Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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9C_281/2017
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Urteil vom 4. Juli 2017
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
Bundesrichterin Glanzmann, Bundesrichter Parrino,
Gerichtsschreiber Fessler.
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Procap für Menschen mit Handicap,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung
(Invalidenrente; Revision; gemischte Methode),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 28. März 2017.
Sachverhalt:
A.
A.________ bezog nach einer zweijährigen Anlehre ab 1. Dezember 2001 eine (ausserordentliche) ganze Rente der Invalidenversicherung. Zufolge einer Erhöhung des Verdienstes als Hilfskraft... wurde die ganze Rente mit Wirkung ab 1. Dezember 2005 auf eine Dreiviertelsrente herabgesetzt. Mit Verfügung vom 25. Juni 2013 hob die IV-Stelle Bern die ganze Rente auf den gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkt hin auf. Mit Entscheid vom 16. Mai 2014 hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern diesen Verwaltungsakt auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit sie nach Vornahme weiterer Abklärungen neu verfüge. U.a. gestützt auf ein neuropsychologisch-psychiatrisches Gutachten vom 18. Dezember 2015 und den Abklärungsbericht Haushalt/ Erwerb vom 31. März 2016 hob die IV-Stelle mit Verfügung vom 14. Juli 2016 die Dreiviertelsrente auf Ende Juli 2013 auf.
B.
Mit Entscheid vom 28. März 2017 hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern in teilweiser Gutheissung der Beschwerde der A.________ die Verfügung vom 14. Juli 2016 insoweit auf, als die Dreiviertelsrente auf Ende Juli 2013 auf eine halbe Rente herabgesetzt wurde.
Die IV-Stelle Bern führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 28. März 2017, soweit nicht die Frage der unentgeltlichen Rechtspflege betreffend, sei aufzuheben, und die Verfügung vom 14. Juli 2016 sei zu bestätigen.
A.________ beantragt die Abweisung der Beschwerde, unter Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es prüft unter Berücksichtigung der Begründungspflicht der Parteien (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG ) indessen nur die gerügten Rechtsverletzungen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 134 I 313 E. 2 S. 315; 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Die Feststellung des Sachverhalts (durch die Vorinstanz; Art. 105 Abs. 1 BGG) kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 2 BGG). In Bezug auf die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung gilt eine qualifizierte Rüge- und Begründungspflicht (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261; Urteil 9C_306/2016 vom 4. Juli 2016 E. 1.1).
2.
Der angefochtene Entscheid (Dispositiv-Ziffer 1) spricht der Beschwerdegegnerin im Rahmen eines Revisionsverfahrens von Amtes wegen ab 1. August 2013 eine halbe Rente der Invalidenversicherung zu (Art. 17 Abs. 1 ATSG, Art. 87 Abs. 1 und Art. 88bis Abs. 2 lit. a IVV ). Unbestritten ist, dass ein Revisionsgrund gegeben und demzufolge der Invaliditätsgrad neu zu ermitteln ist, wobei keine Bindung an frühere Invaliditätsschätzungen besteht (BGE 141 V 9 E. 2.3 S. 11 mit Hinweisen). In Anwendung der gemischten Methode der Invaliditätsbemessung (Art. 28a Abs. 3 IVG; im Sinne der Rechtsprechung gemäss BGE 125 V 146 und seitherige Urteile) hat die Vorinstanz einen Invaliditätsgrad von 54 % (0,8 x 66,4 % + 0,2 x 2 %; zum Runden BGE 130 V 121) ermittelt.
3.
Die Beschwerde führende IV-Stelle rügt, die Invaliditätsbemessung der Vorinstanz verletze Art. 28a Abs. 3 IVG. Es könne lediglich von einem Anteil der Erwerbstätigkeit von 0,5 (= hypothetisches erwerbliches Arbeitspensum von 50 % im Gesundheitsfall; BGE 125 V 146 E. 2b S. 149) ausgegangen werden.
3.1. Ob und gegebenenfalls in welchem zeitlichen Umfang eine in einem Aufgabenbereich tätige versicherte Person (Art. 5 Abs. 1 IVG i.V.m. Art. 8 Abs. 3 ATSG) im Gesundheitsfall erwerbstätig wäre (Statusfrage), ergibt sich aus der Prüfung, was sie bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche Beeinträchtigung bestünde (BGE 141 V 15 E. 3.1 S. 20). Entscheidend ist somit nicht, welches Ausmass der Erwerbstätigkeit der versicherten Person im Gesundheitsfall zugemutet werden könnte, sondern in welchem Pensum sie hypothetisch erwerbstätig wäre (BGE 133 V 504 E. 3.3 S. 507). Bei im Haushalt tätigen Versicherten im Besonderen (vgl. Art. 27 IVV) sind die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse ebenso wie allfällige Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die beruflichen Fähigkeiten und die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und Begabungen zu berücksichtigen. Massgebend sind die Verhältnisse, wie sie sich bis zum Erlass der Verfügung entwickelt haben (BGE 137 V 334 E.3.2 S. 338; 125 V 146 E. 2c S. 150; Urteil 9C_701/2016 vom 1. März 2017 E. 4.1).
