Unfallhergang zu. Erste gehen gestützt auf die von einem Mitarbeiter der Suva am 15. Juni 2015 protokollierten Angaben des Versicherten davon aus, er sei auf dem Dach mit dem am Körper liegenden rechten Arm auf die rechte Seite gestürzt und habe dabei einzig eine Kontusion erlitten, weshalb die Sehnenrisse im rechten Schultergelenk mangels eines biomechanisch relevanten Unfallmechanismus nicht durch das Aufschlagen auf die rechte Schulter entstanden sein konnten (keine aussen- oder innenrotierende Stütz- oder Zugkräfte; vgl. Berichte des Dr. med. D.________ vom 8. Juli und 30. September 2015 sowie des Dr. med. E.________ vom 22. März 2016 [mit Hinweisen auf medizinische Literatur]). Hiegegen legt Dr. med. C.________ im Schreiben vom 31. Juli 2015 dar, beim Unfall sei es zu einem Aussenrotationstrauma des retroflektierten und leicht abgespreizten Armes gekommen; die im Rahmen der Arthroskopie diagnostizierte (relevante) Subscapularis- und Pulley-Läsion könnten eine typische Verletzung für ein derartiges Trauma sein; eine Teilläsion der Rotatorenmanschette gehe entgegegen der Auffassung des Kreisarztes in der Regel nicht mit einer Kraftminderung einher; der Patient habe beim Unfall sofort einen einschiessenden Schmerz verspürt und leide seither an anhaltenden Beschwerden; insgesamt handle es sich eindeutig um eine unfallbedingte Verletzung.
 
4.
4.1. Das kantonale Gericht hat festgestellt, laut Auskünften des Versicherten anlässlich der Hauptverhandlung sei er auf den nassen Ziegeln des Daches ausgeglitten, auf die rechte Seite gestürzt und hinunter gerutscht, wobei er vergeblich versucht habe, sich an der Plastikplane festzuhalten; erst in der Dachrinne sei er in waagrechter Position zum Stillstand gekommen, wobei sein rechter Arm nach hinten gedreht gewesen sei und er ein Reissen gespürt habe. Dieser Sachverhaltsdarstellung stünden die Schilderungen des Versicherten beim Gespräch mit der Abklärungsperson der Suva vom 15. Juni 2015 nicht entgegen. Es sei wenig wahrscheinlich, dass der Versicherte passiv auf der rechten Seite liegend - wovon die Ärzte der Suva ausgegangen seien - das Dach hinunter gerutscht sei; vielmehr sei anzunehmen, dass er den drohenden Fall vom Dach nach einer Drehung des Körpers mit den Armen zu verhindern versucht habe.
Obwohl sich allein aus dem zeitlichen Ablauf rechtsprechungsgemäss kein Kausalzusammenhang herleiten lasse (vgl. Urteil 8C_331/2015 vom 21. August 2015 E. 2.2.3.1), dürfe in Würdigung der gesamten, insbesondere medizinischen Umstände der Tatsache ein gewisses Gewicht beigemessen werden, dass der Versicherte vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen sei. So spreche der Umstand, dass er sofort einen einschiessenden Schmerz empfunden und danach an anhaltenden bewegungs- und belastungsabhängigen Schmerzen gelitten habe, und die klinischen Tests Hinweise auf die später gestellten Diagnosen gegeben und letztlich Anhaltspunkte für ein massgebliches vorbestehendes Leiden gefehlt hätten, für traumatisch entstandene Sehnenläsionen. Zusammenfassend sei nicht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt, dass sämtliche über den 21. Juni 2015 hinaus bestehenden Beschwerden an der rechten Schulter nicht mehr in einem kausalen Zusammenhang mit dem Unfall vom 12. März 2015 gestanden hätten.
 
4.2.