Mit Bezug auf den invalidenversicherungsrechtlichen Status (voll-, teil- oder nichterwerbstätig mit oder ohne Aufgabenbereich) qualifiziert sich als grundsätzlich frei überprüfbare Rechtsfrage, ob die Festlegung nach den massgeblichen Gesichtspunkten erfolgte. Dagegen ist die Festsetzung des Umfangs der Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfall, soweit sie auf einer Würdigung konkreter Umstände und hypothetischer Geschehensabläufe beruht und sich nicht ausschliesslich auf die allgemeine Lebenserfahrung oder auf arbeitsmarktliche Empirie stützt, eine Tatfrage, welche der eingeschränkten Kognition unterliegt (Urteil 9C_441/2016 vom 16. Dezember 2016 E. 5.1 mit Hinweisen).
3.2. Die IV-Stelle setzte in der vorinstanzlich angefochtenen Verfügung den Anteil der Erwerbstätigkeit auf 0,5 fest. Sie stützte sich dabei auf den Abklärungsbericht Haushalt/Erwerb vom 31. März 2016, wonach die Versicherte die Frage nach einer Erwerbstätigkeit ohne Behinderung mit "Sie würde 50 % arbeiten gehen (...) " beantwortet hatte. Nach Auffassung des kantonalen Verwaltungsgerichts trägt diese Statusfestlegung den Gegebenheiten nicht hinreichend Rechnung, was es wie folgt begründet hat: Die Versicherte habe nie über einen Gesundheitszustand verfügt, der eine Einschätzung anhand eines früher tatsächlich gelebten Validenstatus erlauben würde. Diese sei daher zum einen auch unter Berücksichtigung ihrer effektiven Tätigkeiten mit dem Gesundheitsschaden vorzunehmen, zum andern sei die Lebenserfahrung zu berücksichtigen. Die Versicherte lebe zusammen mit ihrem Ehemann in einer kleinen (Zwei-Zimmer-) Wohnung. Kinder seien nicht vorhanden; entsprechende Betreuungspflichten entfielen somit von vornherein. Die Versicherte habe in der einzigen ernsthafteren Anstellung als Hilfskraft zwischen 2002 und 2005 zwar zu 100 % gearbeitet. Danach sei sie jedoch seit Jahren nicht mehr erwerbstätig gewesen. Gemäss Übereinkunft mit ihrem Ehemann werde der Haushalt weitgehend von ihr besorgt. Ebenfalls würden die Haustiere (zwei Hunde, drei bis vier Katzen) hauptsächlich von ihr versorgt. Die täglich vier bis fünf Spaziergänge mit den beiden Hunden würden 15 bis 30 Minuten, manchmal auch bis zu zwei Stunden dauern. Die Versicherte habe den Tatbeweis, dass sie eine zumutbare Vollzeitstelle gesucht hätte und auch bereit wäre, hierfür die notwendigen Einschränkungen die Hunde betreffend in Kauf zu nehmen, seit mehr als zehn Jahren nicht erbracht. Insbesondere wären mit einer hochprozentigen Arbeitsstelle die täglichen Spaziergänge mit den Hunden nicht mehr möglich. Die Haustiere hätten im Übrigen keinen therapeutischen Charakter. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte, dass selbst ein vollständiges Aufgeben dieser "Tierhaltung" negative gesundheitliche Auswirkungen hätte. Die Versicherte leide an einem geistigen Gesundheitsschaden, der seit jeher eine vollschichtige Tätigkeit zulasse. In Anbetracht sämtlicher Umstände sei im Zeitpunkt der Revision ein Status von 80 % Erwerb und 20 % Aufgabenbereich überwiegend wahrscheinlich.
3.3. Die IV-Stelle erwähnt vorab die Bedeutung der Angaben der Versicherten gegenüber der Abklärungsperson zum ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgeübten erwerblichen Arbeitspensum (Hinweis auf die Urteile 9C_615/2016 vom 21. März 2017 E. 5.4 und 8C_762/2016 vom 18. Januar 2017 E. 5.3.2). Weiter bringt sie vor, dass die von der Vorinstanz bei der Beurteilung der Statusfrage berücksichtigten Umstände allesamt dafür sprächen, dass bei der Versicherten ein "geringerer Erwerbsstatus" vorliegen würde. Insbesondere handle es sich bei einer 80%igen Anstellung um ein hochprozentiges Pensum, was das kantonale Verwaltungsgericht aber selber in Abrede stelle, wenn es den Tatbeweis, dass die Versicherte eine zumutbare Vollzeitstelle gesucht hätte und auch bereit wäre, hierfür die notwendigen Einschränkungen in Bezug auf das Halten der Hunde in Kauf zu nehmen, nicht als erbracht erachte. Sinngemäss stütze sich seine Schlussfolgerung, die Versicherte verfüge über einen Status von 80 % Erwerb und 20 % Aufgabenbereich, in Anbetracht sämtlicher Umstände entweder ausschliesslich auf die allgemeine Lebenserfahrung, oder sie beruhe auf einer willkürlichen Beweiswürdigung bzw. auf einer Verletzung der Begründungspflicht.
3.4.
3.4.1. Die Erwägungen der Vorinstanz und die Vorbringen der IV-Stelle werfen die Frage auf, inwiefern im vorliegenden Fall die allgemeine Lebenserfahrung von Bedeutung ist bzw. überhaupt sein kann. Nach verbindlicher Feststellung des kantonalen Verwaltungsgerichts ist die Versicherte aufgrund ihrer geistigen Behinderung und Intelligenzminderung seit jeher in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Eine vollschichtige Tätigkeit ist ihr zwar zumutbar, jedoch kommen nur intellektuell wenig anspruchsvolle, emotional wenig belastende Tätigkeiten ohne Zeitdruck, mit mässigen Ansprüchen an die sozialen Fertigkeiten und in wohlwollender Umgebung in Betracht, wobei eine Leistungsfähigkeit von lediglich 50 % besteht (Gutachten vom 18. Dezember 2015). Unter diesen Umständen hat die hypothetische Frage nach dem zeitlichen Umfang, in welchem sie im Gesundheitsfall bei im Übrigen unveränderten Umständen erwerblich tätig wäre (E. 3.1 hiervor), kein Fundament. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist nämlich davon auszugehen, dass die Versicherte ohne gesundheitliche Beeinträchtigung überwiegend wahrscheinlich eine andere höherwertige Ausbildung als die Anlehre zur... im geschützten Rahmen absolviert und ihre erwerbliche Situation einen anderen Verlauf genommen hätte. In diesem Sinne ist die Frage, in welchem zeitlichen Umfang sie ohne Behinderung erwerbstätig wäre, nicht zielführend.
3.4.2. Als Gesunde könnte die Versicherte ein höheres rentenausschliessendes Einkommen erzielen, da die erwähnten geistigen und intellektuellen Defizite und die leistungsmässigen Einschränkungen nicht bestünden. Die Frage ist somit, was sie bei bestehenden gleichen Verumständungen, insbesondere was die Ausbildung anbetrifft, täte, wenn sie keinen Rentenanspruch und demzufolge auch keinen Anspruch auf Ergänzungsleistungen (Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG) hätte. Diesfalls sprechen vor allem die finanziellen Verhältnisse für ein hohes erwerbliches Arbeitspensum. Gemäss unwidersprochen gebliebener Feststellung der Vorinstanz im Rückweisungsentscheid vom 16. Mai 2014 erzielt der Ehemann ein bescheidenes Einkommen und er hat (offenbar) grosse Schulden. Mit Bezug auf die Sozialhilfeleistungen ist sodann auf Art. 8g Abs. 1 der Verordnung des Kantons Bern vom 24. Oktober 2001 über die öffentliche Sozialhilfe (Sozialhilfeverordnung, SHV; BSG 860.111) hinzuweisen. Danach sind erwerbslose Personen, die wirtschaftliche Hilfe beanspruchen, verpflichtet, im Rahmen der Bestimmungen des SHG [Gesetz vom 11. Juni 2001 über die öffentliche Sozialhilfe; BSG 860.1] auch ausserhalb des erlernten Berufs Erwerbsarbeit zu suchen und anzunehmen. Diese Auflage des Gemeinwesens, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, bei welcher es sich um eine Anspruchsvoraussetzung handelt (BGE 139 I 218 E. 3.5 S. 222), spricht ebenfalls dafür, dass die Versicherte ohne Sozialversicherungsleistungen in einem grossen zeitlichen Umfang erwerbstätig wäre. Der Umstand, dass der Sozialdienst in den letzten Jahren die Arbeitssuche offenbar nicht zur Bedingung für die Ausrichtung von Sozialhilfe machte - etwas Gegenteiliges ist nicht aktenkundig -, ist invalidenversicherungsrechtlich nicht von Belang; ebenso wenig der fehlende Tatbeweis, eine Vollzeitstelle gesucht zu haben, da auch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit von 100 % am Rentenanspruch nichts geändert hätte. Dem gegenüber steht die Besorgung des Haushalts sowie das Halten von zwei Hunden, was einen nicht zu vernachlässigenden täglichen zeitlichen Aufwand in Anspruch nimmt. Allerdings haben die Versicherte und ihr Ehemann keine Kinder und die Wohnung ist klein.
3.4.3. Insgesamt kann der vorinstanzliche Statusentscheid von "80 % Erwerb und 20 % Aufgabenbereich" (E. 3.2 hiervor) nicht als bundesrechtswidrig bezeichnet werden.
4.
Die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung wird im Übrigen nicht beanstandet. Es besteht kein Grund zu einer näheren Prüfung.
Die Beschwerde ist unbegründet.
5.
Mit dem Entscheid in der Sache ist die Frage der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.
6.
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'400.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 4. Juli 2017
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Pfiffner
Der Gerichtsschreiber: Fessler