4.2.1. Die SUVA übersieht mit ihren Vorbringen, dass ihre Ärzte von einem nicht sicher festgestellten und nicht ohne Weiteres nachvollziehbaren Hergang des Unfalls ausgegangen sind. Es ist nicht einzusehen, dass der Beschwerdegegner als erfahrener Bauarbeiter in quasi starrer Haltung mit anliegendem rechtem Arm auf der Körperseite liegend vom schrägen Dach hinunter gerutscht sein soll, ohne sich mit Armen und Beinen gegen den drohenden Absturz zu wehren. Es mag zutreffen, dass die von der Abklärungsperson der Suva anlässlich des Gesprächs vom 15. Juni 2015 zusammengefasst wiedergegeben Auskünfte des Versicherten, die gemäss Vorbringen der Suva von der gut Deutsch sprechenden Ehefrau übersetzt wurden, für den von den Ärzten der Suva angenommenen Hergang des Unfalls sprechen. Indessen ist das Gesprächsprotokoll vom 15. Juni 2015 weder vom Versicherten noch von seiner Ehefrau unterzeichnet worden. Deshalb hat der Inhalt dieses Dokumentes nicht die gleiche Aussagekraft, wie die - entgegen den Vorbringen der Suva - einsehbaren, anlässlich der Hauptverhandlung vom 26. September 2016 protokollierten, von einer professionellen Dolmetscherin übersetzten Angaben des Beschwerdegegners. Daran ändert nichts, dass die Ehefrau anlässlich der Hauptverhandlung beim kantonalen Gericht bestätigte, sie habe am 15. Juni 2015 die Auskünfte ihres Ehemannes übersetzt. Die von der Suva zumindest implizit angerufene Beweismaxime, wonach in der Regel die Aussage der ersten Stunde gilt, greift hier (rund drei Monate nach dem Unfall) ohnehin mangels zeitnaher, inhaltlich den Streitgegenstand bestimmender Darlegungen zum Hergang des Unfallereignisses nicht. Zudem ist aus dem Protokoll vom 15. Juni 2015 zu schliessen, dass die Abklärungsperson den Versicherten offenbar gezielt auf die hier interessierende, medizinisch relevante Frage hin interviewte, ob er beim Hinfallen allein eine Kontusion der rechten Schulter erlitten habe, weshalb seine diesbezüglichen Auskünfte ohnehin wenig beweiskräftig sein können.
4.2.2. Insgesamt betrachtet ist vom Sachverhalt auszugehen, wie ihn der Beschwerdegegner anlässlich der vorinstanzlichen Hauptverhandlung schilderte. Von weiteren Abklärungen hiezu sind mit Blick auf seine Aussagen, die nicht durch Augenzeugen bestätigt, die aber auch nicht widerlegt werden konnten, keine neuen Erkenntnisse zu erwarten (vgl. zur antizipierten Beweiswürdigung und deren Zulässigkeit: BGE 124 V 90 E. 4b S. 94; Urteil 2C_807/2015 vom 18. Oktober 2016 E. 2.3.1 mit Hinweisen, publ. in: EuGRZ 2017 S. 35). Allerdings bleibt unklar, ob der vom Beschwerdegegner beschriebene Unfallhergang (Sturz auf einem schrägen Dach mit erfolglosem Greifen nach einer Plane und anschliessendem Rutschen mit nach hinten gedrehtem rechtem Arm) aus medizinischer Sicht geeignet war, eine richtunggebende Verschlimmerung des degenerativen Vorzustandes herbei zu führen. Entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts kann hiezu nicht auf die Darlegungen des behandelnden Dr. med. C.________ abgestellt werden, der aktenwidrig davon ausging, der Patient sei auf dem Dach nach vorne gestürzt, wobei er ein Aussenrotationstrauma erlitten habe (Schreiben vom 31. Juli 2015). Sodann ist auch die im letztinstanzlichen Verfahren aufgelegte Stellungnahme des Dr. med. E.________ vom 16. November 2016 wenig beweiskräftig, zumal er sich weder im Einzelnen noch im Allgemeinen mit den aus dem anzunehmenden Unfallhergang zu ziehenden medizinischen Schlussfolgerungen auseinandersetzt. Daher kann offen bleiben, ob es sich dabei um ein unzulässiges Beweismittel gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG handelt. Zusammengefasst drängt sich eine medizinische Begutachtung des Sachverhalts auf, die vom kantonalen Gericht einzuholen sein wird.
5. Die Rückweisung der Sache an die Verwaltung oder an das kantonale Gericht zu erneuter Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt praxisgemäss (BGE 132 V 215 E. 6.1 S. 235 mit Hinweisen; Urteil U 199/02 vom 10. Februar 2004, E. 6) für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als volles Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie überhaupt beantragt, oder ob das entsprechende Begehren im Haupt- oder im Eventualantrag gestellt wird.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten daher dem unterliegenden Beschwerdegegner aufzuerlegen, dem keine Parteientschädigung zusteht. Der Beschwerdeführerin wird sodann kein Parteikostenersatz zugesprochen, weil sie als eine mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegt (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 25. April 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Der Gerichtsschreiber: Grunder